Tradition und Testament

Predigt über 1. Korinther 11,23-29 zum Gründonnerstag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wieder einmal ist die Debatte über die Frage entbrannt, ob der Islam zu Deutschland gehört oder nicht. Die ver­schiedenen Antworten hängen davon ab, was man unter „dazu­gehören“ versteht. Dasselbe gilt übrigens auch für das Christentum. Die meisten Leute werden sagen: Das Christentum gehört zu Deutschland, weil die christliche Tradition jahrhunderte­lang die deutsche Kultur geprägt hat. Dennoch ist das Christentum nicht einfach ein Stück deutscher oder abend­ländischer Kultur, sondern ein Werk Gottes, das die ganze Welt umspannt. Nehmen wir zum Beispiel das Heilige Abendmahl: Man könnte sagen, dass wir das Heiligen Abendmahl feiern, weil es zu unserer christlichen Tradition gehört. Damit ist aber der Sinn und Segen des Altar­sakraments nicht erfasst. Wenn wir zum Tisch des Herrn kommen, tun wir das ja nicht, um nur eine alte Tradition lebendig zu halten, sondern um dem Willen des Herrn zu entsprechen und uns zugleich etwas Gutes zu gönnen, das wir sonst nirgends auf der Welt finden. Wer den Sinn und Segen des Heiligen Abendmahls erkannt hat, der wird immer wieder gern kommen – ganz gleich, ob das in seiner Herkunfts­kultur so üblich ist oder nicht, und ganz gleich, ob er das schon von Jugend an gewohnt ist oder nicht.

Der Abschnitt aus dem 1. Korinther­brief, den wir eben gehört haben, führt uns den Sinn und Segen des Heiligen Abendmahls wunderbar vor Augen. Er gehört zu den zentralen Abendmahls­texten der Bibel. Auch Martin Luther hat diese Stelle im Kleinen Katechismus erwähnt; er sagt dort nämlich vor den Einsetzungs­worten: „So schreiben die heiligen Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und der Apostel Paulus.“ Außer den drei genannten Evangelisten hat der Apostel Paulus hier im 1. Korinther­brief die Worte wieder­gegeben, mit denen Jesus am Vorabend seines Todes das Altar­sakrament stiftete. Aber woher hatte er diese Worte? Aus welcher Quelle schöpfte er sie?

Er selbst schreibt: „Ich habe von dem Herrn empfangen, was ich euch weiter­gegeben habe.“ Das Wort „weiter­geben“ beschreibt, was Tradition ist: Jemand gibt einem anderen etwas weiter, und eine Generation gibt es an die nächste weiter. Tradition ist wie ein Fluss, der immer weiter fließt, von einer Generation zur nächsten. So ist das Evangelium von den Tagen der Apostel bis hin zu uns geflossen, und ebenso die Abendmahls­tradition. Während nun bei vielen weltlichen Traditionen die Quelle des Flusses unbekannt ist, kennen wir beim christlichen Glauben und beim Heiligen Abendmahl die Quelle ganz genau: Es ist der Herr Jesus Christus selbst, auf den es zurückgeht. Hören wir noch einmal Paulus: „Ich habe von dem Herrn empfangen, was ich euch weiter­gegeben habe.“ Sei es, dass der auf­erstandene Christus ihn direkt in einer Vision über das Heilige Abendmahl unterrichtet hat, sei es auch, dass Augen‑ und Ohrenzeugen ihm von den Ereignissen des ersten Grün­donnerstags berichtet haben: Paulus kann bezeugen, dass das Heilige Abendmahl mit diesen Worten vom Herrn persönlich eingesetzt wurde. Damit haben wir Gewissheit, dass unser Abendmahl Christi Abendmahl ist. Wir stützen uns auf die vom Herrn über­lieferten Worte und sorgen dafür, dass auch nachfolgende Generationen auf der Basis dieser Worte das Heilige Abendmahl halten.

In diesen Worten erkennen wir zunächst, dass das Abendmahl von Dank und Lobpreis eingerahmt ist. Als Jesus einst das Brot nahm, dankte er zuerst Gott; er sprach also ein Tischgebet, bevor er das Brot brach und austeilte. Und nach dem Becher Wein, der zum Schluss der Mahlzeit herum­gereicht wurde, sang Jesus mit seinen Jüngern einen Lobgesang – das gehört zwar nicht unmittelbar zu den Einsetzungs­worten dazu, aber die Evangelisten haben uns auch das überliefert. Aus diesem Grund rahmen wir heute noch das Heilige Abendmahl mit liturgischen Gesängen und Gebeten ein. Die edlen Speisen eines Sterne-Restaurants werden ja auch nicht auf Papptellern serviert, sondern auf edlem Geschirr. Die Abendmahls­liturgie ist gewisser­maßen das edle Geschirr für die kostbarste aller Speisen, die es gibt, nämlich für den Leib und das Blut unsers Herrn Jesus Christus unter Brot und Wein.

Damit sind wir beim Herzstück der Einsetzungs­worte und beim Herzsstück des ganzen Heiligen Abendmahls. Kein Mensch käme von sich aus auf die Idee, dass wir im Abendmahl den Leib des Herrn essen und sein Blut trinken; aber weil der Herr selbst Brot und Wein beim Abendmahl so gedeutet hat, darum glauben wir es, und darum bekennen wir es auch. Wie die Evangelisten hat Paulus das mit den Einsetzungs­worten weiter­gegeben, was Jesus in der Nacht des ersten Grün­donnerstags klar und deutlich gesagt hat: „Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird“; und: „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut“. Jesus hat das nicht gesagt, um unserem Glauben etwas besonders Schwieriges zuzumuten, sondern im Gegenteil, um unserem Glauben etwas besonders Gutes zu tun und um ihn zu stärken. Zu Recht hat Martin Luther im Kleinen Katechismus die beiden Wörter „für euch“ hervor­gehoben, denn an ihnen hängt der ganze Sinn und Segen des Altar­sakraments. Es ist, als wollte Christus sagen: Meine lieben Kinder, ihr könnt mich nun mit eurem Mund leiblich empfangen – den Leib nämlich, der am Kreuz für euch zerbrochen wurde, damit eure Sünde gesühnt ist. Und ihr könnt nun mit eurem Mund mein Opferblut trinken, das ich am Kreuz vergossen habe, um Gottes neuen Bund zu stiften und um euch mit ihm zu versöhnen. Daran sollen wir denken und darauf vertrauen, wenn wir den Leib und das Blut Christi zu uns nehmen, verborgen in den Elementen Brot und Wein.

Überhören wir dabei aber nicht die Auf­forderung, die in den Einsetzungs­worten steckt: „Das tut zu meinem Gedächtnis.“ Es ist nicht nur wichtig, dass wir das rechte Abendmahls­verständnis haben, sondern auch, dass wir danach „tun“, dass wir also immer wieder das Abendmahl wirklich feiern nach Christi Willen und Gebot. Ich freue mich über unsere Gemeinde und jede Gemeinde, in der das fast jeden Sonntag geschieht. Beim Kelchwort sagte Jesus: „sooft ihr daraus trinkt“, und deutete damit an, dass wir es häufig feiern sollen. Es entspricht guter christlicher Tradition seit der Zeit der Apostel, dass die Mahlfeier zum Gottes­dienstes dazugehört, und es entspricht guter christlicher Praxis, wenn man das Heilige Abendmahl oft empfängt. So hat es Jesus uns ja aufgetragen, und er wusste auch, warum.

Der Apostel Paulus hat an die Einsetzungs­worte folgende Erklärung angefügt: „Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus diesem Kelch trinkt, verkündigt ihr des Herrn Tod, bis er kommt.“ Immer wenn ein Pastor bei der Abendmahls­feier die Einsetzungs­worte spricht oder singt, verkündigt er damit Christi Leibes­hingabe und Blut­vergießen zur Vergebung der Sünden. Und immer wenn die Gemeinde­glieder vortreten, um den Leib und das Blut Christi zu empfangen, dann verkündigen sie ohne Worte, allein mit ihren Füßen, dass sie dieses Opfer ihres Herrn dankbar annehmen.

Mit dem Tod eines Menschen tritt sein Testament in Kraft. So ist das auch mit dem Tod des Herrn, den wir bei der Feier des Heiligen Abendmahls verkündigen. In Luthers Original­übersetzung der Einsetzungs­worte finden wir deshalb das Wort „Testament“ anstelle von „Bund“: „Dieser Kelch ist das neue Testament in meinem Blut…“ Daran sehen wir, dass es hier nicht um ein Bündnis oder einen Vertrag zwischen Gott und uns Menschen geht, sondern um eine Willens­erklärung oder Verfügung Gottes uns Menschen zugute, die mit Jesu Tod in Kraft tritt. Neu ist an diesem Testament oder Bund, dass darin die belastende Bedingung des alten Bundes beziehungs­weise alten Testaments aufgehoben ist, nämlich diese Bedingung: Nur wer sich ganz an Gottes Gesetz hält, kann vor ihm bestehen. Mit seinem Tod hat Christus ja stell­vertretend für uns den Forderungen des Gesetzes Genüge getan und auf diese Weise den neuen Bund in Kraft gesetzt, Gottes Gnadenbund. So verspricht der neue Bund jedem, der seine Sünden bereut und an Christus glaubt, Gottes Gnade und ewiges Leben. Dies ist unser Erbe, das uns mit Gottes neuem Testament und mit dem Heiligen Abendmahl zugesprochen wird.

Weil Gott uns so ein herrliches Erbe schenkt, sollen wir uns dieses Erbes nun auch würdig erweisen. Darum warnt Paulus ausdrücklich davor, das Heilige Abendmahl unwürdig zu empfangen. Wer es unwürdig empfängt, schreibt er, der isst und trinkt es sich selbst zum Gericht – der macht sich also schuldig vor Gott und verliert, wenn er nicht umkehrt, die herrliche himmlische Erbschaft. Das ist eine ernste Warnung, und wir tun gut daran, sie uns zu Herzen zu nehmen. So sollte sich jeder vor dem Abendmahls­gang ernsthaft prüfen und fragen: Bin ich würdig, zum Tisch des Herrn zu kommen?

Aber was bedeutet „würdig“ in diesem Zusammen­hang? Martin Luther hat im Kleinen Katechismus zunächst gesagt, was es nicht bedeutet: Es geht nicht darum, sich mit Fasten oder irgend­welchen äußerlichen Ritualen auf das Altar­sakrament vor­zubereiten. Ebenfalls bedeutet es nicht, dass wir ohne Sünde kommen müssen, denn dann wäre niemand würdig für das Abendmahl; zudem ist es ja gerade für Sünder gestiftet, damit sie Vergebung und Hilfe bekommen. Nein, würdig macht uns nur eine einzige Sache, nämlich der Glaube. Wir sollen uns vor dem Abendmahl prüfen, ob wir Glauben haben. Wir sollen also unser Vertrauen darauf setzen, dass Jesus für unsere Sünde seinen Leib in den Tod gegeben und sein Blut vergossen hat – jawohl, auch für uns, wie Luther sagte: „Das Wort ‚für euch‘ fordert eitel gläubige Herzen“. Und wir sollen darauf vertrauen, dass wir diesen Leib und dieses Blut in, mit und unter Brot und Wein zu essen und zu trinken bekommen. Denn wir bekommen im Abendmahl nicht gewöhnliche Lebensmittel und machen uns ein paar fromme Gedanken dazu, sondern unser Herr ist in Brot und Wein wirklich und leiblich gegenwärtig, unabhängig davon, ob ein Empfänger das glaubt oder nicht. Zum Segen jedoch gereicht dieses Mahl nur demjenigen, der den rechten Glauben hat – ganz egal, wie schwach und angefochten dieser Glaube sein mag. Paulus schrieb: „Wer so isst und trinkt, dass er den Leib des Herrn nicht achtet (eigentlich: unter­scheidet, nämlich von gewöhnlicher Speise), der isst und trinkt sich selber zum Gericht.“

Liebe Brüder und Schwestern, das Heilige Abendmahl ist Tradition und Testament zugleich. Es ist eine Tradition im besten und eigentlichen Sinn des Wortes, denn es ist vom Herrn Jesus Christus über die Apostel und viele Christen­generationen bis zu uns tradiert beziehungs­weise weiter­gereicht, damit auch wir den Segen dieses Mahls empfangen wie die ersten Christen. Zugleich ist es Gottes neuer Bund und Testament, in Kraft gesetzt durch Christi Tod, und wir sind die glücklichen Erben. Lasst uns dieses Erbe nicht ausschlagen, sondern antreten – indem wir es im Glauben annehmen und mit solchem Vertrauen das Heilige Abendmahl empfangen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2018.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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