Muss man an sich glauben?

Predigt über 2. Korinther 11,18.23b‑30 zum Sonntag Septuagesimä

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Sportler sagen: Man muss an sich glauben. Sie sind überzeugt: Mit fleißigem Training und Vetrauen in die eigene Leistungs­fähigkeit werden sie den Wettkampf gewinnen. Den meisten nützt dieses Selbst­vertrauen allerdings nichts: Nur wenige Sportler gewinnen, viele dagegen verlieren.

Künstler sagen: Man muss an sich glauben. Sie sind überzeugt: Mit ihrem Singen, ihrem Schauspiel oder ihrem Romanschreiben werden sie berühmt werden. Den meisten nützt dieses Selbst­vertrauen allerdings nichts: Nur wenige Künstler werden berühmt; viele müssen sich nach anderen Berufen umsehen.

Wissen­schaftler sagen: Man muss an sich glauben. Sie sind überzeugt: Mit Vetrauen in die eigene Intelli­genz, mit Ausdauer und Fleiß werden sie die geniale Formel finden, die ihnen Ruhm und Ansehen einbringt. Den meisten nützt dieses Selbst­vertrauen allerdings nichts: Nur wenige Wissen­schaftler erhalten den Nobelpreis; viele andere können froh sein, wenn sie wenigstens einen Posten an der Universität bekommen.

Politiker sagen: Man muss an sich glauben. Sie sind überzeugt: Wenn sie die richtigen Ziele vertreten und beeindruckende Reden darüber halten, dann können sie zum Gipfel der Macht aufsteigen. Allerdings ist auf dem Gipfel der Macht nur Platz für wenige; die meisten müssen in den Niederungen der Lokal­politik bleiben, wenn sie der Politik nicht ganz den Rücken kehren.

Unter­nehmens­gründer sagen: Man muss an sich glauben. Sie sind überzeugt: Wenn man die richtige Geschäfts­idee hat und den Betrieb klug aufziegt, dann kann man damit sagenhaft reich werden. Vielen nützt dieses Selbst­vertrauen allerdings nichts: Es gibt mehr Unter­nehmer, die pleite gehen, als Unter­nehmer, die sagenhaft reich werden.

Religiöse Menschen sagen zwar nicht, aber denken doch heimlich: Man muss an sich glauben. Sie sind überzeugt: Wenn man sich stets bemüht, ein anständiger Mensch zu sein, dann wird das schon reichen, um im letzten Gericht freigesprochen zu werden. Nützt ihnen dieses Selbst­vertrauen? Ist es wenigsten bei einigen von ihnen berechtigt?

Der Apostel Paulus schrieb, dass viele Menschen „sich rühmen nach dem Fleisch“. Dieses „Rühmen nach dem Fleisch“ ist nichts anderes als an sich selbst glauben beziehungs­weise auf die eigene Kraft und Leistungs­fähigkeit vertrauen. Paulus dachte dabei vor allem an religiöse Menschen, die darauf vertrauen, dass sie sich mit eigenen frommen Leistungen die Seligkeit verdienen können. Und nun noch einmal die Frage: Nützt ihnen dieses Selbst­vertrauen? ist es wenigstens bei einigen von ihnen berechtigt?

Wer ein wenig die Briefe des Apostels Paulus kennt, weiß seine Antwort: Nein, keiner ist gut genug, dass er sich die Seligkeit verdienen kann. Wer an sich selbst glaubt und meint, dass Gott im letzten Gericht seine Anständig­keit belohnen muss, der irrt sich gewaltig; ein solches Selbst­bewusstsein ist Selbst­betrug. Durch den Propheten Jeremia hat Gott es bereits zu alt­testament­lichen Zeiten gesagt: „Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums“ (Jer. 9,22). Keiner soll seiner eigenen Leistungs­fähigkeit und Stärke vertrauen, denn keiner kann damit Gott be­eindrucken und sich gutes Leben verdienen.

Nun sagt der Apostel Paulus in unserem Bibel­abschnitt aber nicht einfach: Dummes Zeug, man soll sich nicht rühmen! Vielmehr sagt er (und zwar mit einem Augen­zwinkern): Gut, wenn so viele Leute sich rühmen, dann will ich mich auch mal rühmen! Ich will auch mal an mich glauben! Und dann zählt er auf, was sein Ruhm ist: Todesnöte, Prügel­strafen, Steinigung, Schiff­bruch, gefährliche Reisen, Raub­überfälle, Feind­schaft, Arbeits­stress, Schlaf­mangel, Hunger, Durst, Kälte und viele, viele Sorgen! Paulus rühmt sich also nicht seiner Erfolge, sondern seiner Leiden. Paulus vertraut nicht auf seine Stärke, sondern auf seine Schwäche. Paulus glaubt nicht an sich als einen Gewinner, sondern erfährt sich als einen Verlierer. Paulus schreibt: „Wer ist schwach, und ich werde nicht schwach? Wer wird zu Fall gebracht, und ich brenne nicht? Wenn ich mich denn rühmen soll, wil ich mich meiner Schwachheit rühmen.“

Was sollen wir von diesem merk­würdigen Rühmen des Paulus halten? Warum glaubt er nicht an seine Stärke, sondern an seine Schwach­heit? Weil er erkannt hat, dass jeder Mensch vor Gott kapitu­lieren muss. Im Römerbrief hat er es so formuliert: „Es ist hier kein Unter­schied: Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten…“ Und dann kommt die ent­scheidende Fort­setzung: „… und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist“ (Römer 3,23‑24). Wer an seine Schwachheit glaubt, der weiß, dass er Hilfe nötig hat. Wer aber weiß, dass er Hilfe nötig hat, und dann auch diese Hilfe bei Gott sucht, der findet sie im Erlöser Jesus Christus. Mit anderen Worten: Wer an seine Schwachheit glaubt, der glaubt an Gottes Stärke, die ihn retten kann. Und sie wird ihn auch retten und am Gerichtstag zur ewigen Seligkeit erheben. Nicht der wird am Jüngsten Tag gerecht, der meint, er sei doch immer ein ziemlich anständiger Mensch gewesen, sondern der, der weiß, dass er ein schwacher Mensch ist und die Seligkeit nicht verdient hat, der aber zugleich darauf vertraut, dass Jesus sie ihm erworben hat mit seiner Erlösung am Kreuz.

Das Besondere an dieser Erlösung ist, dass sie nicht durch große körperliche oder künstle­rische Leistungen vollbracht wurde, auch nicht durch Weisheit, politische Macht oder Wirtschafts­kraft, sondern durch Schwachheit und Leiden. Das ist das Wunder des Kreuzes, das ist Gottes erstaunlich Art, zu retten und helfen: in der scheinbaren Niederlage, in Leiden und Tod. Seht, auch darum rühmt sich Paulus seiner Leiden, weil er weiß: Sie zeigen mir, dass ich ein Jünger Jesu bin und ihm nachfolge – auch im Kreuz, auch im Erdulden, auch in der scheinbaren Niederlage. Und so ist es bei jedem, der nicht an sich selbst, sondern an Jesus glaubt: Schwachheit und Leiden trennen ihn nicht von Gott, sondern stärken ihm die Gewissheit, dass er zu Christus gehört und mit ihm leben wird.

Ja, lieber Paulus, das verstehen wir. Wir erkennen, dass es im Blick auf Gott und sein Gericht völlig un­angemessen wäre, an sich selbst zu glauben und sich seiner Stärke zu rühmen. Was ist aber mit den anderen Lebens­bereichen, was ist mit dem inner­weltlichen Rühmen? Was ist davon zu halten, wenn der Sportler sagt: Man musss an sich glauben? Oder der Künstler, oder der Wissen­schaftler, oder der Politiker, oder der Geschäfts­mann?

Wir haben gesehen: Nur ein Bruchteil der Menschen, die an sich glauben, erreichen das Ziel, das sie sich vorgenommen haben. Der Satz „Man muss an sich glauben“ klingt nur deshalb so über­zeugend, weil ihn meistens solche Leute sagen, die ihr Ziel erreicht haben; sie sagen dann im Nachhinein: Ich habe an mich geglaubt. Die vielen aber, die das Ziel nicht erreicht haben, reden hinterher meistens nicht mehr davon, dass sie mit ihrem Glauben an sich selbst gescheitert sind. Wir erkennen also nüchtern: Auch inner­weltlich ist dieser Satz keine Erfolgs­garantie. Anderer­seits kann niemand ohne Selbst­vertrauen große Leistungen voll­bringen. Wenn ein Sportler, ein Künstler, ein Wissen­schaftler, ein Politiker oder ein Geschäfts­mann sagen würde: Ich glaube nicht, dass ich das schaffe, dann wird er es auch nicht schaffen, sondern er wird bei den ersten Schwierig­keiten aufgeben. Insofern ist ein gewisses Selbst­vertrauen durchaus hilfreich, wenn man etwas erreichen möchte.

Wie aber findet man die rechte Balance zwischen Selbst­vertrauen und realisti­scher Erkenntnis der eigenen Schwach­heit? Auch in dieser Frage können uns Gottes Wort und der Apostel Paulus weiter­helfen. Erinnern wir uns an das, was gleich im nächsten Kapitel hinter unserm Predigttext steht! Christus hat Paulus wissen lassen: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ (2. Kor. 12,9). Das gilt natürlich in erster Linie für die Erlösung und das ewige Leben. Aber das ewige Leben hat ja schon mit der Taufe begonnen! Und so kann sich ein Christ auch in allen Bereichen seines Erdenlebens auf Christus und dessen Kraft verlassen. Er kann große Aufgaben anpacken und hohe Ziele anstreben – wenn es denn Ziele sind, die Christus gefallen. Und er kann mit großen Vertrauen sagen: Das schaffe ich, wenn Christus mir Kraft gibt! Das ist dann eigentlich kein Selbst­vertrauen, sondern ein Christus­vertrauen, das ihn beflügelt. Und er kann sagen: Ich glaube daran, dass ich es schaffe, wenn es Gottes Wille ist! Das ist dann kein Glaube an sich selbst, sondern ein Glaube an Christus. Ja, so findet man die rechte Balance zwischen Selbst­vertrauen und realisti­scher Erkenntnis der eigenen Schwach­heit, wenn man mit Paulus sagt: „Ich vermag alles, durch den, der mich mächtig macht“ (Phil. 3,13) – durch Jesus Christus, unsern Herrn und Erlöser! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2012.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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