Selig sind, die nicht sehen und doch glauben

Predigt über Joh. 20,19-29 zum Sonntag Quasimodogeniti

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Nicht alles, was wir sehen, können wir glauben. Das musste schon die russische Zarin Katharina II. erfahren. Es wird erzählt, dass ihr Feldmarschall Graf Potemkin in neu eroberten Gebieten in der Krim Dörfer aus bemalten Kulissen errichten ließ, um die Zarin bei ihrer Besuchsreise zu beeindrucken. Seitdem gibt es das Sprichwort von den „Potemkinschen Dörfern“ für etwas, das einen schönen Anschein erweckt, in Wirklichkeit aber gar nicht da ist. Wie gesagt: Nicht alles, was wir sehen, können wir glauben. Das gilt auch heute, wo uns mit vielen Bildern, bewegten und unbewegten, in der Werbung ein schöner Schein vorgekaukelt wird, der nicht der Wahrheit entspricht. Da wirbt zum Beispiel eine Versicherungsgesellschaft mit Bildern glücklicher Menschen in einer prachtvollen Umgebung, und doch wissen wir, dass uns keine Versicherung solches Glück garantieren kann. Nein, nicht alles, was wir sehen, können wir glauben.

Und umgekehrt gilt: Nicht alles, was wir glauben, müssen wir sehen. Ich glaube zum Beispiel, dass jetzt gerade hier in dieser Kirche das Radioprogramm von Antenne Brandenburg läuft. Ich sehe und höre zwar nichts davon, aber ich bin mir sicher, dass die entsprechenden Radiowellen im ganzen Raum vorhanden sind. Nicht alles, was wir glauben, müssen wir sehen. Ebenso glaube ich, dass die Kirche gar nicht so leer ist, wie sie aussieht. Ich glaube, dass Gottes Engel anwesend sind. Und ich glaube, dass diese Engel uns besser beschützen, als jede Versicherungsgesellschaft der Welt es tun kann. Wie gesagt: Nicht alles, was wir glauben, müssen wir sehen.

Und da sind wir schon bei Jesu wichtigstem Wort in unserem heutigen Evangelium, bei seinem Wort an den Jünger Thomas nämlich: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ Die wirklich wichtigen und dauerhaften Dinge des Lebens gehören zu denen, die man nicht sehen, nur glauben kann. Und von diesen Dingen steht an allererster Stelle die Tatsache, dass unser Herr Jesus Christus lebt und hier bei uns anwesend ist. Genau auf diese Tatsache bezieht sich sein Wort: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“

Der Apostel Thomas, dem dieses Wort ursprünglich galt, wird oft als „ungläubiger Thomas“ bezeichnet. Er tut mir dann immer ein bisschen leid, denn ich finde, man tut ihm Unrecht. Natürlich, er hat am Abend des Auferstehungssonntags bezweifelt, dass Jesus lebt, weil er gerade nicht da war, als der Auferstandene erschien. Aber genau dasselbe haben die anderen Apostel auch getan – bevor sie Jesus sahen! Sie haben den Frauen nicht geglaubt, als diese mit der frohen Kunde vom leeren Grab zurückkehrten: „Der Herr ist auferstanden!“ Sie waren da immer noch ängstlich und verzagt, hatten sich in einem Haus verbarrikadiert. Sie waren da ebenso ungläubig wie später Thomas. Erst als sie Jesus sahen, erst als er ihnen seine Hände und seine Seite zeigte und sie wegen ihres Unglaubens ausschimpfte, da glaubten sie. Jesus hätte ebensogut ihnen allen sagen können: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“

Und Jesus sagt es auch uns. Es ist eine wunderbare Seligpreisung, die allen Christen gilt. Selig sind wir, denn wir brauchen uns nicht ängstlich zu verbarrikadieren, wir können frei und mutig leben; der auferstandene Christus ist ja auch heute bei uns und ruft uns zu wie den Aposteln damals: „Friede sei mit euch!“ Diesen Frieden können wir zwar nicht äußerlich sehen, aber er gehört zu den wichtigen Dingen, die man glauben sollte, auch wenn man sie nicht sieht. Dieser Friede hat mit dem Mittelteil unseres heutigen Evangeliums zu tun, also mit dem, was Jesus den Jüngern am Ostersonntag mitteilte, als Thomas noch nicht dabei war. Er sagte ihnen da: „Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch! … Nehmt hin den heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen, und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ Friede mit Gott haben wir, weil Jesus für uns am Kreuz gestorben ist. Friede mit Gott haben wir, weil Gott dieses Sühnopfer durch die Auferweckung seines Sohnes angenommen und besiegelt hat. Friede mit Gott haben wir, weil uns die Frucht dieses Sühnopfers mit der Taufe zugeeignet wurde. Friede mit Gott haben wir, weil wir mit dem Zuspruch der Sündenvergebung in der Beichte immer wieder daran erinnert werden: „Dir sind deine Sünden vergeben!“ Das bedeutet: Nichts trennt dich mehr von Gott; du gehörst zu ihm, er gehört in dein Leben; er wird dich im letzten Gericht freisprechen und dir die ewige Seligkeit im Himmel schenken. „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“

Und warum können wir das glauben? Weil Jesus sich als glaubwürdig erwiesen hat. Weil er seine ersten Jünger zu Augenzeugen gemacht hat. Ganz recht: Die ersten Jünger durften sehen und glauben. Sie sahen ja den Auferstanden wirklich und leibhaftig. Sie konnten sich von seinen Wundmalen an Händen, Füßen und der Seite überzeugen, sowohl Thomas als auch die anderen Apostel. Und wenn wir noch heute ihre Berichte in der Bibel lesen, so leihen sie uns damit praktisch ihre Augen, sodass wir an der Auferstehung unseres Herrn teilhaben können. Genauso ist das mit der Sündenvergebung. Erinnern wir uns an die herrliche Geschichte mit dem Gelähmten, der da durch ein Hausdach hindurch herabgelassen wurde, direkt Jesus vor die Füße; die Apostel haben diese Geschichte für uns erlebt und aufgeschrieben. Als der Gelähmte da vor Jesus lag, was machte Jesus da? Er vergab ihm seine Sünden. Konnte man das sehen? Nein, das konnte man nicht sehen, das musste man glauben. Die Phariäser freilich, die dabei waren, die glaubten es nicht, sondern sie bezweifelten, dass Jesus überhaupt die Vollmacht hat, Sünden zu vergeben. Aber dann tat Jesus noch etwas anderes, und das konnten alle sehen: Er machte den Gelähmten gesund. Der Gelähmte stand zum großen Erstauen aller auf, rollte seine Schlafmatte zusammen und ging nach Hause. Jesus hat dazu gesagt, dass er den Gelähmten darum geheilt hat, damit wir erkennen: Er hat auch die Macht, Sünden zu vergeben. So gibt auch uns noch heute diese Geschichte Gewissheit, dass unsere Sünden wirklich vergeben sind, wenn uns im Namen Jesu die Vergebung der Sünden zugesprochen wird. Genauso, wie uns die Osterberichte der Evangelien noch heute Gewissheit geben, dass Jesus auferstanden ist und lebt. „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ – das ist also besonders für uns gesagt, für die Jünger späterer Generationen, die auf das Zeugnis der Augenzeugen angewiesen sind.

Wenn nun unsere Sünden vergeben sind und wir Frieden mit Gott haben, dann können wir auch glauben, dass Gott es gut mit uns meint. Das ist ja überhaupt der ganze Sinn, dass Gottes Sohn Mensch wurde, und von allem, was er getan hat: Er wollte uns zeigen, dass Gott es gut mit allen Menschen meint und sie zu erfülltem ewigen Leben bei sich einlädt. Wenn wir freilich nach dem urteilen, was unsere Augen sehen, dann kommen uns Zweifel. Wir sehen Leid und Not, Armut und Krankheit. Und wir fragen uns zweifelnd, ob Gott es denn wirklich gut mit uns meint. Die Antwort von Ostern, die Antwort der Apostel, die Antwort der ganzen Bibel lautet: Ja, wirklich. Gott meint es wirklich gut mit dir und mit allen Menschen, auch wenn es manchmal nicht so aussieht. Auch wenn deine Augen manchmal etwas ganz anderes sehen. Denn „selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“

Nicht alles, was wir sehen, können wir glauben. Nicht alles, war wir glauben, müssen wir sehen. Selig aber sind wir, wenn wir das Evangelium von Jesus Christus glauben, das seine Apostel gesehen, geglaubt und bezeugt haben. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2009.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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