Barategi mo Moreneng!
Mit diesen Worten habe ich meine Predigten begonnen, wenn ich als Missionar in der Tswana-Sprache predigte: „Geliebte im Herrn!“ Ich gebe zu: Es war mühsam, diese Sprache zu erlernen, und Mühe hatte ich mit ihr die ganzen zehn Jahre über, die ich in Botswana lebte. Aber im Nachhinein kann ich sagen, dass die Mühe sich gelohnt hat. Wenn man andern Menschen die frohe Botschaft von Jesus Christus verkündigen will, dann geht das am besten in ihrer Muttersprache. Als Tourist kann man sich notfalls mit Händen und Füßen verständigen, als Diplomat kommt man mit Englisch und Französisch gut durch, aber als Missionar sollte man die Menschen in ihrer Muttersprache erreichen. Es ist darum stets der Grundsatz unserer Lutherischen Kirchenmission gewesen, dass Missionare vor Ort die Sprache des Volkes lernen, in dem sie eingesetzt werden. Andere Missionsgesellschaften, die Missionare für kürzere Zeit aussenden, stellen ihnen wenigstens Dolmetscher zur Seite.
Beim ersten großen Missions-Event der Welt, nämlich zu Pfingsten damals in Jerusalem, hat sich der Heilige Geist höchstpersönlich zum Dolmetscher und Sprachlehrer der Apostel gemacht. Wir haben davon gerade wieder bei der Verlesung der Pfingstgeschichte gehört: Die Jünger „fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.“ In einem wunderbaren Schnellst-Sprachkurs lehrte der Heilige Geist die Jünger das Predigen in verschiedenen Fremdsprachen. Das klingt auch in unserm Predigttext an, wo der Apostel Paulus äußert: „Wir reden mit Worten, die der Geist lehrt.“ Und weiter heißt es in der Pfingstgeschichte von der internationalen Zuhörerschar: „Ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden.“ Da betätigte sich der Heilige Geist zugleich als Dolmetscher, als Simultan-Übersetzer für die Verkündigung der Jünger. Auch das klingt in unserm Predigttext an, denn es heißt da: „Wir haben empfangen den Geist aus Gott, dass wir wissen können, was uns von Gott geschenkt ist.“
Liebe Brüder und Schwestern, das ist die Hauptaufgabe des Heiligen Geistes: dafür zu sorgen, dass Gottes Wort von Menschen verstanden wird. Der Geist wird dabei zum Sprachlehrer für die, die Gottes Wort verkündigen: Er lässt sie Worte finden, die die Hörer erreichen. Und zugleich wird der Geist zum Dolmetscher für die, die Gottes Wort hören: Er öffnet ihnen das Verständnis für die verkündigte Botschaft. Denn darum geht es beim Evangelium von Jesus Christus: um verständliches Reden und verständiges Hören. Oder um es mit dem passenden Fremdwort auszudrücken: Es geht um gelingende Kommunikation. Der Heilige Geist aber ist Gottes Kommunikationsexperte, darum macht er sich immer wieder zum Sprachlehrer und zum Dolmetscher.
Es lassen sich unzählige Beispiele aus der Kirchen‑ und Missionsgeschichte nennen, wie der Heilige Geist sprachliche Gräben überbrückt und Menschen das Evangelium nahegebracht hat. Sogar die Nebenprodukte davon sind erstaunlich: So geht das kyrillische Alphabet auf den griechischen Missionaren Kyrill zurück, der im 9. Jahrhundert den slawischen Völkern das Evangelium brachte. Und Martin Luther hat mit seiner deutschen Bibelübersetzung zugleich die Grundlage für eine einheitliche deutsche Sprache geschaffen. Als er auf der Wartburg das Neue Testament übersetzte, da ging er, als „Junker Jörg“ verkleidet, öfters auf den Eisenacher Marktplatz, um den Leuten „aufs Maul zu schauen“, wie er es nannte. Er wollte wissen, wie die einfachen Leute seiner Zeit untereinander Deutsch sprachen, um das bei seiner Bibelübersetzung zu berücksichtigen. Nun ist das allerdings nicht mehr ganz die heutige Umgangssprache. Darum versuche ich immer wieder mit meinen Predigten und in den Bibelstunden, den Sinn der biblischen Texte für die heutige Zeit zu erklären. Außerdem gibt es eine Reihe neuerer Bibelübersetzungen, die dem modernen Deutsch angepasst sind. Bei dem allen können wir den Heiligen Geist am Werk sehen, der als Sprachlehrer und Dolmetscher den Menschen Gottes frohe Botschaft nahebringen will – gleich ob mit Wundern oder ohne.
Allerdings kann es auch bei der besten und klarsten modernen Bibelübersetzung geschehen, dass Menschen Gottes Botschaft nicht verstehen. Das liegt dann nicht an der Sprache an sich beziehungsweise an der sprachlichen Form, sondern das liegt dann am Inhalt der Botschaft. Die Leute, die auch moderne Übersetzungen nicht verstehen, haben einfach keinen Zugang zu Sünde und Gnade, zu Gottesfurcht und Sühnopfer, zu Engeln und ewigem Leben und zu all dem, was da mit dem Evangelium zur Sprache gebracht wird. Es lassen sich einfach keine passenden Begriffe finden, um ihnen das zu vermitteln, was Gott meint. Es scheint da zusätzliche Kommunikationsbarrieren zu geben.
Solche besonderen Kommunikationsbarrieren kann man übrigens auch bei ganz weltlichen Inhalten zwischen verschiedenen Fremdsprachen beobachten. Zum Beispiel erscheint es mir fast unmöglich, einem Tswana den Unterschiede zwischen grün und blau in seiner Muttersprache nahezubringen; für beides gibt es nämlich nur ein Wort in Tswana: botala. Umgekehrt hätte der Tswana Schwierigkeiten, mir auf deutsch das Wort sejei zu übersetzen. Es handelt sich um einen Einschnitt im Ohr eines Rindes, der es als Besitz eines bestimmten Eigentümers zu kennzeichnet, und zwar um einen keilförmigen Schnitt von unten her. In Tswana gibt es mehr als zehn verschiedene Vokabeln für diverse besitzanzeigende Ohr-Einschnitte bei Rindern! Wir merken: Solche Kommunikationsbarrieren kommen daher, dass verschiedene Sprachen mit verschiedenen Lebenswelten und mit verschiedenen Denkungsarten verbunden sind.
Mit dieser Erkenntnis kehren wir zu den Kommunikationsbarrieren für das Evangelium zurück. Da finden wir nämlich dieselbe Ursache: Unterschiede in Lebenswelten und Denkungsarten! Nur geht es hier nicht um verschiedene Völker mit verschiedenen Landessprachen wie Deutsch und Tswana, sondern es geht hier um geistliche Lebenswelten. Das ist eigentlich das Thema von Paulus im 1. Korintherbrief. Er erkennt: Da gibt es Leute, die leben in der Denkungsart Gottes, und andere, die leben in der Denkungsart der Welt. Er schreibt: „Wir haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott… Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes.“ Der natürliche Mensch, der den Geist der Welt hat, kann sozusagen nur die Sprache „Weltisch“, der Glaubende aber kann „Geistisch“. Damit hier Kommunikation stattfinden kann, muss der Heilige Geist als Sprachlehrer und Dolmetscher tätig werden wie beim ersten Pfinstfest. Die Kommunikationsbarrieren zwischen Welt und Gott können nicht auf natürliche Weise, sondern nur durch ein Sprachenwunder überwunden werden – ein Sprachenwunder, das weiter reicht als ein reines Fremdsprachenwunder oder die Sprachbemühungen von Missionaren und Bibelübersetzern.
Dieses Sprachenwunder hat der Heilige Geist an uns getan, und er tut es immer wieder, überall auf der Welt. Er betätigt sich als Dolmetscher: Er tut das Wunder, dass Menschen, die bisher nur auf „Weltisch“ dachten und redeten, plötzlich „Geistisch“ verstehen. Und er betätigt sich als Sprachlehrer: Er tut auch das Wunder, dass diese Menschen nicht nur „Geistisch“ verstehen, sondern auch selber auf „Geistisch“ zu sprechen beginnen. Und Gottes Kommunikationsexperte tut noch mehr: Er zieht Weltmenschen hinüber in die Lebenswelt und Denkungsart Gottes. So tut der Heilige Geist das Wunder, dass Weltmenschen nicht nur Gottes Wort verstehen, sondern Gottes Kinder werden, Geistmenschen werden!
Aber was unterscheidet die „geistische“ Denkungsart von der „weltischen“? Paulus hat es kurz und klar im letzten Satz unseres Predigttextes ausgedrückt: „Wir haben Christi Sinn.“ Christi Sinn ist die Denkungsart von Liebe, Friede und guter Gemeinschaft. Christus ist aus Liebe Mensch geworden, um Gott und den Sünder zu versöhnen und damit Frieden zu stiften sowie gute Gemeinschaft zu schaffen zwischen Gott und den Menschen sowie auch zwischen den Menschen untereinander. Der Sinn, der in unserer Welt vorherrscht, trachtet dagegen nach Besitz, Macht und äußerem Ansehen. Zwar trifft man da auch Liebenswürdigkeit und Bescheidenheit an, aber es ist letztlich immer nur Mittel zum Zweck, um die weltlichen Ziele zu erreichen: Besitz, Macht und äußeres Ansehen. Wo der Heilige Geist wirkt und Menschen verwandelt, da ist ihnen das gar nicht mehr wichtig; wichtig wird ihnen hingegen das, was Christi Sinn entspricht: Liebe, Friede und gute Gemeinschaft. Und auch im Hinblick auf den Weg zu besserem Leben unterscheidet sich die Denkungsart. Wenn der Weltmensch auf Missstände stößt, denkt er immer sofort: Die andern sind schuld, die andern müssen sich ändern! Der geistliche Mensch aber betet: Herr, ich selbst bin ebenso schuld wie die andern; ich bitte dich, vergib mir und verändere mich zum Guten; ja, fange bei mir an.
„Komm, Heiliger Geist, erfülle die Herzen deiner Gläubigen!“, so beten wir zu Pfingsten. Wir bitten dabei, dass er zu uns als ein Dolmetscher kommt, der uns Gottes gute Botschaft besser verstehen lässt und uns dabei mit Christi Sinn erfüllt. Und wir bitten dabei zugleich, dass er zu uns als ein Sprachlehrer kommt, damit wir anderen diese gute Botschaft verständlich machen können – nicht nur mit passenden Worten, sondern mit unserm ganzen Lebenswandel. Amen.
PREDIGTKASTEN |