Gewisse Hoffnung

Predigt über Römer 8,18‑25 zum 4. Advent

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Advent heißt „Kommen“; der Zwillings­bruder dieses Wortes ist „Hoffen“. Wie das Volk Israel zur Zeit der Propheten auf das Kommen des Erlösers hoffte, so hoffen wir heute in nach­aposto­lischer Zeit auf das Wieder­kommen unseres Heilands Jesus Christus. Wir denken im Advent also einerseits an die Hoffnung, die durch Christi Geburt in Erfüllung ging, und anderer­seits an die Hoffnung der ewigen Seligkeit, deren Erfüllung noch aussteht. Vom Hoffen handelt auch der Abschnitt aus dem Römerbrief, den wir eben gehört haben; die christliche Hoffnung ist sogar sein Hauptthema.

Ich möchte die Botschaft dieses Gottes­wortes mit einem aktuellen Gleichnis ver­anschau­lichen. Dazu erinnere ich an ein Ereignis, das vor ein paar Monaten die ganze Welt in Atem hielt: Ich meine die Rettungs­aktion für die 33 chileni­schen Bergleute, die 69 Tage lang in einer ein­gestürzten Kupfermine gefangen waren. Die Ursache war letztlich menschliche Nachlässig­keit – also Sünde (um es beim Namen zu nennen): In der über 120 Jahre alten Grube San José waren trotz wieder­holter Unfälle Sicherheits­auflagen nicht eingehalten worden. Den Folgen der Schlamperei waren die 33 Bergleute am 5. August unter­worfen; sie waren ihnen hilflos aus­geliefert: Ein Einsturz schnitt ihnen Weg nach oben ab; sie mussten in einem Schutzraum 700 Meter unter der Erd­oberfläche ausharren. Das kann uns als Gleichnis dienen für die Unfreiheit, in der wir uns in dieser Welt wegen der Sünde befinden; ihretwegen sind ja Vergänglich­keit und Tod in die Welt gekommen. Unser Gotteswort sagt: „Die Schöpfung ist unterworfen der Vergänglich­keit“, und es nennt gleich darauf diese „Vergänglich­keit“ eine Gefangen­schaft, eine „Knecht­schaft“.

Doch zurück zu den Bergleuten. Könnt ihr euch das vorstellen: 700 Meter über ihnen nichts als massiver Fels, und kein Schlupf­loch, um heraus­zukommen! Als der Einsturz geschah, kam zunächst eine mächtige Staubwolke auf sie herab. Dieser Staub umgab die Bergleute mehr als vier Stunden lang, sodass sie nichts sehen konnten. Ihre Atemwege und vor allem ihre Augen wurden gereizt. Außerdem war es heiß und schwül in der Mine. Zu essen hatten sie nur ihre Pausen­mahlzeit. Weil sie nicht wussten, wie lange sie da unten ausharren mussten, teilten sie sich die paar Lebens­mittel ein: Jeder bekam für zwei Tage einen Löffel Fisch, einen halben Keks und eine halbe Tasse Milch. Schlimmer als diese äußerlichen Lebens­umstände war aber die Angst, die bange Frage: Wird man uns finden? Wird man es schaffen, uns hier lebend heraus­zubringen? Diese Situation kann uns als Gleichnis dienen für Leid und Angst in der Welt. Wir lesen in unserem Bibelwort vom „ängst­lichen Harren der Kreatur“ und vom „Seufzen“. Und wie der Mensch unter der Flut von Sünde und Leid seufzt uns sich ängstigt, so spiegelt sich davon auch etwas in der nicht­menschlichen Schöpfung wieder. Ja, unsere Sünde führt dazu, dass die Lebens­umstände kümmerlich werden. Unzählige Menschen auf der Welt haben kein sauberes Wasser und nicht genug zu essen – nur, weil die Verteilung der Lebens­mittel nicht klappt! Durch Raubbau an der Pflanzen­welt und an den natürlichen Ressourcen wird unserer Erde schon lange großer Schaden zugefügt. Unser Gotteswort sagt: „Wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet.“

Die 33 ein­geschlosse­nen Bergleute hatten aber nicht nur Not und Angst, sondern sie hatten auch Hoffnung. Wie gesagt, es handelt sich um eine Geschichte der Hoffnung. Diese Hoffnung war freilich zunächst sehr vage, sehr ungewiss. 16 Tage lang hatten die Ein­geschlosse­nen keinerlei Kontakt zur Außenwelt; Sie wussten nicht, ob Helfer zu ihnen durch­dringen würden, bevor sie alle verhungert waren. Das änderte sich schlagartig am 17. Tag: Die Spitze eines Rettungs­bohrers erschien! Ein nur 12 Zentimeter schmales Loch war gebohrt worden und stellte nun wieder eine Verbindung zur Außenwelt dar. Der Anfang der Rettung war gemacht. In diesem Moment wurde aus der vagen Hoffnung der Bergleute eine gewisse Hoffnung: Man hat uns gefunden, man ist zu uns durch­gedrungen, man wird uns hier heraus­holen! Die Lebensader dieser Hoffnung war, wie gesagt, nur wenige Zentimeter schmal, aber durch sie gingen Nachrichten hin und her, durch sie kamen Nahrung, Medikamente und andere wichtige Dinge. Dieses Bohrloch kann ein Gleichnis sein für Gottes Wort, für das Heilige Abendmahl und für das Gebet. Durch die frohe Botschaft des Evangeliums erfahren wir, dass wir einen Retter haben. Auch wenn wir ihn jetzt nicht sehen können, wissen wir doch: Er wird uns herausholen aus dieser ver­gänglichen Welt und ins ewige Leben bringen, ins Licht seiner Gegenwart. Sein Leib und Blut im Heiligen Abenmahl nähren uns geistlich und stärken die Hoffnung. Unsere Botschaften an ihn, unsere Gebete, verhallen nicht ungehört, sondern sie kommen an. Ja, das ist unsere christliche Hoffnung! Sie ist anders als vage menschliche Hoffnungen. Menschliche Hoffnungen stehen immer unter einem großen Frage­zeichen, unter einem großen „Viel­leicht“. Man hofft, dass alles gut geht; man hofft, dass man gesund bleibt – aber sicher sein kann man sich nicht; es ist sozusagen ein Hoffen ohne Versorgungs­bohrung. Die christliche Hoffnung dagegen ist eine gewisse Hoffnung, weil sie von der Verbindung mit Gott lebt. Das Bohrloch ist der Anfang der Rettung, eine „Erstlings­gabe“. Es ist praktisch so, dass wir schon gerettet sind; nur ist das Rettungs­werk noch nicht vollendet. Unser Gotteswort sagt von dieser gewissen christ­lichen Hoffnung: „Wir, die wir den Geist als Erstlings­gabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes. Denn wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung.“

Die 33 ein­geschlosse­nen Bergleute wussten natürlich, dass man sie durch dieses dünne Loch nicht gleich befreien kann. Sie ahnten vielmehr: Es kann noch sehr lange dauern, bis eine weitere Bohrung fertig­gestellt ist, durch die ein Mensch hinauf­gezogen werden kann. In den ersten Nachrichten­meldungen konnte man hören, dass sie vielleicht erst zu Weihnachten frei kommen; dann hätten sie von Anfang August bis jetzt im Berg leben müssen. Aber nun ist es ja Gott sei Dank schneller gegangen. Bereits am 9. Oktober wurde eine Öffnung fertig­gestellt, die breit genug war. Am 13. Oktober war es dann so weit: Alle Ein­geschlosse­nen konnten nach­einander an die Erd­oberfläche gebracht werden. Allerdings mussten sie sich für ihre Auffahrt ganz dünn machen, denn die Rettungs­kapsel war nur 53 Zentimeter breit. Dann aber kamen sie ans strahlende helle Tageslicht. Es war so hell, dass sie ihre licht­entwöhnten Augen zunächst mit dunklen Brillen schützen mussten. Aber nun waren sie wieder frei! Sie schlossen ihre Lieben in die Arme, bedankten sich bei ihren Rettern und lobten Gott. Das kann ein Gleichnis sein für die Vollendung unserer Rettung aus Sünde und Vergänglich­keit. Auch wir wissen nicht, wie lange es noch dauert, bis wir in den Himmel einziehen dürfen. Aber auch wenn wir den Termin nicht kennen, so sind wir doch voller Zuversicht und Hoffnung, dass der Tag kommt. Freilich werden wir vorher noch eine letzte beklemmende Enge durchleben müssen, eine letzte große Angst – die Angst des Sterbens nämlich. Sterben ist so, wie wenn man in dieser entsetzlich kleinen Rettungs­kapsel ein­gequetscht ist. Diese Angst bleibt keinem erspart, auch dem nicht, der einen starken Glauben hat. Aber Glaube und Hoffnung sind stärker als die Angst: Wir dürfen wissen, dass wir ja empor­gehoben werden, dass wir gleich frei sein werden, dass wir Gottes Licht sehen werden, dass wir die vor uns heim­gekehrten Angehörigen in die Arme schließen werden und dass wir Gott zusammen mit allen Engeln in Ewigkeit loben werden. Da werden dann alle ein­geschränkten Lebens­umstände plötzlich entschränkt sein. Unser Gotteswort sagt: „Die Schöpfung wird frei werden von der Knecht­schaft der Vergänglich­keit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.“

Die geretteten Bergleute sind fromme Menschen. Unter Tage hatten sie sich eine Ecke für ihr tägliches Gebet eingerichtet. Nach der Rettung trugen viele von ihnen ein T-Shirt mit folgender Aufschrift: „Danke, Herr! ‚In seiner Hand sind die Tiefen der Erde, und die Höhen der Berge sind auch sein.‘ Ihm gebühren Ehre und Ruhm.“ Ängstliches Harren, Seufzen, Hoffen – erst vage, dann gewiss – ‚ all das haben sie unter der Erde durch­gemacht, und all das kennen sie auch aus ihrem normalen Leben, wie wir und alle Christen­menschen. Aber auch wenn uns Sünde, Leid und Vergänglich­keit sehr plagen, dürfen wir doch wissen, dass sie kaum ins Gewicht fallen gegenüber der großen Herrlich­keit unserer endgültigen Rettung, die Christus uns am Ende schenken wird. Der Apostel Paulus schrieb: „Ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlich­keit, die an uns offenbart werden soll.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2010.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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