Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Für einen schwer nierenkranken Menschen ist es eine unbeschreibliche Freude, wenn ihm durch eine Nierentransplantation geholfen wird. Vorher musste er mehrmals wöchentlich für Stunden an die künstliche Niere angeschlossen werden. Dann fand man eine Spenderniere, die in einer Operation gegen die kranken Nieren ausgetauscht wurde. Das fremde Organ ist nun fester Bestandteil des Empfänger-Körpers; es ist fest mit ihm verwachsen. Ja, das ist eine große Hilfe und ein großer Segen für ihn.
In gewisser Hinsicht lässt sich das Heilige Abendmahl mit so einer Nierentransplantation vergleichen. Im Altarsakrament empfangen wir den Leib und das Blut unsers Herrn Jesus Christus. Auf diese Weise geht das Gotteslamm in uns ein, und wir verwachsen geistlich mit ihm. Christus wird ein Teil von uns, und wir werden ein Teil von Christus – uns zur Hilfe, zur Freude, zu großem Segen. Dieses Verschmelzen und Zusammenwachsen ist in unserem Gotteswort durch das Stichwort „Gemeinschaft“ ausgedrückt. Da heißt es: „Der gesegnete Kelch, den wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi?“ Leib und Blut Christi gehen in uns ein und verwachsen sozusagen mit uns. Dadurch empfangen wir Heilung von der elenden Krankheit Sünde, die noch viel ärger ist als ein schweres Nierenleiden.
Das hat mancherlei Folgen. Die Segnungen, die aus dem Abendmahl erwachsen, sind vielfältig. Aber dieses Mahl verpflichtet uns auch. Lasst uns nun besonders diejenigen Folgen betrachten, die sich aus den beiden Versen im Korintherbrief ergeben. Lasst uns an diesen beiden Versen sehen, wie uns das Altarsakrament sowohl beschenkt als auch verpflichtet.
Ausgangspunkt für alle Segnungen des Abendmahls ist die Vergebung der Sünde. Nicht, dass Sünde dadurch ungeschehen gemacht würde. Nicht, dass dadurch alle sündliche Begierde für immer aus unserem Herzen verbannt wäre. Nein, Sündenvergebung heißt vielmehr: Unser Ungehorsam steht nicht mehr als Mauer der Schuld zwischen Gott und uns. Christus hat diese Mauer niedergerissen durch seinen Opfertod. Wir haben freien Zugang zu Gott. Alles Trennende fällt; der Riss ist geheilt. Auch das steckt im Wort „Gemeinschaft“ drin. Nur weil Christus für uns sein Blut vergossen und seinen Leib zerbrochen hat, können wir mit ihm zusammenwachsen beziehungsweise eins werden, und durch ihn auch mit dem himmlischen Vater.
Wie wunderbar dies gerade im Heiligen Abendmahl geschieht, habe ich erst während der ersten Semester meines Theologiestudiums richtig gemerkt. Es war eine Zeit, in der ich mich intensiv verstandesmäßig um Gottes ewige Wahrheit mühte. Manches Vorurteil musste da fallen, manches bisher Feste wurde zunächst einmal in Frage gestellt. Gottes Wort musste Tag für Tag nach den Regeln der Grammatik auseinandergenommen und Wort für Wort durchbuchstabiert werden. Das war nicht immer angenehm und erquickend. Hier wurde mir das Heilige Abendmahl ganz wertvoll. Denn da kommt ja Gottes gute Nachricht nicht über Worte und Sätze zu mir, die mit den Ohren gehört und mit dem Verstand erfasst sein wollen. Hier geht Jesus Christus selbst in mich ein, ganz unmittelbar. Grammatik und Verstand sind hier nur hinderlich; das große Wunder des Leibes und Blutes Christi will einfach geglaubt, nicht verstanden sein. Hier brauchte ich nicht zu denken, sondern konnte einfach spüren, dass Christus mit mir eins wird, und ich mit ihm.
Gemeinschaft, Eins-Werden mit Christus und mit dem dreieinigen Gott, das ist die Gabe des Heiligen Abendmahls. In den beiden Versen aus dem 1. Korintherbrief rückt nun eine Auswirkung davon besonders ins Blickfeld: Wir Jünger Jesu, die wir alle mit Christus zusammengewachsen sind und dies im Abendmahl erfahren, sind dadurch auch untereinander eins. Es steht da: „Denn ein Brot ist's: So sind wir viele ein Leib, weil wir alle an einem Brot teilhaben.“ Der Leib Christi im Altarsakrament wird nun zugleich zum Bild für Kirche und Gemeinde: ein Leib mit vielen Gliedern. Auch das Brotbrechen macht dies ganz deutlich, dass wir gemeinsam Anteil haben an unserm Herrn – das Brotbrechen, das bei uns ja nur noch in einer kleinen Geste während der Einsetzungsworte zum Ausdruck kommt.
Wir wollen hierbei aber ganz klar beachten: Es ist eine Gemeinschaft, die Gott selbst allen schenkt, die das Altarsakrament im Glauben empfangen. Wir sind es nicht, die diese Gemeinschaft selbst machen müssten. Es kommt in Grunde überhaupt nicht darauf an, wie gut wir uns als Gemeinde kennen, ob wir nach dem Gottesdienst noch miteinander reden, wie sympathisch wir uns sind oder ob wir sonst irgendwelche Anstrengungen unternehmen, menschliche Gemeinschaft miteinander zu haben. Versteht mich nicht falsch: Diese menschliche Gemeinschaft ist eine feine Sache; wohl der christlichen Gemeinde, in der die Einheit in Christus auch äußerlich spürbar wird. Aber die Gemeinschaft, die Gott in Christus schafft, ist unendlich tiefer. Verwandtschaft, Freundschaft oder Sympathie fallen weit dahinter zurück. Darum nennen wir Christen uns auch nicht Freunde, sondern wir nennen uns Brüder und Schwestern. Weil wir gemeinsam Anteil an Christus und dem dreieinigen Gott haben, sind wir geistlich miteinander verwandt – Kinder Gottes, eine große Familie!
Wir haben eben gesehen: Das Abendmahl beschenkt uns – unter anderem mit Gemeinschaft untereinander. Es verpflichtet aber auch zugleich. Das können wir klar dem Zusammenhang in diesem Kapitel des 1. Korintherbriefes entnehmen. Das Problem in Korinth war Folgendes: Einige Gemeindeglieder nahmen bewusst solches Fleisch zu sich, das in heidnischen Tempeln den Götzen geopfert worden war. Paulus machte ihnen klar, dass sich das nicht mit der Gemeinschaft in Christus vereinen lässt. Die Gemeinschaft in Christus, die sich im Abendmahl auf wunderbare Weise vollzieht und zeigt, lässt sich nicht vereinen mit Götzen-Gemeinschaft.
Nun ist das kaum unser Problem. Aber es gibt auch für uns eine Menge Gelegenheiten, wo sich unsere Gemeinschaft mit Christus zu bewähren hat. Wer mit Christus eins ist, kann sich nicht einfach so durchs Leben treiben lassen. Er wird vielmehr den sehnlichen Wunsch und Willen haben, dass dieser Herr sein Leben gestaltet. Wie gesagt, hier könnten unzählige Beispiele genannt werden. Ich möchte nur eines herausgreifen, das uns der zweite Vers ins Bewusstsein ruft: Wie uns das Heilige Abendmahl mit der Gemeinschaft mit anderen Christen beschenkt, so verpflichtet uns diese Gemeinschaft auch. Wer Christus seinen Herrn nennt und mit mir zum Tisch des Herrn tritt, den muss ich als meinen Bruder ansehen, gleich ob er mir sympathisch ist oder nicht, gleich ob er meine Anschauungen teilt oder ganz andere hat.
Hier zeigt sich, ob wir mit der Gemeinschaft in Christus wirklich ernst machen. Es kommt nämlich schnell vor, dass wir anderen das Christsein absprechen, auch wenn sie mit uns zum Abendmahl gehen. Das hört man immer wieder: Der verhält sich nicht wie ein Christ! Oder: Das will ein Christ sein? Da möchte ich zurückfragen: Verhältst du dich immer wie ein Christ? Und hängt dein Christsein etwa von deinem Verhalten ab? Nicht doch, sondern Christus macht uns elende Sünder zu Christen, indem er mit uns Gemeinschaft hat! Wer wollte behaupten, dass die Sünden des Nächsten schlimmer sind als die eigenen? Vielleicht sind die eigenen nur besser getarnt, sodass man sie am Ende selbst nicht mehr merkt? Liebe Gemeinde, ein Christ ist doch ein Sünder, der seine Sünde loswerden möchte und deshalb zu Christus geht, immer wieder. Deshalb sprich deinem Bruder oder deiner Schwester am Abendmahlstisch niemals das Christsein ab. Wenn du meinst, er lebt in Sünde, dann tu, was Christus uns gebietet: Geh zu ihm hin und ermahne ihn unter vier Augen. Wenn es wirklich Sünde ist und wenn er auf die Stimme seines Herrn hört, wird er seine Schuld bereuen und versuchen, sich zu bessern. Wenn du aber nicht hingehst und im Stillen denkst: das ist kein Christ, oder wenn du gar anderen diese Meinung kundtust, dann bist du der Sünder und hast es nötig, umzukehren und Buße zu tun! Erst wenn ein offenkundiger Sünder nach mehrfacher Ermahnung nicht zur Buße findet, dann soll man ihn wie einen Nichtchristen ansehen; so will es unser Herr. Dann aber soll er auch nicht mehr das Abendmahl empfangen, damit er es sich nicht zum Gericht nimmt. Denn dann hätten der Leib und das Blut Christi eine verheerende Wirkung bei ihm – so wie eine Spenderniere, die vom Organismus abgestoßen wird.
Liebe Gemeinde, wir wollen uns heute wieder neu beschenken lassen mit der wunderbaren Gemeinschaft unseres Herrn Jesus Christus, die im Abendmahl den höchsten Ausdruck findet. Wir wollen dabei die Gemeinschaft als Brüder und Schwestern untereinander als kostbare Gabe von Gott annehmen. Alles Misstrauen aber und alles, was diese Gemeinschaft in Frage stellt, wollen wir außen vor lassen. Amen.
PREDIGTKASTEN |