Alles ist erlaubt

Predigt über 1. Korinther 10,23‑24 zum 13. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Sollten Eltern ihren Kindern sagen: Alles ist erlaubt? Sollten Staats­regierungen auf Gesetze verzichten und ihren Bürgern stattdessen sagen: Alles ist erlaubt? Sollten Pastoren ihren Gemeinde­gliedern Mut machen, völlig selbst­bestimmt zu leben, und sagen: Alles ist erlaubt? Ich höre die Einwände: Das geht doch nicht! Da würde ja das Chaos ausbrechen! Aber immerhin hatte der Apostel Paulus den Mut, seiner Missions­gemeinde in Korinth eben dies zu schreiben: „Alles ist erlaubt.“ Einige ängstliche Bibel­kommenta­toren wollten das nicht wahrhaben und dachten, Paulus zitiert hier nur einen weit ver­breiteten Irrtum der Korinther, um ihn an­schließend zu widerlegen. Nun schließ Paulus an diesen kühnen Satz tatsächlich ein „Aber“ an – jedoch nimmt er den Satz damit nicht grund­sätzlich zurück. Auch wenn uns das irritiert, müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass der Apostel hier wirklich lehrt: „Alles ist erlaubt.“ Er lehrt damit nun nicht den Verzicht auf elterliche Gewalt und die Anarchie im Staat, aber er lehrt damit nichts Geringeres als die persönliche Freiheit eines Christen­menschen. Mit der wollen wir uns jetzt be­schäftigen.

Lasst mich dafür zunächst ein Gleichnis erzählen. Max und Martha backen jeder einen Kuchen. Martha hält sich brav an das Rezept aus dem Backbuch: Sorgfältig wiegt sie die Zutaten ab und mischt dann alles in der vor­gegebenen Reihen­folge. Max dagegen backt, wie es ihm gerade in den Sinn kommt. Er nimmt nur halb so viel Zucker und fügt dafür selbst­ständig andere Zutaten hinzu: Pfeffer­körner tut er in seinen Kuchenteig, und Senf. Martha ist entsetzt: „Das geht doch nicht, das steht doch gar nicht im Rezept.“ Max erwidert: „Na und, es ist doch nicht verboten!“ Tatsächlich braucht Max nicht zu fürchten, dass ihn jemand für sein Verhalten anzeigt oder dass er Strafe zahlen muss: Beim Kuchen­backen ist ja grund­sätzlich alles erlaubt.

Und nun wenden wir uns dem Lebens-“Kuchen“ zu, an dem alle Menschen herum­backen: mehr oder weniger brav, mehr oder weniger mutig, mehr oder weniger kreativ. Solange der Mensch noch ein unmündiges Kind ist, sehen ihm die Eltern dabei auf die Finger und nehmen ihm viele Ent­scheidungen ab. Das kann auch nicht anders sein, denn sonst wäre das Kind von seiner Freiheit hoffnungs­los über­fordert. Solange der Mensch unmündig ist, muss er seinen Eltern gehorchen, und da ist eben nicht alles erlaubt. Ich weiß noch, wie ich als Teenager gern per Anhalter auf Reisen gegangen wäre, so wie das damals modern war, aber meine Eltern hatten es mir verboten. So habe ich die Freiheit dieser Art der Fort­bewegung erst kennen­gelernt, als ich schon erwachsen war.

Im Galater­brief erklärt der Apostel Paulus die christliche Freiheit so: Zur Zeit des Alten Testaments, schreibt er, waren Gottes Kinder wie unmündige Kinder; sie standen unter den Geboten und Verboten des Mose-Gesetzes. Wer sich einmal mit diesen vielen Satzungen im 2. bis 5. Buch Mose näher beschäftigt hat, der weiß, wie sehr sie in das persönliche Leben jedes Einzelnen eingriffen. Das ist mit Christus nun vorbei, erklärt Paulus. Wer getauft ist und an Jesus glaubt, der ist frei vom Gesetz. Er gleicht jetzt einem erwachsen gewordenen Kind: Zwar ist er immer noch Kind seiner Eltern, aber er darf und soll nun selbst­bestimmt leben, ohne sich von Vater und Mutter alles vor­schreiben zu lassen. Damit hat Paulus die christliche Freiheit trefflich erklärt. Und in allen seinen Briefen geht er ausführlich darauf ein, warum das so ist: Wer getauft ist und an Jesus glaubt, der braucht keine Angst mehr vor Gottes Strafe zu haben. Seine Gemein­schaft mit dem himmlischen Vater beruht nämlich nicht mehr darauf, dass er Gottes Gesetz gehorcht, sondern sie beruht darauf, dass Christus ihn am Kreuz erlöst hat. Sein Verhältnis zu Gott wurzelt nicht in einer „Werk­gerechtig­keit“, sondern in der „Glaubens­gerechtig­keit“, wie Paulus es formuliert. Darum ist jeder Christ grund­sätzlich frei vom Gesetz, und es gilt für ihn: „Alles ist erlaubt.“ Wenn er beim Backen seines Lebens­kuchens von den her­kömmli­chen Rezepten abweicht, dann braucht er nicht zu befürchten, dass ihm das im Jüngsten Gericht das Genick brechen wird.

Ich komme zu meinem Gleichnis zurück. Inzwischen sind die beiden Kuchen fertig – der Kuchen von Max und der Kuchen von Martha. Probieren wir sie! Sind sie gut? Bei Marthas bravem Rezept-Kuchen können wir ziemlich sicher sein: Er schmeckt so, wie er schmecken soll. Der Kuchen von Max, fürchte ich, schmeckt nicht so gut. Senf im Kuchen ist nun mal nicht jedermanns Sache. Vielleicht ist dieser Kuchen auch schwer verdaulich, un­bekömmlich, oder gar völlig un­genießbar. Aber egal, wie er gelungen ist: Verboten ist es nicht, so einen Kuchen zu backen. Nur eben: Es ist schade, wenn er misslingt; niemand hat etwas davon, und die schönen Zutaten sind ver­schwendet.

Damit kommen wir zu dem „Aber“, dass der Apostel Paulus seinem kühnen Satz von der christ­lichen Freiheit angefügt hat: „Alles ist erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten.“ Und weiter: „Alles ist erlaubt, aber nicht alles baut auf.“ Nicht alles ist gut und hilfreich. Nicht alle Zutaten passen gleich gut zusammen, und nicht alles schmeckt gleich gut. Nicht alle Mischungen ergeben einen be­kömmli­chen Kuchenteig. Übertragen auf den Lebens­kuchen bedeutet das: Zwar haben wir als Gottes­kinder große Freiheit und können ohne Angst vor Gottes Strafen leben. Aber (hier ist wieder, das „Aber“ des Paulus!) wenn wir diese Freiheit falsch gebrauchen, dann könnte es sein, dass uns der Lebens­kuchen nicht gut schmecken wird. Es könnte sogar sein, dass wir in Situationen geraten, die äußerst un­angenehm sind, ja, die sich schlimmsten­falls als Sackgassen erweisen. Wenn wir uns nur von momentanen Launen treiben lassen oder von schlechten An­gewohn­heiten oder von irgend­welchen werbenden Ver­lockungen, dann könnte sich unser Lebens­kuchen am Ende als sehr un­bekömmlich erweisen. Nicht alles ist gut, nicht alles baut auf – vieles ist sogar äußerst schlecht und macht kaputt. Darum sollte sich jeder mündige Christ gut überlegen, wie er denn seine christliche Freiheit nutzt und wie er ver­antwort­lich mit ihr umgehen kann.

Das betrifft nicht nur jeden von uns persönlich, sondern das betrifft auch die Gemein­schaft, in der wir leben. Normaler­weise bäckt ja niemand einen Kuchen nur dafür, dass er ihn dann ganz allein aufisst. Nein, auch andere sollen etwas davon haben. Das lässt sich ebenfalls vom Lebens­kuchen sagen: Wie wir unsere christliche Freiheit nutzen, das hat nicht nur Aus­wirkungen auf uns selbst, sondern das hat auch Aus­wirkungen auf unsere Mit­menschen. „Alles ist erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten“ – für uns selbst nicht und auch für andere! „Alles ist erlaubt, aber nicht alles baut auf“ – uns selber nicht und auch andere nicht! Um das ganz deutlich zu machen, schließt Paulus den folgenden Satz an: „Niemand suche das Seine, sondern was dem anderen dient.“ Bei den Korinthern ging es konkret um die Frage, ob Christen Fleisch essen dürfen, das mit heidnischen Opfer-Ritualen ge­schlachtet wurde. Die Juden sagten damals: Auf keinen Fall, denn das wäre ja Götzen­dienst, das wäre ein schwerer Verstoß gegen das 1. Gebot! Paulus sah das nicht so eng, er vertrat ja den Standpunkt der christ­lichen Freiheit: Alles ist erlaubt – also auch das Essen von Götzen­opfer­fleisch. Aber (hier ist wieder unser wichtiges Aber!) es könnte sein, dass man Juden­christen furchtbar vor den Kopf stößt, wenn man in ihrer Gegenwart de­monstrativ solches Fleisch verzehrt. Das wäre nicht gut, das wäre aus­gesprochen lieblos. Darum legt die christliche Liebe der christ­lichen Freiheit hier Zügel an und verzichtet auf etwas, was an sich harmlos ist. Noch einmal der Grundsatz: „Niemand suche das Seine, sondern, das, was dem andern dient.“

Ja, die christliche Freiheit muss mit der christ­lichen Liebe zusammen­arbeiten, sonst ist es keine christliche Freiheit. Martin Luther hat diesen Zusammen­hang ausführlich dargelegt in seiner berühmten Re­formations­schrift „Von der Freiheit eines Christen­menschen“. Er entfaltet darin folgende beiden Sätze: „Der Christ ist völlig freier Herr über alles und niemandem untertan. Der Christ ein allen völlig dienstbarer Knecht und jedermann untertan.“ Die Liebe bringt also einen freien Christen­menschen dazu, sich als Diener zu verkleiden und anderen Gutes zu tun – besonders denen, die auf fremde Hilfe angewiesen sind. Das ist das Leitmotiv für jede diakonische Tätigkeit, wenn sie denn diesen Namen verdient. Alles ist erlaubt, und wir sind zu nichts ver­pflichtet – aber die Liebe drängt uns, das nicht egoistisch aus­zunutzen, sondern dem Nächsten zuliebe auf Freiheiten zu verzichten. Da trennen sich viele Christen von ihren Karriere-Träumen, von einem Teil ihrer Freizeit und von einem Teil ihres Geldes, um anderen Gutes zu tun und ihnen damit etwas von der göttlichen Liebe weiter­zugeben, die sie selbst unverdient empfangen haben. Ja, darum geht es in der Diakonie.

Es ist alles erlaubt, und jeder darf seinen Lebens-Kuchen so backen, wie er will. Trotzdem ist es normaler­weise hilfreich, sich an bewährte Rezepte zu halten, denn dann wird der Kuchen meistens gelingen und uns sowie auch anderen gut schmecken. Die Zehn Gebote und die Weisungen unsers Herrn Jesus Christus sind solche guten Rezepte; man sollte nicht ohne zwingenden Grund davon abweichen. Wer dem himm­lischen Vater vertraut und den Herrn Jesus Christus lieb hat, der kommt auch gar nicht auf die Idee, dass er selbst es besser wüsste. Vielmehr erkennt er Gottes Weisheit und Liebe nicht nur im Evangelium, sondern auch in Gottes Gesetz, und richtet sich danach. Wer aber dem himmlischen Vater nicht vertraut und Jesus Christus nicht lieb hat, der ist noch gar nicht zur christ­lichen Freiheit durch­gedrungen und steht darum voll unter der Anklage von Gottes Gesetz.

Kurz: Es ist mit der christ­lichen Freiheit so, wie ich es einmal auf einem Hinweis­schild in der Fußgänger­zone einer deutschen Kleinstadt gelesen habe. Da stand: „Ver­nünftige Leute fahren hier nicht Rad. Den anderen ist es verboten.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2014

Autor: Pastor Matthias Krieser

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