Ein Tatmensch lernt von seinem Herrn

Predigt über Johannes 21,1‑14 zum Sonntag Quasimodogeniti

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wir Deutschen sind Tat­menschen. Wir haben immer etwas zu tun. Wir packen‘s an. Wir stellen etwas auf die Beine. Wir versuchen, die Dinge in den Griff zu bekommen. Am Arbeits­platz wird das zur Notwendig­keit, um die Stelle zu behalten oder um unter dem Druck der Konkurrenz wirtschaft­lich überleben zu können. Im privaten Bereich lassen Wohnung und Garten viele nicht zur Ruhe kommen. Auch in der Kirchen­gemeinde packt mancher tüchtig mit an. Vom Pastor wird dabei erwartet, dass er den Laden in Schwung hält. Ja, wir Deutschen sind Tatmenschen und unter­scheiden uns in dieser Hinsicht von manchen anderen Völkern, die eher bedächtig und ruhig sind.

Der Apostel Petrus war in dieser Hinsicht sehr deutsch. Er erwies sich in allen Lebenslagen als Tatmensch, soviel wir von ihm wissen. Als Jesus ihn einst zum Menschen­fischer berief, da fackelte er nicht lange, ließ alles stehen und ging sogleich mit Jesus mit. Als er später auf einem Berg Jesus verklärt sah und Mose und Elia bei ihm, da hatte er schon die Ärmel hoch­gekrempelt und wollte den dreien Hütten zu bauen. Und als man Jesus gefangen nahm, da war er nicht zu bremsen, da haute er mit seinem Schwert los, dass die Fetzen flogen.

Auch in der Geschichte, die wir eben gehört haben, macht Petrus seinem Image als Tatmensch alle Ehre. Nach den aufregenden Ereignissen des Auf­erstehungs­tages war er zusammen mit den anderen Jüngern von Jerusalem in seine alte Heimat Galiläa zurück­gekehrt; so hatte es ihnen der Auf­erstandene ja auf­getragen. Wir wissen nicht, wieviel Zeit zwischen dem Ostermorgen und dieser Begebenheit verstrichen war, es waren vielleicht ein oder zwei Wochen. Jedenfalls befanden sich die Jünger in einer Art Wartestand: Sie warteten auf neue Weisungen ihres auf­erstandenen Herrn.

Warten ist allerdings nicht gerade die Stärke eines Tat­menschen. Petrus kribbelte es in den Fingern, er konnte nicht länger ohne Be­schäftigung herum­sitzen. Darum ergriff er die Initiative und überredete sechs andere Jünger, mit ihm Fische zu fangen. Damit beginnt unser Bericht. Diese sieben Jünger fuhren also hinaus auf den See Genezareth, hier „See Tiberias“ genannt, zu einem nächtlichen Fischzug. Sie machten es so, wie sie es von früher her gewohnt waren; als Fischer waren sie Nacht­arbeiter. Mit einer Fackel wurden die Fische an die Stelle gelockt, wo das Netz war. (Noch heute fischt man nachts im See Ge­nezareth.) Petrus und seine Freunde waren mal wieder so richtig in ihrem Element, sie konnten ordentlich zupacken. Doch der Erfolg blieb aus: Sie fingen absolut nichts. Ja, so geht es den Tat­menschen: Ihre Mühe ist zuweilen vergeblich. Ob Petrus daran gedacht hat, dass es ihm vor ein paar Jahren so ähnlich ergangen war? Und dann hatten sie tags darauf einen Rekordfang gehabt, als sie auf Jesu Geheiß noch einmal ausgefahren waren. Ja, dieser Misserfolg war kein Zufall, sondern Jesus hat ihn so gefügt, um damit sein erneutes Erscheinen als Auf­erstandener vor­zubereiten. Das war ja seine Art: Er erschien mit denselben Zeichen, die er auch schon zuver gegeben hatte und die nun zu Erkennungs­zeichen wurden. Die Emmaus­jünger hatten ihn am Brotbrechen erkannt, Thomas an den Nägelmalen; Petrus und seine Gefährten sollten ihn nun am wunderbaren Fischzug wieder­erkennen.

Petrus sah im Morgen­grauen eine Gestalt am Ufer, die ihnen zurief: „Kinder, habt ihr nichts zu essen?“ Ob Petrus da schon stutzig wurde? Die Anrede „Kinder“ gebrauchte ein Rabbi oft für seine Jünger! Petrus‘ Antwort ist kurz: „Nein!“ Nun gab der morgend­liche Strand­läufer Anweisung, dass sie nochmals hinaus­fahren und das Schleppnetz auf der rechten Seite des Bootes auswerfen sollen. Ob Petrus jetzt etwas ahnte? Jedenfalls taten sie wie befohlen – und machten einen großartigen Fang! Das Netz wurde brechend voll. Nun war Petrus gewiss, dass es Jesus ist. Das setzte ihn als Tatmenschen sogleich in Bewegung. Er brachte seine Kleidung in Ordnung und stürzte sich in den See, um zu Jesus zu gelangen. Zweihundert Ellen maß die Entfernung zum Land, das sind ungefähr l00 Meter. Petrus, der Aktive, setzte an zum l00-Meter-Kraulen! Er war beseelt von dem Gedanken, seinem Herrn zu begegnen. Vielleicht hatte er, der Praktiker, auch nicht vergessen, dass Jesus etwas zu essen haben wollte. Also nichts wie hin und ein anständiges Frühstück für ihn zubereitet! Aber als Petrus am Ufer anlangte, musste er fest­stellen, dass Jesus seinerseits bereits für sie Frühstück gemacht hatte. Da brieten Fische am Grill, und ein Brot lag bereit. Jesus, der Gast, wird zum Gastgeber! Das Mahl wurde ergänzt durch den Fischfang der Jünger. Nun teilte Jesus das Brot aus, wie er's immer gemacht hatte. Auch dies wurde zum Erkennungs­zeichen, sodass alle merkten: Es ist der Herr! Niemand brauchte ihn zu fragen, und niemand wagte es.

Wir können in dieser Geschichte eine ganze Menge beobachten. Zunächst einmal ist sie eine weitere Perle in der Kette der Auf­erstehungs­zeugnisse. Sie macht uns in unserer österlichen Freude und in unserem Glauben desto gewisser. Dann aber können wir an Petrus auch sehr fein ablesen, wie sein Tatendrang ins Leere verpufft, wie eigentlich Jesus der Handelnde ist. Weder der nächtliche Fischzug noch die l00 Meter Kraul­schwimmen haben irgendetwas gebracht, aber auf Jesu Geheiß wurde eine Riesenmenge Fische gefangen, und an Jesu Frühstücks­tisch wurden sieben hungrige Jünger satt! Jesus schimpfte nicht mit Petrus wegen dessen Übereifer, er zeigte ihm nur etwas. Er zeigte ihm, wer hier wirklich handelt, wer wirklich der Herr ist. Jesus ist ja nicht nur der Auf­erstandene, sondern der auf­erstandene Herr, der alle Fäden in der Hand hat. Ohne ihn können die Jünger nichts tun, denn an seinem Segen ist alles gelegen. Ja, so lehrte der Herr es seine Jünger bei dieser Begegnung.

Sind auch wir bereit, als Jünger des Auf­erstandenen von unserem Herrn zu lernen?

Wir deutschen Tatmenschen lernen erstens aus dieser Geschichte: „An Gottes Segen ist alles gelegen.“ Manchmal können wir uns um unser tägliches Brot und um andere Dinge des Lebens mühen, soviel wir wollen, und es kommt doch nicht viel dabei heraus. Auch wir „fischen“ manchen Tag und manche Nacht vergeblich. Und dann können wir ein anderes Mal merken, wie uns ohne große Mühe etwas zufällt. Das ist dann eigentlich kein Zufall, sondern eine Lektion unseres Herrn. Er zeigt uns dann damit: Mach dir keine Sorgen, weder um Speise noch um Kleidung noch um Wohnung noch um deine Gesundheit! Solche Sorgen machen sich die Heiden, du aber kannst in allem fröhlich deinem Gott vertrauen. Von ihm allein hängt ab, wie gut es dir geht; er ist der Geber aller Gaben. Wenn wir diese Lektion lernen, dann können Herz und Mund nicht leer bleiben von Dank, denn dann wissen wir: In Wahrheit haben wir es uns nicht selbst erarbeitet, sondern es ist alles seine Gabe. Ja, dankt ihm dafür, nicht nur fürs Essen mit dem Tischgebet, sondern auch für die neue Hose und das Paar Schuhe, für den Feierabend, für den Urlaub, für dein Hobby, für dein Auto, für dein Haus, für deinen Computer und für alles, was du sonst noch so hast.

Zweitens können wir von der Geschichte lernen: Jesus ist nicht Gast in unserem Leben, sondern wir sind seine Gäste. Das gilt nicht nur für das tägliche Brot, sondern vor allem auch für die geistliche Nahrung, die wir bekommen. Es wäre verkehrt zu meinen, wir könnten Jesus mit ein paar frommen Übungen einen Gefallen tun, mit Andachten, Gottesdienst­besuchen und Abendmahls­gängen. Nein, vielmehr lädt er uns ein zu seinem Tisch, wie er die Jünger damals zum Frühstück lud. Wir leben davon, dass er uns speist. Wir können nur deshalb an ihn glauben, weil er uns mit dem Heiligen Geist durch sein Wort und Sakrament erleuchtet hat. Kein noch so fleißiger Tatmensch kann sich den Glauben erarbeiten oder verdienen, man kann ihn sich nur tatenlos schenken lassen. Alles Hin­schwimmen-Wollen zu Jesus, aller fromme Aktivismus hilft letztlich nichts, wenn man sich nicht ganz einfach von Jesus speisen lässt. Die heilige Taufe an kleinen Kindern zeigt das wunder­schön: Da kommt Christus zu einem Menschen­kind, das nach unseren Maßstäben überhaupt noch keine Aktivitäten entwickeln kann. Es kann nicht mehr tun, als alles einfach an sich geschehen zu lassen. Seht, genau das ist der Glaube: Alles von Gott an sich geschehen lassen – sein Wort, sein Sakrament, die Sünden­vergebung. Glaube ist eigentlich eine ganz und gar passive Sache, das müssen wir deutschen Tatmenschen uns gründlich hinter die Ohren schreiben.

Auch wenn uns der Glaube dann in Bewegung setzt zum Tun des Guten, bleibt Christus der Handelnde. Nichts können wir von uns aus Gutes tun, alles muss Christus machen, in uns und durch uns. Der Fischzug der Jünger wird oft mit dem Werk der Mission verglichen, und das ist ein guter Vergleich: Immerhin ist ja das Wort „Menschen­fischer“ in diesem Sinn zu verstehen. Und die l53 Fische im Netz lassen sich auf die l53 damals bekannten Fischarten im See deuten und werden dann Sinnbild für den Auftrag, die Botschaft des Auf­erstandenen in die ganze Welt zu tragen. Es gibt in Hermanns­burg eine sogenannten „Gruppe l53“, die an diesen Gedanken anknüpft. Aber auch die Mission sowie alles andere Tun von Menschen für Gottes Reich hat nur dann einen Sinn, wenn Christus als der Handelnde anerkannt wird, wir aber nur seine aus­führenden Organe sind. Die Jünger haben eine ganze Nacht lang nach allen Regeln der Kunst gefischt und nichts gefangen. Als aber Jesus sie zu einem neuen Fang aufforderte – scheinbar zur Unzeit – da fingen sie Fische die Fülle. So können wir es oft erleben: Da sind Gottes­dienste trotz alles Einladens und Mühens schlecht besucht, ebenso andere Gemeinde­veranstaltun­gen. Und da kommen anderer­seits plötzlich unverhofft ganz viele zusammen, sodass kaum Platz genug für alle ist – so, wie die Netze des Petrus beinahe zerissen sind von den vielen Fischen! Ein anderes Beispiel: Da gehören die Pastoren in Deutschland zu den best­ausgebilde­ten und best­bezahlten der Welt, aber die Christen nehmen ab in unserem Land. Ja, mit unsrer Macht ist nichts getan. Und da hört man auf der anderen Seite von dürftig aus­gebildeten Predigern in Indien, China oder Afrika, die blühende und wachsende Gemeinden um sich scharen. Christus ist es, der solche Wunder tut!

Liebe Gemeinde, dass wir Tatmenschen sind, ist nicht schlecht. Lasst uns aber folgende Gefahr nicht übersehen: Tatmenschen neigen dazu, ihr eigenes Tun zu über­schätzen. Wir müssen uns das ganz klar machen: An unserm Tun liegt gar nichts, an Jesu Tun liegt alles. Daraus folgt: Lassen wir es zuerst immer wieder geschehen, dass er an uns handelt – durch sein Wort und Sakrament. Wenn wir danach selbst etwas tun, so lasst es uns auf sein Geheiß hin tun und nach seinem Gebot. Lasst uns dabei immer mit Bitten und Danken auf sein Tun schauen und das eigene Tun gering achten, dann werden wir rechte Jünger unseres Herrn sein. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1987.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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