Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Drei Wörter aus dem Predigttext sollten wir uns besonders gut merken: Gerechtigkeit, Friede und Freude. Diese Wörter beschreiben nämlich, was gute Gemeinschaft ausmacht. Freilich handelt es sich nicht um eine Aufzählung, so wie ein Backrezept verschiedene Zutaten aufzählt, damit der Kuchen hinterher schmeckt. Nein, diese drei Dinge gehören vielmehr untrennbar zusammen, sind gewissermaßen nur verschiedene Ansichten ein und derselben Sache: Gerechtigkeit, Friede und Freude.
Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen. Wir stellen uns eine Wohngemeinschaft vor: Vier junge Leute ziehen zusammen. Nach der ersten Begeisterung stoßen sie auf Probleme. Besonders das gemeinsame Badzimmer macht ihnen Sorgen – es ist nie so sauber und aufgeräumt, wie sie es sich eigentlich wünschen. Wenn sie da nicht schnell eine gerechte Ordnung finden, ist der Unfriede vorprogrammiert. Entweder ein oder zwei opfern sich, machen dauernd das Badezimmer sauber und sind am Ende frustriert darüber, dass die anderen so faul sind. Oder niemand tut etwas, und das Badezimmer ist schließlich so dreckig, dass keiner es mehr gern benutzt. Aber so weit lassen es die jungen Leute nicht kommen. Gemeinsam erstellen sie einen Badezimmer-Reinigungsplan. Jede Woche ist einer für die Reinigung des Bades verantwortlich, und das im Vier-Wochen Rhythmus. Diese Ordnung ist gerecht, und wenn alle sich an sie halten, dann dient das dem Frieden in der Wohngemeinschaft. Wenn nun das Zusammenleben friedlich und geordnet verläuft, dann können sich alle daran freuen. Natürlich bleiben manchmal noch kleine Wünsche offen: Ein Linkshänder unter den Bewohnern stellt den Seifenspender immer am linken Waschbeckenrand ab, die anderen wollen ihn aber rechts haben. Wenn alle mit diesem Problem tolerant und großzügig umgehen, braucht das den Frieden jedoch nicht zu stören.
Was für die Wohngemeinschaft gilt, das gilt auch für jede andere menschliche Gemeinschaft, egal, wie klein oder groß sie ist. Gerechtigkeit schafft Frieden, Frieden schafft Freude – das gilt auch in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz, in der Schule und sogar in der Weltpolitik. Es gilt auch im Reich Gottes. Für das Miteinander von Gott und den Menschen sowie für das Miteinander der Gotteskinder untereinander sind diese drei Dinge ganz wichtig: Friede, Gerechtigkeit und Freude. Gott teilt uns durch den Apostel Paulus mit: „Das Reich Gottes ist Gerechtigkeit und Friede und Freude…“ – aber dann macht er noch einen wichtigen Zusatz, den wir nicht übersehen sollten: „… in dem Heiligen Geist.“ Wir wissen: Der Heilige Geist ist Gottes Kontaktperson. Der Heilige Geist übermittelt uns für die Gegenwart, was Jesus vor langer Zeit ein für alle Mal am Kreuz erworben hat: den Frieden mit Gott. Grundlage dafür ist Gottes Gerechtigkeit. Gott muss unsere Sünde gerechterweise bestrafen. Das Wunberbare ist aber, dass dieses gerechte Gericht nicht uns selber trifft, sondern seinen Sohn. Wie ein Blitzableiter nimmt Jesus Gottes Strafgericht auf sich, sodass wir gerecht und heilig vor Gott dastehen! Diese Rechtfertigung ist der Dreh- und Angelpunkt unseres Glaubens. Diese Rechtfertigung bewirkt Frieden zwischen Gott und uns. Gott ist uns nicht mehr böse, und wir brauchen kein schlechtes Gewissen mehr vor ihm zu haben. Dieser Friede aber führt zur Freude: Wir freuen uns darüber, dass wir ganz und gar zu Gott gehören und dass das in Ewigkeit so bleiben wird. „Das Reich Gottes ist Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geist.“
Ja, das alles übermittelt uns der Heilige Geist. Er hat das bei unserer Taufe getan, und er fährt fort es zu tun, wann immer wir das Evangelium hören, wann immer er uns die Vergebung der Sünden zuspricht, wann immer wir Leib und Blut Christi im Heiligen Abendmahl empfangen. Ich will es ganz deutlich sagen, weil es an dieser Stelle immer wieder Missveständnisse gibt: Die Gerechtigkeit, der Friede und die Freude im Reich Gottes sind nicht Leistungen, durch die Menschen sich selbst zu Christen machen, sondern es sind Gaben des Heiligen Geist, durch die Gott uns zu Christen gemacht hat. Aber wenn wir mit diesen Gaben leben, dann verändern sie uns. Der Heilige Geist gestaltet uns um, sodass wir beginnen, unsererseits Gerechtigkeit und Frieden zu stiften, damit sich Freude einstellt. Wo immer Christen in der Gemeinschaft mit anderen Menschen aus dem Glauben leben, ist es ihnen wichtig, dass Gerechtigkeit herrscht, also dass jeder zu seinem Recht kommt, gerade auch der Schwächste. Wo immer Christen in der Gemeinschaft mit anderen Menschen aus dem Glauben leben, ist es ihnen wichtig, dass sie Frieden miteinander haben, dass sie einander respektieren und Rücksicht aufeinander nehmen. Und wo immer das Christen gelingt, da stellt sich Freude ein – nicht nur die Freude an der Gemeinschaft mit Gott und am ewigen Leben, sondern auch die Freude am gerechten und friedlichen Miteinander in der Gemeinschaft.
Nun leben wir allerdings noch nicht im Himmel, deshalb ist der Friede auch in christlichen Gemeinschaften immer wieder gefährdet. Immer wieder kommt es auch in christlichen Gemeinden zu Meinungsverschiedenheiten oder sogar zu handfestem Streit. Das war bei den Christen in Rom nicht anders, an die Paulus ursprünglich den Römerbrief gerichtet hatte. Die wesentlichen Dinge vom Glauben und von Gottes Wort waren den Christen in Rom klar, darüber gab es keinen Streit. Aber sie waren gespalten in der Frage: Dürfen Christen Fleisch essen? Das Fleisch, das man in Rom kaufen konnte, kam aus heidnischen Schlachthöfen, und die Tiere wurden vorher heidnischen Göttern geweiht. Einige Christen in Rom meinten, das Fleisch ist dann Götzenopferfleisch, und wer es verzehrt, der leistet dem Götzendienst Vorschub. Andere sagten, sie hätten als Christ die Freiheit, alles zu essen, und brauchten sich keine Gedanken darum zu machen, wo das Fleisch herkommt. Solche ganz konkreten äußerlichen Fragen können ein großes Gewicht bekommen und zu tiefen Zerwürfnissen in der Kirche führen. Vor hundert Jahren meinten viele lutherische Christen, man dürfe nur schwarz gekleidet zum Heiligen Abendmahl gehen, und empörten sich über diejenigen, die das nicht so eng sahen. In heutiger Zeit könnte die Frage kritisch werden, ob christliche Eltern mit ihren Kindern Halloween feiern dürfen. Die einen sehen darin ein harmloses Kostümfest und einen Riesenspaß für die Kinder, die anderen fürchten einen gefährlichen Einfluss von Aberglauben, von Hexen- und Geisterkult, der den wahren Glauben verdunkelt.
An dieser Stelle wollen wir uns an den Seifenspender in der Wohngemeinschaft erinnern. Es hat für Rechts- und Linkshänder eine gewisse Bedeutung, ob er rechts oder links am Waschbeckenrand steht, aber die gerechte Putzordnung für das Badezimmer ist damit nicht grundsätzlich in Frage gestellt. So gibt es auch in der christlichen Gemeinde immer wieder Fragen, die Gottes Wort nicht beantwortet und die die Gerechtigkeit in Gottes Reich nicht berühren. Die Theologen haben ein Fachwort für solche Fragen erfunden, es lautet „Adiaphora“. Ein Adiaophoron ist eine Angelegenheit, die von Gottes Wort weder geboten noch verboten ist. Der Apostel Paulus zeigt im 14. und 15. Kapitel des Römerbriefs, dass es sich bei der Frage nach dem Fleischessen um so ein Adiaphoron handelt. Er hütet sich darum davor zu sagen, dass die eine Meinung richtig ist und die andere falsch. Vielmehr machte er den Römern klar: Wir sind in dieser Sache frei. Wer ein schlechtes Gewissen beim Fleischessen hat, der lebt eben vegetarisch, aber er soll nicht diejenigen Mitchristen verachten, die in aller Freiheit Fleisch essen. Und wer Fleisch isst, der soll nicht auf diejenigen herabsehen, die das aus Gewissensgründen ablehnen, sondern er soll das respektieren. Ja mehr noch, er soll dem Nicht-Fleischesser nicht Anstoß geben, indem er vor seinen Augen demonstrativ Fleisch ist. Wer dem Mitchristen so einen Anstoß bereitet, der handelt lieblos, sagt Paulus – und das ist dann kein Adiaphoron mehr! Die Liebe ist vielmehr das höchste und wichtigste Gebot. Denn durch Gottes Liebe sind uns Gerechtigkeit, Friede und Freude geschenkt, und aus dieser Liebe heraus wollen wir ja nun auch die Gemeinschaft mit unseren Mitmenschen leben. Die Liebe könnte einen Rechtshänder der Wohngemeinschaft dazu bewegen, den Seifenspender links hinzustellen, wenn er weiß, dass als nächstes der Linkshänder das Bad benutzen wird. Die Liebe hat in der Vergangenheit viele Christen dazu bewegt, mit Rücksicht auf die Mitchristen schwarz gekleidet beim Abendmahl zu erscheinen, auch wenn sie lieber etwas anderes angezogen hätten. Die Liebe kann bewirken, dass man ein paar Kindern den Halloween-Spaß gönnt, auch wenn man das selbst entsetzlich findet. Die Liebe verzichtet andererseits darauf, die Halloween-Kritiker als engstirnig und rückständig zu beschimpfen. Die Liebe konnte damals in Rom manchen Fleischliebhaber dazu bringen, mit Rücksicht auf die Mitchristen vegetarisch zu leben. Denn, so schreibt Paulus, „das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geist. Wer darin Christus dient, der ist Gott wohlgefällig und bei den Menschen geachtet.“ Amen.
PREDIGTKASTEN |