Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Es ist wunderbar, wie der auferstandene Herr seine Jünger bei der Hand nimmt und sie zum Glauben führt! Schritt für Schritt führt er sie durch seine Glaubensschule, damit ihr Glaube fest wird – so fest, dass sie einmal für ihren Herrn fröhlich sterben und dann zu ewiger Herrlichkeit auferstehen zu können. Schritt für Schritt führt Christus seine Jünger durch die Glaubensschule, vom Unglauben über den Zeichenglauben hin zum Wortglauben. Lassen auch wir uns von ihm führen – vom Kleinglauben über den Zeichenglauben hin zum Schriftglauben.
Unglaube beziehungsweise Kleinglaube finden wir bei Maria von Magdala, die zusammen mit anderen Frauen frühmorgens am ersten Tag der Woche zum Grab geht. Sie trauert um einen toten Jesus. Sie hat alles vergessen, was er von seiner Auferstehung gesagt hat. Sie hat alles vergessen, was davon im Alten Testament geweissagt ist. Sie empfindet nur Schmerz in ihrer Seele und denkt: Jetzt ist alles aus. Da sieht sie das leere Grab. Der Stein ist weggewälzt. Sie hat in ihrem Kleinglauben nur eine Erklärung: Der Leichnam des Herrn ist gestohlen worden. Dass man ihm nicht einmal die letzte Ruhe gönnt! Dass sie ihm nicht einmal das Grab würdig bereiten darf! Warum muss denn noch das zu allem Leid hinzukommen? Schnell läuft sie zurück zu Petrus und zu Johannes (das ist der Jünger, der sich in seinem Evangelium so beschreibt: „der Jünger, den Jesus lieb hatte“). Sie sagt ihnen: „Sie haben den Herrn weggenommen aus dem Grab, und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben.“
Das ist das Missverständnis des Kleinglaubens. Der Kleinglaube rechnet nicht wirklich mit Gott, er rechnet nur mit den Dingen dieser Welt. Gerade Johannes hat das in seinem Evangelium immer wieder sehr fein deutlich gemacht: Da war die Samariterin am Jakobsbrunnen, die es nicht für möglich halten wollte, dass Jesus ihr lebendiges Wasser geben kann. Da waren die ratlosen Jünger, die Jesus nicht zutrauten, mit wenigen Broten und Fischen 5000 Mann zu speisen. Und da sind auch wir Heutigen mit unserem Kleinglauben. Die einen machen sich Sorgen um ihren Lebensunterhalt, obwohl Gott doch selbst den Spatzen genug zu essen gibt. Die anderen sorgen sich um ihre Gesundheit, wo doch Jesus ihr Arzt ist. Die dritten sorgen sich um die großen Probleme der Welt, obwohl sie singen: „Jesus Christus herrscht als König, / alles wird ihm untertänig.“ Die vierten sorgen sich um ihre Kinder oder überhaupt um Angehörige – so, als hülfe alle Fürbitte nichts. Die fünften sehen schwarz für die Zukunft unserer schrumpfenden Kirche und der schrumpfenden Gemeinden; sie bezweifeln, dass sich unsere Kirche finanziell halten kann. Dabei ist doch der Auferstandene der Herr der Kirche. Auch ich habe meine Kleinglauben-Sorge: Ich mache mir immer wieder Sorgen darum, ob ich all meine Arbeit schaffe, obwohl ich schon unzählige Male die Erfahrung gemacht habe, dass Gott ausreichend Kraft und Zeit schenkt. So sind wir alle Anfänger, die Jesus bei der Hand nehmen und zum Glauben führen muss. Zunächst einmal zum Zeichenglauben.
Was ist das nun, der Zeichenglaube? Der Zeichenglaube lebt von den Zeichen und Wundern, die Gott auf Erden tut. Man könnte ihn auch Indizienglaube nennen: Indizien sind Hinweise und Beweisstücke, die man wie ein Puzzle zusammensetzen kann und die dann einen bestimmten Sachverhalt ergeben. Mit Indizien werden häufig Verbrecher von der Kriminalpolizei überführt. Auch am ersten Ostermorgen gab es Zeichen und Indizien; sie bewiesen Christi Auferstehung. Da war zunächst das leere Grab. Der Stein war weggewälzt. Als Petrus und Johannes das von Maria aus Magdala hören, rennen sie sofort los, um sich von dieser unglaublichen Tatsache zu überzeugen. Johannes, wohl der Jüngere von den beiden, hat die bessere Kondition und ist eher da. Er sieht: Tatsächlich, der Stein ist weggewälzt, das Grab ist leer. Die Leinentücher liegen da, das ist ein weiteres Indiz. Wenn hier Grabräuber am Werk gewesen wären, dann hätten sie das kostbare Leinen sicher mitgenommen. Jetzt kommt auch Petrus an und findet ebenfalls alles wie beschrieben. Aber er schaut genauer hin und entdeckt ein weiteres Indiz: Das Schweißtuch, das man dem Leichnam Jesu ums Haupt gebunden hatte, liegt säuberlich zusammengefaltet an einer anderen Stelle. Unmöglich, dass jemand, der die Leiche stehlen wollte, sich mit solcher Arbeit aufgehalten hätte. Jetzt erst betritt auch Johannes das Grab. „Er sah und glaubte“, heißt es von ihm. Er glaubt aufgrund der Zeichen, der Indizien, die er mit eigenen Augen sieht und die den Schluss nahelegen: Jesus muss auferstanden sein. Johannes ist beim Zeichenglauben angelangt. Ja, um der Glaubensschwäche seiner Jünger willen hat sich der Auferstandene zu solchen Zeichen herabgelassen. Und es gibt noch wesentlich mehr Indizien, die seine Auferstehung beweisen. Er hat zum Beispiel mehrfach mit den Jüngern gegessen und getrunken. Gespenster oder eingebildete Personen verzehren keine Lebensmittel. Thomas darf später wegen seiner Glaubensschwäche sogar die Wunden Jesu berühren. Überhaupt sind sämtliche Erscheinungen des Auferstandenen vor den Jüngern ein Zugeständnis daran, dass Menschen für den Glauben Zeichen brauchen. Jesus hätte ja ebensogut auch gleich aus dem Grab in den Himmel fahren können. Das Wort des Alten Testaments und seine eigenen Prophezeiungen müssten eigentlich genügen, um das Geschehen richtig zu deuten. Aber um des Kleinglaubens willen hinterlässt der Herr deutliche Spuren und eindeutige Indizien seiner Auferstehung.
Bis zum heutigen Tag schenkt uns der dreieinige Gott Zeichen und Indizien dafür, dass er lebt und für uns sorgt. Solche Zeichen sind uns große Glaubenshilfen. Besonders in Krisensituationen erleben Menschen Gottes Wunder, bis zum heutigen Tag. Viele Christen, die Kriege erlebt haben, können von wunderbaren Bewahrungen berichten, die sich durch die Gesetze dieser Welt oder mit dem Zufall nicht erklären lassen. Viele haben es auch erlebt, dass Gott Kranke gesund macht, ohne dass es dafür eine medizinische Erklärung gibt. Viele Menschen haben durch besondere Zeichen Wegweisung für ihr Leben bekommen. Und wer sich mit der Natur und ihren Gesetzen beschäftigt, muss zu dem Schluss kommen, dass die ganze Welt ein einziges Wunder ist, ein einziges Zeichen dafür, dass Gott dies alles geschaffen hat und noch erhält. Letztlich aber sind solche Zeichen eigentlich nur Krücken für den Glauben. „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“, sagte der Auferstandene dem ungläubigen Thomas (Joh. 20,29). Und in unserem Predigttext finden wir nach dem Zeichenglauben des Johannes den bemerkenswerten Satz: „Denn sie verstanden die Schrift noch nicht, dass er von den Toten auferstehen müsste.“ Johannes glaubte, weil er das leere Grab sah, aber er glaubte noch nicht der Schrift. Er hatte noch nicht den Wortglauben. Dahin wollte ihn der Auferstandene erst noch führen.
Der Wortglaube oder Schriftglaube vertraut blind darauf, was Gott in seinem Wort sagt. Er glaubt sogar wider den Augenschein. Abraham hatte diesen Glauben: Er glaubte dem Herrn nicht wegen irgendwelcher Zeichen, dass er einen Sohn bekommen würde, sondern allein auf sein Wort hin, obwohl er schon hundert Jahre alt war. Die Kirche glaubt allein auf das Wort hin, dass Christus wiederkommen und uns zu sich holen wird, obwohl er nun schon zwei Jahrtausende auf sich warten ließ. „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“
Ja, der Auferstandene will auch uns vom Zeichenglauben zum Wortglauben führen. Es ist gut, wenn wir immer wieder herrliche Erfahrungen mit Gott machen, wenn wir im eigenen Leben und um uns herum den Auferstandenen am Werke sehen. Es ist aber noch besser, ihm auch dann zu vertrauen, wenn alles gegen ihn zu sprechen scheint. Es ist besser zu singen: „Wenn ich auch gar nichts fühle / von deiner Macht, / du führst mich doch zum Ziele, / auch durch die Nacht.“ Denn die Zeiten kommen ganz bestimmt, wo wir nichts fühlen werden von Gottes Macht, wo wir keine Zeichen und keine Indizien haben werden. Und für die grundlegenden Inhalte unseres Glaubens gibt es ohnehin keine sichtbaren Belege. Wir können nicht sehen, ob uns die Sünden vergeben sind. Wir haben nichts in der Hand, mit dem wir das ewige Leben beweisen könnten. Wir können das neue Herz, das Christus uns schaffen will, nicht auf den Prüfstand stellen, mit dem Herzen eines Ungläubigen vergleichen und feststellen: Aha, bei uns läuft alles besser. Es gibt kein Messgerät für das Vorhandenseins des Heiligen Geistes, der uns verheißen ist. In diesen Dingen will Jesus uns zum Wortglauben führen, wie er es auch bei seinen damaligen Jüngern gemacht hat. Wir sollen glauben, weil Gott es so gesagt hat – aus keinem anderen Grund. Das Wunderbare aber ist nun: Gottes Wort wohnt die geheimnisvolle Kraft inne, dass wir es auch glauben können. Jeder, der sich dem göttlichen Wort nicht verschließt, wird mehr und mehr merken, dass es ein verlässliches Wort ist. Und die Sakramente Taufe und Abendmahl verdichten das Wort und verbinden es mit Zeichen – freilich keine Indizien, sondern Wortzeichen – also Zeichen, die aus der Kraft des Wortes leben.
So lasst uns heute glauben, dass Christus uns durch seine Auferstehung Heil und ewiges Leben gebracht hat! Lasst uns aufs Wort hin glauben, durch das uns diese herrliche Botschaft verkündigt wird! Amen.
PREDIGTKASTEN |