Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Habt ihr früher gern mit Domino-Steinen gespielt? Tut ihr es vielleicht immer noch gern? Mir jedenfalls geht es so. Ich meine nicht das Gesellschaftsspiel Domino, wo Zahlenketten gebildet werden müssen, sondern ich meine dieses Spiel: Die Domino-Steine werden hintereinander aufgestellt, am besten in Schlangenlinien und mit Kreuzungspunkten. Wenn man den ersten Stein anstößt, fällt einer nach dem andern um, bis die ganze Reihe auf dem Tisch liegt.
So wie dieses simple Spiel ist vieles im Leben: eine Kette von Ursachen und Wirkungen. Oft sind die Wirkungen allerdings kaum abzusehen; man merkt gar nicht, was für eine Lawine man mit seinem Verhalten ins Rollen bringt. Im Bereich der Umwelt kann man sehr verhängnisvolle Ketten von Ursachen und Wirkungen feststellen, zum Beispiel diese: Beim Verbrennen von Mineralöl oder Kohle wird Kohlendioxid freigesetzt, das vorher unterirdisch gebunden zwar. Das Kohlendioxid ist zwar lichtdurchlässig, aber nicht wärmedurchlässig. In der Atmosphäre bildet das Kohlendioxid eine Schicht ähnlich einer Glasglocke, die die Sonnenstrahlen zwar hindurchlässt, die von der Erde aufsteigende Wärme jedoch nicht. Wie in einem Treibhaus heizt sich die Atmosphäre auf, und das Weltklima verändert sich. Die teilweise verheerenden Folgen sind bekannt.
Noch unangenehmer ist jedoch eine andere Kette von Ursachen und Wirkungen. Am Anfang dieser Kette steht der alte Adam, der Stammvater des Menschengeschlechts. Er und seine Frau waren die ersten Menschen, die ihrem Schöpfer den Gehorsam aufkündigten. Ihre Übertretung, das Essen der verbotenen Frucht, mag uns heute harmlos erscheinen, tatsächlich aber erfolgte hier eine Weichenstellung, die die ganze nachfolgende Weltgeschichte prägte. Das Vertrauensverhältnis zu Gott war zerbrochen; Gottes Heiligkeit, Gottes Gerechtigkeit, Gottes Zorn waren herausgefordert. Wie ein kleines Stück Hefe den ganzen Teig verändert, so hat Adams Ursünde die ganze Menschheit vergiftet. Aus Neugier wurde Begehren, aus Begehren Ungehorsam, aus Ungehorsam Sünde, aus Sünde Scham, aus Scham Angst, aus Angst Misstrauen, aus dem gebrochenen Vertrauensverhältnis Strafe, aus der Strafe Verdammnis und Tod. Durch des Einen Sünde ist diese Verdammnis über alle Menschen gekommen, schreibt Paulus, und: Durch den Ungehorsam des Einen sind die Vielen zu Sündern geworden. In der Tat, das ist eine verheerende Kette von Ursachen und Wirkungen mit einem katastrophalen Ende: Gottesferne und Tod für alle, für immer! Das ist unsere wahre Erblast, die wir zu tragen haben, nicht die Verbrechen des Dritten Reiches, denn die Nazi-Verbrechen sind nur eine besonders brutale Erscheinungsform der Sünde, die mit Adam begann und die in uns allen drin steckt, in Adams Kindern. Das ist die Erbsünde und Erbschuld, mit der wir belastet sind, ob wir wollen oder nicht.
Wenn nun eine Kette von Ursachen und Wirkungen so verheerende Folgen hat, was kann man dagegen tun? Was gibt es für Auswege? Viele Menschen suchen Schein-Auswege: sie leugnen die Folgen, sie verharmlosen sie, sie arbeiten dagegen an, oder sie resignieren. Wir wollen uns das einmal anhand des Umwelt-Beispiels betrachten, also mit dem Klimawandel: Der eine leugnet die schlimmen Folgen und hält all das Umwelt-Gerede für eine Modeerscheinung unserer Zeit. Der zweite verharmlost die schlimmen Folgen und denkt sich: Die Erde ist groß, die Lufthülle ist dick, was kann da schon so ein bisschen Kohlendioxid schaden? Der dritte arbeitet dagegen an; er setzt sich leidenschaftlich dafür ein, dass weniger fossiles Kohlendioxid in die Luft gepustet wird. Dieser Ausweg erscheint wirklich aussichtsreich: Es ist in der Tat empfehlenswert, die entsprechenden Verbrennungsprozesse zu reduzieren. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass der Klimawandel bereits begonnen hat und nicht mehr aufzuhalten ist. Selbst wenn von heute auf morgen nur noch umweltfreundlich Energie umgesetzt würde: Es ist fünf nach zwölf; die Erwärmung der Erde ist nicht mehr aufzuhalten. So ist es verständlich, wenn der vierte resigniert und sagt: Es hat ja doch keinen Zweck mehr, die Umwelt ist nicht mehr zu retten, also lasst uns als Menschheit mit Anstand zugrunde gehen. Der Wissenschafts-Journalist Hoimar von Ditfurth entfaltete diese Meinung in seinem Buch: „So lasst uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen – es ist soweit“.
Genau dieselben Auswege wählen viele Menschen im Blick auf das größere Übel der Sünde. Der erste leugnet, dass es so etwas überhaupt gibt, und meint, jeder müsse selbst entscheiden, was für ihn gut und richtig ist. Auch die unseligen Folgen des Ungehorsams gegen Gott werden geleugnet – bis hin zum Tod, der Sünde Sold. Wie oft regiert an Sterbebetten die Lüge: „Es wird schon wieder werden“ – so, als ließe sich der Tod beliebig verschieben. Der zweite verharmlost die Sünde und meint, der Mensch sei von Geburt an gut und entwickele nur im Laufe der Zeit ein paar schlechte Angewohnheiten – Schönheitsfehler, die leicht wieder auszubügeln sind. Dem Wort „Sünde“ wird der Ernst genommen, die sexuelle Sünde bekommt einen angenehmen erotischen Reiz, der Verkehrssünder hat oft kein schlechtes Gewissen mehr, und übergewichtige Menschen erklären an der Kaffeetafel verlegen lächelnd, dass sie heute mal wieder „sündigen“. Der dritte versucht, gegen seine Sünde anzuarbeiten. Wieder ist das nicht verkehrt; verkehrt ist es jedoch zu meinen, dass man die unseligen Folgen damit aufheben kann. Luther hat als Mönch mit allem Ernst versucht, die Sünde durch eigene Willenskraft zu brechen. Am Ende musste er betrübt feststellen: „Ich fiel auch immer tiefer drein, / es war kein Guts am Leben mein, / die Sünd hatt' mich besessen.“ Der vierte schließlich resigniert: Ihm ist es egal, ob er sündigt oder nicht, und den Tod nimmt er achselzuckend als Schicksal in Kauf; es interessiert ihn nicht, was danach kommt.
Leugnen, verharmlosen, dagegen anarbeiten, resignieren – das sind die Schein-Auswege aus so mancher Kette von Ursachen und schlimmen Folgen, einschließlich der schlimmsten Kette, der Sündenverderbnis von Adam her. Aber nun gibt es einen echten Ausweg. Es ist Gottes Ausweg. Er ist nicht die Folge von irgendetwas anderem, sondern er ist etwas ganz Neues. Er ist ein Einschnitt in die Weltgeschichte, der hinsichtlich seiner Tragweite nur mit Adams Sündenfall verglichen werden kann. Gottes Ausweg heißt Jesus Christus. Jesus Christus kam, um die Kette von Ungehorsam, Sünde und Verdammnis zu durchbrechen. „Jesus ist kommen, nun springen die Bande!“ Jesus ist kommen – das ist die Botschaft des Advent. Advent heißt: Hier kommt Gottes Ausweg. Er kommt durch den einen neuen Menschen, der zugleich wahrer Gott ist. Er kommt durch den einen neuen Menschen, der nicht unter dem Fluch der Erbsünde steht und der daher nicht von Adams Ungehorsam her verseucht ist. Er kommt durch den neuen Adam Jesus Christus – „Adam“ heißt ja nichts anderes als „Mensch“. Dieser neue Adam ist das genaue Gegenbild des alten. Und die Kette von Ursachen und Wirkungen, die der neue Adam durch sein Kommen bringt, läuft in die entgegengesetzte Richtung. „Wie nun durch die Sünde des Einen die Verdammnis über alle Menschen gekommen ist, so ist auch durch die Gerechtigkeit des Einen für alle Menschen die Rechtfertigung gekommen, die zum Leben führt. Denn wie durch den Ungehorsam des Einen die Vielen zu Sündern geworden sind, so werden auch durch den Gehorsam des Einen die Vielen zu Gerechten.“ So spricht der Heilige Geist durch den Apostel Paulus.
Ja, genau das ist Gottes Ausweg: Jesus war seinem himmlischen Vater absolut gehorsam. Durch seinen Sühnetod am Kreuz schuf er die Voraussetzung dafür, dass sein Gehorsam den sündigen Menschen angerechnet wird. So werden durch den Gehorsam des Einen die Vielen zu Gerechten, nämlich zu Gerechtfertigten, zu gerecht Gesprochenen – von Gott persönlich gerecht gesprochen. Es sind diejenigen, die durch Taufe und Glaube den neuen Adam Jesus Christus „anziehen“, seine Kinder werden, in seiner Nachfolge stehen. Es sind die „Adame“ – sprich: die Menschen – ‚ die zu „Christussen“ – sprich: zu Christen – geworden sind. Nicht durch eigene Leistung sind sie herausgekommen aus der Kette des Unheils und hinein in die Kette des Heils, sondern durch Gottes Gnade allein. Sie sind neu geschaffen, neue Kreaturen. Sie sind neu geboren, wiedergeboren durch die Taufe. Sie haben neues Leben, unbelastet vom alten Adam.
Unbelastet vom alten Adam? Liebe Brüder und Schwestern, sind wir das wirklich? Wir bekennen und beklagen doch immer wieder unsere Schuld. Wir seufzen über Anfechtungen und Glaubensschwäche. Wir spüren die Versuchung zur Sünde in unseren Herzen, und wie oft kommt sie zum Ausbruch! Sind wir wirklich unbelastet vom alten Adam? Ja und nein. Nein, weil wir eben als Menschen nun mal Nachkommen Adams sind und die Erbsünde nicht abbürsten können wie einen Fussel vom Mantel. Ja, weil wir die Gerechtigkeit Christi in der Taufe wie einen Umhang umgelegt bekamen, unter dem aller Schmutz verschwindet. Wir sind gewissermaßen Doppelwesen – noch Adamiten, schon Christen. Wir stecken in beiden Ketten von Ursachen und Wirkungen drin, sowohl in der unseligen Adams-Kette als auch in der seligen Christus-Kette. Es herrscht täglich Kampf in uns zwischen Adam und Christus. Der alte Adam in uns muss täglich ersäuft werden mit seinen Sünden und bösen Lüsten, heißt es im Kleinen Katechismus, und ein neuer Mensch soll herauskommen, ein neuer Adam, ein Christenmensch, ein Christus.
Aber wir dürfen wissen, dass wir dieses Doppelwesen nicht ewig führen müssen. Es ist nichts Festes, nichts Bleibendes. Vielmehr herrscht Bewegung in unserem Leben – eine Bewegung weg vom alten Adam, hin zu Christus. Es gibt nichts Schöneres, als sich von Christus in dieser Bewegung mitreißen zu lassen. Advent bedeutet solche Bewegung, denn Kommen ist Bewegung. Die wartende Gemeinde ist in Bewegung: weg von Adam, weg von Ungehorsam, Sünde und Verdammnis, hin zu Christus, hin zu seiner Gerechtigkeit, zum Gehorsam und zum Leben. Das Ziel haben wir dabei klar vor Augen. Es ist der zukünftige Advent, die Wiederkehr unseres Herrn in Herrlichkeit. Es ist das Ziel von Gottes Ausweg. Adam und die Folge seiner Sünde werden dann für immer vergessen sein.
Ja, Anfang, Weg und Ziel heißen Jesus Christus. Ihm sei Ehre in Ewigkeit. Amen.
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