Von der Gewissheit, zu Gott zu gehören

Predigt über Johannes 3,1‑13 zum Trinitatisfest

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Die meisten Menschen setzen großes Vertrauen auf Experten. Mediziner, Juristen, Bau­sachver­ständige und Finanz­experten haben ihre Fachgebiete gründlich studiert und wissen bestens Bescheid. Aber Irren ist menschlich – das gilt auch für Experten. Immer wieder hören oder lesen wir davon, dass Experten etwas falsch beurteilen. Man kann sich also nicht zu hundert Prozent auf sie verlassen. Das gilt übrigens auch für mich und für mein Fachgebiet, die Theologie. Wenn jemand etwas Verläss­liches über Gott erfahren will, dann reicht es folglich nicht aus, einen Theologen zu fragen. Auch Theologen irren oft, und oft vertreten sie einander wider­sprechende Meinungen. Daraus ergibt sich die Frage: Wie kann denn dann ein Mensch etwas Verläss­liches über Gott erfahren, und wie kann er einen tragfähigen Glauben bekommen?

Zu Pfingsten habe ich über ein Vier-Augen-Gespräch gepredigt, das Jesus mit einer sama­ritischen Frau hatte. Ich erinnere noch einmal an meine Fest­stellung: Jesus interes­siert sich nicht für Menschen­massen, sondern für den Einzelnen. Das zeigt sich auch am heutigen Predigt­text. Wieder handelt es sich um einen Ausschnitt aus einem Vier-Augen-Gespräch. Jesu Gesprächs­partner ist diesmal ein Mann, der jüdische Theologe Nikodemus. Jesus hat sich zwar immer wieder den Außen­seitern der Gesell­schaft zugewendet, den Verirrten und Ver­achteten, aber er hat ebenso auch mit ganz anderen Leuten gesprochen. Sein Gesprächs­partner Nikodemus war von Grund auf ehrlich und anständig; er stand bei seinen Volks­genossen in höchstem Ansehen. Er war ein Mitglied des Hohen Rates, des obersten jüdischen Gremiums zur damaligen Zeit. Als Pharisäer hatte er nicht nur eine aus­gezeichnete theo­logische Ausbildung bekommen, sondern er gehörte damit auch zu einer Gemein­schaft, die äußerst gewissen­haft darum bemüht war, nach Gottes Willen zu leben. Lassen wir uns durch das Wort „Pharisäer“ nur nicht dazu verleiten, Nikodemus vorschnell in ein bestimmtes Vorurteils-Schubfach zu stecken! Zwar gab es zu Jesu Zeiten viele selbst­gefällige, lieblose und heuchle­rische Pharisäer; Jesus hat das mehr als einmal öffentlich kritisiert. Aber es gab auch integre Persönlich­keiten unter ihnen – wie eben Nikodemus. Er sah in Jesus keineswegs einen Gottes­lästerer und Unruhe­stifter, wie viele andere Pharisäer es taten, sondern er erkannte in ihm einen hoch­begnadeten Rabbi und Gottesmann. Und was noch wichtiger ist: Nikodemus hielt sich selbst nicht für einen unfehlbaren theo­logischen Experten, sondern er war sich bewusst, dass auch Theologen irren können und letzt nur bruchstück­haft etwas über Gott wissen. Er war in Glaubens­dingen ein Suchender und Fragender wie die meisten anderen Menschen. Auch er wird sich gefragt haben: Wie kann ein Mensch etwas Verläss­liches über Gott erfahren, und wie kann er einen tragfähigen Glauben bekommen?

Nikodemus sucht Jesus spät am Abend auf und gibt ihm gleich zu Anfang zu verstehen, dass er große Stücke auf ihn hält. Er sagt: „Meister, wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm.“ Mit dieser Anrede ist Nikodemus ein gutes Vorbild für uns und alle, die nach Gott fragen, denn sie zeigt: Er kommt demütig zu Jesus. Zwar ist er selbst ein theo­logischer Lehrer und sogar ein einfluss­reicher jüdischer Ratsherr, aber dennoch macht er sich bei Jesus wieder zum Studenten und Jünger – er redet ihn mit „Meister“ an. Außerdem kommt er vertrauens­voll zu Jesus. Er hat von den Heilungen und Wundern gehört, die Jesus vollbracht hat, und ist zusammen mit einigen anderen Pharisäern zu der Einsicht gelangt: Solche Wunder kann nur ein echter Gottesmann tun, einer, den Gott selbst in die Welt gesandt hat. Diese Erkenntnis hat in Nikodemus das Vertrauen geweckt, dass Jesus ihn verlässlich über Gott unter­richten kann. Und diese Erkenntnis kann in uns dasselbe Vertrauen wecken und stärken. Jesus hat große Wunder getan und unzähligen Menschen geholfen – viel mehr noch, als sich Nikodemus damals bewusst war. Darum sollten wir darauf vertrauen, dass er wirklich von Gott gesandt ist und uns zu Gott führen kann. Jesus erwartet solches Vertrauen von uns. Wenn dagegen jemand miss­trauisch käme und sagte: Jesus, beweise mir erst einmal, dass du wirklich vom himmlischen Vater gesandt bist, danach werde ich vielleicht auf dich hören – einen solchen Menschen wird Jesus abweisen, der findet bei Jesus kein Heil.

Jesus kommt in dem Gespräch sogleich zur Sache. Was ist das denn für eine Sache, was hat denn Nikodemus für ein Anliegen? Natürlich weiß Jesus, dass Nikodemus mehr über Gott wissen will – nicht aus fach­theolo­gischem Interesse, auch nicht aus allgemeiner mensch­licher Neugier, sondern weil das für alle Menschen wichtig ist. Alle Menschen wollen ja leben, gut leben. Die Voraus­setzung für gutes Leben ist es aber, dass der Mensch im Reinen mit sich selbst ist, und zugleich mit seinen Mitmenschen und mit seiner Umwelt. Für Nikodemus war es selbst­verständ­lich, dass dieses Ziel nur dann erreicht wird, wenn jemand auch mit Gott im Reinen ist. Zu Gott gehören, in Gottes Reich leben – das ist somit das Wichtigste und Erstrebens­werteste, was es überhaupt gibt. Wenn ein Mensch zu Gottes Reich gehört, dann kommt damit alles in Ordnung in seinem Leben; ja, dann wird sogar der Tod entmachtet und die Aussicht auf ewiges Leben eröffnet. Jesus kommt also gleich zu dieser Sache und sagt: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.“ Mit anderen Worten: Ein Mensch ist von Natur aus fern von Gott. Er wird in eine gefallene Welt hinein­geboren und ist von vornherein mit ihrer Sünde infiziert. Diese Sünde schließt ihn von Gottes Reich aus. Nur wenn er von neuem geboren wird, kann das anders werden. Dieser Begriff „von neuem“ ist im griechi­schen Original­text übrigens doppel­deutig; man kann ihn auch mit „von oben her“ übersetzen: „Es sei denn dass jemand von oben her geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.“ Da erfahren wir aus zu­verlässig­ster Quelle: Die Welt hat kein Mittel gegen Sünde und Gottesferne zu bieten. Weder eine gute Erziehung noch die Überwindung von Klassen­unter­schieden noch sonstige gesell­schaft­liche Ver­änderungen machen den Menschen besser oder gar zu einem Kind Gottes; auch kann niemand sich selbst durch eigene Willens­anstrengung zu einem besseren Menschen machen, ebensowenig wie durch Meditation oder Askese. Nur wenn Gott selbst von oben her eingreift und einem Menschen zum zweiten Mal das Leben schenkt, kann es besser mit ihm werden; nur dann kann er zu Gott finden und Bürger des Himmel­reichs werden.

Nikodemus versteht nicht, was Jesus mit diesem erneuten Geboren­werden meint. Er fragt: „Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden?“ Es ist tröstlich, dass Nikodemus so fragt. Er zeigt damit: Selbst ein begabter Theologe versteht vieles von Gottes Willen nicht auf Anhieb, sondern erst nach und nach. Auch darin ist uns Nikodemus ein Vorbild: Wir müssen Geduld haben, wenn wir Gott besser kennen­lernen wollen. Gedud aber bedeutet in diesem Fall nachfragen und weiter aufmerksam zuhören. Nikodemus hat offen­sichtlich noch nicht das „von oben her“ begriffen, und natürlich weiß er noch nichts von der christ­lichen Taufe.

Jesus holt nun weiter aus und sagt zu Nikodemus: „Wahrlich, wahrlich ich sage dir: Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren ist, das ist Geist. Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von neuem geboren werden.“ Jesus macht Nikodemus deutlich: Eine zweite leibliche Geburt wäre sinnlos; aber darum geht es hier auch gar nicht. Ein Mensch kann niemals von Sünde frei sein, wenn er von seiner leiblichen Mutter in die menschliche Gesell­schaft hinein­geboren wird. Aber wenn Gott selbst ihm neues Leben schenkt durch seine Geist, dann wird ein Mensch von der Sünde befreit und erhält geistliches Leben. Dies geschieht in Verbindung mit Wasser – nämlich mit dem Wasser der Taufe. Da haben wir nun eine klare und verläss­liche In­formation, wie ein Mensch mit Gott ins Reine kommen und für immer mit ihm leben kann. Es geht nur so, dass Gott selbst in sein Leben eingreift und ihm durch die Taufe neues Leben schenkt. Das ist übrigens nicht einfach die Experten­meinung irgend­welcher kon­fessionell geprägter Theologen, sondern diese Botschaft geht von himmlischen Vater selbst aus, ist durch Gottes Sohn Jesus Christus in die Welt gekommen und wird durch den Heiligen Geist jedem zuteil, der die Wieder­geburt aus Wasser und Geist erfährt. Da merken wir zugleich, dass wir nur dann eine richtige Vorstellung von Gott bekommen, wenn wir ihn als den Dreieinigen erkennen – den Gott, der sich uns als Vater, Sohn und Heiliger Geist offenbart hat.

Freilich sind dies alles Dinge, die wir nicht sehen oder wissen­schaftlich beweisen können; wir können sie nur in kindlichem Vertrauen von Gott annehmen. Für den mensch­lichen Verstand ist der Heilige Geist unsichtbar, lediglich die von ihm bewirkten Folgen sind wahr­nehm­bar. Jesus hat das mit einem Vergleich erklärt, wobei er die Tatsache aufgreift, dass das griechische Wort für „Geist“ zugleich „Windhauch“ heißt. Jesus sagt: „Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist.“ Nikodemus fragt weiter – demütig, vertrauens­voll und geduldig: „Wie kann dies geschehen?“ Jesus fragt zurück: „Bist du Israels Lehrer und weißt das nicht?“ Über die Wirkweise des Heiligen Geistes müsste Nikodemus in der Tat Bescheid wissen, denn davon steht bereits viel im Alten Testament! Allerdings kann man es erst im Lichte Jesu ganz verstehen. Darum bezeugt Jesus dem Nikodemus – und uns: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wir reden, was wir wissen, und bezeugen, was wir gesehen haben; ihr aber nehmt unser Zeugnis nicht an. Glaubt ihr nicht, wenn ich euch von irdischen Dingen sage, wie werdet ihr glauben, wenn ich euch von himmlischen Dingen sage? Und niemand ist gen Himmel aufgefahren außer dem, der vom Himmel herab­gekommen ist, nämlich der Menschen­sohn.“ Das ist freilich eine schwierige Antwort. Aber wenigstens eins wird uns mit ihr sofort klar: Wer Gott besser kennen­lernen will, der kann das nicht ohne Jesus. Wer aber zu Jesus finden will, der kann das nur mit Glauben, also nur mit dem Vertrauen: Jesus ist vom himmlischen Vater gesandt und offenbart uns darum zuverlässig Gottes Willen. Jesus kehrt zum Vater zurück und hat alle Macht im Himmel und auf Erden. Durch Jesus finden Menschen zu Gott, wenn sie aus Wasser und Geist neu geboren werden. Es ist eigentlich alles ganz einfach. Jesus selbst hat der Kirche auf­getragen: „Tauft im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Matth. 28,19). Und er hat verheißen: „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden“ (Markus 16,16). Wie also kann ein Mensch etwas Verläss­liches über Gott erfahren, und wie kann er einen tragfähigen Glauben bekommen? Wenn er getauft wird, dies im Vertrauen annimmt und zugleich weiter nach dem dreinigen Gott fragt, wie Nikodemus es getan hat: demütig, vertrauens­voll und geduldig. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2013.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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