Jesus und sich selbst erkennen

Predigt über Johannes 8,21-30 zum Sonntag Reminiszere

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Was wir da eben gehört haben, das gilt eigentlich nicht uns. Jesus hat das nicht zu seinen Jüngern gesagt, sondern zu Menschen, die ihm skeptisch oder gar ablehnend gegenüber­stehen. Jesus hält ihnen diverse Irrtümer vor und stellt Gottes Wahrheit dagegen. In unsern Ohren mögen seine Worte hart und schroff klingen, und mancher ist vielleicht von der dogmatischen Redeweise abgestoßen. Aber wir dürfen nicht übersehen, dass hinter diesen harten Worte die große Liebe unsers Heilands zu allen Menschen steckt. Er ist ja nicht in die Welt gekommen, um die Menschen zu verdammen, sondern um sie zu erlösen. Und er will mit diesen Worten (wie mit all seinen Worten) Menschen den Weg der Erlösung weisen, damit sie den bisherigen Kurs ihres Lebens korrigieren und selig werden. Bei einigen hatte er damit Erfolg, denn es heißt am Ende: „Als er das sagte, glaubten viele an ihn.“ Nun ist es allerdings so, dass auch bei uns Christen sich immer wieder Irrtümer und Vorurteile über Jesus und den christlichen Glauben ein­schleichen; das ist nur allzu menschlich. Insofern gehen uns diese Worte des Herrn doch etwas an; insofern gelten sie eigentlich doch auch uns. Jesu Worte können uns bei drei Dingen helfen: erstens uns selbst recht erkennen, zweitens ihn recht erkennen, drittens ihm vertrauen.

Erstens: Was lehrt Jesus hier, dass wir uns selbst recht erkennen? Er lehrt uns, unsere Stellung gegenüber Gott richtig ein­zuschätzen. Während der himmlische Vater und der eingeborene Sohn „von oben“ sind, sind wir „von unten“. Jesus sagte: „Ihr seid von unten her, ich bin von oben her; ihr seid von dieser Welt, ich bin nicht von dieser Welt.“ Gott ist der Schöpfer, wir sind Geschöpfe. Gott ist heilig und gerecht, wird sind Sünder. Gott ist Licht, wir tappen im Dunkeln. Gott ist ewig, wir sind vergänglich. Das hören wir nicht gern. Besonders in der heutigen Zeit ist vielen eine Unter­scheidung in Oben und Unten zuwider, und wenn man sie doch realistischer­weise anerkennen muss, dann ist man den Oberen gegenüber sehr skeptisch. Vorgesetzte, Regierende und die Ausführungs­organe der Staatsgewalt werden vielfach nicht mehr mit dem gebotenen Respekt behandelt, sondern oftmals beschimpft und für alle möglichen Missstände ver­antwort­lich gemacht. Da ist es dann nur noch ein kleiner Schritt, auch dem Höchsten gegenüber misstrauisch zu sein und ihm die Schuld für alle Leiden und Probleme dieser Welt in die Schuhe zu schieben. Oder man leugnet kurzerhand, dass es diesen Höchsten überhaupt gibt, und hält das Leben für ein chaotisches Gewimmel des Zufalls ohne klare Unter­scheidung von oben und unten. Oder man flüchtet sich in esoterische Vor­stellungen, dass Schöpfer und Geschöpf untrennbar in ein Ganzes verwoben sind, dass letztlich jedes Geschöpf göttlich und Gott geschöpflich ist. All diesen Irrtümern erteilt Jesus eine Absage, wenn er bezeugt: „Ihr seid von unten her, ich bin von oben her.“

Dass wir als Geschöpfe unter dem Schöpfer stehen, erklärt aber noch nicht alles. Der Allmächtige hatte den Menschen am Anfang seine Ewigkeit in die Seele gelegt, aber der Mensch hat diese göttliche Ewigkeit durch eigene Schuld verloren: Mit der Sünde ist der Tod zum Menschen gekommen. Unser Geschöpf-Sein ist seitdem mit dem Vergänglich-Sein verbunden. Jesus lehrte: „Ihr werdet in eurer Sünde sterben.“ Paulus hat es im Römerbrief bestätigt: „Der Sünde Sold ist der Tod“ (Römer 6,23). Auch das ist eine Erkenntnis, die viele Menschen nicht wahrhaben wollen. So glauben auch heute noch viele Menschen unbelehrbar an das Wahre, Gute und Schöne, das im Menschen von Natur aus drinstecke und sich aus eigener Kraft entfalten könne, wenn nur die Umwelt­bedingungen stimmten. Die Lehre der von Adam her geerbten Sünde dagegen wird als überholt zurück­gewiesen. Dass der Mensch sterblich ist, an dieser Erkenntnis kommt allerdings niemand vorbei. So deutet man denn den menschlichen Tod flugs als etwas ganz Natürliches, fast Harmloses, das eben nun mal zum Leben dazugehört. Aber wer die Welt mit offenen Sinnen wahrnimmt und wer noch in der Lage ist, auf sein Gewissen zu hören, der lässt sich durch solche Irrtümer nicht verführen. Er muss Jesus und der Bibel recht geben: Der Mensch ist „von unten“, der Mensch ist ein Sünder, und der Tod ist die schreckliche Folge davon.

Zweitens: Was lehrt Jesus hier über sich selbst, damit wir ihn recht erkennen? Er lehrt, dass er „von oben“ gekommen ist. Mit anderen Worten: Er ist vom Himmel herab­gekommen, vom allmächtigen Vater. Jesus ist göttlich, nicht geschöpf­lich. Die ganze Bibel lehrt das, und die ganze Christenheit bekennt das seit fast 1700 Jahren mit den Worten des Nizänischen Glaubens­bekennt­nisses: „Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrhaftiger Gott vom wahrhaftigen Gott, geboren, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater…“ Jesus hat das von Anfang an über sich selbst bezeugt, aber viele Menschen verstanden das damals nicht. Viele Menschen verstehen das auch heute nicht – sogar Menschen, die sich Christen nennen, und sogar kluge Theologen. Sie meinen, Jesus sei einfach ein besonderer Mensch gewesen, den Gott vielleicht später als seinen Sohn adoptiert habe oder der später von der christlichen Gemeinde die Würde der Gottes­sohnschaft zugesprochen bekam. All diesen Irrtümern erteilt Jesus eine klare Absage und bezeugt von sich: Er kommt von oben her, er ist von Anfang und von Ewigkeit her göttlich.

Ferner lehrt Jesus über sich, dass er auf Erden nichts anderes tut und lehrt, als was dem Willen des himmlischen Vaters entspricht. Er bezeugt: „Der mich gesandt hat, ist wahrhaftig, und was ich von ihm gehört habe, das rede ich zu der Welt… Und der mich gesandt hat, ist mit mir. Er lässt mich nicht allein; denn ich tue allzeit, was ihm gefällt.“ Der himmlische Vater und der eingeborene Sohn gehören so eng zusammen, dass kein Blatt Papier zwischen sie passt. Darum kann niemand Jesus recht erkennen und nachfolgen, der nicht den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs als den einzigen wahren Gott akzeptiert – den Gott der Bibel, den Schöpfer des Himmels und der Erde. Und umgekehrt: Niemand kann diesen einen wahren Gott recht erkennen, der nicht auf Jesus hört und der ihn nicht als den eingeborenen Sohn des Vaters annimmt, der vom Himmel gekommen ist. Auch in dieser Hinsicht drohen immer wieder menschliche Miss­verständ­nisse den Blick zu verstellen: Aus einem falschen Toleranz­verständnis heraus meinen viele, es sei letztlich egal, ob man mit oder ohne Jesus an Gott glaubt.

Schließlich lehrt Jesus über sich, dass er nach seinem irdischen Erlösungsweg zum himmlischen Vater zurückkehren wird. Dieser Erlösungsweg findet seinen Höhepunkt am Kreuz, wo Jesus die Sündenschuld der ganzen Welt auf sich genommen hat. Er selbst hat das immer wieder seine „Erhöhung“ genannt. Bemerkens­wert ist dabei, dass es menschlich gesehen eigentlich ein Tiefpunkt war: die Stunde tiefster Erniedrigung und größter Hilf­losigkeit. Aber gerade so hat es Gott gefallen, die Welt zu erlösen: unter dem Zeichen des Gegenteils. Erst zu Ostern, bei Christi Himmelfahrt und zu Pfingsten wurde dieser Sieg für uns Menschen erkennbar. Darum hat Jesus angekündigt: „Wenn ihr den Menschensohn erhöhen werdet, dann werdet ihr erkennen, dass ich es bin und nichts von mir selber tue, sondern, wie mich der Vater gelehrt hat, so rede ich.“ Auch hier kommt der menschliche Irrtum in die Quere. Die damaligen Hörer fragten: „Will er sich etwa selbst töten?“ Und heute meinen viele, Jesus wäre gar nicht bewusst auf seinen Kreuzestod zugegangen, sondern er sei einfach von seinen Feinden überwunden worden, und nachträglich habe man das als einen Sieg verbucht. Auch die Auferstehung und Himmelfahrt des Herrn stoßen auf Skepsis und Leugnung. Jesu eigene klare Worte und das ganze Zeugnis der Bibel sagen allerdings etwas anderes und decken diese Irrtümer auf.

Drittens: Wenn wir von Jesus lernen, uns selbst und ihn recht zu erkennen, dann führt uns das zum Vertrauen. Wir erkennen uns selbst als Geschöpfe „von unten“, der Sünde und dem Tod verfallen. Wir erkennen Jesus als Gottes eingeborenen Sohn, den der Schöpfer „von oben“ gesandt hat, um uns von der Sünde um vom Tod zu erlösen. Und wir hören schließlich die wunderbare Verheißung des Evangeliums, dass „alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“ (Joh. 3,16). Umgekehrt gilt Jesu Warnung: „Wenn ihr nicht glaubt, dass ich es bin, werdet ihr sterben in euren Sünden.“ Wer aber Jesus vertraut, der gewinnt zurück, was die Menschheit selbst­verschuldet verloren hat: Das ewige Leben in Gottes Gegenwart, in Gottes Licht. Von sich aus kann kein Mensch von unten nach oben kommen; keiner kann sich zu Gott empor­arbeiten, wie Jesus sagte: „Wo ich hingehe, da könnt ihr nicht hinkommen.“ Aber der das sagte, hat dann selbst dafür gesorgt, dass das kein un­abänder­liches Schicksal bleiben muss. Er hat sich für uns aufgeopfert; er schenkt uns seine Gerechtig­keit; er zieht uns nach oben – dahin, wo wir aus eigener Kraft niemals hingelangen können: in Gottes Reich und ins ewige Leben.

Wir danken unserm Herrn dafür, dass er in aller Offenheit, aber auch in aller Liebe unsere menschlichen Irrtümer aufdeckt und uns Gottes heilige Wahrheit offenbart – immer wieder, wenn wir sein Wort hören. So werden wir im Glauben stark und können bis ans Ende beharren. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2017.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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