Wie Jesus König sein will

Predigt über Johannes 6,1‑15 zum 7. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Was wäre geschehen, wenn Jesus ja gesagt hätte? Wenn er ein­verstanden gewesen wäre, als die be­geisterten 5000 Männer ihn zum König machen wollten, zum König über das besetzte, geknechtete Israel? Wenn er den Erwartungen derer entsprochen hätte, die er soeben beim großen Speisungs­wunder satt bekommen hatte? Er hätte dann vielleicht an dieser Stelle und anderswo Brothäuser gebaut und dafür gesorgt, dass sie immer gefüllt sind. Er hätte einen Transport­dienst organi­sieren können, sodass alle genug abbekommen. Er hätte Kranken­häuser errichten können, in denen er als Wunder­heiler unermüdlich tätig gewesen wäre. Er hätte seine Jüngerschar systema­tisch vergrößern können, er hätte sich auch eine Elitetruppe sammeln können. Mit ihr und mit seinen unzähligen Fans im Land hätte er dann die römische Besatzungs­macht vertrieben und Israel wieder unabhängig gemacht. Die Heiden­völker hätten dann auf­gehorcht, wären von weit her zu ihm gekommen und hätten ihn um Hilfe gebeten. So hätte er dann seine Macht ausdehnen können, bis die ganze Welt ihn als König anerkennt.

Aber Jesus hat nein gesagt, als ihn die begeisterte Menge zum König machen wollte. Er entwich, er zog sich von ihnen zurück. Warum eigentlich?

Oder denken wir an unsere Zeit. Wir wünschen uns doch eigentlich auch, dass Jesus so richtig König wäre: dass er die Nöte und das Elend dieser Welt mit starkem Arm ausrottete. Wir würden ihn doch auch am liebsten ergreifen, festhalten und nach unseren Vor­stellungen herrschen lassen. Was könnte nicht alles geschehen, wenn Jesus sich darauf einließe! Er würde in die Hunger­gebiete der Erde fliegen, würde dort mit wenigen Broten und anderen Nahrungs­mitteln Millionen satt bekommen. Er könnte mit all den Krankheiten fertig­werden, die unsere Ärzte immer noch ratlos machen. Durch seine Macht und durch sein Wort könnte er harte Herzen aufbrechen und alle Ungerechtig­keit beseitigen. Wenn er sichtbar König wäre, dürften die Mächtigen nicht mehr die Armen und Schwachen unter­drücken. Den Kriegen und der Umwelt­zerstörung würde er mit einem Wink seines Fingers Einhalt gebieten.

Aber Jesus sagt auch heute noch nein. Nein, so will er nicht König sein, wie wir uns das vorstellen. Er zieht sich zurück. Auch in mancher per­sönlichen Not, mit der wir uns plagen, zieht er sich scheinbar zurück; er hilft nicht so, wie wir das von ihm erwarten, er bleibt scheinbar untätig. Warum eigentlich?

Die Antwort ist zwar einfach, aber für unseren selbst­bewussten Verstand sehr un­befriedi­gend: Jesus will ganz anders König sein. Er will in göttlicher Weisheit König sein, nicht nach mensch­lichen Maßstäben. Er lässt sich von uns nicht festnageln auf das, was er als König gefälligst zu tun habe. Dann wäre er ja auch kein König mehr. Wer ihn greifen und für seine Interessen nutzbar machen will, gehört zu den „Herr, Herr“-Sagern, die jedoch seinen Willen letztlich nicht akzep­tieren. Wer ihn greifen und zum König machen will, der will ihn letztlich zu seinem Sklaven machen. Wenn wir es ernst meinen, dass wir ihn Herr und König nennen, dann müssen wir ihn un­begreiflich sein lassen, dann müssen wir seinen Weg und Willen akzep­tieren, auch wenn wir nichts davon verstehen. Erst wenn wir seinen Weg und Willen um jeden Preis bejahen und ihn wirklich ganz auf seine Weise König lassen, werden wir das Geheimnis seines Königtums begreifen. Dann erst bekommen wir einen Zugang dazu, wie er selbst König sein will: ein König mit Dornenkrone nämlich; ein König, der bezeugte: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“; ein König, der sich einerseits von der be­geisterten Menge der 5000 Gespeisten zurückzog, der aber anderer­seits nicht weglief, als man ihn ver­spottete, ver­urteilte, folterte und hin­richtete; ein lächerlich hilfloser König am Kreuz.

Wie also will Jesus König sein? Indem er niedrig wird, leidet und dient. Indem er dient – aber nicht so, dass er alle Probleme des irdischen Lebens beseitigt. Jesus hat einmal 5000 Männer und ein anderes Mal 4000 Männer satt gemacht. Aber er hat es nicht als Selbstzweck getan, sondern als Zeichen. Er wollte damit auf etwas anderes hinweisen, auf einen viel größeren und wichtigeren Dienst. Am Tage nach der Speisung der 5000 hat er es in einer Predigt un­missverständ­lich gesagt, worum es geht: „Ich bin das Brot des Lebens“, und: „Wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit.“ Darum geht es ihm: um das ewige Leben. So will er herrschen: im Reich Gottes, das nicht von dieser Welt ist. Das ist das Wichtigste; nach dem sollen wir zuerst trachten. Jesus hat 5000 Männern Brot gegeben, damit sie an einem Tag nicht hungern mussten. Aber er hat sich selbst als Brot des Lebens für alle Menschen der Erde gegeben, damit sie nicht den ewigen Tod erleiden müssen. Das ist unendlich viel mehr! Wie gut, dass Jesus so ein König sein will, denn mit so einem König haben wir ewig ausgesorgt.

Liebe Gemeinde, lasst es mich einmal ganz deutlich machen: Der Brennpunkt unseres Lebens ist das Jüngste Gericht. Einmal werden wir alle vor Gottes Richter­stuhl stehen und uns für unser Leben ver­antworten müssen. Da entscheidet sich dann unsere ewige Zukunft. Ohne das Lebensbrot Jesus können wir dann nicht bestehen, und es folgt das Schlimmste, was es gibt, nämlich die ewige Verdammnis. Mit dem Lebensbrot Jesus aber wartet ewige Seligkeit auf uns. Ja, dieser Tag wird die ent­scheidende Weichen­stellung in unserem Leben sein. Der tiefste Abgrund und die größte Seligkeit hängen davon ab, und Jesus ist der Schlüssel. So will er König sein: dass wir dann unter seiner Herrschaft ewig leben können.

Aber dieser Brennpunkt hat nicht nur eine Bedeutung für das Danach, sondern auch für das Davor. Wenn wir getauft sind und an Jesus glauben, leben wir jetzt schon in Zuversicht und Hoffnung auf diesen Tag hin. Wir wissen, dass uns nichts verdammen und nichts auf ewig schaden kann. Im Gegenteil: Das Beste liegt noch vor uns! Und so können wir gelassener mit unserem Kreuz und mit den Widrig­keiten unseres Lebens umgehen, auch wenn sich Jesus scheinbar zurückzieht und bei unseren irdischen Problemen nicht wie ein König eingreifen will. Wohl­bemerkt: scheinbar. Denn wenn wir im Gebet alle Sorgen auf ihn werfen dürfen und wenn wir auch im finstern Tal seinen Trost erfahren, ist das dann nicht eigentlich alles, was wir brauchen?

Jesus sind unsere irdischen Nöte keineswegs egal. Aber er greift nicht mit eiserner Faust und spektaku­lären Wundern ein, um die Probleme der Welt zu beseitigen. So will er nicht König sein, das müssen wir akzep­tieren. Er hat jedoch seine Leute, um in den Nöten dieser Welt zu helfen. Dieser merkwürdige König geht das große Risiko ein, seine Hilfe in dieser Welt un­vollkommen Menschen zu überlassen. Jesus hat seine Leute, und das bist du, und das bin ich. Es sind alle, die Jesus ihren Herrn nennen und die wissen, warum er eine Dornenkrone trug, warum er schwach und hilflos wurde, warum er am Kreuz hing. Es sind die, die von ihm essen, dem Lebensbrot: von seinem Wort mit Ohren und Herzen, von seinem wahr­haftigen Leib und Blut im Heiligen Abendmahl auch mit dem Mund. Es sind diejenigen, die voll Freude und Zuversicht auf den ent­scheidenden Tag ihres Lebens zugehen, auf den Gerichts­tag. Ja, solche Leute sind es, die der König ausschickt, um seine Liebe auch in den Nöten dieser Welt groß werden zu lassen. Er lässt sie dabei nicht im Stich, sondern er rüstet sie mit seinem Geist aus. Er tut es durch sein Wort und sein Sakrament. Lassen wir uns also senden! Wenn Jesus sich selbst uns als Brot schenkt, das uns ewig leben lässt, wie sollten wir da unserm Nächsten sein tägliches Brot vor­enthalten oder was er sonst nötig hat: Zuwendung, Gemein­schaft und andere Unter­stützung?

Jesus ist anders König, als wir uns das vorstellen, und er entzieht sich uns, wenn wir ihn zum König des täglichen Brots machen wollen. Eines aber ist gewiss: Wenn es den Armen und Not­leidenden dieser Welt besser gehen soll, dann nicht durch große ge­sellschaft­liche Umwälzungen und System­verände­rungen; das hat sich schon zu oft als Trugschluss erwiesen. Nein, wenn, dann durch Menschen, die vom Abendmahl kommen – durch Menschen, die mit einem Brot gespeist sind, das sie ewig leben lässt. Wenn, dann durch uns. Worauf warten wir noch? Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1991.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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