Der Schatz in irdenen Gefäßen

Predigt über 2. Korinther 4,7‑12 zum Letzten Sonntag nach Epiphanias

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Ein reicher Mann hat eine Vorliebe für kostbaren Schmuck. Er ist stets auf der Suche nach neuen Juwelier-Adressen und Boutiquen, um für seine Sammlung noch schönere Stücke zu finden. Eines Tages bekommt er einen Juwelier genannt, bei dem es angeblich die aller­schönsten Diamanten gibt. Der Mann macht sich auf den Weg dorthin, findet die Adresse – und ist verwirrt. Da gibt es nämlich gar keinen Laden mit Schau­fenster, sondern nur einen schäbigen Hinterhof-Eingang mit einem Pappschild: Juwelier 3. Etage. Der Mann steigt die aus­getretene Treppe hinauf. Im Treppenhaus bröckelt der Putz von den Wänden. Im dritten Stockwerk klingelt der Mann an einer normalen Wohnungs­tür. Nach einer Weile nähern sich schlurfende Schritte. Ein Greis öffnet ihm. Seine spärlichen Haare hängen wirr durch­einander. Er ist nachlässig gekleidet und trägt Filz­pantoffeln. Der Greis fragt mit kränklicher Stimme: Sie wünschen? Der Kunde ist völlig verwirrt. Er denkt: Das ist ja so armselig hier, da steckt wohl nichts dahinter. Aber dann erkundigt er sich doch nach Diamant­schmuck – und wird herein­gebeten. Was der Greis ihm dann zeigt, das verschlägt ihm die Sprache: die herrlich­sten Schmuck­stücke, so schön und kostbar, wie er sie noch nie gesehen hat!

Eine un­wahrschein­liche Geschichte, nicht wahr? Und doch erzählt diese Geschichte nichts anderes, als was der Apostel Paulus in dem verlesenen Bibel-Abschnitt sagen will. Der alte Juwelier ist Paulus selbst, der Apostel des Herrn, der Bote des Evan­geliums. Paulus war in der Tat schwächlich und kränklich. Seine Lebens­geschichte liest sich dem äußeren Anschein nach so, als sei er ständig vom Pech verfolgt. Er wurde bedrängt, angefeindet und verfolgt, er war geschlagen und mit Mord bedroht worden, er hatte Schiffbruch erlitten und mehrmals im Gefängnis gesessen. Seinen Lebens­unterhalt bestritt er durch Gelegen­heits-Arbeiten. „Von allen Seiten bedrängt, bange, verfolgt, unter­drückt“ – so schreibt Paulus über Paulus. Viele Glieder der Gemeinde in Korinth sahen deshalb gering­schätzig auf ihn herab. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass so eine armselige Figur ein Apostel ist, ein Bote und Bevoll­mächtigter des mächtigen Königs Jesus Christus, ein Diplomat von höchstem Rang sozusagen. Sie dachten: Der ist ja so armselig, da steckt wohl nichts dahinter. Und doch: Die Botschaft, die dem Paulus anvertraut war, ist das wertvollste Juwel und der kostbarste Schatz, den es gibt. „Wir haben diesen Schatz in irdenen Gefäßen“, schreibt Paulus. Reiche Menschen bewahrten ihre Schätze damals in Gold­kassetten und Silber­schalen auf, mit Edelsteinen verziert. Der Schatz des Evangeliums aber ist so armseligen Menschen anvertraut, wie die Apostel es waren. Sie gleichen irdenen, tönernen Gefäßen. Sie sind gewisser­maßen Alltags­geschirr armer Leute – billig, gewöhnlich, zerbrech­lich.

Was Paulus damals von sich sagte, gilt noch heute für die Pastoren und für die Kirche. Vielleicht empfinden wir es nicht so extrem wie damals, aber doch kennen wir die Sehnsucht, dass unsere Kirche und ihre Pastoren ein wenig mehr zum Vorzeigen wären. Für den kostbaren Schatz des Evangeliums sehnen wir uns noch heute nach einem entsprechenden und an­sprechenden Gefäß. Aber die Wirklich­keit bleibt dahinter zurück. Wir sind zwar keine arme Kirche, aber unsere Finanzen bringen nicht gerade zum Ausdruck, dass der reichste König unser Herr ist. Wir Pastoren haben in unserem Leben zwar nicht gerade so eine Kata­strophen-Bilanz wie der Apostel Paulus, aber doch erschrecken uns immer wieder Nachrichten über Unfälle, schwere Krank­heiten, unerwartete Todesfälle, großes seelisches Leid und nicht zuletzt auch mensch­liches Versagen. Wir sind zwar nicht gerade eine un­attraktive Gemein­schaft, aber es gibt doch unter uns auch Misstrauen, Querelen, Intrigen, Besser­wissereien und Lieb­losigkeit. Aber doch steckt etwas Großes dahinter. In den irdenen Gefäßen von Kirche und Gemeinde steckt ein wertvoller Schatz, der aller­kostbarste Schatz, den es gibt – ein Schatz, dem sonst nirgendwo etwas gleicht: das Evangelium von Jesus Christus. Was hat es mit diesem Schatz auf sich?

Wenn Paulus hier von diesem Schatz schreibt, dann greift er auf, was er im Abschnitt zuvor gesagt hat. Dort spricht er vom „hellen Licht des Evan­geliums“ und davon, dass Jesus der Herr ist. „Jesus Christus ist der Herr“, das ist der Hauptinhalt des Evan­geliums, das ist die Predigt des Paulus und der ganzen christ­lichen Kirche bis auf den heutigen Tag, zugleich das älteste und kürzeste Glaubens­bekenntnis der Christen: „Jesus ist Herr.“

Martin Luther hat im Großen Katechismus in seiner Erklärung zum 2. Glau­bens­artikel ge­schrieben, er wolle gar nicht alle Aussagen einzeln erklären, sondern es komme ihm im Grunde genommen nur auf eines an, nämlich auf die Aussage: „Ich glaube an Jesus Christus, unsern Herrn.“ Wenn man dann weiter­liest, kann man sich wundern: Da steht nun nämlich nicht, dass man diesem Herrn gehorchen und sich ihm unterordnen muss. Das alles ist zwar richtig, das sollen wir tun, aber Luther hat das an dieser Stelle mit keiner Silbe erwähnt. Luther hat nichts darüber ge­schrieben, wie wir uns verhalten sollen und was wir für Jesus, unsern Herrn, alles tun müssen. Er hat nur darüber ge­schrieben, was Jesus, der Herr, für uns getan hat: Nämlich dass er uns erlöst hat. Dass er uns heraus­gerissen hat aus der Gewalt des Teufels. Dass er uns vom Tod und von der Hölle befreit hat. Ja, Jesus hat uns erlöst – losgekauft, so wie ein reicher Mann damals einen Sklaven loskaufen konnte von einem tyran­nischen Herrscher, und der Sklave wurde dann sein Eigentum, er bekam nun eine guten Herrn. Ja, so hat Jesus uns aus der Tyrannen­gewalt des Teufels losgekauft – aber nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem kostbaren Blut, mit seinem bitteren Leiden und Sterben. Ja, so ist Jesus unser Herr geworden, und wir sein Eigentum. „Jesus Christus ist mein Herr“, das ist der große Schatz des Evan­geliums, dem sonst nichts gleicht.

„Jesus ist der Herr“ – das ist auch der Schatz, den Paulus ver­kündigte. Er hatte diesen Schatz allerdings in „irdenen Gefäßen“, in einem schwachen und armseligen Leben. Warum hat Gott das zugelassen? Warum die irdenen Gefäße? Warum auch heute noch Armut und Schwachheit in der Kirche, wo sie doch so einen großen Schatz hat? Das geht doch gegen alle Vernunft! Wenn ein Juwelier wirklich große Kost­barkeiten anzubieten hat, dann wird er doch ein vornehmes Geschäft mit stilvoller Dekoration einrichten. Wenn ein Speise­restaurant der Spitzen­klasse seine Menüs serviert, dann wird man doch gutes Porzellan dazu nehmen; es wäre doch unpasend, das Filesteak auf einem Pappteller zu servieren und den Champanger in einem Plastik­becher. Warum steckt dann der Schatz des Evangeliums im irdenen Gefäß der Kirche? Das geht doch gegen alle menschliche Vernunft!

Genau das ist der Grund: Es geht gegen alle menschliche Vernunft. Dies soll dabei klar werden: Mit mensch­licher Vernunft hat der Schatz des Evangeliums nichts zu tun. Menschen haben sich das nicht ausgedacht. Das Evangelium kommt vielmehr direkt von Gott. Gottes Weisheit ist aber ganz anders als die Vernunft des Menschen, sie geht oftmals sogar gegen alle menschliche Uernunft. Das ist die Botschaft der irdenen Gefäße: Der Schatz des Evangeliums kommt nicht von Menschen, sondern von Gott. Paulus schrieb: „Wir haben diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die über­schwäng­liche Kraft von Gott sei und nicht von uns.“ Er meint: Das Ent­scheidende ist die Kraft des Evangeliums selbst, die Kraft des Schatzes, der von Gott kommt, und nicht die Kraft oder das Ansehen der mensch­lichen Boten. Wenn der Bote arm ist und doch einen wertvollen Schatz überbringt, dann wird allen klar: Der Schatz kommt von woanders her!

Die Kirche, der Bote des Schatzes, ist armselig. Der Schatz des Evangeliums ist über die Maßen kostbar. Die Armseligkeit des Boten zeigt: Der Schatz kommt nicht von uns Menschen, sondern von Gott. Und doch kann man etwas erkennen vom Wert und von der Kraft des Schatzes. Man kann es auch am armseligen Boten selbst erkennen. Denn es hat Gott gefallen, uns durch das kostbare Blut Jesu zu erlösen, durch sein bitteres Leiden und Sterben. Unsere Erlösung hat ihn das Kreuz gekostet. Und das Kreuz zeigt sich auch in der Armselig­keit der Boten. „Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe“, schrieb Paulus, und: „Wir werden immerdar in den Tod gegeben um Jesu willen.“ Das Kreuz wird an den armseligen Boten erkennbar, zugleich aber auch der Trost des Kreuzes, der Trost des Evan­geliums, der Trost des ewigen Lebens, das Jesus uns erworben hat. Und dieser Trost leuchtet besonders hell auf dem dunklen Hintergrund der mensch­lichen Schwach­heit. Paulus schreibt: „Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unter­drückt, aber wir kommen nicht um. Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde. Denn wir, die wir leben, werden immerdar in den Tod gegeben um Jesu willen, damit auch das Leben Jesu offenbar werde an unserm sterblichen Fleisch.“ Und so hilft letztlich auch die Armselig­keit des Boten mit, den Reichtum der Botschaft zu unter­streichen und damit Menschen zu Jesus und zum ewigen Leben zu führen: „So ist nun der Tod mächtig in uns, aber das Leben in euch.“

Wenn also ein Außen­stehender bemerkt, wie arm und schwach es in der Kirche zugeht, und wenn er dann sagt: Ihr seid so armselig, da steckt wohl nichts dahinter, dann antworte ich: Aber wir sind doch nur das Gefäß! Das ist freilich armselig. Aber sieh dir doch den Inhalt dieses Gefäßes an, das Evangelium von Jesus! Der ist unser Herr, der hat uns von Teufel, Tod und Hölle erlöst und uns für immer zu seinem Eigentum gemacht, damit wir für immer leben und selig werden. Das ist der Schatz, der hier bei uns ausgeteilt wird, der Schatz, der in diesem un­scheinbaren Gefäß steckt. Und dieses Gefäß zeigt in seiner Armselig­keit: Der Schatz kommt nicht von uns selber her, nicht von uns Menschen, sondern von Gott. Wir Christen haben freilich zu tun mit Armut, Schwach­heit, Krankheit, Angst, Trauer, Trübsal und Ent­täuschun­gen. Aber wir zerbrechen darunter nicht, weil Christus unser Herr ist. Und wenn wir das nicht nur sagen, sondern auch glaubhaft vorleben, und wenn Gott Gnade gibt, dann wird der Außen­stehende erkennen: Ihr seid so armselig, aber ihr seid dabei so fröhlich und getrost, da muss etwas Großes dahinter­stecken. Da muss Gott selbst dahinter stecken. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1990.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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