In Christus leiden und getröstet werden

Predigt über 2. Korinther 1,3‑7 zum Sonntag Lätare

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Gelobt sei Gott! So fängt unser Predigttext an, und so fängt der ganze zweite Korinther­brief an. Gelobt sei Gott! So fängt diese Predigt an und so fangen unsere Gottes­dienste an. Gelobt sei Gott! So soll alles anfangen, was wir in unserem Christen­leben tun und erleiden.

Gelobt sei Gott, weil er so wunderbar ist in seinem Tun. Ja, wirklich wunderbar: Wir können uns da ganz schön wundern. Wir staunen, wie Gott wirkt, wie er an uns handelt, wie er seine Herrlich­keit offenbart. Denn er macht es ganz anders, als Menschen es tun würden. Gott hat seine besondere Art und seine besondere Hand­schrift, etwas in Bewegung zu setzen oder aufzubauen. Es ist die un­verwechsel­bare Handschrift des Schöpfers aller Dinge.

Denkt etwa an das Saat­getreide, denkt an Weizen­körner. Sie sind Wunderwerke des Schöpfers, jedes einzelne. Da ist schon die ganze Pflanze drin, im Keim angelegt. Aber wie schafft Gott Frucht aus dem Weizenkorn, wie baut er die Pflanze auf? Achtet auf seine Hand­schrift: Das Weizenkorn muss zunächst unter die Erde, muss begraben werden. Es muss also scheinbar sterben. Es vermodert, verliert seine Form, wird un­ansehn­lich, löst sich teilweise auf. Ein achtloser Mensch würde es für ein Stück Dreck halten. Aber nur so kann das Wunder geschehen, nur so kommt das Wachstum: erst der Keim, dann das junge Pflänzchen, dann der hoch­gewachsene Halm, schließlich die Frucht. Aus dem scheinbaren Sterben und Untergehen kommt die herrliche Frucht. Das ist des Schöpfers Art zu handeln. Gelobt sei Gott!

Und nun denkt an unsern Herrn Jesus Christus. Er hat sich mit dem Weizenkorn verglichen und gesagt: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, so bleibt's allein, wenn es aber erstirbt, so bringt es viel Frucht.“ Jesus ist damals scheinbar unter­gegangen mit seiner Botschaft vom Reich Gottes; seine Feinde haben scheinbar gesiegt. Er wurde verworfen, er musste leiden und sterben, er wurde begraben. Drei Tage war er in der Gruft, unter der Erde wie das Weizenkorn. Aber achtet auf Gottes Hand­schrift, achtet auf Gottes Art, wie er etwas tut und schafft: In seinem Sterben trium­phierte Jesus über den Teufel, die Hölle und die Sünde. Der Mann am Kreuz war der heimliche Sieger. Da hat Gott seine größte Liebestat vollbracht. Mit der Auf­erstehung wurde es dann offenbar: Da ging die Frucht auf von dem erstorbenen Weizenkorn. Da zeigte Gott seinen Zeugen und durch sie der ganzen Welt: In Christus triumphiert das Leben über den Tod. In Christus ist die Sünde überwunden, die uns von Gott trennt. In Christus haben wir Frieden mit Gott und Leben – sogar ewiges Leben über den Tod hinaus. Gelobt sei Gott!

Mit seinem Leiden, Sterben und Auferstehen hat Jesus Christus uns nicht nur erlöst und Vergebung der Sünden sowie ewiges Leben erworben. Er hat auch zugleich ein Beispiel gesetzt für alle, die ihm nachfolgen. Er ist zum Urbild geworden für Gottes Art, für Gottes Handeln in dieser Welt. Er ist der „Erstling“ geworden, sagt die Bibel. Wer an seinem Sieg teilhaben will, der muss zuvor auch an seinem Leiden teilhaben. Christus nachfolgen heißt: erst das Kreuz tragen, dann durch den Tod zur Auf­erstehung gelangen und zur Herrlich­keit. Als erste haben es die Apostel so erlebt, die un­mittel­baren Nachfolger und Zeugen unseres Herrn.

Genau davon spricht der Apostel Paulus, wenn er hier den Korinthern und uns schreibt: „Wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus.“ Paulus wusste, wovon er sprach. Er hatte nicht zu knapp Anteil an den Leiden Christi. Das scheinbare Untergehen und Ersterben kenn­zeichnete auch seinen Lebensweg als Christen. Aber auch bei ihm wurde gerade darin der Sieg des Evangeliums groß – wieder erkennen wir Gottes Hand­schrift. Was hat Paulus nicht alles leiden müssen! Später im zweiten Korinther­brief hat er es einmal aufgezählt, was für Be­drängnisse in Zusammen­hang mit dem Apostelamt auf ihn eingestürmt sind: „Ich bin gefangen gewesen, habe Schläge erlitten, bin oft in Todesnöten gewesen. Von den Juden habe ich fünfmal erhalten vierzig Geißelhiebe weniger einen; ich bin dreimal mit Stöcken geschlagen, einmal gesteinigt worden; dreimal habe ich Schiffbruch erlitten, einen Tag und eine Nacht trieb ich auf dem tiefen Meer. Ich bin oft gereist, ich bin in Gefahr gewesen durch Flüsse, in Gefahr unter Räubern, in Gefahr unter Juden, in Gefahr unter Heiden, in Gefahr in Städten, in Gefahr in Wüsten, in Gefahr auf dem Meer, in Gefahr unter falschen Brüdern; in Mühe und Arbeit, in viel Wachen, in Hunger und Durst, in viel Fasten, in Frost und Blöße; und außer all dem noch das, was täglich auf mich einstürmt, und die Sorge für alle Ge­meinden…“ Ach Paulus, wie sehr musstest du leiden in der Nachfolge deines Herrn Jesus Christus! Aber Paulus rühmt sich all dieser Be­drängnisse und lobt Gott dafür, wie er nach dieser langen Aufzählung bekennt: „Wenn ich mich denn rühmen soll, will ich mich meiner Schwachheit rühmen“ (2. Kor. 11,23‑30).

Menschlich gesehen ist das ja alles kein Grund zum Rühmen. Menschlich gesehen sind das Hindernisse für die Mission, Miss­erfolge, Nieder­lagen, Ent­täuschun­gen, un­erwünschte Leiden. Aber Paulus kannte Gottes Hand­schrift, er kannte Gottes Art zu handeln. Der Heilige Geist hatte ihm das offenbart, als er Jesus kennen­lernte. Paulus wusste und bekannte: „Wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus.“ Paulus musste an sich selbst und seiner Kraft ver­zweifeln, um zu sehen: Es ist Gottes Mission; der Allmächtige ist am Werk. Er macht es auf seine Art – ganz anders, als wir Menschen denken; und seine Art ist gut. Gelobt sei Gott!

Paulus musste gewisser­maßen „ersterben“ wie das Weizenkorn; er musste in der Nachfolge Jesu leiden. Er erfuhr darin Gottes Trost und wurde gestärkt in der Hoffnung auf das ewige Leben. Das ist die Frucht alles Kreuzes. So wurde er fähig, den christ­lichen Gemeinden seiner Zeit das Richtige zu predigen und den rechten Trost zu spenden. Denn diese Gemeinden damals hatten ja auch ihr gehöriges Maß an Trübsal in der Nachfolge Christi. Aber gerade in ihrer Trübsal konnten sie von Gott durch Paulus auch viel Frucht ernten, also viel Trost finden und in der Hoffnung auf das ewige Leben fester werden. Darum hat Paulus ge­schrieben: „Gott tröstet uns in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott. Und wir wissen: Wie ihr an den Leiden teilhabt, so werdet ihr auch am Trost teilhaben.“

Die Urchristen hatten diesen Trost bitter nötig, denn ihre Situation spitzte sich bald zu. Schon bald war seines Lebens nicht mehr sicher, wer sich zu Christus bekannte. In den ersten drei Jahr­hunderten wurden die Anhänger Jesu grausam verfolgt und teilweise unter schreck­lichen Qualen hin­gerichtet. Wieder erkennen wir Gottes Hand­schrift, Gottes Art: Das Weizenkorn muss ersterben, scheinbar untergehen. Aber Gott schenkte in dieser Zeit auch viel Trost, viel Kraft des Heiligen Geistes und viel Glaubens­gewissheit, sodass sie singend und bekennend in den Tod gehen konnten. Diese Märtyrer der alten Kirchen hatten Anteil an den Leiden Christi und an den Leiden der Apostel, wurden aber von Christus durch die Worte der Apostel reichlich getröstet und sind an das Ziel gelangt, wohin Christus und die Apostel ihnen voran­gegangen sind. Gelobt sei Gott!

Viele Gene­rationen von Christen sind seitdem denselben Weg der Nachfolge gegangen: Gottes Weg, den Weg der Be­drängnisse und des scheinbaren Untergangs, der jedoch einzig zum Leben führt. Sie sind von Gott getröstet worden mit dem Trost Jesu Christi, der durch die Worte der Apostel und dann auch durch das be­eindrucken­de Glaubens­vorbild der Märtyrer zu ihnen kam. Ich möchte jetzt nur einen heraus­greifen als Beispiel für viele: Paul Gerhardt. Dieser hoch­begnadete Pastor und Lieder­dichter des 17. Jahr­hunderts hatte viel zu tragen. Schon früh verlor er seine Eltern. Sein Theologie­studium endete in der schweren Zeit des Dreißig­jährigen Krieges. Es gab für ihn damals keine Anstellung in der Kirche – sollte die Ausbildung zum Pastor vergeblich gewesen sein? Viele Jahre musste er sich als Hauslehrer über Wasser halten. An Heirat war nicht zu denken, sein Verdienst reichte gerade für ihn selbst. Endlich, im Alter von 44 Jahren, bekam er seine erste Pfarr­stelle. Leicht hatte er es dort nicht: Er musste sich ständig mit einem streit­süchtigen Diakon herum­ärgern. Zwar konnte er endlich heiraten, aber auch sein Familien­leben blieb nicht ohne Kreuz: Das Einkommen war immer noch so karg, dass sogar die lebens­notwendig­sten Dinge knapp waren. Von den fünf Kindern, die Gott dem Ehepaar schenkte, starben vier in jungen Jahren. Ein Pfarr­stellen­wechsel führte Paul Gerhardt nach Berlin, wo er einige gute Jahre hatte. Aber schon wurde von seiten des Kurfürsten das lutherische Bekenntnis unter­drückt. Viele Pastoren ließen sich nötigen, eine Erklärung zu unter­schreiben, mit der sie von einem klaren Bekenntnis­standpunkt abrückten. Paul Gerhardt blieb um seines Gewissens willen standhaft und wurde deswegen schließlich abgesetzt. In dieser schweren Zeit starb seine Frau; er stand mit seinem sechs­jährigen Sohn allein da. In einer abgelegenen Land­gemeinde fand er eine neue Anstellung. Ja, so hatte Paul Gerhardt Anteil an den Leiden Christi. Aber auch an seinem Trost hatte er reichlich Anteil, an der Hoffnung auf das himmlische Erbe; seine Lieder geben vielfältig Zeugnis davon. Sie zeigen Gottes Hand­schrift, denn sie besingen, dass im tiefsten Leid Trost und Hoffnung heran­reifen. Paul Gerhardts Lieder, in schwerer Zeit entstanden, sind ein einziges Gelobt-sei-Gott.

Denken wir zum Schluss an uns selbst, an unsere Nachfolge im Glauben. Wenn wir Leiden, Nöte und Be­drängnisse in unserem Leben vorfinden, dann lasst uns auf Gottes Art besinnen, die so ganz anders ist als der Menschen Art. Lasst uns stets an Gottes Handschrift denken und an das Weizenkorn: Es muss in die Erde fallen und ersterben, um Frucht zu bringen. Lasst uns auch an unsern Herrn Jesus Christus denken: Er musste für uns leiden, sterben und am dritten Tag auf­erstehen. Lasst uns an Paulus denken und an die anderen Apostel: Sie wurden Teilhaber der Leiden Christi, aber auch seines Trostes, um mit ihrer Ver­kündigung Gottes Trost weiter­zugeben. Lasst uns an die ersten Christen denken: Sie wurden bis in den Tod verfolgt, aber sie erhielten auch die Kraft, bis ans Ende Gott zu loben. Lasst uns an Paul Gerhardt denken: wie Gott ihn leiden ließ, wie er ihn tröstete und wie wir durch seine Lieder an diesem Trost teilhaben dürfen. Wenn wir das alles im Glauben bedenken, dann können wir nichts anderes sagen als: Gelobt sei Gott! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1992.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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