Die Weisheit des Kreuzes

Predigt über 1. Korinther 1,18-25 zum 5. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Über kluge Leute kann man immer wieder staunen. Da sind die Super­intelli­genten, die jede Denksport­aufgabe mühelos lösen und die beim Schachspiel kaum zu schlagen sind. Da sind die Gebildeten, die Belesenen, die in Kunst und Literatur zu Hause sind und die bei jedem Thema mitreden können. Und da sind die Wissen­schaftler, die Spezialis­ten in Natur­wissenschaft und Technik: Sie erdenken sich wahre Wunder­werke, bauen Computer und andere Maschinen, die die kompli­ziertesten Aufgaben übernehmen können. Oder denken wir an die Weisheit der Mediziner, der Spitzen-Chirurgen zum Beispiel, die Organe wieder­herstellen oder verpflanzen können. Ja, über kluge Leute kann man immer wieder nur staunen.

Und doch erkennen wir auch schnell die Grenzen der Welt­weisheit. Denn die ent­scheidenden Probleme der Menschen können heute ebensowenig gelöst werden wie vor tausend oder zweitausend Jahren. Der Mensch kann sich zwar in Sekunden­schnelle per Telefon mit fast jedem Ort der Erde verbinden lassen, aber er schafft es nicht, dass sich auch nächste Angehörige immer richtig verstehen. Der Mensch baut U-Boote, Flugzeuge und Raum­schiffe, aber er bringt es nicht fertig, eine gerechte Weltordnung zu erstellen, bei der alle genug zu essen haben und in Frieden leben können. Der Mensch kann Herzen verpflanzen und Gehirne operieren, aber den Tod kann er nicht besiegen, der wartet todsicher auf jeden. Ja, schnell erkennen wir die Grenzen der Welt­weisheit.

Dabei wäre es im Prinzip möglich, dass menschliche Klugheit auch mit den ent­scheidenden Problemen fertig würde. Die Weisen brauchten nur hinter der wunderbaren Ordnung der Geschöpfe die Weisheit des Schöpfers zu erkennen. Sie brauchten ihn nur als Herrn an­zuerkennen, ihn zu verehren, ihm zu gehorchen. Seine Spuren lassen sich ja durchaus in der Welt­geschichte finden, dazu braucht man nicht einmal besonders klug zu sein. Denkt zum Beispiel an ein mensch­liches Herz, was das für eine wunderbare Pumpe ist! Es pumpt siebzig oder achtzig Jahre lang pausenlos Blut, ohne Wartung und Repara­turen! Kein Ingenieur kann solche Pumpe bauen, aber der Schöpfer kann es. Oder denkt an die Ordnungen für das Zusammen­leben, die den Menschen von Gott ist Herz geschrieben wurden: „Du sollst nicht töten“, „du sollst nicht ehe­brechen“, „du sollst nicht stehlen“. Wer auf die Stimme seines Gewissens hört, ist klug und wird Segen davon haben, denn er hört damit auf die Stimme seines Schöpfers.

Wenn die Menschen so klug wären, auf ihren Schöpfer zu achten und auf ihr Gewissen zu hören, dann gäbe es keine Liebloskeit und keinen Krieg, ja, dann gäbe es nicht einmal den Tod, der Sünde Sold. Aber da ist die leidige Sünde: Sie verblendet unseren Verstand, sie macht uns so blind, dass wir Gott nicht als Herrn erkennen und seiner Weisheit nicht folgen. So kommt es, dass die Menschen trotz aller be­achtlichen Welt­weisheit in den ent­scheidenden Fragen dumm und tolpatschig von einem Fett­näpfchen ins andere tappen. Ich schließe mich da selbst aus­drücklich mit ein, und da muss sich letztlich jeder mit ein­schließen, der sich selbst einiger­maßen ehrlich beurteilt. Die Sünde hindert uns alle daran, mit unserer natürlichen Klugheit Gott zu erkennen und nach seinem Willen zu leben. Paulus schrieb: „Obwohl die Welt von Gottes Weisheit umgeben war, hat sie doch Gott durch ihre Weisheit nicht erkannt.“

Damit ist jedoch Gottes Weisheit noch lange nicht am Ende, und Gottes Barm­herzigkeit erst recht nicht. Gott will ja nicht den Tod des Sünders, sondern dass er sich bekehre und lebe. So sagte sich Gott: Gut, wenn die Menschen meine Weisheit nicht erkennen, die ich ihnen in Schöpfung und Gewissen offenbart habe, dann will ich ihnen durch scheinbare Torheit weiter­helfen, durch einen Weg, der in den Augen der Welt­weisheit zwar töricht ist, der aber dennoch zum Ziel des Lebens führt. Diese sogenannte Torheit Gottes ist das Wort vom Kreuz. Es ist die Predigt vom Ge­kreuzigten. Es ist die Predigt vom Gottessohn, der mit seinem Kreuzestod die Sünden­strafe für alle Welt abgebüßt hat. Es ist die Predigt von dem einen, der seinem himmlischen Vater gehorsam war bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Es ist die Predigt vom Gotteslamm, mit dessen Sühneblut Sünder rein­gewaschen werden von ihrer Schuld. Es ist die Predigt vom Menschen­sohn, der gekommen ist, um Sünder selig zu machen. Es ist die Predigt vom Fleisch gewordenen Gott, der durch seinen Tod den Tod als un­abänder­liches Menschen­schicksal besiegte und dies durch seine Auf­erstehung offenbarte. Es handelt sich um eine Botschaft, die man nicht mit Worten und Argumenten der Welt­weisheit erklären und beweisen kann; man kann sie nur schlicht bezeugen und im Glauben annehmen: So ist es eben, so hat es Gott in seiner großen Liebe gefallen, Sünder selig zu machen. Paulus schrieb: „Weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben.“ Und in diesem Zusammen­hang steht das berühmte Wort: „Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist‘s eine Gottes­kraft.“

Ja, denen, die verloren werden, ist das Evangelium in der Tat eine Torheit, denen, die nicht an Jesus Christus als ihren Herrn glauben. Das hat schon Paulus auf seinen Missions­reisen erfahren müssen: Die Juden verfolgten die Christen bis aufs Blut; die Predigt vom Seligwerden ohne Gesetzes­werke war ihnen ein Greuel. Sie schimpften: Das geht doch nicht, dass man den Menschen den Himmel verspricht, ohne dass sie sich anstrengen und etwas dafür tun müssen! Die philo­sophisch gebildeten Griechen dagegeben lächelten und meinten: Was, das soll ein Erlöser sein, das soll euer Gott sein? So ein Versager? Einer, die wie ein Verbrecher am Kreuz hin­gerichtet wurde? Da müsst ihr aber ganz schön naiv sein, wenn ihr so etwas glaubt! Aus der Zeit der frühen Christen­heit ist uns ein Spott-Kruzifix über­liefert; da hängt ein Mensch mit einem Eselskopf am Kreuz. Das Wort vom Kreuz – in der Tat eine Torheit denen, die verloren werden. Das ist bis heute so. In der modernen Kunst und in den Medien gibt es schamlose Ver­spottungen des Kreuzes. Ja, neulich lernte ich sogar einen evan­gelischen Pastor kennen, der mir erklärte: Mit dem Kreuz kann ich nichts anfangen; ich predige nicht darüber.

„Uns aber, die wir selig werden, ist‘s eine Gottes­kraft“, schrieb Paulus. „Uns aber“ – das ist das Wir der Christen­heit, das ist die Gemeinde der Heiligen, das ist die Gemein­schaft all derer, die auf den Namen Jesu getauft sind und an ihn glauben. Für uns ist die Botschaft vom Kreuz das allerbeste und aller­köstlichste Wort. Wir haben hier den größten Schatz, Heil, Seligkeit und ewiges Leben. Wir erkennen hier Gottes un­ergründliche Weisheit. Denn was auch die größte Menschen­weisheit nicht fertig­bringt, das schafft Gottes scheinbare Torheit, das Wort vom Kreuz: dass Menschen mit Gott und unter­einander versöhnt werden, dass Frieden kommt, dass der Tod nicht das letzte Wort hat und die ewige Seligkeit im Himmel auf uns wartet. Lasst die Ungläubigen darüber spotten oder sich daran ärgern, wir jedenfalls werden mit diesem Wort vom Kreuz selig werden, so hat es Gott gefallen. „Denn“, so schrieb Paulus, „die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.“

So lasst uns dieses Wort festhalten und diesen wunderbaren Gott über sein Evangelium preisen – nicht nur mit den Lippen, sondern auch mit dem Herzen. Denn das Gerichts­wort, das Paulus hier aus dem Alten Testament zitierte, gilt denen, die Gott nur mit den Lippen ehren, aber mit dem Herzen fern von ihm sind: „Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Ver­ständigen will ich verwerfen.“ Wer das Wort vom Kreuz in seinem Herzen verachtet, der wird früher oder später erleben, dass er überhaupt nicht mehr glauben kann, dass Gott ihm das Herz verstockt und ihm das Evangelium als lauter Torheit erscheint. Lasst uns darum diesen großen Schatz im Herzen bewahren, lasst uns am Glauben festhalten, auch wenn alle Welt um uns herum darüber lacht oder schimpft. Und dann erleben wir in der christ­lichen Gemeinde jetzt schon das Wunder, das alle Welt­weisheit nicht fertig­bringt: Dass aus dem Glauben die Liebe wächst. Dass Friede herrscht. Und schließ­lich: Dass der Tod nicht mehr der Tod ist, sondern vielmehr eine Brücke in den Himmel. Da werden wir dann vollkommen erkennen, dass Gottes Torheit vom Kreuz in Wahrheit so große Weisheit ist, dass sie die Welt mit all ihrer Sünde und all ihren Problemen überwindet. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1992.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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