Johannes und die Treue in der Nachfolge

Predigt über Johannes 18,15 in einer Passionsandacht

Lieber Mitchrist!

Du bist ein Jünger Jesu – einer, der Jesus Christus nachfolgt. Bei deiner Taufe hat Jesus dich in seine Nachfolge gerufen. Du folgst ihm nach, weil du weißt: nirgends habe ich es besser als bei Jesus. Du willst ihm weiter nachfolgen, weil du von dem herrlichen Ziel gehört hast, zu dem Jesus dich führt. Vielleicht fragst du dich aber auch manchmal, ob du auf dem richtigen Weg bist mit der Nachfolge Jesu. Darauf antworte ich dir mit Gottes Wort: Ja, du bist auf dem richtigen Weg; bleibe nur Jesus treu; bleibe nur weiterhin sein Jünger!

Zu solcher Treue in der Nachfolge kann uns der Jünger Johannes ermutigen, dessen Vorbild wir jetzt betrachten wollen.

Der Apostel Johannes ist der einzige Evangelist unter denjenigen Personen, die wir in unseren dies­jährigen Passions­andachten betrachten. Seinen Bericht vom Leiden und Sterben des Herrn finden wir im 18. und 19. Kapitel des Johannes­evangeliums. Wie viele andere antike Autoren hat Johannes sich gescheut, seinen Namen zu nennen oder „ich“ zu schreiben, wenn in seinem Werk von ihm selbst die Rede ist. Stattdessen nannte er sich den „Jünger, den Jesus lieb hatte“, oder einfach „den anderen Jünger“. So hat er es auch in dem Bibelvers getan, den ich am Anfang der Predigt vorgelesen habe: „Simon Petrus aber folgte Jesus nach und ein anderer Jünger.“ Das geschah kurz nach der Gefangen­nahme Jesu, als bereits die übrigen Jünger geflohen waren – aus Angst, man könne sie gleich mit verhaften. Nur diese beiden Getreuen hielten noch stand in der Nachfolge; nur Petrus und Johannes folgten dem fest­genommenen Jesus bis zum Palast des Hohen­priesters. Einem glücklichen Umstand war es zu verdanken, dass sie sogar in den Hof des Palastes eingelassen wurden: Johannes kannte den Hohen­priester persönlich und durfte aufgrund dieser Beziehung zusammen mit Petrus herein­kommen. So konnte Johannes in nächster Nähe seines Herrn bleiben, als das qualvolle nächtliche Verhör begann.

In der Nähe des Herrn bleiben, auch wenn viele andere ihn verlassen – darauf kommt es an. Wir leben in einem Zeitalter, in dem diese Tugend der Treue wieder sehr wichtig wird, auch wenn das kein großes Thema in der Öffentlich­keit ist. Die meisten Mitmenschen um uns herum wollen keine Jünger Jesu sein, und unsere kleine lutherische Gemeinde wird auch eher kleiner als größer, vom Gottes­dienst­besuch ganz zu schweigen. Wenn uns das zur Anfechtung wird, dann wollen wir uns an Johannes erinnern: Der folgte auch in schwerer Zeit Jesus nach, als die meisten anderen Jünger schon geflohen waren. Ja, auch wir wollen treu bleiben in der Nachfolge; auch wir wollen in der Nähe Jesu bleiben. Wir wollen es auch zu den Zeiten tun, wo wir von Gottes Macht und Jesu Sieg wenig spüren, wo scheinbar nur noch der Teufel regiert. Wir wollen nicht aufhören, Jesus zu vertrauen, so wie der Jünger Johannes auch dann noch auf Jesus vertraute, als er im Hof des hohe­priester­lichen Palastes mit ansehen musste, wie sein Herr ohne Widerstand himmel­schreiendes Unrecht erlitt.

Und Johannes blieb an Jesu Seite, auch als es noch schlimmer kam. Er folgte Jesus auch dann noch nach, als sogar Petrus sich im Hintergrund hielt und Johannes als einziger Jünger in der Nähe Jesu übrig blieb. Er folgte ihm zu Pilatus, er wurde dort Zeuge schreck­licher Folte­rungen, er hörte das Todesurteil aus dem Mund des Römers, er ging hinter dem kreuz­tragenden Jesus her auf der Straße der Schmerzen, er stieg mit auf den Hügel Golgata, er blieb auch noch unterm Kreuz bei Jesus. Und da geschah es, dass Jesus ihn noch einmal direkt ansprach, kurz vor seinem Tod. Nur in seinem eigenen Evangelium hat der Apostel davon ge­schrieben; die anderen Evange­listen schweigen darüber. Johannes stand dicht beim Kreuz, und neben ihm Maria, die Mutter Jesu. Beide waren bis in den Tod betrübt, und doch waren beide treu geblieben: Sie rissen nicht aus vor dem kaum erträg­lichen Anblick, dass da einer so qualvoll sterben musste, den sie sehr liebten. Ja, bei dieser Gelegenheit geschah es, dass Jesus den Johannes noch einmal anredete und ihn bat, Maria doch wie eine eigene Mutter bei sich aufzunehmen und sie zu versorgen. Jesus vergaß auch in dieser schmerz­lichen Stunde nicht seine Verant­wortung als ältester Sohn, der für seine verwitwete Mutter zu sorgen hatte. Und Johannes erwies sich als gehorsamer Jünger: Er war Jesus nicht nur mit den Füßen nach­gefolgt, er war nicht nur räumlich in seiner Nähe geblieben, sondern er war auch immer noch bereit zum Gehorsam. So heißt es von ihm: „Von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich“ (Joh. 19,27). Wieder sagt er aus Demut nicht „ich“ und nennt auch nicht seinen Namen, sondern schreibt nur: „der Jünger“.

Ja, das ist vorbild­liche Treue in der Nachfolge. Nicht einfach aus Gewohnheit ist Johannes bei Jesus geblieben, auch nicht aus Neugier, sondern aus Liebe und aus der inneren Über­zeugung: Hier gehöre ich hin, an die Seite Jesu. Solche Treue in der Nachfolge lässt sich auch von Leid und Schmerzen nicht ab­schrecken. Lasst uns auch in dieser Hinsicht von Johannes lernen. Wir wollen keine Schönwetter­christen sein, die nur so lange bei Jesus bleiben, wie es bequem ist und persönliche Vorteile verspricht. Manchmal hat man ja den Eindruck, dass das Evangelium so angepriesen wird, als sei es eine schöne Lebens­philosophie, die einen Menschen gut und erfolgreich leben lässt. Jesus selbst hat freilich etwas anderes verheißen. Er hat gesagt: „Wer nicht sein Kreuz aufnimmt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein“ (Lukas 14,27). Jesus nachfolgen heißt nicht, von Leiden und Schmerzen verschont bleiben, auch nicht, immer Glück und Erfolg haben. Jesus nachfolgen bedeutet vielmehr Kreuz tragen, Schmerzen ertragen, Leiden aushalten, auch das Leiden Jesu und seiner Kirche. Jesus nachfolgen bedeutet darüber hinaus, auf die Stimme des Herrn hören und seinen Willen tun – so wie Johannes der Stimme des Ge­kreuzigten gehorchte und Maria zu sich aufnahm. Wer dazu bereit ist, wer in solcher Treue Jesus nachfolgt bis unters Kreuz und wer auf seine Stimme hört, der wird dann auch den großen Segen erfahren, der auf solcher Treue liegt: die Freude und das Glück, ein Jünger Jesu zu sein. Denn eines wissen wir als Jünger Jesu ja stets ganz sicher: Jesus ist da, Jesus ist nah, er lässt mich nicht im Stich, komme was da wolle! Diese Gewissheit ist sogar stärker als der Tod.

Johannes sah Jesus sterben; Johannes sah Blut und Wasser aus Jesu Seite kommen. Dann ging Johannes still nach Hause. Am dritten Tag durfte er dann das leere Grab sehen – als erster der zwölf Jünger, noch vor Petrus! Und dann wurde er ein Zeuge des Auf­erstandenen. Ja, er durfte den Sieg des Herrn und die Osterfreude miterleben. Er, der seinem Herrn so treu nachgefolgt war, bis unters Kreuz. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2010.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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