Die beiden Schlüsselfiguren

Predigt über Römer 5,12‑17 zum 4. Advent

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Ein Haupt­anliegen hat Gott, eine Haupt­botschaft hat die Bibel, ein Hauptthema hat auch jede christliche Predigt: Gottes Liebe, die uns durch Jesus Christus tief ins Herz eingebrannt wird. Allerdings gibt es viele ver­schiedene Wege, Worte und Bilder, die diese Haupt­botschaft vermitteln. Der Apostel Paulus schrieb darüber den Christen in Rom. Rom war die Hauptstadt des riesigen römischen Reiches, gewisser­maßen eine Welt­haupt­stadt. In Rom hielten sich die klügsten Köpfe der Antike auf. Deshalb hat Paulus im Römerbrief Gottes Liebe mit vielen klugen Argumenten und Vergleichen entfaltet. Der Römerbrief gehört daher zu den geistig anspruchs­vollsten Schriften der Bibel – um nicht zu sagen: zu den schwie­rigsten. Auch der Abschnitt, den wir eben gehört haben, ist nicht leicht zu verstehen. Wir wollen uns jetzt trotzdem diese Mühe machen und dabei aufs Neue erkennen, wie wunderbar und gewaltig Gottes Liebe in Christus ist.

Der Abschnitt handelt von zwei Schlüssel­figuren: von Adam und von Christus. Adam ist die Schlüssel­figur für Sünde und Tod, Christus ist die Schlüssel­figur für Gnade und Leben.

Von Adam schreibt Paulus: „Wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und der Tod durch die Sünde, so ist der Tod zu allen Menschen durch­gedrungen, weil sie alle gesündigt haben.“ Wir stellen uns die gesamte Menschheit als ein Boot auf dem Wasser vor. Nun entsteht plötzlich an einer Stelle ein Leck – das ist Adam! Dieses eine Sündenleck genügt, dass das Wasser der Sünde ins Boot eindringt und es sinken lässt. „Wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und der Tod durch die Sünde, so ist der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, weil sie alle gesündigt haben.“

Wer den Anfang der Bibel kennt, wird vielleicht einwenden: Es war doch gar nicht Adam, der zuerst gesündigt hat, es war doch Eva, die sich von der Schlange verführen ließ! Danach erst hat Eva Adam überredet, ebenfalls von der verbotenen Frucht zu essen. Richtig. Aber wir dürfen nicht so sehr vom einzelnen Menschen her denken, sondern wir müssen immer ge­meinschaft­lich denken, wenn wir die Bibel nicht miss­verstehen wollen. Adam und Eva, so heißt es ebenfalls in den ersten Kapiteln der Bibel, waren Mann und Frau, sie waren „ein Fleisch“, wie es da formuliert ist. Adam hatte als Haupt der Familie die Haupt­verantwor­tung, darum wird sein Name stell­vertretend für das erste Menschen­paar genannt, wenn es um den Sündenfall geht, und – was wir gleich sehen werden – auch stell­vertretend für alle Menschen.

Ein weiterer Einwand: Warum werden denn alle Menschen dafür bestraft, dass die ersten beiden sündigten? Die Antwort: Weil wir und alle Menschen ebensolche Sünder sind wie Adam und Eva. Oder bleibst du immer standhaft, wenn dir der Teufel ein­flüstert, etwas Begehrens­wertes, aber Verbotenes zu tun? Lässt du dich niemals von anderen Menschen in Dinge hinein­ziehen, die Gott nicht gefallen? Willst du nicht auch am liebsten deine schlechten Seiten tarnen und verstecken, wie Adam und Eva sich hinter Feigen­blättern versteckten und hinter einem Busch? Und wenn es dann am Ende heraus­kommt, versuchst du dann nicht auch mit vielen Argumenten, die Schuld auf andere zu schieben? Wir sehen: Wir stecken genauso drin in der Sünde wie Adam und Eva, wir haben ebenso wie sie Gottes Todesurteil verdient.

Es muss damals noch einen dritten Einwand gegeben haben. Im Mittelteil unseres Predigt­textes geht Paulus ausführlich auf ihn ein. Diese Einwand lautet: Als Adam und Eva lebten, hatte Gott doch noch gar nicht die Zehn Gebote erlassen und das ganze Gesetz des Mose. Wie konnten denn dann die Menschen vor Mose zu einer Strafe verurteilt werden? Paulus schreibt dazu: „Die Sünde war wohl in der Welt, ehe das Gesetz kam; aber wo kein Gesetz ist, da wird Sünde nicht an­gerechnet. Dennoch herrschte der Tod von Adam an bis Mose auch über die, die nicht gesündigt hatten, durch die gleich Übertretung wie Adam.“ Er sagt damit: Es ist richtig, dass ohne Gesetze keine förmliche Ver­urteilung stattfinden kann (abgesehen davon, dass ja im Blick auf die bewusste Frucht bereits ein aus­drückliches Verbot Gottes bestand). Dennoch bleibt Schuld auch ohne förmliche Ver­urteilung Schuld und zieht die bösen Folgen nach sich, die un­zertrenn­lich mit der Schuld verbunden sind. Ein Beispiel: Die Deutschen, die im Dritten Reich unschuldige Juden vergast haben, die handelten formal im Einklang mit den Staats­gesetzen; trotzdem war ihr Verhalten eindeutig schuldhaft und wurde später auch ent­sprechend bestraft.

Es bleibt also dabei: Adam ist die Schlüssel­figur für Sünde und Tod. Zu Adam und Eva und allen Menschen ist der Tod hindurch­gedrungen, weil sie alle gesündigt haben. Das eine Sündenleck im Boot führt dazu, dass das Boot sich mit Wasser füllt und zu sinken beginnt.

Und nun kommen wir zu Christus, der zweiten Schlüssel­person. Paulus schreibt von Christus: „Wenn durch die Sünde des Einen die Vielen gestorben sind, um wie viel mehr ist Gottes Gnade und Gabe den Vielen überreich zuteil geworden durch die Gnade des einen Menschen Jesus Christus.“ Der Mensch und Gottessohn Jesus Christus hat das Sündenleck im Boot der Menschheit gestopft. Er hat mit seinem Tod am Kreuz dafür gesorgt, dass kein Wasser mehr eindringt. Er rettet das Boot vor dem Untergang. Wer diese Rettung im Glauben annimmt, der hat das ewige Leben. Jesus rettet uns aus lauter Liebe und Menschen­freundlich­keit, un­verdienter­weise. Er tut es „aus Gnade“, wie die Bibel sagt. Noch einmal: „Wenn durch die Sünde des Einen die Vielen gestorben sind, um wie viel mehr ist Gottes Gnade und Gabe den Vielen überreich zuteil geworden durch die Gnade des einen Menschen Jesus Christus.“

Im Neuen Testament bedeutet „Gnade“ soviel wie „Geschenk“ oder „Gabe“. Diese Gnadengabe Jesu stellt Paulus nun der Sünde gegenüber, die durch Adam in die Welt gekommen ist. Aber er schreibt dazu erstaun­licher­weise: „Nicht verhält sich's mit der Gabe wie mit der Sünde.“ Vom Gedanken­gang her würden wir erwarten, dass er schreibt: Mit der Gabe ist es ebenso wie mit der Sünde – nämlich wie Sünde und Tod durch den einen Menschen Adam zur ganzen Menschheit durch­gedrungen ist, so ist Gnade und Leben durch den einen Menschen Jesus zur ganzen Menschheit durch­gedrungen. Stattdessen schreibt Paulus: „Nicht verhält sich's mit der Gabe wie mit der Sünde.“ Was ist denn grundlegend anders bei Jesus und der Gnade? Die Antwort finden wir in den un­scheinbaren Wörtern „um wie viel mehr“, und zwar gleich zweimal: „Wenn durch die Sünde des Einen die Vielen gestorben sind, um wie viel mehr ist Gottes Gnade und Gabe den Vielen überreich zuteil geworden durch die Gnade des einen Menschen Jesus Christus.“ Und weiter: „Wenn wegen der Sünde des Einen der Tod geherrscht hat durch den Einen, um wie viel mehr werden die, welche die Fülle der Gnade und der Gabe der Gerechtigkeit empfangen, herrschen im Leben durch den Einen, Jesus Christus.“ Gottes Gnade ist viel mehr als der Menschen Sünde! Das ewige Leben ist viel mehr als der Tod als Folge der Sünde! Die Rettungs­botschaft des Evangeliums ist viel mehr als die Anklage­botschaft der Gebote! Es ist leicht, ein Loch in ein Boot zu schlagen und es mit Wasser volllaufen zu lassen; es ist aber in jeder Hinsicht viel mehr und viel besser, ein Leck zu reparieren und das Boot auf diese Weise zu retten.

Liebe Gemeinde, das ist Gottes frohe Botschaft, nicht nur zu Advent und Weih­nachten: Gottes Gabe ist uns überreich zuteil geworden durch die Gnade des einen Menschen Jesus Christus. Gottes Liebe ist stärker als die Sünde, stärker auch als sein Zorn über die Sünde, stärker auch als sein eigenes Gesetz, stärker schließlich als der Tod. Gottes Zorn, so haben wir es mit den Zehn Geboten gelernt, hat bei Sündern Aus­wirkungen bis in die dritte und vierte Generation, aber Gottes Gnade hat Aus­wirkungen in tausende von Gene­rationen, in alle Ewigkeit! Darum lasst uns vor allem festhalten an dem einen Haupt­anliegen Gottes, an der einen Haupt­botschaft der Bibel, an dem einen Hauptthema dieser und jeder christ­lichen Predigt: Gottes Liebe und Gnade in seinem Sohn, die uns vor dem Untergang zum ewigen Leben bewahrt. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2011.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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