Ursprung, Gesicht und Überwindung des Todes

Predigt über Römer 6,23 zum 9. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Der Tod ist ein Thema, an dem niemand vorbei­kommt. Zum einen hören wir immer wieder vom Tod anderer Menschen oder erleben ihn als Angehörige sogar mit. Zum andern rückt für einen jeden von uns un­erbittlich die eigene Todes­stunde näher. Dabei sind wir uns bewusst, dass das Sterben nicht nur alte Menschen trifft, sondern auch junge. Unser Leben kann plötzlich und unerwartet zu Ende sein. Mancher versucht das Thema Tod zwar zu ver­drängen. Aber wenn ich etwas vom Sinn des Lebens verstehen will, dann kann ich den Tod nicht aus­klammern. Erst recht geht das nicht, wenn ich etwas von Christus begreifen will, vom Evangelium und vom christ­lichen Glauben. Mose betete uns im 90. Psalm vor: „Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“ (Ps. 90,12). Lasst uns in dieser Predigt also den Tod bedenken!

Ich selbst freilich und jeder andere Mensch kann vom Tod nur reden wie ein Blinder von der Farbe, wie ein Unverheirateter von der Ehe, wie eine kinderlose Frau von der Geburt. Christus aber ist gestorben und auf­erstanden. Er, der Gottes­sohn, und sein himm­lischer Vater ist die einzig zu­verlässige Quelle über den Tod. So wollen wir uns mit Gottes Wort jetzt dreierlei vor Augen führen: erstens den Ursprung des Todes, zweitens das Gesicht des Todes, drittens die Über­windung des Todes.

„Der Tod ist der Sünde Sold“, heißt es kurz und klar im Römer­brief. Man kann auch über­setzen: „Den Tod haben wir uns mit der Sünde verdient.“ Die Sünde hat uns sterblich gemacht; die Sünde ist der Ursprung des Todes. Bevor Adam und Eva, gesündigt hatten, waren sie un­sterblich. Wenn sie nicht gesündigt hätten, dann hätten sie für immer auf der Erde gelebt – und das in völliger Harmonie mit Gott. Weil aber das erste Menschen­paar in Sünde fiel, zerbrach die Harmonie mit Gott. Ihr Ungehorsam gegen den All­mächtigen machte sie sterblich. Es ist ein Zeichen der Liebe Gottes, dass sie nicht auf der Stelle tot umfielen. Aber von nun an trugen Adam und Eva gewisser­maßen eine Zeitbombe am Leib; ihre Körper bekamen ein Verfalls­datum. Um ihnen die Sterblich­keit und das gebrochene Verhältnis zu ihm deutlich zu machen, vertrieb Gott sie aus dem Paradies­garten, wo der Baum des Lebens stand.

Mit der Sünde pflanzte sich die Sterblich­keit von einer Generation zur nächsten fort. „Der Sünde Sold ist der Tod“, das gilt für alle Menschen. Wenig vorher heißt es im Römer­brief: „Wie durch einen Menschen (nämlich Adam, Eva ist dabei mit­gemeint) die Sünde in die Welt gekommen ist und der Tod durch die Sünde, so ist der Tod zu allen Menschen durch­gedrungen, weil sie alle gesündigt haben“ (Römer 5,12). Der Tod des Menschen ist also keineswegs etwas Natür­liches, sondern er ist als Gottes Fluch in die Welt gekommen. Auch Mose wusste das genau und betete deshalb: „Das macht dein Zorn, dass wir so vergehen, und dein Grimm, dass wir so plötzlich dahin müssen. Denn unsere Missetaten stellst du vor dich, unsre unerkannte Sünde ins Licht vor deinem Angesicht“ (Psalm 90,7‑8).

Der Tod ist nun freilich kein traumloser Schlaf und kein Zustand des Nicht­seins. Die Bibel bezeugt vielmehr, dass der Tod Trennung von Gott bedeutet. Im 6. Psalm heißt es: „Im Tode gedenkt man deiner nicht; wer wird dir im Totenreich danken?“ (Psalm 6,6). Ja, das ist der Sünde Sold: Das Leben auf Erden wird befristet, und dann kommt der Mensch ins Toten­reich, in die „Hölle“, wie Luther über­setzte, fern von Gottes lebens­spendender Nähe. „Ewige Qual“, nannte Jesus diesen Zustand. Dieses göttliche Gericht ist so schreck­lich, dass wir kaum daran zu denken wagen, auch kaum davon reden würden, wenn Gott uns das nicht in seinem Wort offenbart hätte. Lasst uns mit nüchternem Ernst dieses göttliche Urteil zu Herzen nehmen. Gott hat uns in seiner großen Liebe allerdings auch den Ausweg aus dem Tod gezeigt; doch davon später.

Wir haben uns jetzt den Ursprung des Todes vor Augen geführt und kommen zum Gesicht des Todes. Oder ich könnte auch sagen: Zu den Gesichtern des Todes, denn er zeigt sich in vielerlei Gestalt, und wir werden in ganz unter­schied­licher Weise von ihm berührt. Wenn eine Neunzig­jährige eines natür­lichen Todes stirbt, nimmt man das recht gelassen zur Kenntnis. Wenn es sich dabei aber um die eigene Mutter handelt, dann kann einen das zutiefst betrüben. Wenn die Statis­tiker hundert Verkehrs­tote pro Tag zählen, dann lässt uns diese Zahl ziemlich kalt. Wenn aber ein Flugzeug mit hundert Passa­gieren ver­unglückt, dann horcht die ganze Welt entsetzt auf. Wenn man in der Zeitung liest, wie vier­jährige Kinder beim Spielen tödlich ver­unglücken, dann krampft sich das Herz im Leibe zusammen. Wenn aber weitaus jüngere Kinder auf Wunsch der Eltern getötet werden, nämlich im Mutterleib durch Ab­treibung, dann finden das viele Zeit­genossen in Ordnung. Wenn ein Promi­nenter auf der Höhe seines Lebens durch eine heim­tückische Krankheit weg­genommen wird, dann sprechen wir von einer schmerz­lichen Lücke. Wenn ein gleich­altriger Schwerst­behinder­ter stirbt, ein so­genannter Pflege­fall, dann nennen wir es vielleicht eine Erlösung. Wir merken: Dass der Tod ver­schiedene Gesichter hat, das liegt an den Be­trachtern. Das eine Mal fragen wir: Gott, wie kannst du so etwas zulassen?, das andere Mal nehmen wir den Tod einfach so hin. Mal sprechen wir von erfülltem Leben und mal davon, dass ein Mensch viel zu früh abgerufen wurde. Wann aber ist ein Leben erfüllt? Mit neun Jahren oder erst mit 90 Jahren oder gar erst mit einem biblischen Alter? Die Bibel nennt ja Namen von Menschen, die mehrere hundert Jahre alt geworden sind; kaum können wir es glauben. Was also ist denn nun wirklich ein hohes Alter und ein erfülltes Leben?

Mit den vielen Gesichtern des Todes werden wir nur dann fertig, wenn wir das eine Urteil Gottes dahinter sehen. Gott ist es, der früher oder später alle Menschen tötet. Er sagt, wann das Maß eines Lebens voll ist, ob nun mit neun oder mit neunzig. Er lässt es auch zu, dass Menschen sich gegen­seitig töten, macht sie freilich dafür ver­antwort­lich. Gott setzt in jedem Fall ein Ende, ob wir es als schmerz­lich empfinden oder nicht. Jeder Tod offenbart den Fluch der Sünde, der über dieser Welt liegt: „Der Sünde Sold ist der Tod.“

Wenn wir unser Leben bewusst führen, dann merken wir das Gesicht des Todes sogar bei lebendigen Leib: Jede Krankheit erinnert uns daran. Wer älter wird, verliert Haare und Zähne. Wer alt ist, merkt plötzlich, wie seine Generation um ihn herum wegstirbt. Wir alle tragen die Zeitbombe Tod am Leib. Letztlich geht es uns allen so wie einem unheilbar Krebs­kranken, der genau weiß: Einmal ist es aus, und es könnte ziemlich schnell gehen. Der Krebs­kranke erlebt das besonders bewusst, aber letztlich ist es bei allen so. Der Fluch der Sünde liegt über allen.

Glück­licher­weise ist das, was wir eben bedacht haben, nicht Gottes letztes Wort. Gottes letztes Wort ist vielmehr die Über­windung des Todes, die wir jetzt als Drittes betrachten wollen. Unser Bibelwort formuliert Gottes letztes Wort so: „Die Gabe Gottes ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserm Herrn.“ Das ist das Evan­gelium, die Gute Nachricht von Jesus Christus. Diese Gute Nachricht sagt: Gott will gar nicht den Tod des Sünders, den dieser sich selbst ein­gebrockt hat, Gott will das Leben. Und er will mit uns leben. Er will mit uns so leben, wie er vor dem Sündenfall mit Adam und Eva gelebt hat: in un­gebroche­ner Harmonie. Darum hat er seinen Sohn in die Welt gesandt und unsern Tod durch dessen Tod über­wunden. Ihr wisst, wie er das gemacht hat: durch sein Leiden und Sterben am Kreuz von Golgata. Die Folge: Der Tod ist über­wunden. „Der Tod ist ver­schlungen vom Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ (1. Kor. 15,54‑55). Auf alle, die das im Glauben annehmen, wartet nicht mehr die ewige Qual der Hölle; vielmehr wartet nach dem leiblichen Sterben der Himmel auf uns. Dort werden wir dann, umkleidet mit einem wunder­baren neuen Leib, in Gottes Paradies leben – in einem Leben ohne Sünde und ohne Tod. Auch die Anzeichen des Todes wie Angst und Krankheit wird es dann nicht mehr geben. Ja, das wartet auf uns Christen, das ist unsere große Hoffnung. Wir werden nicht sterben – jedenfalls nicht mehr wirklich; das Totenreich bleibt uns erspart. Jesus sagte: „Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben“ (Joh. 11,25‑26).

Ja, der Tod hat für uns seine Macht verloren, seinen „Stachel“. Er ist nicht mehr unser un­ausweich­liches Schicksal. Wir singen: „O Tod, wo ist dein Stachel nun, / wo ist dein Sieg, o Hölle?“ Und wir singen auch: „Kann uns doch kein Tod nicht töten, / sondern reißt / unsern Geist / aus viel tausend Nöten!“ Die Märtyrer der Alten Kirche sind singend und lachend ihrem Tod entgegen gegangen, weil sie wussten: Bald werden wir Jesus sehen. Mir ist zwar ein wenig bange vor meinem Tod, aber trotzdem freue ich mich auf den Himmel. Ich freue mich darauf, einmal in einer Welt leben zu dürfen, die nicht mehr von der Sünde und ihren Folgen gezeichnet ist. Das hat nichts mit Lebens­verneinung zu tun. Paul Gerhardt hat sich von Herzen an den Schön­heiten dieser Welt gefreut und hat das in den ersten Strophen des Liedes „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“ meister­lich zum Ausdruck gebracht. Aber in der zweiten Hälfte des Liedes bricht dann die Vorfreude auf den Himmel durch, der wir uns nun an­schließen wollen: „Ach, denk ich, bist du hier so schön / und lässt du's uns so lieblich gehn / auf dieser armen Erden: / Was will doch wohl nach dieser Welt / dort in dem reichen Himmels­zelt / und güldnen Schlosse werden!“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1988.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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