Brot für alle

Predigt über Johannes 6,1‑13 zum 7. Sonntag nach Trintiatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Der bekannte Wunder­bericht von der Speisung der 5000 wird mit ver­schiede­nen Interessen­schwer­punkten gelesen. Manche rücken das Wunder selbst in den Mittelpunkt ihres Interesses. Es ist ja wirklich ganz er­staunlich, wie da so viele Menschen mit fünf Fladen­broten und zwei Fischen satt werden und wie dann die Reste sogar noch zwölf Körbe füllen. Aber wenn man genau hinschaut, dann stellt man fest: Über das eigentliche Wunder steht da nicht viel, nur die kurze Notiz: „Jesus gab ihnen, so viel sie wollten.“ Andere Leser der Geschichte halten dieses Wunder für so un­glaublich, dass sie bezweifeln, ob es wirklich geschehen ist. Sie deuten die Geschichte lieber sozial: Sie behaupten, Jesus hätte das bisschen Essen mit seinen Jüngern brüderlich geteilt und damit die ver­sammelten Menschen dazu bewegt, ihren eigenen Proviant auszupacken und mit denen zu teilen, die nichts dabei hatten. Davon steht aber gar nichts da. Und warum sollte man auch bezweifeln, dass der allmächtige Gott so ein Wunder tun kann? Wenn wir uns nicht von mensch­lichen Interessen leiten lassen, sondern wenn wir uns ganz auf den Wortlaut des Berichts kon­zentrieren, dann kann es nur einen Interessen­schwerpunkt geben: Jesus selbst. Das ist ja überhaupt der große Interessen­schwerpunkt in allen Evangelien und in der ganzen Heiligen Schrift: der Gottessohn Jesus Christus. Ihn immer besser kennen­zulernen, das ist unser vorrangiges Anliegen.

Die ganze Geschichte begann damit, dass Jesus mit seinen Jüngern eine einsame Berggegend am Nordostufer des Sees Genezareth aufsuchte. Er wollte sich eine Weile vor den Menschen­massen zurück­ziehen, um zu beten und auszuruhen. Aber er war mittler­weile so berühmt, dass ihn die Menge nicht in Frieden ließ. So wie heutzutage Paparazzi und andere Medienleute hinter den Prominenten herhecheln und ihnen keine Ruhe gönnen, so folgten die Leute dem berühmten Jesus von Nazareth in die einsame Gegend. Sie waren neugierig und hofften, neue Wunder zu erleben. Jesus erwies sich auch in dieser Situation als liebevoll und geduldig: Er schickte die Leute nicht fort, sondern er kümmerte sich um sie. Von den anderen Evan­gelisten wissen wir, dass er mit ihnen redete und ihnen Gottes Reich verkündete. Der Evangelist Johannes bemerkt, dass sich dies kurz vor dem Passafest zutrug.

Diese Notiz ist keineswegs neben­sächlich. Mit dem Passafest hat Gott zur Zeit des alten Bundes vor­bereitet, was Jesus dann mit dem neuen Bund erfüllt hat. Jesus selbst ist das Passalamm, das für die Sünden der Welt geopfert worden ist. Und wie beim ersten Passafest die Menschen ihre Türrahmen mit dem Blut des Passalammes bestrichen und auf diese Weise vor dem tod­bringenden Würgeengel verschont blieben, so verschont das Blut Jesu, vergossen am Längs- und Querbalken des Kreuzes, alle Gläubigen vor dem ewigen Tod. Das Passafest hat aber noch einen anderen Namen: Fest der un­gesäuerten Brote. Es gab zu diesem Fest Brotfladen, die ohne Sauerteig gebacken worden waren. Als Jesus mit seinen Jüngern am Vorabend des Karfreitags das Passafest feierte, sagte er über solchem Brot: „Das ist mein Leib.“ Wie Jesus selbst als Passalamm sein Blut vergoss zur Vergebung der Sünden, so gab er seinen Leib in den Tod dahin und wurde damit zum Brot des Lebens. All dies klingt an, wenn es beim Evan­gelisten Johannes heißt: „Es war kurz vor dem Passa.“

Vor dem Speisungs­wunder kam es zu einem Gespräch zwischen Jesus und seinen Jüngern. Jesus erkannte, dass es schwierig werden würde, den vielen Menschen in dieser einsamen Gegend ein Abendessen vor­zusetzen. Er fragte Philippus: „Wo kaufen wir Brot, damit diese zu essen haben?“ Es war eine Prüfungs­frage: Jesus, der Meister, wollte seinen Jüngern damit etwas bewusst machen. Philippus erwies sich als guter Kopf­rechner: Er schätzte die Menge der Menschen ab und kam dann zu dem nieder­schmettern­den Ergebnis: „Für zweihundert Silber­groschen Brot ist nicht genug für sie, dass jeder ein wenig bekomme.“ Für diese Summe musste ein einfacher Arbeiter mehr als ein halbes Jahr lang arbeiten. Wie Philippus denken noch heute viele Jünger: Sie schätzen ab, sie erstellen Sta­tistiken, sie rechnen, sie sorgen. Das ist auch in unserer Kirche nicht anders angesichts zurück­gehender Kirchen­beiträge und Spenden. Manche Ver­antwort­lichen fragen sich bekümmert: Wie sollen wir in Zukunft noch unsere Pastoren bezahlen? Andere wollen opti­mistisch sein und verweisen darauf, wie gut es uns doch noch geht und was für Rücklagen wir noch haben – so wie der Jünger Andreas, der bei dem Gespräch einwarf: „Es ist ein Kind hier, das hat fünf Gersten­brote und zwei Fische.“ Aber dann schaute er auf die tausenden von hungrigen Menschen, der Mut sank ihm, und er meinte resigniert: „Aber was ist das für so viele?“ Ja, das ist bis heute so geblieben – in der Kirche, in den großen Staats­haushalten und in vielen Privat­haushalten: Wenn man auf die kümmer­lichen Finanzen schaut, dann kann einem der Mut verlassen. Wenn es nur bei dieser mensch­lichen Sicht bleibt, dann haben wir Jesu Prüfung nicht bestanden. Aber erinnern wir uns: Nicht auf die kümmer­lichen Finanzen sollen wir schauen, auch nicht auf die Sorgen der Jünger, sondern auf Jesus; der ist unser Interessen­schwerpunkt, der ist die Haupt­person. Jesus machte sich keine Sorgen. Jesus argu­mentierte auch nicht mit seinen Jüngern und hielt sich nicht mit leeren Trostworten auf. Vielmehr begann er zielstrebig zu handeln. Er ließ die Menschen auf der Wiese Platz nehmen. Dann nahm er die Brote und die Fische, die das Kind bei sich hatte. Wohl­bemerkt, es war kein reicher Sponsor und kein einfluss­reicher Er­wachsener, sondern ein Kind! Das ist Jesu Art: Mit Kindern, mit einfachen und un­scheinbaren Menschen, tut er Wunder und baut sein Reich. Jesu Handlung mit Brot und Fisch ist mit Worten be­schrieben, die uns an die Einsetzung des Heiligen Abendmahls erinnern sowie auch an sein Mahl mit den Emmaus-Jüngern als Auf­erstan­dener. Es heißt: „Jesus nahm die Brote, dankte und gab sie ihnen.“

Auch das ist keineswegs neben­sächlich. Wie bei der Notiz mit dem Passafest deutet sich auch hier an: Jesus ist in die Welt gekommen, um Menschen in einem viel tieferen Sinne zu sättigen, als das eigentliche Wunder zeigt. Wenn Jesus Brot schafft und Brot austeilt, dann schenkt er sich selbst. Wenn Jesus Brot schafft und Brot austeilt, dann macht er die Seele satt. Wenn Jesus Brot schafft und Brot austeilt, dann bekommen wir Lebens­mittel zum ewigen Leben. Das hat Jesus mit seinem Tod und mit seiner Auf­erstehung gewirkt, und darum heißt es bei den beiden Abendmahls­feiern unmittelbar vor seinem Tod und unmittelbar nach seiner Auf­erstehung: „Er nahm das Brot, dankte und gab es ihnen“ (Lukas 22,19 und 24,30). Darauf weist auch sein Verhalten bei unserem Brotwunder hin.

Alle wurden satt nach diesem Speisungs­wunder. Jesus hat genug Brot für alle. Ja, Jesus schenkt sogar über­reichlich, mit großem Überfluss: Zwölf Körbe mit Resten blieben übrig. Denken wir auch daran, wie Jesus zu Beginn seiner Wirksamkeit auf wunderbare Weise Wein machte: Da schuf er ebenfalls über­reichlich viel, etwa sechs­hundert Liter. So über­schwäng­lich groß ist Jesu Liebe zu uns Menschen!

Der eigentlich Wunder­bericht ist an dieser Stelle zu Ende. Der Evangelist berichtet dann noch, wie die Menge Jesus am liebsten zu ihrem neuen König ausgerufen hätte. Ein König, der immer alle reichlich satt macht, den wünschen sich alle. Aber Jesus floh vor ihnen. Seine Zeit war noch nicht gekommen. Als er die Menschen am nächsten Tag wiedersah, hielt er ihnen eine lange Predigt, die in dem Satz gipfelte: „Ich bin das Brot des Lebens“ (Joh. 6,35). Er wollte ihnen damit deutlich machen: Das tägliche Brot ist nicht das Wichtigste, sondern das ewige Leben ist das Wichtigste. Das ewige Leben aber kommt durch Jesus selbst, durch sein Leiden, Sterben und Auf­erstehen. Wer das im Glauben annimmt, der ist mit Gott im Reinen und gehört für immer zu ihm. Noch einmal: Auf Jesus selbst kommt es in erster Linie an, nicht auf irdische Lebens­mittel – gleich ob sie auf wunderbare oder soziale Weise zur Verfügung stehen. Jesus ist nicht nur der Interessen­schwerpunkt in diesem Wunder­bericht, sondern auch der Dreh- und Angelpunkt unserer Erlösung und damit unser Glaubens­mittel­punkt. Nirgends erfahren wir das stärker als dort, wo wir noch heute in seinem Namen das Brot nehmen, danken und es austeilen – ihn selbst, Jesus, das Lebensbrot, im Sakrament des Altars. Am Tag nach dem Speisungs­wunder versprach Jesus in seiner Predigt: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am Jüngsten Tage auf­erwecken. Denn mein Fleisch ist die wahre Speise und mein Blut ist der wahre Trank. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm.“ (Joh. 6,54-56) Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2012.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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