Maria Magdalena – Reaktionen auf Jesu Auferstehung

Predigt über Johannes 20,11‑18 zum Ostersonntag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Beim ersten Osterfest ging es turbulent zu. Schon früh am Morgen kamen verstörte Frauen zum leeren Grab und sahen, dass der Verschluss­stein weggerollt und Jesus ver­schwunden war. Dann hatten sie eine merkwürdige Erscheinung und gingen wieder. Danach kamen zwei Jünger angerannt, sahen in die Grabeshöhle hinein und verstanden nichts. Plötzlich, so erfahren wir vom Evange­listen Johannes, stand Maria Magdalena wieder am Eingang des Grabes. Es ging so turbulent zu, dass wir heute mit zwei Jahr­tausenden Abstand kaum in der Lage sind, die einzelnen Berichte der vier Evange­listen in eine Reihe zu bekommen. Sie waren ja keine außen­stehenden Geschichts­schreiber, sondern sie waren vielmehr von den Ereignissen persönlich betroffen, ja, bis ins Innerste aufgewühlt. Darum darf es uns nicht wundern, dass ihre Berichte etwas von der Turbulenz und der Verwirrung dieses ersten Ostertages wider­spiegeln. Es muss ein großes Hin und Her am Grab gegeben haben, ein Kommen und Gehen, dazu Tränen, Trauer, Er­schrecken, Un­verständ­nis, Hoffnung und Zweifel. Einen kleinen Ausschnitt aus diesen Oster­wirrnissen bietet der Bericht über Maria Magdalenas Begegnung mit dem Auf­erstande­nen. An dieser Geschichte und an dieser Frau können wir drei Reaktionen ablesen, die die Auf­erstehung Jesu auslöste: erstens Trauer über den ver­schwundenen Jesus, zweitens Freude über die Begegnung mit Jesus, drittens Ausbreitung der Auf­erstehungs­botschaft. Weil dies auch heute noch typische Reaktionen der Nachfolger Jesu auf die Auf­erstehung sind, wollen wir sie uns am Beispiel der Maria Magdalena nun einzeln ansehen.

1. Für Maria begann das fröhlichste Fest der Christen­heit mit Tränen. Sie trauerte um ihren Jesus, den sie lieb gehabt hatte. Und nun konnte sie ihm nach diesem ent­setzlichen Sterben nicht einmal den letzten Liebes­dienst erweisen, den die Menschen ihren ver­storbenen Angehörigen üblicher­weise taten: Sie konnte ihn nicht einmal mehr ein­balsamie­ren. Der Leichnam Jesu war weg, und niemand wusste, wo er hingekommen war. Noch einmal schaute sie mit tränenden Augen in die Grabes­höhle: Nein, der Körper Jesu blieb ver­schwunden. So verstört war Maria, dass sie sich nicht einmal über die beiden weiß gekleideten Männer wunderte, die an der Grabstätte saßen, und über ihre Frage: „Warum weinst du?“ Nur eins konnte Maria jetzt denken: Jesus war weg! So erwiderte sie: „Sie haben meinen Herrn weg­genommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.“ Draußen vor dem Grab sah sie dann durch ihre tränen­verquolle­nen Augen eine Gestalt, die sie für einen Gärtner hält. Den bat sie: „Herr, hast du ihn weg­getragen, so sage mir, wo hast du ihn hingelegt, so will ich ihn holen.“ Da steht Maria nun vor dem Auf­erstandenen und weiß es nicht! Sie weint und trauert und sucht einen toten Jesus, den es gar nicht mehr gibt.

Manchmal gewinnt man den Eindruck, einige Christen haben immer noch nicht mit­bekommen, dass Jesus auf­erstanden ist. Wie Maria gehen sie klagend und trauernd umher. Der Philosoph Nietzsche hat seinen Unglauben einmal damit begründet, dass ihm die Christen nicht erlöst genug aussehen. Da ist etwas Wahres dran. Um wieviele alltägliche Dinge machen wir uns Sorgen! Wie trauern wir um den Tod von Menschen, so als gäbe es keine Auf­erstehung! Oder wie schwarz sehen wir oft für die Zukunft der Kirche! Man könnte meinen, Jesus sei im Tod geblieben. Dabei steht doch hinter uns als Kirche und hinter jedem einzelnen von uns der mächtige, lebendige, auf­erstandene Christus. Welches Problem sollte nicht lösbar sein mit diesem Herrn? Was sollte uns noch aufregen, Angst machen oder verzweifeln lassen, wenn wir wissen, wir gehören zum lebendigen Jesus Christus? Jesus hat unser Haupt­problem, nämlich die Sünde, beseitigt. Er hat Hölle, Tod und Teufel besiegt. Er hat uns den Himmel erworben. Er lebt in Ewigkeit, und wir mit ihm. Was soll uns da die Welt mit ihren ver­gänglichen Sorgen noch schrecken? Über die Kleinheit und Un­vollkommen­heit unseres Christen­lebens, über die Pannen und Miss­verständ­nisse in der Kirche können wir doch nur lachen, wenn wir daran denken, wer der Herr der Kirche ist: Nicht irgendein längst ver­storbener Religions­stifter, den wir mit verstaubten Ritualen gleichsam immer wieder aufs Neue ein­balsamie­ren, sondern eine lebendige Person, die uns anredet und mit der wir reden können. Selbst ein Mann wie Martin Luther musste immer wieder neu darauf gestoßen werden. Als er einmal ganz nieder­geschlagen war, zog seine Frau Käthe Trauer­kleider an. Martin fragte sie, wer gestorben sei. Da erwiderte sie: „Es muss wohl der liebe Gott gestorben sein, weil unser Martin so traurig ist.“ Martin Luther lernte diese Lektion. Ja, unser Herr lebt in Ewigkeit, das sollen auch wir uns immer wieder bewusst machen.

2. Maria Magdalena merkte auch erst durch einen äußeren Anstoß, dass Jesus lebte. Der Auf­erstandene selbst machte ihr das klar. Ein einziges Wort genügte, um Marias Trauer in Freude zu verwandeln: „Maria!“ Was die tränen­geblendeten Augen nicht wahr­genommen hatten, das hörten nun die Ohren: Es war die vertraute Stimme Jesu! Er war es selbst, den sie für den Gärtner gehalten hatte. Was in Maria in diesem Augenblick vorgegangen sein muss, das ist zu gewaltig, als dass wir es erahnen könnten oder es sich in Worte fassen ließe. Maria ist in diesem Moment nur zu einem einzigen Wort fähig. Sie sagt: „Rabbuni“ – „Mein Meister!“ Dann möchte sie ihm am liebsten um den Hals fallen und ihn nie mehr loslassen.

Wohl dem, der sich so freuen kann wie Maria. Wohl dem, der sich so über seinen auf­erstandenen Herrn und Heiland freuen kann wie sie! Wenn wir bedenken, dass der Herr Maria einst von schwerer dämonischer Besessen­heit geheilt hatte, können wir ihre Freude ermessen. Aber auch wir haben großen Grund zur Freude; vielleicht ist uns das nur nicht so bewusst. Auch wir waren ja alle einmal vom Teufel gefangen. Auch wir waren un­entrinn­bar in dieses Netz von Schuld, Leid und Tod verstrickt, das die Menschheit gefangen hält – zur Freude Satans, der uns gerne in der ewigen Gottesferne sähe. Aber dann hat Jesus dich in der Taufe namentlich angeredet, wie er zu Ostern „Maria“ gesagt hat. Er hat sich dir zu erkennen gegeben in seinem Wort – du hast ihn kennen­gelernt als Wunder tuenden, predigen­den, leidenden, sterbenden und schließlich auf­erstandenen Heiland, der für dich und mit dir leben will. Er hat auch für dich dieses unselige Netz des Verderbens zerrissen. Wenn du dir das völlig klar machtest, dann würdest auch du ihm am liebsten um den Hals fallen wollen. Dann würdest du gar nicht mehr aufhören wollen zu beten und zu loben und danken. Dann würdest du begierig auf die nächste Abendmahls­feier warten, wo du seine Güte sogar schmecken kannst. Dann würdest du gar nicht mehr loskommen vom Neuen Testament, und dann könnte dir keine Predigt und kein Gottes­dienst lang genug sein. Manche Menschen empfinden wirklich so, und manche von ihnen gehen ins Kloster, um in der Ab­geschieden­heit ihr Leben lang mit Jesus zusammen zu sein. Möchte Jesus diese innige, liebevolle, dankbare Umarmung, die andere Menschen aus­schließt? Wenn wir unsere Oster­geschichte weiter bedenken, erfahren wir, dass etwas anderes wichtiger ist.

3. Als Maria Jesus um den Hals fallen wollte, antwortete dieser: „Rühre mich nicht an!“ Über dieses berühmte „Noli me tangere“ ist seither viel gerätselt worden. Warum sollte Maria Jesus nicht anfassen dürfen? Er hat das doch wenig später dem ungläubigen Thomas gestattet. Jesus sprach weiter: „Ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater.“ Jesus war der Einzige, der in diesen turbulenten Oster­ereignissen einen klaren Kopf behielt. Wie er es schon lange und oftmals vorher angekündigt hatte, so musste es nun auch erfüllt werden: nach dem Tod die Auf­erstehung, nach der Auf­erstehung die Himmel­fahrt. Jesu Erscheinung als Auf­erstandener vor denen, die ihn liebten, war nur von vorüber­gehender Natur. Deshalb wollte er sich jetzt auch nicht bei Marias Freuden­ausbrüchen aufhalten. Und auch Maria sollte eigentlich schon seit dem frühen Morgen etwas anderes tun. Jesus wiederholte für sie den Auftrag, den der Engel am Grab zuvor allen Frauen gegeben hatte: „Gehe hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.“ Das „Rühre mich nicht an!“ heißt soviel wie: „Halte mich und dich nicht auf! Unsere Begegnung hier kann nur flüchtig sein; wir beide haben noch viel vor.“ Maria ließ sich das sagen. Ob sie ein wenig enttäuscht war, wissen wir nicht. Jedenfalls überwog die Osterfreude alle anderen Gefühle. Und so gehorchte sie denn ihrem Herrn und verkündigte den Jüngern: „Ich habe den Herrn gesehen, und solches hat er zu mir gesagt.“

Nicht nur Maria hat den Auftrag zum Weitersagen bekommen. Später bekamen ihn auch die Jünger; sie sollten die Botschaft vom Auf­erstandenen sogar in alle Welt tragen. Dieser Auftrag gilt bis heute für uns Christen. Und so sollen wir bei aller Freude über Ostern nicht vergessen, dass die Kirche kein Oster­feier­verein ist, sondern eine Schar von Menschen, die die Oster­botschaft und die Osterfreude in die Welt tragen soll. So wohl wir uns in den Gottes­diensten und in der liebevollen Gemein­schaft der Gemeinde auch fühlen mögen, sollten wir nicht Jesus für uns festhalten und allein mit Beschlag belegen wollen. Das Wort vom Auf­erstandenen gehört hinaus­posaunt – in Afrika, in Brasilien und auch hier in Deutsch­land. Wer nicht die Gabe hat, große Worte zu machen, der kann seinen Mitmenschen mit einem fröhlichen Herzen und Gesicht sowie mit einer dankbaren und hilfs­bereiten Haltung zeigen, dass sein Herr auf­erstanden ist und lebt.

Ja, unser Gott lebt, das hat Jesus zu Ostern bewiesen. Bei aller Turbulenz und Verwirrung, die es unter den Jüngern gab und die sich in den Oster­berichten wider­spiegeln, ist doch der Weg und die Botschaft des Auf­erstandenen klar: Er lebt und geht zum Vater. Von dort sendet er den Geist, damit die Seinen im Glauben gestärkt und zum Dienst zugerüstet werden. Sie sollen ja die Botschaft von der Auf­erstehung in die ganze Welt tragen. Lasst uns nicht unsere Zeit mit Jammern, Klagen und Trauern ver­schwenden, sondern lasst uns durch die Kraft dieses Geistes in der rechten Osterfreude leben, und lasst uns diese Freude an andere weiter­geben! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1983.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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