Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Wenn ein unverheirateter junger Mensch sagt: Ich hab da jemanden kennengelernt, und wenn dann auch noch seine Augen strahlen, dann weiß man: Er hat sich verliebt. Genauso ist das Wort „kennenlernen“ beziehungsweise „erkennen“ in der Bibel gemeint: Es bezeichnet eine Liebesbeziehung. Jesus möchte, dass wir Gott den Vater „erkennen“, also dass wir ihn lieb haben und ihm mit ganzem Herzen vertrauen. Da wird mancher einwenden: Das ist aber ziemlich schwer, denn der himmlische Vater ist ja unsichtbar. Wer ist das überhaupt: der himmlische Vater? Wie sollen wir ihn uns vorstellen? Ist er irgendein abstraktes höheres Prinzip, das über alle Dinge waltet? Oder ist er irgendeine geheimnisvolle Kraft, die in allen Dingen steckt? Oder ist er ein fernes außerirdisches Wesen mit geheimnisvoller Macht? Das alles sind nicht gerade Vorstellungen von Gott, die uns helfen, ihn liebend zu erkennen.
Der himmlische Vater weiß das, und darum hat er seinen eingeborenen Sohn Mensch werden lassen. Jesus erwartet nicht nur, dass wir den Vater erkennen sollen, sondern er hilft uns auch, dass wir denVater erkennen können. Er sagt: „Wenn ihr mich erkannt habt, so werdet ihr auch meinen Vater erkennen. Und von nun an kennt ihr ihn und habt ihn gesehen.“ „Von nun an“, sagte er, nämlich von der Zeit an, als der eingeborene Sohn auf Erden erschien. Am Anfang seines Evangeliums bezeugt der Jünger Johannes von Jesus: „Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohns vom Vater“ (Joh. 1,14). Und Jesus selbst sagt von sich: „Wer mich sieht, der sieht den Vater“ (Joh. 14,9). Willst du also Gott erkennen, willst du ihn kennen‑ und lieben lernen, dann achte auf Jesus Christus. Sieh, was der Mensch gewordene Gottessohn getan hat. Höre, was er gesagt hat. Nimm wahr, wie er sich verhalten hat. So barmherzig und liebevoll, so treu und wahrhaftig ist auch Gott der Vater. Auf diesem Weg können wir den himmlischen Vater erkennen – durch seinen Sohn Jesus Christus. Und es geht nur durch ihn; jeder andere Weg der Gotteserkenntnis muss zwangsläufig zu einem schiefen Gottesbild führen. Kurz vor unserem Predigttext steht das berühmte Wort unsers Herrn: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“
Nun kann wieder jemand mit einem Einwand kommen und sagen: Johannes und die anderen Jünger haben Jesus damals ja wirklich gesehen und erlebt, wir aber sehen ihn heute nicht. Für uns ist der eingeborene Sohn ebenso unsichtbar wie der himmlische Vater. Trotzdem gilt auch für uns heute noch dieses Wort des Herrn: „Wenn ihr mich erkannt habt, so werdet ihr auch meinen Vater erkennen. Und von nun an kennt ihr ihn habt ihn gesehen.“ Wie das heute geschieht, möchte ich mit einem Beispiel anschaulich machen. Wenn ein unverheirateter junger Mensch mit strahlenden Augen sagt: Ich hab da jemanden kennengelernt, dann kann man normalerweise davon ausgehen, dass die beiden sich irgendwo persönlich begegnet sind. Das ist aber nicht unbedingt eine Voraussetzung fürs Verlieben. Besonders in früheren Zeiten, wo reisen sehr aufwändig war, haben sich Paare mitunter nur von fern schriftlich kennengelernt und dann Liebesbriefe hin und her geschrieben. Selbst wenn sie sich noch nie persönlich begegnet waren, kannten sie sich doch schon sehr gut bis in die innersten Herzensregungen hinein, und sie liebten sich sehr. Seht, solchen Liebesbrief vom himmlischen Vater und von seinem Sohn Jesus Christus haben auch wir; das ist die Heilige Schrift. Der Bote aber, der uns diesen Brief bringt, ist niemand anderes als der Heilige Geist, die dritte Person des einen göttlichen Wesens, der Dritte im Bund der Heiligen Dreifaltigkeit. Er hat dafür gesorgt, dass das Zeugnis von Jesu Augen‑ und Ohrenzeugen uns als Liebesbrief erreicht, und er sorgt noch heute dafür, dass seine wunderbare Botschaft des Evangeliums durch die kirchliche Verkündigung und durch die Heiligen Sakramente unter uns lebendig bleibt. Wenn der Heilige Geist zu uns kommt, dann erleben wir Jesus so lebendig, dass wir ihn gewissermaßen vor unserem geistigen Auge sehen in all seiner Barmherzigkeit und Treue. Und wenn wir ihn so erleben, dann erkennen wir durch ihn den himmlischen Vater.
Wir wollen Gott immer besser kennenlernen, wir wollen ihn lieben lernen und wir wollen lernen, ihm von ganzem Herzen zu vertrauen. Das können wir auch, denn er begegnet uns als der Dreieinige: als allmächtiger Vater und Schöpfer aller Dinge, als der Mensch Jesus Christus, der sich in Liebe für uns aufgeopfert hat und in dem der Vater sichtbar geworden ist, und als Heiliger Geist, der uns heute mit dem Vater und dem Sohn verbindet. Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist sei dafür Lob und Dank, jetzt und in Ewigkeit! Amen.
PREDIGTKASTEN |