Gottes Herrlichkeit

Predigt über Johannes 17,22‑23 zum Himmelfahrtstag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wenn sich ein Vogel in die Luft erhebt, dann ist das alltäglich; bei einem Elefanten wäre das ein Wunder. Das liegt daran, dass ein Vogel leicht ist und ein Elefant schwer; etwas Schweres kann nun einmal nicht gut fliegen. Wenn man Christi Himmelfahrt in solcher Weise physi­kalisch betrachten würde, dann müsste man zu dem Ergebnis kommen, dass Jesus sehr leicht war: Er wurde vor den Augen der Jünger einfach nach oben aufgehoben – wie eine Feder oder wie ein Luftballon. Aber in Wahrheit können wir nichts über Jesu Körper­gewicht sagen. Es ist auch völlig unwichtig, denn seine Himmelfahrt ist in jedem Fall ein Wunder. Wer sie auf physi­kalische Weise erklären will, der verfehlt ihren Sinn. Ebenso schief liegen diejenigen, die Jesu Himmelfahrt aus physi­kalischen Gründen abstreiten und zu einem Mythos erklären. Wir verlassen uns vielmehr auf den Bericht der Augen­zeugen: Jesus ist wirklich gen Himmel auf­gefahren; eine Wolke hat ihn wirklich ihren Blicken entzogen; Gott hat dieses Wunder wirklich getan.

Und Jesus ist eigentlich sehr schwer – freilich nicht im Hinblick auf sein Körper­gewicht, sondern im Hinblick auf seine göttliche Herrlich­keit. Wir erfahren das von Jesus selbst in dem Wort, das wir eben gehört haben. In diesem Wort redet Jesus von der Herrlich­keit, die er vom himmlischen Vater empfangen hat und die er seinen Jüngern mitteilt. Der Begriff „Herrlich­keit“ hat seinen Ursprung im hebräischen Wort „Kabod“; das bedeutet wörtlich „Schwere“ oder „Gewicht“. Gott ist das A und das O, der Anfang und das Ende, der Ursprung und das Ziel aller Dinge; somit ist er das Wichtigste, was es überhaupt gibt. Das Wichtigste – da merken wir, dass auch die deutsche Sprache ein Gewicht kennt, das nicht mit Kilogramm oder Tonnen beziffert werden kann. Gott hat größtes Gewicht, Gott ist der Wichtigste, und dasselbe bedeutet Gottes Herrlich­keit oder Ehre oder Glanz oder Göttlich­keit. Das Wunder der Himmelfahrt macht deutlich, dass Jesus als ein­geborener Sohn des Vaters an dieser Herrlich­keit vollständig teilhat: Nachdem seine irdische Mission beendet war, kehrte er in die ewige Welt des Vaters zurück und regiert nun zusammen mit ihm über Himmel und Erde. Darum bekennen wir in Zusammen­hang mit der Himmelfahrt von ihm: Er hat sich gesetzt zur rechten Hand Gottes.

Nun gibt es über dieses Wort „Herrlich­keit“ aber noch mehr zu sagen. Im Neuen Testament ist es uns nicht mit dem hebräischen Begriff „Kabod“ beziehungs­weise „Gewicht“ über­liefert, sondern mit dem griechi­schen Pendant dazu: „Doxa“. Dieses Wort hat eine interes­sante Geschichte, die uns seine tiefere Bedeutung auf­schließen hilft. Ur­sprüng­lich bedeutete Doxa „Meinung“. Wenn es sich um die Meinung über einen Mitmenschen handelt, kann man es auch mit „Ruf“ übersetzen – im Sinne von „einen guten Ruf haben“. Wenn viele eine gute Meinung über jemanden haben, wenn dieser Mensch also allgemein einen guten Ruf hat, dann ist das gleich­bedeutend mit Ehre oder hohem Ansehen. So ist es gekommen, dass das Wort „Doxa“ die Bedeutung „Ansehen“, „Ehre“ und „Herrlich­keit“ erhalten hat. Und so ist es auch zur offiziellen Vokabel für das hebräische „Kabod“ geworden. Im Neuen Testament wird diese Vokabel fast aus­schließlich in Zusammen­hang mit Gott gebraucht; es geht um göttliche Ehre, Ansehen, Herrlich­keit und Wichtig­keit. Man könnte sagen: Das Wort „Doxa“ beziehungs­weise „Herrlich­keit“ ist ein sprach­licher Heiligen­schein. Wir malen ihn für Gott mit Worten immer dann, wenn wir das Vaterunser beten; der Schlussteil des Vaterunsers wird deshalb auch „Doxologie“ genannt: „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlich­keit in Ewigkeit.“

Was macht diese göttliche Herrlich­keit aber nun aus; woraus besteht sie? Jesus betete zum Vater: „Ich habe ihnen die Herrlich­keit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins seien, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, damit sie vollkommen eins seien und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und sie liebst, wie du mich liebst.“ An diesen Worten merken wir: Gottes Herrlich­keit lebt in Beziehungen – zunächst in der Beziehung zwischen Gott Vater und Gott Sohn, dann aber auch in der Beziehung zwischen Jesus und seinen Jüngern. Diese Beziehungen kann man als sehr enge Gemein­schaft be­schreiben; Jesus spricht vom „Eins-Sein“. Und diese Beziehungen sind geprägt von der Liebe; Jesus spricht davon, dass der Vater die Jünger liebt, wie er Jesus selbst liebt. Da merken wir: Gottes Herrlich­keit ist kein starrer Heiligen­schein, den Gott gewisser­maßen wie ein kostbares Schmuck­stück für sich selbst im Tresor aufbewahrt. Gottes Herrlich­keit ist vielmehr daraufhin angelegt, von Gott auszugehen und über seinen ein­geborenen Sohn zu uns Menschen zu kommen. Vielleicht sollten wir uns diesen Heiligen­schein der göttlichen Herrlich­keit nicht als etwas Starres und räumlich eng Begrenztes vorstellen, sondern eher so wie eine Feuerwerks­rakete, die am Nachthimmel explodiert: Vom Zentrum her gehen herrliche farbige Strahlen in alle Richtungen aus und fallen dann zur Erde. Ihren Glanz bekommen diese Strahlen von Gottes Liebe. Gottes Herrlich­keit erreicht uns Menschen als eine einzige große Liebeserklärung. Die gelangt aber nicht einfach als ein religiöses Gefühl oder eine pro­phetische Botschaft zu uns, sondern sie ist in Gottes ein­geborenem Sohn persönlich zu uns gekommen. Diese göttliche Liebes­erklärung ist jenes „Wort“, das Fleisch wurde – „und wir sahen seine Herrlich­keit, eine Herrlich­keit als des ein­geborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit“ (Joh. 1,14).

Wenn wir Christi Himmelfahrt aus diesem Herrlich­keits-Blick­winkel betrachten, dann merken wir: Jesus hat sich damit keineswegs aus der Welt zurück­gezogen, sondern im Gegenteil, er ist dahin gegangen, von wo aus er durch den Heiligen Geist noch viel nach­haltiger Gottes Liebe unter den Menschen verbreiten kann. Seine Jünger sollen ihm dabei Boten und Werkzeuge sein – angefangen von den Aposteln, den ersten Jüngern, die ihn haben gen Himmel fahren sehen. Jünger Jesu sollen aus Gottes Liebe leben und dadurch etwas sichtbar machen vom wahren Wesen der göttlichen Herrlich­keit. Auf diese Weise können Gottes Strahlen die Welt erhellen – auch dort, wo sie noch dunkel ist. Wenn wir als Christen liebevoll miteinander umgehen und füreinander da sind, dann ereignet sich unter uns Gottes Herrlich­keit, und dann finden wir auch unter­einander zum Eins-Sein, also zu der engen Gemein­schaft, die der himmlische Vater mit dem Sohn hat. Hören wir noch einmal Jesu Worte: „Ich habe ihnen die Herrlich­keit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins seien, wie wir eins sind.“

Dieser Zusatz ist ganz wichtig: „… wie wir eins sind.“ Wie sind denn der Vater und der Sohn eins? So, dass jeder dem andern seine Meinung lässt? So, dass jeder sein eigenes Ding macht? Keineswegs! Jesus hat es seinen Jüngern oftmals erklärt: Der Vater und er sind dadurch eins, dass er, der Sohn, auf den Vater hört, ihm gehorcht und dessen Willen tut. Auf dieselbe Weise sollen auch wir Christen unter­einander eins sein. Eine falsche christliche Einheit ist es, wenn jeder den andern um miss­verstandener Toleranz willen nach seiner Fasson selig werden lassen will. Eine falsche christliche Einheit ist es, wenn in der Kirche viele gegen­sätzliche Meinungen un­verbindlich neben­einander stehen­gelassen werden. Wahre christliche Einheit entspricht der göttlichen Herrlich­keit, also der Einheit zwischen Vater und Sohn: Da geht alles nach dem Willen des Vaters; der Sohn ordnet sich ihm unter und gehorcht freiwillig und gern. Wenn wir als Christen eins sein wollen, dann geht das nur so, indem wir gemeinsam auf den Willen des himmlischen Vaters achten. Den Willen des Vaters aber hat Jesus auf die Erde gebracht; Jesus aber ist nach der Himmelfahrt durch den Heiligen Geist gegen­wärtig; der Geist aber hat durch die Apostel geredet; das Wort der Apostel aber ist in der Bibel auf­geschrieben. Nur so kann wahre Ökumene gelingen: Allein durch die Bibel, allein durch die aposto­lische Kirche, allein durch Christus.

Freilich sind wir in der Erkenntnis von Gottes Willen und Wahrheit noch nicht vollkommen. Wir sind Jünger, also Schüler oder Lernende. Der Glanz von Gottes Herrlich­keit ist bei uns noch gebrochen durch menschliche Sünde. Darum müssen wir Geduld miteinander haben; auch die ist ein Merkmal der göttlichen Liebe. Wenn wir aber in diesem Sinne geduldig miteinander auf Gottes Wort hören, liebevoll miteinander ungehen und uns so um die rechte Einheit mühen, dann können wir etwas von Gottes Herrlich­keit erfahren. Und dann können wir auch anderen etwas davon weiter­geben, wie Jesus sagte: „… dass die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und sie liebst, wie du mich liebst.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2013.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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