Immer mit Jesus leben

Predigt über Johannes 14,15‑19 zum Sonntag Exaudi

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Kennt ihr das auch? Kennt ihr schöne Stunden in eurem Leben, die ihr nie vergessen werdet? Als ihr mit anderen Menschen zusammen wart, vielleicht auf einer Feier? Wo ihr wünschtet, die Zeit möchte stehen bleiben? Oder vielleicht waren es Stunden mit einem Menschen, der euch wirklich völlig verstanden hat; mit einem Menschen, der zuhören und dann wirklich trösten konnte. An solche Stunden im Leben denkt man gern zurück. Man hat das Gefühl: Ja, das ist wirklich Leben, so müsste es immer sein.

Kennt ihr auch schöne Stunden mit Jesus? Ich hoffe, dass ihr sie kennt. Stunden, wo euch das freundliche Bild des Heilands ganz lebendig vor Augen stand. Es mag beim stillen Gebet gewesen sein, in einem besonderen Gottes­dienst, in Gemein­schaft mit anderen Christen oder bei geistlicher Musik. Es mag auch der Augenblick gewesen sein, wo dir zum ersten Mal richtig bewusst wurde, wer dieser Jesus Christus ist, dass er heute lebt, dass er jetzt ganz für dich da ist. Vielleicht geschah es, nachdem du einmal richtig die Macht der Sünde erlebt hattest und erschreckt feststellen musstest, wieviel Dunkles und Böses in dir schlummert. Danach hast du dann richtig gespürt, wie befreiend die wunderbare Botschaft des Evangeliums ist: „Dir sind deine Sünden vergeben!“ Dir fiel ein riesiger Stein vom Herzen, und du warst voll Jubel und Dank über Gottes Barmherzig­keit, die dir in Jesus begegnete. Du konntest aufatmen, fröhlich und befreit weiter­leben. Oder vielleicht geschah es, nachdem du einmal an die Grenzen deiner Kraft kamst und merktest, wie wenig du selbst vollbringen kannst. Du merktest, wie schwach und ohnmächtig du eigentlich bist. Und dann hast du den Heiland gehört, wie er die Mühseligen und Beladenen ruft, und bist gekommen und konntest deine Last bei ihm ablegen. Ja, solche Erfahrungen mit unserm Herrn und Heiland sind wunderbar. Das ist wirkliches Leben, geistliches und christ­liches Leben.

Die ersten Jünger hatten drei Jahre lang so eine wunderbare Zeit mit Jesus gehabt. Sie konnten den Herrn sogar mit ihren Augen sehen und mit ihren Händen berühren. Sie erlebten seine großen Wunder­taten. Und mit ihren Ohren hörten sie ihn die Frohe Botschaft vom Reich Gottes predigen. Es muss eine herrliche Zeit gewesen sein, den Herrn Jesus stets leibhaftig um sich zu haben! Auch wenn das Armut und Ent­behrungen mit sich brachte: Er tröstete seine Jünger, er lehrte sie, er machte ihnen Mut, er legte ihnen die Freude an Gottes Reich ins Herz. Ja, das war wirklich Leben, so mit Jesus zusammen zu sein.

Wie traurig waren da wohl die Jünger, als Jesus wiederholt vom Weggehen redete. „Ich gehe wieder zum Vater“, sagte er ihnen. Was sollte aus den Jüngern dann werden? Würde die Zeit danach nicht noch viel bitterer sein als die Zeit vorher – nachdem sie sich an die wunderbare Gemein­schaft mit Jesus gewöhnt hatten? Trauer wird in den Herzen der Jünger aufgekommen sein gegen Ende dieser drei Jahre – Trauer wie bei Menschen, die wissen, dass sie bald einen geliebten Angehörigen verlieren verden.

Aber Jesus wusste natürlich, wie seinen Jüngern zumute war. Er kennt ja die Herzen aller Menschen wie kein zweiter. Und er ging auf ihre Trauer ein. Lange redete er mit ihnen am Abend vor seiner Hin­richtung. „Abschieds­reden“ werden diese Worte genannt, die im Johannes­evangelium auf­geschrieben sind. Jesus tröstete seine Jünger, die über sein Weggehen betrübt waren, und sagte: „Ich lasse euch nicht als Waisen zurück.“ Er sagte: „Ich will den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit.“ Er sagte: „lch lebe, und ihr sollt auch leben.“

Aus diesen Worten unsers Herrn können auch wir viel Trost und Freude schöpfen. Denn auch wir könnten uns wie Waisen fühlen, weil doch unser Heiland schon seit langem in den Himmel aufgefahren ist und wir ihn nicht sehen oder anfassen können wie die Jünger damals. Auch wir könnten uns wie Waisen fühlen, weil die schönen Stunden mit Jesus, die wir erlebt haben, nicht von Dauer waren. Wir wissen und erinnern uns: Ja, früher, zu dieser und jener Zeit, da brannte einmal mein Herz für Jesus, da war es erfüllt mit Freude und Liebe, da spürte ich Jesu Nähe und geistliches Leben in mir. Aber nun gibt es auch die anderen Zeiten, wo er so fern zu sein scheint, wo er meine Gebete scheinbar nicht be­antwortet, wo sich das Herz traurig und allein gelassen fühlt. Und dann stellen sich Zweifel ein, und du fragst dich: Habe ich mir das damals alles eingeredet? War die Nähe Jesu denn wirklich mehr als Einbildung? Wo ist er heute geblieben?

Jesus hat dich nicht vergessen. Er kennt noch heute die Herzen aller Menschen, auch dein Herz, und weiß genau, wie dir zumute ist. Er denkt an dich. Und er sagt heute zu dir – jetzt, in diesem Augenblick: „Ich lasse euch nicht als Waisen zurück.“ Und er sagt: „Ich gebe euch einen anderen Tröster, dass er bei euch sei in Ewigkeit.“ Und er sagt: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben.“

Das ist doch der größte Trost, den wir haben: Jesus lebt wirklich, er lebt in Ewigkeit! Und wenn der eingeborene Gottessohn lebt, dann leben auch wir, die wir zu ihm gehören. Wir vegetieren nicht nur so dahin, sondern wir führen ein Leben, das die Bezeichnung Leben wirklich verdient: Wir leben mit Jesus, in Gemein­schaft mit ihm! Das ist eine Tatsache, eine Wahrheit, die fest und un­verbrüch­lich stehen bleibt, gleich ob wir das in einer Sternstunde unseres Glaubens­lebens stark spüren oder ob wir es zu anderen Zeit nur hinter dem Nebel­schleier des Zweifels erkennen.

Weil Jesus nun nicht unmittelbar leibhaftig unter uns ist, hat er uns den Heiligen Geist geschickt. Das ist der von Jesus so bezeichnete „andere Tröster“, den er verheißen hat. Der Heilige Geist sorgt dafür, dass hier bei uns auf Erden Jesus immer noch anwesend ist. Und weil der himmlische Vater den Geist auf Bitten Jesu geschickt hat und weil da, wo der Sohn ist, auch der Vater ist, haben wir überall dort Gemein­schaft mit dem ganzen dreieinigen Gott, wo der Heilige Geist am Werk ist. Da aber, wo der dreieinige Gott gegenwärtig ist, da ist die Fülle des Lebens!

Was hat es nun mit diesem Geist auf sich? Die Welt kann ihn nicht empfangen, denn „sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht“, sagte Jesus. Die „Welt“, damit meinte er die Un­gläubigen. Sie kümmern sich ja nur um das, was sie mit ihren fünf Sinnen wahrnehmen können. Dem aber entzieht sich der Geist. Jesus sagte: „Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein.“ Ja, wir haben den Geist, liebe Gemeinde. Und damit haben wir den Heiland Jesus Christus und den lebendigen Gott bei uns. Wir sind keine Waisen, wir brauchen uns nie verlassen zu fühlen. Auch wenn uns alle verlassen oder wenn uns keiner mehr versteht, Jesus ist durch seinen Heiligen Geist da, tröstet uns und hilft uns. Tröster und Helfer heißt der Geist aus diesem Grund.

Der Geist ist nun allerdings keine innere Stimme und keine nebulöse Macht, die man sich mit viel Phantasie in sich und um sich herum vorstellen müsste. Der Geist ist zwar an sich frei, aber er hat sich für uns verfügbar gemacht, sodass wir seinen Trost und seine Hilfe jederzeit in Anspruch nehmen können. Er hat sich verfügbar gemacht in Gottes Wort und Sakrament. Darum heißt es auch im Grund­bekenntnis der luthe­rischen Kirche, im Augsburger Bekenntnis im 5. Ar­tikel: „Durch diese Mittel (nämlich durch Wort und Sakrament) gibt Gott den Heiligen Geist.“ Jesus nennt ihn darum auch „Geist der Wahrheit“, denn er kommt und wirkt durch die Wahrheit des göttlichen Wortes.

Wenn wir das wissen, brauchen wir nicht zu verzagen in Momenten, wo wir uns fern vom Heiland Jesus Christus und schwach im Glauben fühlen. Wir brauchen uns dann nur an das Wort zu halten. Nehmt euch ruhig einmal die Zeit, setzt euch zu Hause hin und lest zum Beispiel in den Evangelien. Lest und hört auf die Stimme Gottes und auf die Stimme Jesu, die euch der Heilige Geist dann, in diesem Augenblick, bringt. Es sind dann nicht nur irgend­welche Worte, die ihr lest, sondern es sind Gottes Wahrheit, Gottes Kraft und Gottes Geist, die dann in euch eingehen. Jesus Christus selbst ist dann nah und gegen­wärtig, wenn ihr in der Bibel lest. Ebenso geschieht es in der Predigt. Ebenso geschieht es im Heiligen Abendmahl: Da begegnet euch der lebendige Herr leibhaftig, mit seinem Leib und Blut. Wieder ist es der Tröster, der Geist, der uns diese enge Gemein­schaft bringt. Wie schön ist es, beim Empfang des Heiligen Abendmahls zu denken: Nun geht Jesus in mich ein. Er liebt mich und hält zu mir, er lässt mich nicht, er lebt, und ich darf auch leben, richtig leben, ewig leben; nun ist alles gut. Ja, und dann kann solche Begegnung mit dem Heiligen Geist wieder zu einer Sternstunde werden, in der der Heiland ganz groß wird, ganz nah kommt und wir spüren: Ja, das ist Liebe, das ist Geborgen­heit, das ist Leben, hier habe ich es gut. Was brauche ich mehr? Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1989.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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