Wir gehören dazu

Predigt über Johannes 17,9‑10 zum Sonntag Quasimodogeniti

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Stellt euch ein junges Ehepaar vor, das noch immer stark verliebt ist. Stellt euch weiter vor, dass die Frau schwanger wird und ein Kind zur Welt bringt. Wäre es möglich, dass Mann und Frau sich um das Eigentums­recht an dem neuen Erdenbürger streiten? Dass die Frau sagte: „Das ist mein Kind!“, und der Mann wider­spräche: „Nein, das ist mein Kind!“? Wohl kaum. Gemeinsam werden sie glücklich sagen: „Das ist unser Kind!“ Es kann sogar sein, dass sie alles, was sie haben, als gemeinsames Eigentum betrachten; es kann sein, dass jeder von beiden sagt: „Alles, was mein ist, das ist dein, und was dein ist, das ist mein.“ Ich habe das mit meiner Frau jedenfalls immer so gehalten, ein­geschlossen das Portmonnee, und ich versichere euch: Wir sind in 26 Ehejahren nicht schlecht damit gefahren. Aber auf jeden Fall gilt das für ein Kind: Es gehört gleicher­maßen zu beiden Eltern­teilen, denn es steht ja über seine Gene mit beiden in einer direkten Beziehung. Ebenso, wie das Kind beiden Eltern gehört, so gehören beide Eltern dem Kind. Alle drei bilden gemeinsam die Einheit einer kleinen Familie und gehören deshalb aufs Engste zusammen.

Quasimodo­geniti ist Lateinisch und lautet übersetzt „wie neu geborene Kinder“. Es ist der Name des heutigen Sonntags und zugleich der Anfang vom Eingangs­psalm. Dieser Sonntags­name lässt als Wochenthema anklingen, was ich eben ausgeführt habe, und macht daraus ein Gleichnis. In diesem Gleichnis werden wir Christen mit neu geborenen Kindern verglichen. Wie ein Kind von Geburt an zu seinen beiden Eltern gehört, so gehört ein Christ von der Taufe an zum himmlischen Vater und zu Jesus Christus. Vater und Sohn stehen in einer engen liebevollen Beziehung, und darum hat keiner von beiden einen größeren Anspruch auf einen Christen­menschen. Diese Tatsache hat Jesus betont, als er zum himmlischen Vater sagte: „Ich bitte für die, die du mir gegeben hast; denn sie sind dein. Und alles, was mein ist, das ist dein, und was dein ist, das ist mein.“ Christsein bedeutet ja nichts anderes, als Gottes Eigentum zu sein – aber nicht in dem allgemeinen Sinn, dass Gott uns geschaffen hat wie alle anderen Geschöpfe auch, sondern in dem Sinn, dass er mit uns eine ganz besondere und persönliche Beziehung ins Leben gerufen hat. Das wird bereits im Alten Testament an­schaulich, wo Gott so eine Beziehung, so einen Bund, für das Volk Israel stiftete. Diesem alten Bundesvolk sagte er unter anderem: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein“ (Jes. 43,1). Danach hat er seinen Sohn als Mensch in die Welt geschickt, um alle Menschen zu erlösen, damit sie sein neues Bundesvolk werden. Als Eingangstor in dieses neue Bundesvolk hat er die heilige Taufe geschaffen; da sagt er durch Jesus zum Getauften: „Du bist mein.“ Mit der Taufe wird ein Mensch zu einem Bürger in Gottes ewigem Reich; er gehört nun gewisser­maßen zu Gottes Familie. Der Getaufte ist Eigentum vom himmlischen Vater und von Jesus Christus, zugleich aber ist der Mensch gewordene Gott nun sein Herr. Der Getaufte ist hinein­genommen in die Gemein­schaft von Vater und Sohn. Alle Christen gehören mit Gott aufs Engste zusammen. Diese Einheit beruht nun freilich nicht auf einer genetischen Verwandt­schaft oder sonstiger materieller Zusammen­hänge, sondern diese Einheit entsteht durch Gottes Wort; genauer: durch das Evangelium von Jesus Christus. In Jesus ist ja Gottes Herrlich­keit auf Erden erschienen, und so zieht mit der Botschaft von Jesus Gottes Herrlich­keit bei uns Menschen ein. Das geschieht am Anfang eines Christen­lebens mit der Taufe, die ihre Kraft ganz aus Gottes Wort bezieht. In seinem Gebet hat Jesus das so aus­gedrückt: „Ich bin in ihnen ver­herrlicht.“ Weil wir getauft und durch das Evangelium zum Glauben erweckt worden sind, wohnt Christi Herrlich­keit in uns. So gehören wir zu ihm, und durch ihn zu Christus. So bilden alle Christen mit dem himmlischen Vater und mit Jesus eine enge Gemein­schaft. Das ist Gottes Familie, das ist Gottes Reich.

Nun erfahren wir, dass Jesus für uns betet. „Ich bitte für sie“, hat er dem Vater gesagt. Aus den weiteren Gebets­worten erfahren wir auch, worum er bittet: Er bittet darum, dass diese Gemein­schaft nicht zerbricht, sondern dass wir durch den Glauben mit Gott verbunden bleiben. Diese Bitte grenzte Jesus nun in merkwüdiger Weise ab. Er sagte nämlich auch: „Ich bitte nicht für die Welt.“ Wie kann das angehen? Er ist doch schließlich zur Erlösung für die ganze Welt gekommen. Es heißt doch: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingebornen Sohn gab…“ (Joh. 3,16). Wieso will der Gottessohn nun nicht für die Welt bitten? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir uns zunächst klar machen, was in diesem Zusammen­hang mit „Welt“ gemeint ist. Gemeint sind alle Menschen, die nicht zu Gottes Bund gehören. Sie stehen nicht in der besonderen persön­lichen Beziehung zu ihm, dass sie sein Eigentum sind – noch nicht. Um das zu ändern, ist der eingeborene Sohn Mensch geworden und den bitteren Weg ans Kreuz gegangen. Um das zu ändern, hat er auch die Heilige Taufe eingesetzt als „Bad der Wieder­geburt und Erneuerung im Heiligen Geist“ (Titus 3,5). Jesus möchte also, dass auch die „Welt“ zu ihm und zum himmlischen Vater findet; er möchte es von ganzem Herzen. Darum kann Jesus gar nicht grund­sätzlich das Gebet für die Welt ablehnen. Martin Luther hat in seiner Auslegung dieses Verses darauf hin­gewiesen, dass Jesus an anderer Stelle lehrte, auch für seine Feinde zu bitten. Jesus ist keineswegs gegen das Gebet für die Un­getauften, und er hält sie auch nicht für hoffnungs­lose Fälle. Er sagt hier lediglich, dass das jetzt nicht sein Thema und Anliegen ist, nicht in diesem Gebet. Im sogenannten hohen­priester­lichen Gebet geht es nicht um Nicht­christen und Mission, sondern es geht hier um diejenigen, die bereits seine Jünger geworden sind, sowie um ihre Bewahrung im Glauben. Es wäre ja auch Unsinn, für die Nicht­christen zu erbitten, dass Gott sie in ihrem Zustand bewahrt; für sie muss man anders bitten. Martin Luther hat das in seiner Auslegung schön differen­ziert. Er schrieb: „Solch Gebet geht nicht eigentlich gegen die Person, sondern gegen das Wesen, das die Welt führt und treibt gegen Gottes Wort, welches die Person nicht lässt zu Gnaden kommen.“ Aber im Hinblick auf die gläubigen Getauften meint Luther: „Wenn Christus für seine Christen bittet, bittet er nicht allein für ihre Person, sondern für ihr Amt und ganzes Wesen: Denn wie und wo das geht und bleibt, da muss die Person auch gehen und bleiben.“

Wenn wir nun Jesu Gebetsworte in der Bibel lesen und richtig verstehen, dann haben wir einen doppelten Nutzen davon.

Erstens: Wir können über die Maßen froh sein, dass wir zu Gottes Familie gehören. Wir sind in sein Reich hineingeboren, wieder­geboren durch Wasser und Geist mit der Heiligen Taufe. Wir sind das Eigentum von Jesus Christus und vom himmlischen Vater. Zugleich ist er unser Herr und Gott, ist uns stets nahe in unserem Leben. Unser Christsein beruht auf Gottes Handeln durch Jesus, durch sein Wort und Sakrament, nicht auf unserer eigene Leistung und Glaubenskraft. Wenn also unser Glaube mal schwach und wackelig wird, dann können wir sagen: Das macht nichts, denn ich gehöre ja trotzdem zu Gott, das hat er mir mit der Taufe geschenkt; und Jesus betet für mich und bittet den himmlischen Vater, dass ich bis zum Schluss im Heil bleibe und das herrliche Ziel der ewigen Seligkeit erreiche.

Zweitens: Wir lernen die richtige Einstellung zur „Welt“, also zu den Un­getauften. Wir sagen nicht: Das sind hoffnungs­lose Fälle; mit denen wollen wir nichts zu tun haben; es lohnt sich nicht, für sie zu beten. Es wäre auch un­barmherzig und falsch, sich in der christ­lichen Gemein­schaft einzuigeln und von der Welt abzukapseln – abgesehen davon, dass das in der heutigen Gesell­schaft kaum möglich ist. Wir sagen aber auch nicht: Alle Menschen sind Gottes Kinder, egal ob sie an Christus glauben oder an Allah oder an Buddha oder an garnichts. Die Bibel macht einen deutlichen Unterschied zwischen der Welt und Gottes Reich. Kein Mensch gehört dadurch, dass Gott ihn geschaffen hat, automatisch zu seinem Bund und Eigentums­volk. Mit Christus und dem neuen Bund hat Gott eindeutig und klar einen Zugang zu seinem Reich gestiftet, nämlich die Taufe (das Bad der Wieder­geburt und Erneuerung im Heiligen Geist) und den Glaube an das Evangelium von Jesus Christus. Wenn wir für Ungetaufte beten und wenn wir mit ihnen zu tun haben, wird das also immer mit dem Wunsch verbunden sein, dass sie nicht im Zustand der „Welt“ bleiben, sondern für Gottes Reich gewonnen werden.

Gott will, dass alle Menschen gerettet werden. Gott will, dass alle Menschen durch Christus sein Eigentum werden. Gott will, dass alle Menschen das werden, was wir durch seine Gnade schon geworden sind. Gott will letztlich, dass alle Menschen ein­geschlossen werden können in das Gebet des Gottes­sohnes: „Alles, was mein ist, das ist dein. Und alles, was dein ist, das ist mein; und ich bin in ihnen ver­herrlicht.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2013.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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