Nicht umsonst glauben

Predigt über 1. Korinther 15,1‑8 zum Ostersonntag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wisst ihr, was ein Placebo ist? Ein Placebo ist ein Schein­medikament. Es sieht wie ein hoch­wirksames pharma­zeutisches Produkt aus, aber es enthält keinerlei Wirkstoffe. Solche Placebos werden bei bestimmten Er­krankun­gen mit Erfolg eingesetzt, weil die Einbildungs­kraft des Patienten ausreicht, um Besserung zu erzielen.

Manche Menschen halten das Evangelium für ein Placebo. Ich denke jetzt nicht an Religions­kritiker, sondern an solche, die sich durchaus selbst als Christen bezeichnen. Sie argu­mentieren ungefähr so: Das Wichtigste am Christentum ist die Botschaft. Welche Tatsachen dahinter stehen, kann man nicht ergründen, aber die Botschaft selbst macht ja schon froh: die Botschaft, dass Gott uns Menschen liebt, dass Jesus auf­erstanden ist und lebt. Lasst uns an dieser Botschaft Freude haben, dann wird es in dieser dunklen Welt schon heller werden – so sagen die Placebo-Christen.

Nehmt mir den Vergleich nicht übel, aber wenn unser Glaube wirklich nicht mehr wäre, dann steht das Evangelium von Jesus Christus auf der gleichen Stufe wie der Osterhase. Der macht ja auch die Menschen froh (zumindest die Kinder), wenn er uns dieser Tage wieder in tausenden von Variationen begegnet. Übrigens wollen Göttinger Germanisten herausgefunden haben, wie es zum Osterhasen gekommen ist: Un­geschickte deutsche Bäcker hätten im Jahre 1750 derart missratene Osterlämmer gebacken, dass die Käufer sie wegen der langen Ohren und der kurzen Beine für Hasen hielten. Egal ob Osterhase, Osterlamm oder Gotteslamm – für Placebo-Christen ist das alles einerlei; Hauptsache, die Botschaft erfreut die Menschen und motiviert sie, nett zueinander zu sein.

Aber nun haben wir ja zum Glück den Apostel Paulus, der uns in der Oster­epistel daran erinnert, was das Evangelium von Jesus Christus wirklich ist. Er schrieb: „Ich erinnere euch an das Evan­gelium.“ Lassen wir uns von ihm erinnern! Machen wir uns einen dicken Knoten ins Taschen­tuch! Lassen wir uns auch durch die Oster­feiertage erinnern und durch die österliche Freuden­zeit! Lassen wir uns durch jeden Sonntag daran erinnern, denn der Sonntag ist ja deshalb zum weltweiten wöchent­lichen Feiertag geworden, weil Jesus an einem ersten Tag der Woche auf­erstanden ist!

Paulus schrieb den 1. Ko­rinther­brief an eine christliche Gemeinde, in der das Evangelium zu einem Placebo zu verkümmern drohte. Es gab zwar viele Aktivitäten in dieser Gemeinde, viel Mitarbeit und viel kluge Theologie. Es gab sogar Leute, die ausflippten vor lauter Frömmig­keit. Aber genau da lag das Problem: Die Botschaft wurde zur Droge. Unterdessen gab es Zweifel in der Gemeinde, ob denn die Toten wirklich auf­erstehen. Da erinnerte sie Paulus – nicht an irgendeine Oster­botschaft, sondern an das, was zu Ostern wirklich geschah: Christus ist für unsere Sünden gestorben, begraben worden und wieder auf­erstanden.

Darin ist alles enthalten, was das Evangelium zum Evangelium macht. Das leere Grab und der auf­erstandene Herr beweisen:

  1. Jesus war wirklich tot; er hat wirklich unsere Strafe getragen: den Tod, der Sünde Sold.
  2. Gott hat das Opfer seines Sohnes angenommen und ihn deswegen wieder auferweckt; wir dürfen sicher sein, dass beim himmlischen Vater unser Schulden­konto getilgt ist.
  3. Jesus ist lebendig – gestern, heute und in Ewigkeit; wir haben einen lebendigen Herrn, der hier unter uns anwesend ist.
  4. Christus hat gezeigt, dass die Auf­erstehung der Toten grund­sätzlich möglich ist und dass wir daher an unserer eigenen Auf­erstehung nicht zweifeln müssen.

Diese Aussagen stehen und fallen mit den Fakten, die das Evangelium aussagt. Die Botschaft ohne Fakten kann nichts ausrichten. Ja, diese Aussagen stehen mit den Fakten – fallen tun sie eigentlich nicht. Denn Paulus zeigt hier überzeugend, dass die Fakten stehen. Er schrieb: „gestorben – nach der Schrift“, und: „auf­erstanden – nach der Schrift“. Im Alten Testament ist es vorher­gesagt worden, und Jesus hat es selbst an­gekündigt. Und dann nennt Paulus noch einen Haufen von Augen­zeugen, von denen die meisten zur Zeit der Abfassung des 1. Ko­rinther­briefs noch leben und nach Bedarf von den Skeptikern in Korinth befragt werden können: Petrus (genannt Kephas), der Zwölfer­kreis, fünfhundert Gemeinde­glieder, Jesu Bruder Jakobus und diejenigen, die in der Ur­christen­heit im weiteren Sinne „Apostel“ genannt wurden. Schließlich hat Paulus selbst Jesus leibhaftig vor sich gesehen – noch nach dessen Himmelfahrt in einer Er­scheinung; deshalb nennt er sich eine „unzeitige Geburt“. Er will gar nicht, dass man ihm wegen dieser Vision oder wegen seiner klugen Gedanken glaubt, und darum schreibt er: Ich habe ja auch nur das weiter­gegeben, was ich empfangen habe.

Das, liebe Gemeinde, ist die Garantie dafür, dass wir nicht eine Botschaft mit zweifel­haftem geschicht­lichen Hintergrund haben, sondern eine zu­verlässige Über­lieferung von Fakten: Paulus gibt Augen­zeugen­berichte weiter. Und selbst die Formu­lierung, mit der es tut, ist wahr­scheinlich nicht selbst erdacht, sondern von Anfang an christ­liches Allgemein­gut: „Christus ist gestorben für unsere Sünden nach der Schrift, begraben und auf­erstanden am dritten Tage nach der Schrift.“ Das sind Worte, die wir bis zum heutigen Tag im Glaubens­bekenntnis sprechen. Diese Formu­lierungen sind einfach immer weiter­gegeben worden – treu und zu­verlässig: durch die Zeit der grie­chischen Kirchen­väter, durch die Zeit der latei­nischen Kirchen­väter, durchs Mittel­alter, durch die Re­formations­zeit und durch die Zeit der Aufklärung bis in unsere Tage. Selbst moderne Theologen, die mehr oder weniger ein Placebo-Christentum vertreten, können im Angesicht dieser Tradition und dieser Zeugen nicht leugnen: Die Apostel müssen tatsächlich überzeugt davon gewesen sein, dass das Grab leer war und Jesus ganz real leibhaftig vor ihnen gestanden hat. So urteilen sie jedenfalls über die ent­sprechenden biblischen Texte. Schade nur, dass sie es selbst nicht glauben wollen.

So ist also die Botschaft des Evangeliums nur das äußere Mittel, durch das die Wirkkraft vom Tod und von der Auferstehung Jesu heute zu uns kommt. Nicht unser Glaube ist für sich selbst etwas, sondern er ist nur etwas in Verbindung mit der Botschaft. Und: Nicht die Botschaft ist für sich selbst etwas, sondern sie ist nur etwas in Verbindung mit den in ihr ausgesagten Tatsachen.

Was bedeutet das für unsern Glauben? Paulus sagt es den Korinthern klipp und klar: Festhalten! Sonst ist der Glaube vergeblich. Paulus erinnert an das Evangelium, „das ich euch verkündet habe, das ihr auch agenommen habt, in dem ihr auch fest steht, durch das ihr auch selig werdet, wenn ihr's festhaltet in der Gestalt, in der ich's euch verkündigt habe; es sei denn, dass ihr umsonst gläubig geworden wärt.“ In der Gestalt festhalten, wie Paulus es verkündet hat – nämlich als Augen­zeugen‑ und Tatsachen-Evangelium, nicht als eine Placebo-Botschaft, die grund­sätzlich auch durch den Osterhasen ersetzbar wäre.

Zugegeben, liebe Gemeinde, für das alltägliche Leben würde vielleicht auch ein Placebo-Evangelium ausreichen. Viele sind in der Tat damit ganz zufrieden damit. Wenn es nicht ums Seligwerden ginge, wie Paulus sagt, sondern nur um ein bisschen Lebenhilfe, dann wäre es wirklich nicht so wichtig, ob Jesus leibhaftig auf­erstanden ist oder nicht. Wenn es aber kritisch wird im Leben, dann reicht das Placebo-Evangelium nicht, und wenn es um Tod und Leben geht, dann erst recht nicht. Dann kann man sehr schnell merken, ob sich hier einer nur seines eigenen Glaubens tröstet oder ob er weiß, dass er vom lebendigen Jesus Christus getröstet wird.

Wenn deine Pläne und Träume fürs Leben wie Seifen­blasen zerplatzen, und die Auf­erstehung und die ewige Seligkeit stehen dann nicht als leuchtende und reale Hoffnung vor deinen Augen, dann ist dein Leben verpfuscht, da nutzen alle frommen Worte nichts. Wenn du deinen Sohn oder deine Tochter zu Grabe tragen musst, und du weißt nicht um die Kraft von Kreuz und Auf­erstehung, dann wird dir alles Reden von Gottes Liebe wie blanker Hohn vorkommen. Wenn du schwer krank bist, und du weißt nichts davon, dass Jesus Seele und Leib gesund macht, dann kann dir eine fromme Geschichte die Angst nicht nehmen. Und wenn du einmal den Tod vor Augen hast, aber Ostern ist für dich nichts weiter als eine Botschaft, dann bleibt der Tod das dunkle, schwarze Loch, aus dem noch niemand zurück­gekommen ist.

Nein, die Oster­botschaft hilft uns nur, wenn wir sie festhalten, wie sie uns die Apostel überliefert haben: nicht nur als freuden­bringende, sondern als lebens­rettende Tatsache. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1987.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

PREDIGTKASTEN

►  Startseite

►  Impressum