Christus spricht: Ich lebe und ihr sollt auch leben

Predigt über Johannes 14,19 zum Neujahrstag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

„Ihr sollt leben!“, ruft Jesus uns am Anfang dieses neuen Jahres zu. Was meint er mit „leben?“ Er gibt damit keine Überlebens­garantie für unser leibliches Leben in dieser Welt. Keiner von uns kann sicher sein, dass er den Silvester­tag dieses Jahres noch erleben wird; wir können nicht einmal mit Gewissheit sagen, dass wir den morgigen Tag erleben werden. Jesus gibt mit diesem Wort auch keine Garantie für eine bestimmte Lebens­qualität, für einen bestimmten Lebens­standard. Manche von uns müssen sogar damit rechnen, in diesem Jahr ihren Gürtel enger zu schnallen. Und auch diejenigen, die für einen komfor­tablen Lebens­standard finanziell gut abgesichert sind, wissen nicht, ob nicht andere Einbußen in der Lebens­qualität auf sie warten – etwa durch Krankheit, durch den Verlust lieber Menschen oder durch andere ein­schneidende Ereignisse, die man nicht voraussehen kann.

Trotzdem gilt das Wort des Herrn Jesus Christus für alle seine Jünger: „Ihr sollt leben!“ Es geht dabei nämlich nicht um das leibliche Leben und auch nicht um die Lebens­qualität, es geht um das Leben in seinem tiefen und eigent­lichen Sinn; Gottes Wort nennt es auch „das ewige Leben“. Es geht darum, ob wir mit Gott leben – egal ob wir bequem leben oder ob wir notvoll leben oder ob wir sterben. Es geht um die Verbindung mit unserem Schöpfer, der uns ins Leben gerufen hat. Tot im tiefen und eigent­lichen Sinne ist der, der die Verbindung mit Gott verloren hat; lebendig im tiefen und eigent­lichen Sinne ist der, der mit Gott in Verbindung steht; ganz unabhängig davon, ob unser Herz noch schlägt oder nicht, und ganz unabhängig davon, wie kräftig es noch schlägt. Dieses Leben mit Gott, dieses ewige Leben verheißt Christus seinen Jüngern mit dem Wort: „Ihr sollt leben.“

Aha, denkt jetzt der fromme Christ, dann will mich die Jahres­losung also ermuntern, auch im kommenden Jahr brav zu glauben und fromm zu leben, damit die Verbindung zu Gott erhalten bleibt und ich ewiges Leben habe. Da ist etwas Wahres dran – und trotzdem stimmt es nicht! Denn wer mit Aufbietung aller Willens­kraft glauben und fromm leben will, wird dabei Schiffbruch erleiden. Der Teufel wird ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Er wird fest­stellen: Je mehr ich glauben will, desto an­gefochtener ist mein Glaube! Und: Je frömmer ich leben will, desto mehr erkenne ich, wie unfromm es eigentlich in meinem Herzen aussieht. Auch Martin Luther hat diese Erfahrung gemacht, als Mönch. Was hat er falsch gemacht? Wo ist das Problem?

Das Problem ist, dass da einer sein Leben selbst in die Hand nehmen will – das Leben im tiefen und eigent­lichen Sinn. Er denkt, mit dem Glauben und mit dem ewigen Leben ist es ebenso wie mit dem leiblichen Leben in dieser Welt und mit unserem täglichen Leben: Man muss selbst etwas dafür tun – man muss Geld verdienen, man muss essen, man muss in Bewegung bleiben, man muss zum Arzt gehen, man muss seine Medizin nehmen, man muss für's Alter vorsorgen, man muss dies tun, man muss das tun…. Das sind alles Willens­entscheidun­gen und Aktivi­täten, die unser leibliches Leben mit­bestimmen. Aber das Leben mit Gott, das Leben in seinem eigent­lichen und tiefen Sinne, ist ganz anders. Wenn wir da etwas mit eigenem Willen und eigener Kraft anstreben, dann erreichen wir das Gegenteil. Denn dann erliegen wir der Illusion, die Quelle des Lebens sei in uns selbst. Wer dieser Illusion erliegt, der schneidet sich von der wahren Lebens­quelle, von Gott, ab. Wer selbst sein Leben in die Hand nehmen will, der nimmt es Gott aus der Hand. Wer aus eigener Kraft glauben und fromm sein will, der erweist damit eigentlich seinen Unglauben, denn er vertraut dabei nicht auf Gott als Quelle des Lebens, sondern er sucht die Quelle des Lebens bei sich selbst, in seiner eigenen Glaubens­kraft nämlich. Wer aus eigener Kraft das Leben im eigent­lichen und tiefen Sinne finden will, der tut, wie die ersten Menschen taten bei der Ursünde: Aus eigener Willens­entscheidung aßen sie vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen, weil sie meinten, sie würden dadurch werden wie Gott; in Wahrheit aber schnitten sie sich damit von Gott, der Lebens­quelle, ab und wurden sterblich.

Es ist so wie bei einem Radio, das wahlweise mit Batterie oder mit Netzstrom betrieben werden kann. Die Stromquelle ist sozusagen die Lebens­quelle; sie bringt erst Leben ins Radio und macht es fähig, seinen Zweck zu erfüllen. Ein Mensch, der die Quelle des Lebens bei sich selbst sucht – in seiner eigenen Kraft, in seinen Fähig­keiten, in seinem Willen zum Erfolg, in seinem Glauben an sich selbst oder sogar in seinem religiösen Glauben – , der wird damit eine Weile leben können, so wie das Radio im Batterie­betrieb eine Weile spielt, aber früher oder später ist es aus damit. Ein Mensch dagegen, der in Verbindung mit Gott steht und sein Leben aus dieser Quelle speist, der gleicht einem Radio im Netz­betrieb; der ist an­geschlossen an eine un­erschöpf­liche Lebens­quelle; der hat ewiges Leben. Und da merken wir: Wenn Jesus sagt „Ihr sollt leben!“, dann ist das kein Appell unsere Willens- und Glaubens­kraft, sondern dann ist das eine Zusage, ein Ver­sprechen, ein Geschenk. Jesus verspricht damit, dass seine Jünger stets mit Gott, der Lebens­quelle, verbunden bleiben sollen und so das ewige Leben haben. Das einzige, was diese Verbindung zunichte machen könnte, wäre, wenn ein Jünger sozusagen den Netzstecker zöge und auf Batterie­betrieb weiter­laufen wollte; wenn er also sein Leben durch eigenen Willen, eigene Glaubens­kraft und eigene Frömmigkeit erhalten wollte. Davor bewahre uns Gott!

Damit wir vor solch dummen und gefähr­lichen Gedanken bewahrt bleiben, hat Jesus nicht nur ver­sprochen: „Ihr sollt leben“, sondern er hat eine ent­scheidend wichtige Aussage voran­gestellt: „Ich lebe!“ Er hat das ewige Leben seiner Jünger mit seinem eigenen Leben in Verbindung gebracht. Das Charakte­ristische am Jünger Jesu ist es ja, dass er nichts aus sich selber ist, sondern dass sein Lebenssinn darin besteht, in Gemein­schaft mit dem Meister zu leben. Über diesen Meister aber hat er Verbindung zum lebendigen Gott, zur Quelle des Lebens.

„Ich lebe“, diese kurze Aussage Jesu bedeutet weit mehr als nur die Tatsache dass er selbst, der Gottessohn, mit dem Vater in enger Verbindung steht deshalb selbst lebendig ist im tiefen und eigentliche Sinne. Er hat mit dieser kurzen Aussage zusammen­gefasst, was er seinen Jüngern im größeren Zusammen­hang dieses Wortes ausführlich entfaltete. „Wer mich sieht, der sieht den Vater“ (Joh. 14,9), hat er in diesem Zusammen­hang gesagt, und: „Niemand kommt zum Vater denn durch mich“ (Joh. 14,6), und: „Glaubt an Gott und glaubt an mich“ (Joh. 14,1). Er hat seinen Jüngern also deutlich gemacht, dass in ihm, dem Jesus von Nazareth, Gott selbst den Menschen begegnet, und nur in ihm. „Ich lebe“, das bedeutet in diesem Zusammen­hang also: „Ich bin der lebendige Gott, der von Ewigkeit zu Ewigkeit lebt“ – so, wie er's dann später dem Johannes gegenüber wiederholt hat und wie es in der Offenbarung geschrieben steht: „Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige“ (Offb. 1,18). „Ich lebe“, das erinnert an Gottes Namen, mit dem er sich dem Mose am brennenden Busch und seinem Volk von alters her offenbart hat: JAHWE – ich bin, der ich bin – ich bin der eine lebendige Gott; der Gott, der warhaft ist, der wirklich existiert. Und dieser eine wahre lebendige Jahwe-Gott, der Herr und Schöpfer, der ist in Jesus Christus Mensch geworden. Wer auf Jesu Worte hört, hört Gottes Worte. Wer auf Jesu Leben achtet, der sieht Gottes Tun. Wer Jesu Liebe erfährt, der erfährt Gottes Liebe. Wer Gott finden will, der suche Jesus. Wer aber Jesus verachtet, der verachtet Gott. „Ich lebe“, sagt Jesus und meint damit: „Ich bin der lebendige Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit“.

Und nun schauen wir auf die Losung im Ganzen: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben.“ Jesus verheißt allen seinen Jüngern das ewige Leben, das Leben in seinem eigent­lichen und tiefen Sinne, das Leben mit Gott. Er verspricht es ihnen, weil sie zu ihm gehören und weil sie durch ihn an­geschlossen sind an die Lebens­quelle, den Vater im Himmel, den Schöpfer und Erhalter der Welt. Dieses Wort will uns Mut machen für das neue Jahr und uns gewiss machen, dass wir durch Jesus die Fülle des Lebens haben. In der Taufe hat er dir dieses Leben persönlich zugeeignet, denn in der Taufe bist du sein Jünger geworden. „Ihr sollt leben“ – ihr habt das ewige Leben durch Jesus Christus! Unabhängig davon, ob ihr in diesem Jahr viel Freude oder viel Sorge haben werdet. Unabhängig davon, ob ihr arm oder reich seid, krank oder gesund. Unabhängig davon, ob eure Pläne und Vorhaben gelingen oder ob ihr in mancherlei Hinsicht scheitert. Unabhängig davon, ob euer Glaube fest oder angefochten ist. Unabhängig davon, ob euer Glaube herrliche sichtbare Früchte hervor­bringt oder nur sehr kümmer­liche, sehr un­scheinbare. Denn für euer Leben im tiefen und eigent­lichen Sinn ist nicht wichtig, was ihr selbst schafft und hervor­bringt, es ist nur eins wichtig: dass ihr durch den lebendigen Herrn Jesus Christus mit der Lebens­quelle verbunden seid und bleibt. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2008.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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