Eingekreist

Predigt über Johannes 18,39-19,3 zum Karfreitag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wenn Polizisten einen gefährlichen Verbrecher fangen wollen, dann kreisen sie ihn ein. Manchmal werden auch Unschuldige eingekreist. So war es bei Jesus, bevor man ihn ans Kreuz schlug. Wir haben eben gehört, was am Freitag­morgen im Palast des Pontius Pilatus geschah. Da wurde Jesus gewisser­maßen von drei Seiten eingekreist: von Pilatus, von der Menschen­menge und von den römischen Soldaten. Alle drei haben auf ihre Weise dazu beigetragen, dass er gekreuzigt wurde: Pilatus mit der Macht des Herrschers, die Menschen­menge mit der Macht der Masse und die Soldaten mit der Macht der Waffen. Und alle drei hatten ihre besonderen Gründe.

Erstens: Pilatus brachte Jesus ans Kreuz, weil er seine Ruhe haben wollte. Er mochte keine Auseinander­setzungen. Mit Jesus wollte er nicht über die Wahrheit diskutieren – er hielt ihn nur für einen harmlosen Spinner – , und mit den Juden wollte er nicht über Jesu Gefährlich­keit diskutieren. Am liebsten hätte er Jesus mitsamt seinen Anklägern einfach fort­geschickt, aber die ließen nicht locker. Da versuchte Pilatus es mit einem diplo­matischen Trick: Es gab da die Sitte der Passa-Amnestie. Zum Passafest wurde ein jüdischer Gefangener freigelassen – vielleicht im Gedenken daran, dass das Passafest ein Befreiungs­fest war, das Fest der Befreiung aus ägyptischer Knecht­schaft. Zu jener Zeit kamen dafür nur zwei Personen in Frage: der gefährliche Verbrecher Barrabas (vermutlich ein Terrorist) und der harmlose Judenkönig Jesus. Pilatus fragte die Menge, wen er denn freilassen soll. Er war fest davon überzeugt, dass sie sich für Jesus entscheiden würden – und dann konnte Pilatus Jesus entlassen, ohne dass der jüdische Hohe Rat mit seinem Todes­beschluss das Gesicht velieren würde. Aber zur Überraschung des Römers schrien alle, sie wollten Barrabas die Freiheit geben. Um nun nicht in ernste Schwierig­keiten zu geraten, musste Pilatus Jesus wider besseres Wissen zum Tod verurteilen. Da ließ er ihn aus­peitschen, wie die Römer es damals mit allen Todgeweihten zu tun pflegten. Wie gesagt, Pilatus mochte keine Konflikte und interes­sierte sich nicht für die Wahrheits­frage.

Es gibt immer noch Pilatusse – Leute mit Herrscher­macht, die Konflikte scheuen und denen die Wahrheit egal ist. Man nennt es Diplomatie oder auch Flexi­bilität, aber oft ist es nur ein Herum-Eiern, ein Sich-Drücken um verant­wortliches Handeln. Und wir selbst? Auch wir haben manchmal keine Lust, den unbequemen Weg der Wahrhaftig­keit zu gehen, auch wir sind zu faulen Kompromissen bereit oder fangen zu tricksen an, wenn das unserer Bequemlich­keit dient. Was tun wir zum Beispiel, wenn wir die ebenso falsche wie weit verbreitete Meinung hören, es sei egal, woran man glaubt, Hauptsache man glaubt an was? Schweigen wir, nicken wir, sagen wir vielleicht: Du hast Recht, du hast auch Recht, und ich habe meine Ruhe? Oder treten wir ein für die Wahrheit, die doch so unbequem ist und die die meisten nicht hören wollen? Die Wahrheit nämlich, die da lautet: Nur durch Jesus kann man Gott wirklich finden, nur durch den König der Juden kann man selig werden. Auch unsere eigene Konflikt­scheu und Bequemlich­keit hat dazu beigetragen, dass Jesus ans Kreuz ging; auch wir haben mitgeholfen, ihn ein­zukreisen.

Zweitens: Die Menschen­menge brachte Jesus ans Kreuz, weil sie verführbar war. Fünf Tage zuvor hatte sie noch mit Hosianna-Rufen Jesus zugejubelt, jetzt rief sie Pilatus zu: Gib Barrabas frei und kreuzige Jesus! Die Mitglieder des hohe­priester­lichen Gremiums hatten sie umgestimmt; sie hatten so lange auf sie eingewirkt, bis sie für den Terroristen die Freiheit forderten und für den Messias den Tod.

Schreien tut sie immer, die Menschen­menge. Heute schreit sie dies und morgen jenes. Wenn gerissene Populisten am Werk sind, dann können sie die Menge für alles schreien lassen, sogar für den totalen Krieg. Die Menge bestätigt sich dann selbst mit diesem Geschrei und verstärkt dabei die Meinung, die man ihnen ein­getrichtert hat, egal ob sie gut und klug ist oder schlecht und töricht. Politiker und andere Prominente machen noch heute Gebrauch von diesem Mechanismus, und die Medien helfen dabei kräftig mit. Auch in unserer Gegenwart bilden sich Menschen­mengen in der Öffentlich­keit, um mit Sprechchören und Triller­pfeifen ihren Forderungen Gehör zu verschaffen – nach dem Motto: Wer am lautesten schreit, hat Recht! Bei Wahlen und Volks­entscheiden kann die Mehrheit ihre Macht heute sogar besser entfalten als damals, und man wundert sich manchmal, was dabei herauskommt. Man wundert sich auch, wie schnell die öffentliche Meinung für gefährlichen Unsinn gewonnen werden kann. Wenn zum Beispiel vor vierzig oder fünfzig Jahren ein hochrangiger Politiker gefordert hätte, dass ein Mann auch einen Mann heiraten kann und eine Frau eine Frau, dann hätte das die überwiegende Mehrheit für einen Aprilscherz gehalten; heute muss man befürchten, dass unsere Gesetze bald entsprechend zurecht­gebogen werden. Es denke keiner, er sei darüber erhaben und immun gegen jede Verführung. Wie oft haben wir unsere Meinung schon an Mehrheits­trends angepasst, und wie oft sind wir dabei Kompromisse mit Gottes Wort und Gebot eingegangen! Ja, auch unsere eigene Verführbar­keit hat dazu beigetragen, dass Jesus ans Kreuz ging; auch wir haben mitgeholfen, ihn ein­zukreisen.

Drittens: Die Soldaten taten Jesus Gewalt an, weil sie Spaß haben wollten. Sie fanden es witzig, dass dieser jämmerliche Angeklagte der König der Juden sein soll – ein König, den das eigene Volk loswerden will! So begannen sie, ihn zu veräppeln. Einer schrie: Ein König braucht eine Krone! Sogleich flocht man einen Kranz aus Dornzweigen und setzte ihn Jesus auf den Kopf. Ein anderer schrie: Ein König braucht ein rotes Gewand! Da legte man ihm einen Soldaten­mantel über die Schultern. Ein dritter schrie: Ein Zepter braucht er auch noch! Da gaben sie ihm einen Schlagstock in seine Rechte. Ein vierter schrie: Wir müssen ihm jetzt huldigen, so wie es einem Herrscher gebührt! Da trat einer nach dem anderen vor, verneigte sich vor Jesus und rief: „Ave!“ – „Heil dir, Judenkönig!“ Ein fünfter schrie: Man muss einem König etwas mitbringen, man muss ihm was geben! – und gab ihm einen Schlag ins Gesicht. Die anderen Soldaten bogen sich vor Lachen und taten es ihm nach. Ja, so hatten die rohen Solaten ihren Spaß auf Kosten des Heilands.

Ihren Spaß wollen die meisten Leute auch heute noch haben, und es bietet sich ihnen dazu mehr Gelegenheit als jemals zuvor. Mehrere hundert Fernseh­kanäle, das Internet und eine un­übersehbare Flut anderer Medien bedienen eine un­ersättliche Gier nach Unterhaltung und Zerstreuung. Und wie damals bei den römischen Soldaten, so geschieht diese Unterhaltung auch heute oft auf Kosten des heiligen Gottes und seines Heilandes. Viel Lästerliches und Obszönes kann man in den Unterhaltungs­medien finden, und oftmals ist es nicht nur einfach geschmack­los, sondern geradezu schamlos. Wenn der Glaube besonders schlimm durch den Kakao gezogen wird, nennt man das einfach „Satire“ und behauptet: Satire darf alles! Und was ist mit uns, die wir Gottes Allmacht bekennen und den König der Juden unsern Herrn nennen? Wir verspotten ihn natürlich nicht! Aber schalten wir konsequenter­weise ab, wenn die Medien Lästerliches bringen? Und erheben wir Einspruch, wenn uns ent­sprechende Witze erzählt werden? Und auch wenn es nicht um Glaubens­dinge geht: Sind wir frei von der Gier nach Unterhaltung und Zerstreuung? Versteht mich nicht falsch: Ich habe volles Verständnis dafür, dass man sich zur Entspannung auch mal etwas Unter­haltsames ansieht und anhört, aber ich frage: Bleibt es maßvoll? Es darf doch nicht sein, dass wir das Beten ver­nachlässigen oder uns vor dem zugegeben etwas mühsamem Bibelstudium drücken, um desto ausgiebiger Spaß am Bildschirm zu haben. Ja, auch unsere Vergnügungs­gier hat dazu beigetragen, dass Jesus ans Kreuz ging; auch wir haben mitgeholfen, ihn ein­zukreisen.

Drei waren es damals, die mithalfen, Jesus ans Kreuz zu bringen: Pilatus, der seine Ruhe haben wollte, mit der Macht des Herrschers; die Menschen­menge, die so leicht verführbar war, mit der Macht der Masse; die Soldaten, die ihren Spaß haben wollten, mit der Macht der Waffen. Im Spiegel dieser drei haben wir gesehen, dass die Menschheit heute nicht besser ist, und wir selbst sind es auch nicht. Jesus hätte damals tausende von Engeln an seiner Seite haben können, die hätten mit Leichtigkeit den Kreis zerstört, mit dem man ihn eingekreist hatte. Jesus könnte sich auch heute mit Leichtigkeit aus dem Kreis von uns Sündern zurück­ziehen; zu verdenken wäre es ihm nicht. Aber er hat es vorgezogen, den Leidensweg ans Kreuz zu gehen, und er zieht es vor, uns nahe zu bleiben. Er überließ die Passa-Amnestie einem anderen, dem Verbrecher Barabbas. Er wollte nicht frei werden, weil er uns Sünder befreien wollte. Jesus starb am Kreuz – nicht nur wegen der Sünder damals und wegen uns, sondern auch für die Sünder damals und für uns. „Tausend‑, tausendmal sei dir, liebster Jesu, Dank dafür.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2017.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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