Jesus sucht und sammelt Menschen

Predigt über Jesaja 49,4-6 (mit Joh. 1,11-12) zum 17. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Die meisten Menschen sammeln gern: Briefmarken, Münzen, Polizei­mützen, Perlen, Pilze, Pfand­flaschen, alte Autos oder Altpapier. Sammeln kostet Zeit und Mühe, denn oft muss man erst einmal auf die Suche gehen nach den Sammel­objekten. Polizei­mützen sucht man auf Flohmärkten, Pilze im Wald. Manchmal geht es nicht darum, etwas Neues zu finden, sondern etwas verloren Gegangenes wieder­zufinden. Die Frau mit dem verlorenen Groschen aus dem biblischen Gleichnis suchte nicht deshalb, um ihre Münzsammlung zu ver­vollständi­gen, sondern nur deshalb, weil ihr dieses Geldstück fehlte. Und der Fischer sammelt Fische im Netz, um sie zu verkaufen un seinen Lebens­unterhalt davon zu bestreiten. Aus ähnlichen Gründen werden auch Pfand­flaschen gesammelt. Aber in jedem Fall heißt es zunächst geduldig suchen, bevor man etwas zum Sammeln hat. Die Freude am Gefundenen ist dann um so größer. Manchmal werden auch Menschen gesammelt. Sie sind die wertvollsten Sammel­objekte. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde der Suchdienst des Roten Kreuzes ins Leben gerufen, damit vesprengte Familien wieder zusammen­geführt werden konnten. Auch heute noch sehnen sich Familien aus Kriegs­gebieten, die getrennt wurden, danach, dass sie wieder zusammen­gebracht werden.

Eine alte Sammel­bewegung ist der Zionismus. Er gründet auf der Sehnsucht der in alle Welt versprengten Juden, sich wieder im eigenen Land zu sammeln und dort als selbst­ständige Nation zu leben. Der moderne Staat Israel ist aus der zionisti­schen Bewegung hervor­gegangen. Der Zionismus lässt sich auf sehr, sehr alte Wurzeln zurück­führen, auf biblische Wurzeln. Als sich das Volk Israel nach den Königen David und Salomo in zwei Reiche aufspaltete, ging es bergab mit ihm: Man entfernte sich innerlich von Gott dem Herrn, übertrat seine Gebote und wendete sich heidnischen Götzen zu. Gott antwortete darauf mit einem Straf­gericht: Er ließ die Bevölkerung in fremde Länder deportieren – zunächst das Nordreich Israel durch die Assyrer, dann das Südreich Juda durch die Babylonier. In der Folgezeit kehrten zwar einige ihrer Nachkommen wieder nach Israel zurück, aber die Mehrheit blieb in der „Diaspora“, wie man es nannte, in der „Zer­streuung“. Dennoch war bei allen Juden die Sehnsucht groß, dass Gott selbst sich wieder über sein Volk erbarmen, es suchen und sammeln würde.

Gott hat diese Sehnsucht beantwortet. Die Gebete der Frommen lässt er nicht ungehört, sondern erweist liebevoll seine Gnade allen, die ihm vertrauen und seine Hilfe erbitten. Ein Teil dieser göttlichen Antwort ist der Abschnitt aus dem Buch des Propheten Jesaja, den wir als Predigttext gehört haben. Es ist eine besondere Antwort, denn hier meldet sich bereits Christus zu Wort, der Sohn Gottes – lange bevor er als Erlöser zur Welt kam. Das Ich in diesem Abschnitt ist der geheimnis­volle Knecht Gottes, der dann im Neuen Testament als Herr und Heiland offenbar geworden ist.

Drei Dinge sagt der Heiland durch den Mund des Propheten hier über das Sammeln von Gottes Volk aus der Zerstreuung. Erstens: Der Vater gibt ihm den Sammlungs­auftrag. Zweitens: Er verzagt beinahe an diesem Sammlungs­auftrag. Drittens: Der Vater erweitert den Sammlungsauftrag. Diese drei Dinge sind nicht nur für das leibliche Volk Israel bedeutsam, sondern auch für uns, das neue Gottesvolk der Christen­heit.

Erstens: Der himmlische Vater gibt seinem eingeborenen Sohn den Sammlungs­auftrag. Das ist der eigentliche Sinn, warum Gottes Sohn von der Jungfrau Maria empfangen und als Mensch geboren wurde. Christus prophezeite durch Jesaja: „Der Herr hat mich von Mutterleib an zu seinem Knecht bereitet, dass ich Jakob zu ihm zurück­bringen soll und Israel zu ihm gesammelt werde…“ Der Evangelist Johannes hat es später so ausgedrückt: „Er kam in sein Eigentum…“ (Joh. 1,11). Schon zu alt­testament­licher Zeit haben die Frommen in Israel dies als Hauptaufgabe des Messias angesehen, des erwarteten Erlösers: Gottes Volk aus der Zerstreuung zu sammeln. Sie sollten dann unter Gottes unmittel­barer Herrschaft in Frieden und Gerechtig­keit leben. Freilich erwarteten die meisten ein irdisches Friedens­reich mit dem geo­grafischen Zentrum Jerusalem. Auch erwarteten sie den Messias als starken Mann und heldenhaften König, der sich mit Gewalt gegen alle anderen Mächte durchsetzt. Gott aber wählte eine ganz andere Art, sich gegen die Mächte der Finsternis zu behaupten: Er sandte seinen Knecht Jesus, um sein Reich ohne äußere Gewalt zu bauen, allein durch die Macht des göttlichen Wortes und des Heiligen Geistes. Freilich ist diese geistliche Macht unendlich stärker als alle Kriegs­waffen; sie kann sogar den Teufel und sein Heer besiegen. Aber nach außen hin hat Jesus diese Macht in scheinbarer Ohnmacht ausgeübt, im Leiden und Sterben. Noch heute ist diese Macht äußerlich verborgen, denn die Christenheit ist kein Volk, das in der Welt durch überragende Machtmittel oder Finanzen auffällt. Auch sammelt der Messias Gottes Volk nicht so, dass nun alle seine Bürger im selben Gebiet leben würden. Er hat ja klar gesagt: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Joh. 18,36). Die Bürger dieses Reiches sind vielmehr wie Salzkörner überall verstreut, damit sie „Salz der Erde“ seien. Aber im Geist sind sie zu einem Volk und Leib gesammelt, zur christlichen Kirche. Und am Jüngsten Tag wird Christus mit seinen Engeln sie dann auch leiblich sammeln: Lebende und Tote von allen Enden der Erde, damit sie dann ewig in Gottes himmlischem Reich vereint sind.

Zweitens: Gottes Knecht verzagt beinahe an seinem Sammlungs­auftrag. Christus prophezeite durch Jesaja: „Ich aber dachte, ich arbeitete vergeblich und verzehrte meine Kraft umsonst und unnütz…“ Der Evangelist Johannes hat es später so ausgedrückt: „Die Seinen nahmen ihn nicht auf“ (Joh. 1,11). Das ist uns oft nicht bewusst. Wir denken, dass Jesus in seinem Erdenleben immer nur erfolgreich gewesen ist. Die Evangelien belehren uns eines Besseren. Immer wieder hören wir davon, dass Jesus gerade bei den sogenannten Frommen seiner Zeit auf Widerstand stieß. Die Pharisäer, die vorgaben, es besonders ernst mit Gottes Wort zu meinen, erkannten in ihm nicht den von Jesaja geweissagten Knecht Gottes und erkannten ihn darum auch nicht als Messias an. Dagegen beschämten Sünder und Nicht-Juden mit ihrem Vertrauen zu Jesus die frommen Juden. Noch kurz vor seinem Tod ließ Jesus die Juden seine Enttäuschung wissen und sagte von Jerusalem: „Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küken versammelt unter ihre Flügel; und ihr habt nicht gewollt!“ (Matth. 23,37). Auch von den Vielen, die eine Zeit lang mit Jesus mitzogen, wandten sich viele bald wieder ab und brüllten dann am Karfreitag mit der Menge: „Kreuzige ihn!“ So hat Jesus selbst in seinen Erdentagen die Anfechtung erfahren, die noch heute und besonders wieder heute vielen Christen zu schaffen macht: „Ich dachte, ich arbeitete vergeblich und verzehrte meine Kraft umsonst und unnütz…“ Aber das ist gerade das Besondere an der Fruch in Gottes Reich, dass sie oftmals nicht sofort erscheint, sich dann aber später um so reicher zeigt. Die volle Frucht von Christi Saat und vom Evangelium wird sich erst in der Ewigkeit zeigen, wenn von überall her die Erlösten zusammen­strömen, die Gott trotz aller Widerstände durch seinen eingeborenen Sohn gesammelt hat.

Drittens: Der Vater erweitert den Sammlungs­auftrag. Er sagte in Jesajas Weissagung zu seinem Sohn und Knecht: „Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, die Stämme Jakobs aufzurichten und die Zerstreuten Israels wieder­zubringen, sondern ich habe dich auch zum Licht der Heiden gemacht, dass du seist mein Heil bis an die Enden der Erde.“ Der Evangelist Johannes hat es später so ausgedrückt: „Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben…“ (Joh. 1,12). Von Anfang an ging es Gott nicht nur darum, sein verstreutes Volk Israel zu sammeln, sondern es ging ihm stets darum, zusammen mit seinem Volk Israel auch alle anderen Völker der Welt zu sammeln – alle Menschen, die ihm vertrauen. Die Propheten haben es deutlich angekündigt, und auch Jesus hat es gezeigt: Er ist nicht nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israels gekommen, sondern zu allen verlorenen Schafen der gesamten Menschheit, und er will sie zu einer einzigen gemeinsamen Herde sammeln unter seiner Leitung. So ist Jesus auch unser guter Hirte geworden, der uns mit der Taufe zu Gottes Volk gesammelt hat und der uns am Jüngsten Tag zusammen mit der großen Schar der Erlösten um seine himmlische Festtafel versammeln will. Es ist die Schar all derer, die der Heilige Geist im Glauben erleuchtet hat, wie wir mit Martin Luther in der Erklärung zum dritten Glaubens­artikel im Kleinen Katechismus bekennen: „Der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten; gleichwie er die ganze Christenheit auf Erden beruft, sammelt, erleuchtet, heiligt und bei Jesus Christus erhält im rechten, einigen Glauben; in welcher Christenheit er mir und allen Gläubigen täglich alle Sünden reichlich vergibt und am Jüngsten Tage mich und alle Toten auferwecken wird und mir samt allen Gläubigen in Christus ein ewiges Leben geben wird. Das ist gewisslich wahr.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2016.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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