Gottes Wort und das leere Grab

Predigt über Johannes 20,1‑10 zum Ostersonntag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Es ist wunderbar, wie der auf­erstandene Herr seine Jünger bei der Hand nimmt und sie zum Glauben führt! Schritt für Schritt führt er sie durch seine Glaubens­schule, damit ihr Glaube fest wird – so fest, dass sie einmal für ihren Herrn fröhlich sterben und dann zu ewiger Herrlich­keit auferstehen zu können. Schritt für Schritt führt Christus seine Jünger durch die Glaubens­schule, vom Unglauben über den Zeichen­glauben hin zum Wort­glauben. Lassen auch wir uns von ihm führen – vom Klein­glauben über den Zeichen­glauben hin zum Schrift­glauben.

Unglaube beziehungs­weise Kleinglaube finden wir bei Maria von Magdala, die zusammen mit anderen Frauen frühmorgens am ersten Tag der Woche zum Grab geht. Sie trauert um einen toten Jesus. Sie hat alles vergessen, was er von seiner Auf­erstehung gesagt hat. Sie hat alles vergessen, was davon im Alten Testament geweissagt ist. Sie empfindet nur Schmerz in ihrer Seele und denkt: Jetzt ist alles aus. Da sieht sie das leere Grab. Der Stein ist weggewälzt. Sie hat in ihrem Klein­glauben nur eine Erklärung: Der Leichnam des Herrn ist gestohlen worden. Dass man ihm nicht einmal die letzte Ruhe gönnt! Dass sie ihm nicht einmal das Grab würdig bereiten darf! Warum muss denn noch das zu allem Leid hinzu­kommen? Schnell läuft sie zurück zu Petrus und zu Johannes (das ist der Jünger, der sich in seinem Evangelium so beschreibt: „der Jünger, den Jesus lieb hatte“). Sie sagt ihnen: „Sie haben den Herrn weggenommen aus dem Grab, und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben.“

Das ist das Miss­verständnis des Klein­glaubens. Der Kleinglaube rechnet nicht wirklich mit Gott, er rechnet nur mit den Dingen dieser Welt. Gerade Johannes hat das in seinem Evangelium immer wieder sehr fein deutlich gemacht: Da war die Samariterin am Jakobs­brunnen, die es nicht für möglich halten wollte, dass Jesus ihr lebendiges Wasser geben kann. Da waren die ratlosen Jünger, die Jesus nicht zutrauten, mit wenigen Broten und Fischen 5000 Mann zu speisen. Und da sind auch wir Heutigen mit unserem Klein­glauben. Die einen machen sich Sorgen um ihren Lebens­unterhalt, obwohl Gott doch selbst den Spatzen genug zu essen gibt. Die anderen sorgen sich um ihre Gesundheit, wo doch Jesus ihr Arzt ist. Die dritten sorgen sich um die großen Probleme der Welt, obwohl sie singen: „Jesus Christus herrscht als König, / alles wird ihm unter­tänig.“ Die vierten sorgen sich um ihre Kinder oder überhaupt um Angehörige – so, als hülfe alle Fürbitte nichts. Die fünften sehen schwarz für die Zukunft unserer schrump­fenden Kirche und der schrump­fenden Gemeinden; sie bezweifeln, dass sich unsere Kirche finanziell halten kann. Dabei ist doch der Auf­erstandene der Herr der Kirche. Auch ich habe meine Klein­glauben-Sorge: Ich mache mir immer wieder Sorgen darum, ob ich all meine Arbeit schaffe, obwohl ich schon unzählige Male die Erfahrung gemacht habe, dass Gott ausreichend Kraft und Zeit schenkt. So sind wir alle Anfänger, die Jesus bei der Hand nehmen und zum Glauben führen muss. Zunächst einmal zum Zeichen­glauben.

Was ist das nun, der Zeichen­glaube? Der Zeichen­glaube lebt von den Zeichen und Wundern, die Gott auf Erden tut. Man könnte ihn auch Indizien­glaube nennen: Indizien sind Hinweise und Beweis­stücke, die man wie ein Puzzle zusammen­setzen kann und die dann einen bestimmten Sachverhalt ergeben. Mit Indizien werden häufig Verbrecher von der Kriminal­polizei überführt. Auch am ersten Ostermorgen gab es Zeichen und Indizien; sie bewiesen Christi Auf­erstehung. Da war zunächst das leere Grab. Der Stein war weggewälzt. Als Petrus und Johannes das von Maria aus Magdala hören, rennen sie sofort los, um sich von dieser un­glaublichen Tatsache zu überzeugen. Johannes, wohl der Jüngere von den beiden, hat die bessere Kondition und ist eher da. Er sieht: Tat­sächlich, der Stein ist weggewälzt, das Grab ist leer. Die Leinen­tücher liegen da, das ist ein weiteres Indiz. Wenn hier Grabräuber am Werk gewesen wären, dann hätten sie das kostbare Leinen sicher mit­genommen. Jetzt kommt auch Petrus an und findet ebenfalls alles wie be­schrieben. Aber er schaut genauer hin und entdeckt ein weiteres Indiz: Das Schweiß­tuch, das man dem Leichnam Jesu ums Haupt gebunden hatte, liegt säuberlich zusammen­gefaltet an einer anderen Stelle. Unmöglich, dass jemand, der die Leiche stehlen wollte, sich mit solcher Arbeit aufgehalten hätte. Jetzt erst betritt auch Johannes das Grab. „Er sah und glaubte“, heißt es von ihm. Er glaubt aufgrund der Zeichen, der Indizien, die er mit eigenen Augen sieht und die den Schluss nahelegen: Jesus muss auf­erstanden sein. Johannes ist beim Zeichen­glauben angelangt. Ja, um der Glaubens­schwäche seiner Jünger willen hat sich der Auf­erstandene zu solchen Zeichen herab­gelassen. Und es gibt noch wesentlich mehr Indizien, die seine Auf­erstehung beweisen. Er hat zum Beispiel mehrfach mit den Jüngern gegessen und getrunken. Gespenster oder ein­gebildete Personen verzehren keine Lebens­mittel. Thomas darf später wegen seiner Glaubens­schwäche sogar die Wunden Jesu berühren. Überhaupt sind sämtliche Er­scheinungen des Auf­erstandenen vor den Jüngern ein Zu­geständnis daran, dass Menschen für den Glauben Zeichen brauchen. Jesus hätte ja ebensogut auch gleich aus dem Grab in den Himmel fahren können. Das Wort des Alten Testaments und seine eigenen Prophe­zeiungen müssten eigentlich genügen, um das Geschehen richtig zu deuten. Aber um des Klein­glaubens willen hinterlässt der Herr deutliche Spuren und eindeutige Indizien seiner Auf­erstehung.

Bis zum heutigen Tag schenkt uns der dreieinige Gott Zeichen und Indizien dafür, dass er lebt und für uns sorgt. Solche Zeichen sind uns große Glaubens­hilfen. Besonders in Krisen­situationen erleben Menschen Gottes Wunder, bis zum heutigen Tag. Viele Christen, die Kriege erlebt haben, können von wunderbaren Bewahrungen berichten, die sich durch die Gesetze dieser Welt oder mit dem Zufall nicht erklären lassen. Viele haben es auch erlebt, dass Gott Kranke gesund macht, ohne dass es dafür eine medi­zinische Erklärung gibt. Viele Menschen haben durch besondere Zeichen Wegweisung für ihr Leben bekommen. Und wer sich mit der Natur und ihren Gesetzen be­schäftigt, muss zu dem Schluss kommen, dass die ganze Welt ein einziges Wunder ist, ein einziges Zeichen dafür, dass Gott dies alles geschaffen hat und noch erhält. Letztlich aber sind solche Zeichen eigentlich nur Krücken für den Glauben. „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“, sagte der Auf­erstandene dem ungläubigen Thomas (Joh. 20,29). Und in unserem Predigttext finden wir nach dem Zeichen­glauben des Johannes den bemerkens­werten Satz: „Denn sie verstanden die Schrift noch nicht, dass er von den Toten auferstehen müsste.“ Johannes glaubte, weil er das leere Grab sah, aber er glaubte noch nicht der Schrift. Er hatte noch nicht den Wort­glauben. Dahin wollte ihn der Auf­erstandene erst noch führen.

Der Wortglaube oder Schrift­glaube vertraut blind darauf, was Gott in seinem Wort sagt. Er glaubt sogar wider den Augen­schein. Abraham hatte diesen Glauben: Er glaubte dem Herrn nicht wegen irgend­welcher Zeichen, dass er einen Sohn bekommen würde, sondern allein auf sein Wort hin, obwohl er schon hundert Jahre alt war. Die Kirche glaubt allein auf das Wort hin, dass Christus wieder­kommen und uns zu sich holen wird, obwohl er nun schon zwei Jahr­tausende auf sich warten ließ. „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“

Ja, der Auf­erstandene will auch uns vom Zeichen­glauben zum Wortglauben führen. Es ist gut, wenn wir immer wieder herrliche Erfahrungen mit Gott machen, wenn wir im eigenen Leben und um uns herum den Auf­erstandenen am Werke sehen. Es ist aber noch besser, ihm auch dann zu vertrauen, wenn alles gegen ihn zu sprechen scheint. Es ist besser zu singen: „Wenn ich auch gar nichts fühle / von deiner Macht, / du führst mich doch zum Ziele, / auch durch die Nacht.“ Denn die Zeiten kommen ganz bestimmt, wo wir nichts fühlen werden von Gottes Macht, wo wir keine Zeichen und keine Indizien haben werden. Und für die grund­legenden Inhalte unseres Glaubens gibt es ohnehin keine sichtbaren Belege. Wir können nicht sehen, ob uns die Sünden vergeben sind. Wir haben nichts in der Hand, mit dem wir das ewige Leben beweisen könnten. Wir können das neue Herz, das Christus uns schaffen will, nicht auf den Prüfstand stellen, mit dem Herzen eines Ungläubigen vergleichen und fest­stellen: Aha, bei uns läuft alles besser. Es gibt kein Messgerät für das Vorhanden­seins des Heiligen Geistes, der uns verheißen ist. In diesen Dingen will Jesus uns zum Wortglauben führen, wie er es auch bei seinen damaligen Jüngern gemacht hat. Wir sollen glauben, weil Gott es so gesagt hat – aus keinem anderen Grund. Das Wunderbare aber ist nun: Gottes Wort wohnt die geheimnis­volle Kraft inne, dass wir es auch glauben können. Jeder, der sich dem göttlichen Wort nicht ver­schließt, wird mehr und mehr merken, dass es ein ver­lässliches Wort ist. Und die Sakramente Taufe und Abendmahl verdichten das Wort und verbinden es mit Zeichen – freilich keine Indizien, sondern Wortzeichen – also Zeichen, die aus der Kraft des Wortes leben.

So lasst uns heute glauben, dass Christus uns durch seine Auf­erstehung Heil und ewiges Leben gebracht hat! Lasst uns aufs Wort hin glauben, durch das uns diese herrliche Botschaft verkündigt wird! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1988.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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