Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Wisst ihr, was ein Placebo ist? Ein Placebo ist ein Scheinmedikament. Es sieht wie ein hochwirksames pharmazeutisches Produkt aus, aber es enthält keinerlei Wirkstoffe. Solche Placebos werden bei bestimmten Erkrankungen mit Erfolg eingesetzt, weil die Einbildungskraft des Patienten ausreicht, um Besserung zu erzielen.
Manche Menschen halten das Evangelium für ein Placebo. Ich denke jetzt nicht an Religionskritiker, sondern an solche, die sich durchaus selbst als Christen bezeichnen. Sie argumentieren ungefähr so: Das Wichtigste am Christentum ist die Botschaft. Welche Tatsachen dahinter stehen, kann man nicht ergründen, aber die Botschaft selbst macht ja schon froh: die Botschaft, dass Gott uns Menschen liebt, dass Jesus auferstanden ist und lebt. Lasst uns an dieser Botschaft Freude haben, dann wird es in dieser dunklen Welt schon heller werden – so sagen die Placebo-Christen.
Nehmt mir den Vergleich nicht übel, aber wenn unser Glaube wirklich nicht mehr wäre, dann steht das Evangelium von Jesus Christus auf der gleichen Stufe wie der Osterhase. Der macht ja auch die Menschen froh (zumindest die Kinder), wenn er uns dieser Tage wieder in tausenden von Variationen begegnet. Übrigens wollen Göttinger Germanisten herausgefunden haben, wie es zum Osterhasen gekommen ist: Ungeschickte deutsche Bäcker hätten im Jahre 1750 derart missratene Osterlämmer gebacken, dass die Käufer sie wegen der langen Ohren und der kurzen Beine für Hasen hielten. Egal ob Osterhase, Osterlamm oder Gotteslamm – für Placebo-Christen ist das alles einerlei; Hauptsache, die Botschaft erfreut die Menschen und motiviert sie, nett zueinander zu sein.
Aber nun haben wir ja zum Glück den Apostel Paulus, der uns in der Osterepistel daran erinnert, was das Evangelium von Jesus Christus wirklich ist. Er schrieb: „Ich erinnere euch an das Evangelium.“ Lassen wir uns von ihm erinnern! Machen wir uns einen dicken Knoten ins Taschentuch! Lassen wir uns auch durch die Osterfeiertage erinnern und durch die österliche Freudenzeit! Lassen wir uns durch jeden Sonntag daran erinnern, denn der Sonntag ist ja deshalb zum weltweiten wöchentlichen Feiertag geworden, weil Jesus an einem ersten Tag der Woche auferstanden ist!
Paulus schrieb den 1. Korintherbrief an eine christliche Gemeinde, in der das Evangelium zu einem Placebo zu verkümmern drohte. Es gab zwar viele Aktivitäten in dieser Gemeinde, viel Mitarbeit und viel kluge Theologie. Es gab sogar Leute, die ausflippten vor lauter Frömmigkeit. Aber genau da lag das Problem: Die Botschaft wurde zur Droge. Unterdessen gab es Zweifel in der Gemeinde, ob denn die Toten wirklich auferstehen. Da erinnerte sie Paulus – nicht an irgendeine Osterbotschaft, sondern an das, was zu Ostern wirklich geschah: Christus ist für unsere Sünden gestorben, begraben worden und wieder auferstanden.
Darin ist alles enthalten, was das Evangelium zum Evangelium macht. Das leere Grab und der auferstandene Herr beweisen:
Diese Aussagen stehen und fallen mit den Fakten, die das Evangelium aussagt. Die Botschaft ohne Fakten kann nichts ausrichten. Ja, diese Aussagen stehen mit den Fakten – fallen tun sie eigentlich nicht. Denn Paulus zeigt hier überzeugend, dass die Fakten stehen. Er schrieb: „gestorben – nach der Schrift“, und: „auferstanden – nach der Schrift“. Im Alten Testament ist es vorhergesagt worden, und Jesus hat es selbst angekündigt. Und dann nennt Paulus noch einen Haufen von Augenzeugen, von denen die meisten zur Zeit der Abfassung des 1. Korintherbriefs noch leben und nach Bedarf von den Skeptikern in Korinth befragt werden können: Petrus (genannt Kephas), der Zwölferkreis, fünfhundert Gemeindeglieder, Jesu Bruder Jakobus und diejenigen, die in der Urchristenheit im weiteren Sinne „Apostel“ genannt wurden. Schließlich hat Paulus selbst Jesus leibhaftig vor sich gesehen – noch nach dessen Himmelfahrt in einer Erscheinung; deshalb nennt er sich eine „unzeitige Geburt“. Er will gar nicht, dass man ihm wegen dieser Vision oder wegen seiner klugen Gedanken glaubt, und darum schreibt er: Ich habe ja auch nur das weitergegeben, was ich empfangen habe.
Das, liebe Gemeinde, ist die Garantie dafür, dass wir nicht eine Botschaft mit zweifelhaftem geschichtlichen Hintergrund haben, sondern eine zuverlässige Überlieferung von Fakten: Paulus gibt Augenzeugenberichte weiter. Und selbst die Formulierung, mit der es tut, ist wahrscheinlich nicht selbst erdacht, sondern von Anfang an christliches Allgemeingut: „Christus ist gestorben für unsere Sünden nach der Schrift, begraben und auferstanden am dritten Tage nach der Schrift.“ Das sind Worte, die wir bis zum heutigen Tag im Glaubensbekenntnis sprechen. Diese Formulierungen sind einfach immer weitergegeben worden – treu und zuverlässig: durch die Zeit der griechischen Kirchenväter, durch die Zeit der lateinischen Kirchenväter, durchs Mittelalter, durch die Reformationszeit und durch die Zeit der Aufklärung bis in unsere Tage. Selbst moderne Theologen, die mehr oder weniger ein Placebo-Christentum vertreten, können im Angesicht dieser Tradition und dieser Zeugen nicht leugnen: Die Apostel müssen tatsächlich überzeugt davon gewesen sein, dass das Grab leer war und Jesus ganz real leibhaftig vor ihnen gestanden hat. So urteilen sie jedenfalls über die entsprechenden biblischen Texte. Schade nur, dass sie es selbst nicht glauben wollen.
So ist also die Botschaft des Evangeliums nur das äußere Mittel, durch das die Wirkkraft vom Tod und von der Auferstehung Jesu heute zu uns kommt. Nicht unser Glaube ist für sich selbst etwas, sondern er ist nur etwas in Verbindung mit der Botschaft. Und: Nicht die Botschaft ist für sich selbst etwas, sondern sie ist nur etwas in Verbindung mit den in ihr ausgesagten Tatsachen.
Was bedeutet das für unsern Glauben? Paulus sagt es den Korinthern klipp und klar: Festhalten! Sonst ist der Glaube vergeblich. Paulus erinnert an das Evangelium, „das ich euch verkündet habe, das ihr auch agenommen habt, in dem ihr auch fest steht, durch das ihr auch selig werdet, wenn ihr's festhaltet in der Gestalt, in der ich's euch verkündigt habe; es sei denn, dass ihr umsonst gläubig geworden wärt.“ In der Gestalt festhalten, wie Paulus es verkündet hat – nämlich als Augenzeugen‑ und Tatsachen-Evangelium, nicht als eine Placebo-Botschaft, die grundsätzlich auch durch den Osterhasen ersetzbar wäre.
Zugegeben, liebe Gemeinde, für das alltägliche Leben würde vielleicht auch ein Placebo-Evangelium ausreichen. Viele sind in der Tat damit ganz zufrieden damit. Wenn es nicht ums Seligwerden ginge, wie Paulus sagt, sondern nur um ein bisschen Lebenhilfe, dann wäre es wirklich nicht so wichtig, ob Jesus leibhaftig auferstanden ist oder nicht. Wenn es aber kritisch wird im Leben, dann reicht das Placebo-Evangelium nicht, und wenn es um Tod und Leben geht, dann erst recht nicht. Dann kann man sehr schnell merken, ob sich hier einer nur seines eigenen Glaubens tröstet oder ob er weiß, dass er vom lebendigen Jesus Christus getröstet wird.
Wenn deine Pläne und Träume fürs Leben wie Seifenblasen zerplatzen, und die Auferstehung und die ewige Seligkeit stehen dann nicht als leuchtende und reale Hoffnung vor deinen Augen, dann ist dein Leben verpfuscht, da nutzen alle frommen Worte nichts. Wenn du deinen Sohn oder deine Tochter zu Grabe tragen musst, und du weißt nicht um die Kraft von Kreuz und Auferstehung, dann wird dir alles Reden von Gottes Liebe wie blanker Hohn vorkommen. Wenn du schwer krank bist, und du weißt nichts davon, dass Jesus Seele und Leib gesund macht, dann kann dir eine fromme Geschichte die Angst nicht nehmen. Und wenn du einmal den Tod vor Augen hast, aber Ostern ist für dich nichts weiter als eine Botschaft, dann bleibt der Tod das dunkle, schwarze Loch, aus dem noch niemand zurückgekommen ist.
Nein, die Osterbotschaft hilft uns nur, wenn wir sie festhalten, wie sie uns die Apostel überliefert haben: nicht nur als freudenbringende, sondern als lebensrettende Tatsache. Amen.
PREDIGTKASTEN |