Liebevolle Gemeinschaft

Predigt über Johannes 15,9‑17 zum 21. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wenn zwei sich lieben, dann wollen sie immer zusammen sein. Das ist das Haupt­merkmal der Liebe, dass sie sagt: Ich will mit dir zusammen sein. Wenn wir diesen Satz verstehen, dann verstehen wir, was Liebe ist. Und wenn wir verstehen, was Liebe ist, dann verstehen wir Gott, Gottes Weg mit uns Menschen und die ganze Bibel.

Als Jesus zum letzten Mal vor seinem Tod mit seinen Jüngern zusammen war, da lehrte er sie vieles. Die Liebe war dabei sein Hauptthema. Das gilt auch für den Abschnitt der sogenannten Abschieds­reden, den wir eben als Predigttext gehört haben. Er beginnt mit den Worten: „Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch.“ Der himmlische Vater sagt zu seinem ein­geborenen Sohn: Ich habe dich lieb, ich will mit dir zusammen sein. Vater und Sohn haben herzliche, liebevolle Gemein­schaft. Dennoch verließ der Sohn die himmlische Gemein­schaft mit dem Vater. Warum tat er es? Nicht, weil seine Liebe zum Vater erloschen war, sondern im Gegenteil: weil sie so groß war, dass der Sohn für sie ein großes Opfer bringen konnte. Vater uns Sohn haben sich nämlich nicht nur gegenseitig lieb, sondern sie lieben auch uns Menschen. Sie sagen: Wir wollen mit euch zusammen sein. Allerdings sind wir unserer­seits von Gott weg­gelaufen. Da geht Gott uns in seiner großen Liebe nach, um die Gemein­schaft wiederher­zustellen. Nur aus diesem Grund trennte sich der Sohn vorüber­gehend vom Vater: Er wollte die zerbrochene Gemein­schaft mit uns Sündern heilen. Es ist so, wie wenn eine Mutter sich für eine Weile vom geliebten Ehemann trennt, um ihrem schwer kranken Kind im Krankenhaus Tag und Nacht bei­zustehen. Jesus sagt: „Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch.“

Die Jünger damals und alle Menschen, die Jesus für den himmlischen Vater zurück­gewonnen hat, sind nun aufgerufen, nicht wieder fort­zulaufen, sondern in dieser liebevollen Gemein­schaft zu bleiben. Wir sind aufgerufen, unserer­seits zu Gott zu sagen: Ich will mit dir zusammen sein. Darum fordert Jesus seine Jünger auf: „Bleibt in meiner Liebe!“ Das wollen wir gern tun; aber wie machen wir das? Jesus fährt fort: „Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe, wie ich meines Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe.“ Gott hat uns seine Gebote nicht gegeben, um uns das Leben schwer zu machen, sondern weil er uns lieb hat. Wo Menschen sich an Gottes Gebote halten, da herrschen Gerechtig­keit, Friede und Wohl­ergehen. Jesus fügt hinzu: „Das sage ich euch, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde.“

Nun sind Gottes Gebote allerdings etwas anderes als die Gesetze, die in modernen Gesetz­büchern stehen. Moderne Gesetze versuchen spitz­findig, das Verhalten der Staats­bürger bis in alle Einzel­heiten zu regeln. Bei Gottes Geboten geht es nicht um juristische Spitzfindig­keit, sondern, wie gesagt, um Liebe. Was es bedeutet, sich liebevoll nach des Vaters Geboten zu richten, das hat der Sohn uns vorgelebt. Es beginnt damit, dass die Autorität des Vaters nicht unter­graben, sondern respektiert wird. Dies soll aber nicht verbissen und distanziert geschehen, sondern mit Liebe – also mit dem herzlichen Wunsch: Vater, ich will mit dir zusammen sein. Im Alten Testament finden wir diese Haltung in einem einzigen Satz zusammen­gefasst; Jesus hat ihn „das höchste Gebot“ genannt: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften“ (Markus 12,30). Weil Gottes Sohn als Mensch auf Erden lebte, konnte er auch vorleben, wie wir Menschen uns unter­einander lieben sollen. Dies soll in der Weise geschehen, dass jeder dem anderen genauso viel Gutes gönnt wie sich selbst. Und nicht nur gönnt, sondern sich auch dafür einsetzt. Keiner soll sagen: Mein Mitmensch geht mich nichts an, sondern auch hier soll der Grundsatz der Liebe gelten: Ich will mit dir zusammen sein; und das schließt ein: Ich will mich um dich kümmern. Jesus hat das, wie gesagt, vorgelebt, er hat sich wie kein anderer um seine Mitmenschen gekümmert. Und er hat das Gebot der Nächsten­liebe dem Gebot der Gottesliebe gleich­gestellt: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Markus 12,31). Gott als obersten Herrn liebevoll respek­tieren und den Nächsten ebenso lieben wie sich selbst – nichts anderes bedeutet es, Gottes Gebote zu halten; die Zehn Gebote und die anderen Gebote der Bibel sind letztlich nur Auslegungen davon und Beispiel dafür. Das beste Anschauungs­beispiel aber ist Jesus selbst, darum sagt er auch: „Das ist mein Gebot, dass ihr euch unter­einander liebt, wie ich euch liebe.“

Die Liebe sagt: Ich will mit dir zusammen sein. Aber wir haben schon gemerkt, dass es Ausnahmen gibt: Der Sohn verlässt seinen Vater, weil er ihn liebt und seinen Auftrag annimmt – nämlich die Erlösung der Menschen. Dieser Auftrag bringt es mit sich, dass Jesus sich nun auch noch von den Menschen trennt. Obwohl Jesus seine Jünger lieb hat, nimmt er von ihnen Abschied. Eigentlich müssten wir sagen: Gerade weil er sie lieb hat, nimmt er Abschied von ihnen an diesem Donnerstag­abend. Und er erklärt auch, warum. Er sagt: „Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.“ Er ist bereit, am Freitag sein Leben für sie zu lassen. Am Kreuz gibt er sein Leben dahin als Sündopfer für alle Menschen – damit wir wieder ganz mit Gott zusammen sein können, und Gott mit uns. Jesus hat sich vorüber­gehend von seinem Vater getrennt und trennt sich vorüber­gehend auch von seinen Jüngern, damit sie alle für immer in liebevoller Gemein­schaft sein können. Er nahm es auf sich zu erleben, was es heißt, von Gott verlassen zu sein, damit sich nie mehr jemand von Gott verlassen fühlen muss und nie mehr jemand vergeblich wünschen: Ich will mit Gott zusammen sein.

Den nächsten Satz Jesu kann man leicht miss­verstehen. Er lautet: „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete.“ Es hört sich so an, als würde Jesus seine Freund­schaft an eine Bedingung knüpfen. Das aber wider­spräche der Liebe, denn echte Liebe sucht immer bedingungs­los die Gemein­schaft des anderen. Was wie eine Bedingung klingt, ist in Wahrheit eine Be­schreibung. Jesus will damit sagen, dass man seine Freunde immer daran erkennt, dass sie seinen Willen tun. Dieser Wille ist nichts anderes als Liebe üben. Wo Menschen Gott lieben und wo sie sich unter­einander lieben nach Jesu Beispiel und nach Gottes heiligen Geboten, da können wir sicher sein: Hier sind Freunde von Jesus; hier sind meine wahren Brüder und Schwestern; hier gehöre ich hin.

Im Alten Testament kann man immer wieder lesen, dass Menschen sich als Gottes Knechte bezeichnet haben. Als Gott zum Beispiel Samuel rief, da antwortete dieser: „Rede, denn dein Knecht hört“ (1. Sam. 3,10). Jesus macht uns deutlich, dass wir mehr sind als Knechte – nämlich seine Freunde, und damit Gottes Freunde. Er spricht: „Ich sage hinfort nicht, dass ihr Knechte seid; denn ein Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Euch aber habe ich gesagt, dass ihr Freunde seid; denn alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch kundgetan.“ Einen Knechte bindet die Pflicht an seinen Herrn, einen Freund aber die Liebe. Ein Knecht braucht nicht nach den Zielen seines Herrn zu fragen, er braucht nur dessen Befehle aus­zuführen. Unter Freunden ist es wichtig, dass man seine Gedanken austauscht und sich auch mal das Herz aus­schüttet. Durch Jesus hat Gott uns sein Herz gezeigt – ein großes Herz voller Liebe, das alle Menschen einlädt und sagt: Ich will mit euch zusammen sein. Darum ist auch alles, was Jesus gesagt und getan hat, eine einzige große göttliche Liebes­erklärung an uns Menschen.

Freilich dürfen wir den Begriff „Freunde“ nicht falsch verstehen. Es ist nicht so wie bei mensch­licher Freund­schaft, dass man sich aufgrund von gegen­seitiger Sympathie gemeinsam zu dieser Freund­schaft ent­schlossen hat. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir durch unsere Sünde Gott von Natur aus feindlich gesinnt waren. In den Tiefen unserer Seele spüren wir immer noch, wie diese wider­göttliche Feindschaft da rumort. Jesus aber hat diese Feindschaft überwunden. Er hat den ersten Schritt gemacht und die Sünde überwunden – das Hindernis, das uns von Gott trennte. Jesus führt uns das vor Augen, wenn er sagt: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt.“ Kein Christ soll sich einbilden, seine Bekehrung zu Jesus sei ein freier Entschluss gewesen, auf den er stolz sein kann. Andersherum soll kein Christ einen Mitmenschen verachten, nur weil er noch nicht zum Glauben gefunden hat. Es ist ganz und gar Gottes Tun und Gottes Geschenk, wenn jemand seine Liebe erkennt und erwidert.

Wir aber, die wir dieses Geschenk empfangen haben, wollen es nun auch nutzen. Wir haben Gottes Liebe durch Jesus erfahren, darum sollen wir nun auch unserer­seits lieben. Wie könnte es auch anders sein? Was sollte man zu diesem himmlischen Vater und zu seinem ein­geborenen Sohn anderes sagen als: Ich will mit dir zusammen sein? Und wie sollten einem die anderen Menschen gleich­gültig sein können, wenn sie Gott selbst nicht gleich­gültig sind? Solche Liebe ist die Frucht unserer Erlösung und unseres Glaubens. Jesus sagt: „Ich habe euch bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt, damit, wenn ihr den Vater bittet in meinem Namen, er's euch gebe.“ Ja, solche Liebe zeigt sich nicht zuletzt in der Fürbitte, die wir durch Jesus vor den Vater bringen. Und dann fasst Jesus all diese Gedanken noch einmal zusammen mit dem Satz: „Das gebiete ich euch, dass ihr euch unter­einander liebt.“

Der Vater liebt den Sohn; der Sohn liebt den Vater; Vater und Sohn lieben uns; wir lieben den dreieinigen Gott; wir haben uns auch unter­einander lieb. Diese wunderbare Gemein­schaft der Liebe heißt Reich Gottes. Sie ist auf Dauer angelegt; selbst der Tod kann sie nicht kaputt machen. Gott sagt: Ich will mit euch für immer zusammen sein. Auch wir wollen für immer mit ihm zusammen sein. Wie schön ist es da zu wissen, dass nach dem Tod der Himmel auf uns wartet. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2013.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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