Die Fürbitte des Heiligen Geistes

Predigt über Römer 8,26‑27 zum Sonntag Exaudi

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Zu den wichtigsten Ausdrucks­formen unseres Glaubens gehört das Gebet. Kein rechter Christ wird darauf verzichten, täglich seine Gedanken auf Gott zu richten und ihn anzurufen mit Bitte, Fürbitte, Lob und Dank. Und für manche Zeit­genossen, die nie zum Gottes­dienst kommen und nie in der Bibel lesen, bedeutet das Gebet immerhin einen letzten Rest Frömmig­keit, den sie sich bewahrt haben.

Umso härter trifft es einen Christen, wenn er plötzlich erkennt: Ich kann nicht mehr beten. Lieber Bruder, liebe Schwester, hast du das schon einmal erlebt? Da trifft dich etwas wie ein Keulen­schlag. Oder da werden deine Pläne und Träume für die Zukunft brutal durch­kreuzt. Oder da erfährst du die er­schrecken­de Wahrheit über deinen kritischen Gesundheits­zustand. Oder da stirbt dir einer weg, mit dem du Tag für Tag beisammen warst. Oder da enttäuscht dich einer maßlos, in den du große Hoffnungen gesetzt hast. Oder da leidest du an der christ­lichen Kirche, die von Verwirrung, Irrtum, Zerwürf­nissen und Kleinglaube bedroht ist. Was auch immer es sein mag: Jeden von uns kann etwas Derartiges treffen; wir müssen sogar damit rechnen. Und wenn du es schon einmal erfahren hast, dann weißt du, wie scheußlich man sich dabei fühlt. Man kann dann keinen klaren Gedanken mehr fassen, die Gedanken kreisen dann immer nur ziellos um das Eine, das man kaum fassen kann. Man kann dann oft nicht einmal sein normales geistliches Leben aufrecht erhalten. Es kann, wie gesagt, so weit kommen, dass man nicht einmal mehr Kraft zum Beten hat. Vielleicht kann man nur noch rufen: Ach Herr, erbarme dich! Vielleicht kann man nur einen Seufzer zum Himmel zu schicken. Man fühlt sich dann völlig am Ende.

Wenn du in so einer Situation steckt, dann sollst du wissen: Was bei uns Menschen wie das Ende aussieht, ist Gottes Anfang. Wo wir nur noch Schwachheit fühlen, da erweist sich Gottes Kraft. Das gehört zur Weizenkorn-Struktur des Evan­geliums: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, dann bring es keine Frucht. Das war so bei Jesus am Kreuz, und das kann nicht anders sein im Leben derer, die ihm nachfolgen. Die scheinbare Ohnmacht unsers Herrn auf Golgatha ist in Wahrheit Gottes universaler Sieg gewesen. Der Tod ist ver­schlungen ist den Sieg, halleluja! Was bei uns Menschen wie das Ende aussieht, ist Gottes Anfang. Das bedeutet für ein seelisches und geistliches Tief: Hier will Gott dich lehren, was rechtes Beten ist. Er will es dir zeigen durch seinen Heiligen Geist. Du darfst darauf vertrauen und dich damit trösten, dass dann genau das geschieht, was der Apostel Paulus so beschrieben hat: „Der Geist hilft unserer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebührt, sondern der Geist selbst vertritt uns mit un­aussprech­lichem Seufzen. Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er vertritt die Heiligen, wie es Gott gefällt.“

Der Apostel schreibt dies im großen Zusammen­hang vom Leben im Geist. Er schreibt es für Menschen, die nicht mehr fleisch­lich, sondern geistlich sind. Er schreibt es für Menschen, die nicht mehr von ihren Sünden und Begierden beherrscht werden, sondern in denen Christus regiert durch den Heiligen Geist. Wir haben zwar einen ver­gängli­chen Leib, der seufzt und sich nach Heil sehnt, schreibt Paulus, und wir merken auch, wie der Teufel uns immer wieder mit seinen Ver­suchungen zu schaffen macht. Aber er herrscht nicht über uns, sondern es herrscht Christus durch den Heiligen Geist. Der gibt uns die gewisse Hoffnung auf ewiges Leben. Diese Hoffnung überwindet die Ver­gänglich­keit des Fleisches. Auch hier gilt: Was bei uns Menschen wie das Ende aussieht, ist Gottes Anfang.

Diese Erkenntnis bezieht Paulus in unseren Versen auf das Gebet. Er schreibt: „Des­gleichen hilft auch der Geist unserer Schwachheit auf.“ „Des­gleichen“ – also in der Weise, wie auch die Hoffnung des Glaubens die Ver­gänglich­keit des Fleisches überwindet. Damit benennt Paulus eine sehr köstliche, allerdings wenig beachtete Gabe des Heiligen Geistes: Es ist die Fürbitte des Heiligen Geistes in unseren Herzen. Auch und gerade dann, wenn wir zu schwach zum Beten sind und kaum mehr ein Kyrie-eleison über die Lippen bekommen, wird der Geist tätig in uns und für uns. Dann betet er an unserer Statt so, „wie sich's gebührt“, also wie man recht beten soll.

„Der Geist selbst vertritt uns mit un­aussprechli­chem Seufzen.“ Paulus sagt das nicht, damit wir faul werden im Gebets­leben. Er sagt es uns vielmehr zum Trost und zur Freude für Zeiten, in denen wir so schwach und angefochten sind, dass wir nicht mehr selbst beten können. Ja, „der Geist hilft unserer Schwachheit auf“: Und in dieser Schwachheit erweist sich dann Gottes Kraft und Stärke. Was wir vielleicht nur als einen schwachen Seufzer in Richtung Himmel wahrnehmen, ist ein so kräftiges Gebet des Heiligen Geistes, wie wir es von uns selbst aus auch an Tagen der größten Glaubens­zuversicht nicht zuwege bringen. Paulus erklärt: „Der aber die Herzen erforscht (nämlich der Vater im Himmel), der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist (der hört nämlich aus dem Seufzen das wunderbare Gebet des Geistes heraus und schickt uns, was wir brauchen), denn der Geist vertritt die Heiligen, wie es Gott gefällt.“

Ja, der Geist weiß besser als wir, was wir nötig haben und erbitten sollen. Und so ist das un­aussprechli­che Seufzen des Geistes der Urgrund aller Gebete. Da geht es ganz einfach um den Schrei: Herr, hilf, denn ich kann mir selbst nicht helfen, du musst mich retten! Da geht es eigentlich um eine Kapitu­lation vor dem Herrn. Dies aber ist die Wurzel des rettenden Glaubens. Wenn der Geist in der tiefsten Not so in uns betet, dann sind wir unserm Erlöser ganz nah, weil er verheißen hat, den geängsteten und zer­schlagenen Herzen ganz nah zu sein. Da stehen wir nicht in der Gefahr, dass die Gedanken ab­schweifen, während der Mund fromme Worte plappert. Da stehen wir nicht in der Gefahr, dass wir uns an den eigenen frommen Worten ergötzen oder uns für wer weiß wie fromm halten. Da passiert es nicht, dass all unsere fleisch­lichen Wünsche und Begierden Schlange stehen, um in Gebete umgeformt zu werden. Da heißt es wirklich nur: Herr, erbarme dich! – vom Geist selbst gesprochen oder geseufzt. Das ist rechtes Beten, an dem sich all unser Beten orientieren sollte.

Ein Sprichwort sagt: „Not lehrt beten.“ Wir verstehen es jetzt in seinem tiefen Sinn. Und dieses Wort des Apostels Paulus kann uns helfen, unser liebes und doch manchmal so bitteres Kreuz ein bisschen akzeptabler zu machen. „Not lehrt beten“, und was bei uns Menschen wie das Ende aussieht, das ist Gottes Anfang. Wie schön ist es, dass man sich in tiefer Not nicht selbst helfen muss, sondern zu Gott um Hilfe schreien darf. Wie schön ist es zu wissen: Wenn ich selbst nicht mal mehr um Hilfe schreien kann, dann tut es der Heilige Geist in mir, und er tut es besser, als ich es jemals tun könnte. Der Vater im Himmel hört es und hilft, und dann preise ich ihn.

Liebe Brüder und Schwestern, ich bin mir ziemlich sicher, dass jeder Christ wenigstens einmal im Leben solche Erfahrungen macht, viele auch mehrmals. Und wer von uns es bereits erlebt hat, der möchte diese Erfahrungen nicht missen, denn er weiß, dass das Kreuz den Glauben nur fester und reifer macht. Solche Erfahrungen helfen, die Gedanken und Gebete auf das Wesentliche aus­zurichten. Durch solche Erfahrungen übt Gott uns, seine Jünger, auch in seliges Sterben ein. Denn spätestens in der letzten Stunde wird es wohl wieder so sein, dass der Heilige Geist uns mit un­aussprechli­chem Seufzen vertreten muss, weil unser Mund dann kaum noch beten kann. „Ja, wenn der Mund wird kraftlos sein, / so stimm ich doch mit Seufzen ein.“ Sei es, dass ich in meiner Todesstunde geistig verwirrt bin, sei es, dass ich vor Angst und Schmerzen keinen klaren Gedanken fassen kann, sei es auch, dass ich in tiefer Bewusst­losig­halten, sodass ich auch im Blick auf mein letztes Stündlein gewiss sein darf: Was bei uns Menschen wie das Ende aussieht, das ist Gottes Anfang. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1992.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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