Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Wer wollte nicht gern in kurzer Zeit viel Geld verdienen? Wenn einer den richtigen Riecher hat für ein gutes Geschäft und wenn er die Kunst beherrscht, den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen, dann kann es ihm gelingen, in kurzer Zeit viel Geld zu verdienen, dafür gibt es heutzutage Anschauungsbeispiele in Hülle und Fülle. Wir alle wissen: Die Werbung arbeitet raffiniert mit Verlockungen, mit Halbwahrheiten, mit Verschleierungstaktiken, mit psychologischen Tricks – und es funktioniert: die Leute geben ihr Geld aus für allerlei Waren und Dienstleistungen, die sie ohne Werbung nicht kaufen würden. Manchmal geben sie sogar mehr aus, als sie sich leisten können.
Es funktionierte schon immer, auch schon zu Luthers Zeiten. Papst Leo X. brauchte Geld für den prunkvollen Ausbau seiner Peterskirche in Rom. Er machte einen raffinierten Vertrag mit dem deutschen Bischof Albrecht, der ebenfalls Geld brauchte. Auch das Bankhaus der Fugger war an dem Deal beteiligt, und zwar mit einem großen Darlehen. Dann floss das Geld – und es kam von den kleinen Leuten, sogar von den Armen, die es eigentlich viel nötiger für sich selbst brauchten. Bischof Albrecht schickte im Namen des Papstes begabte Prediger im Land herum (der berühmteste von ihnen hieß Tetzel) und ließ mit großem Werbeaufwand den Leuten Ablassbriefe aufschwatzen. Man machte den Christen weis, dass ihnen mit Erwerb eines Ablassbriefes Sündenstrafen von Gott erlassen würden. Das sollte sogar noch nachträglich für verstorbene Angehörige funktionieren. Ein einträgliches Geschäft war dieser Handel mit Ablassbriefen – für den Papst, für Bischof Albrecht, für das Bankhaus der Fugger und auch für die Ablassprediger selbst.
Das Geschäftemachen funktionierte auch schon zu Jesu Zeiten. Im Vorhof des Jerusalemer Tempels waren dicht an dicht die Stände der Händler aufgebaut, die Opfertiere zum Verkauf anboten: Tauben, Schafe, sogar Rinder. Andere tauschten Geld jeder Art in die Tempelwährung um, die man brauchte, um etwas in die Kollekte zu tun. Wir können uns ausmalen, dass auch viel Werbung gemacht wurde, dass sich die Händler mit ihren Sonderangeboten gegenseitig übertönten und unterboten. Geschäftstüchtige Leute konnten da schnell reich werden.
Zu allen Zeiten hat es Geschäftemacher gegeben, und zu allen Zeiten hat sich auch Protest gegen sie erhoben. Heutzutage kritisiert man aufdringliche und unwahrhaftige Werbung, und man verachtet diejenigen, die rücksichtslos in kurzer Zeit viel Geld zusammenraffen. Luther hat sich mit seinem 95 Thesen scharf gegen die marktschreierischen Ablasspredigten seiner Zeit ausgesprochen. Jesus selbst hat die Händler und Geldwechsler sogar mit Gewalt aus dem Tempel geworfen. Bedeutet das, dass Werbung und Geschäftemacherei grundsätzlich anrüchig sind, um nicht zu sagen unmoralisch, unchristlich?
Seien wir vorsichtig, liebe Gemeinde. Wir dürfen nicht alles über einen Kamm scheren, sondern wir müssen hier differenzieren. Geld an sich ist nicht schmutzig, und wirtschaftliche Unternehmungen an sich sind nicht verwerflich. Im Gegenteil: Wir alle, die wir hier sitzen, haben viele Vorteile und großen Segen davon, dass wir in einer intakten Marktwirtschaft leben. Freilich gibt es auch den Missbrauch, und der ist zu verwerfen – Luther hat das in seinem kleinen Katechismus getan in der Erklärung zum siebenten Gebot, wo es heißt, dass man nichts mit falscher Ware oder falschem Handel an sich bringen sollte. Aber wo ehrlich und verantwortungsvoll Handel getrieben wird, ist nichts dagegen einzuwenden, es dient im Gegenteil zum Nutzen aller.
Als Luther freilich den Ablasshandel kritisierte, da ging es ihm gar nicht um diese Fragen der Wirtschaftsethik, und auch Jesus ging es nicht darum, als er die Händler aus dem Tempel hinauswarf. Es ging um etwas ganz anderes. Was hatte Jesus doch bei dieser Gelegenheit gerufen? „Macht nicht das Haus meines Vaters zur Markthalle!“ Er hat also gar keine aufdringliche Werbung beanstandet und hat auch nicht behauptet, dass die Händler die Käufer übers Ohr hauen. Er hat einfach darauf hingewiesen, dass der Handel in Gottes Haus fehl am Platze ist. Und warum? Nicht, weil wirtschaftliches Handeln unfromm wäre, sondern weil der Handel etwas ist, was im zwischenmenschlichen Bereich seinen Platz hat, aber nicht in der Beziehung zwischen Mensch und Gott. Auch im zwischenmenschlichen Bereich hat der Handel ja Grenzen: Bestimmte Dinge lassen sich nicht mit Geld bewerten oder sollten nicht mit Geld bewertet werden – barmherzige mitmenschliche Zuwendung zum Beispiel, oder Liebe. Ganz fehl am Platz ist das wirtschaftliche Handeln aber im Verhältnis zu Gott. Genau das aber war der Zweck des Handels im Vorhof des Tempels. Da konnten die Tempelbesucher nämlich ihre Fremdwährungen in eine Währung tauschen, die, wie sie meinten, bei Gott gültiges Zahlungsmittel wäre: Brandopfertiere und Opfermünzen nämlich. Und mit diesen Zahlungsmitteln wollten sie sich Gottes Segen kaufen, oder auch noch nachträglich für bereits empfangenen Segen ihre Rechnung bei Gott begleichen, damit er ihnen nicht böse wäre. Seht, so machten die Tempelhändler das Gotteshaus zur Markthalle – auch wenn ihr äußeres Geschäftsgebaren an sich ganz redlich war. Aber mit Gott können und sollen wir nicht handeln, und darum hat Jesus so heftig reagiert und gesagt: „Macht nicht das Haus meines Vaters zur Markthalle!“, zu einem Haus nämlich, wo Menschen meinen, mit dem lieben Gott einen guten Deal abschließen zu können.
Gut, in alttestamentlicher Zeit hatte der Opferdienst im Tempel eine gewisse Berechtigung gehabt, er war ja im Gesetz des Mose sogar ausdrücklich geboten gewesen – aber nicht als Kuhhandel mit Gottes Segen, sondern als prophetisches Vorzeichen des einen Opfers, das Gott selbst gestiftet hat, um die ganze Menschheit ein für allemal zu erlösen: das Opfer seines eigenen Sohns Jesus Christus nämlich. Dessen Kreuzestod hat die Tieropfer im Tempel überflüssig und daher sinnlos gemacht. Jetzt zählt bei Gott nur noch eine einzige Währung, nämlich das Blut Jesu Christi. Diese Währung kann kein Mensch käuflich erwerben oder einhandeln, die kann man sich nur von Gott schenken lassen, und das tut jeder, der an Jesus glaubt. Wer zu Jesus gehört, der weiß: Mit Gott kann man nicht handeln, aber mit Gott braucht man auch nicht zu handeln, er schenkt alles Gute durch seinen Sohn.
Martin Luthers Protest gegen den Ablasshandel geht genau in dieselbe Richtung. Denn im Mittelalter hatten viele Menschen unter der Oberfläche des Christentums wieder angefangen, mit Gott zu handeln, und das wurde von der Kirche auch noch gefördert. Die Währung, mit der man Gottes Segen glaubte erwerben zu können, bestand nicht mehr aus Kühen, Schafen, Tauben und Tempelmünzen, sondern aus Reliquien, Fasten, Betritualen, Pilgerfahrten und eben Ablassbriefen. Als Luther am 31. Oktober 1517 seinen berechtigten Protest dagegen zum Ausdruck brachte mit den 95 Thesen, da tat er nichts anderes, als den Menschen seiner Zeit zuzurufen: Macht Gottes Haus nicht zur Markthalle! Glaubt doch nicht, dass ihr Vergebung der Sünden mit Geld kaufen könnt! Bei Gott zählt nur eine Währung, und das ist das Blut seines Sohnes Jesus Christus. Das kann man sich nicht erwerben, das kann man sich nur schenken lassen, indem man es im Glauben annimmt. Freilich: Wer die 95 Thesen genau durchliest, wird feststellen, dass Luther sich selbst noch nicht ganz im Klaren war über diese reformatorische Erkenntnis. Er wagte es noch nicht, den kirchlichen Ablass grundsätzlich in Frage zu stellen, sondern kritisierte lediglich den marktschreierischen Handel mit Ablassbriefen. Auch war er noch davon überzeugt, dass der Papst selbst den rechten christlichen Glauben vertrat und dass der Missbrauch mit den Ablassbriefen hinter seinem Rücken getrieben wurde. Aber die 95 Thesen sind ja auch erst der Anfang der Reformation gewesen, und zu recht werden sie nicht zu den lutherischen Bekenntnisschriften gerechnet, denn manches darin ist noch vom mittelalterlichen Irrglauben geprägt. Aber der Anfang war gemacht, und am Ende strahlte das helle Licht des Evangeliums wieder ungehindert von Gottes Wort in die Welt.
Was bedeutet das alles für uns heute? Es geht nicht darum, Werbung und Wirtschaft zu verteufeln. Es geht auch nicht darum, Kollektendosen und Büchertische aus der Kirche zu verbannen. Es geht heute nach wie vor darum, dass wir uns nicht einbilden sollen, wir könnten mit Gott Geschäfte machen. „Macht nicht das Haus meines Vaters zur Markthalle“, diese Warnung Jesu gilt auch heute in diesem Sinne. Hütet euch davor, Gottes Segen irgendwie kaufen zu wollen! Denkt zum Beispiel nicht: Wenn ich in einer ehrwürdigen Kirche eine Kerze anzünde, oder wenn ich ein besonders langes Gebet spreche, oder wenn ich einen üppigen Betrag für eine Hilfsorganisation spende, dann muss Gott das doch anerkennen und mich segnen. Gott muss gar nichts tun für uns Sünder – und trotzdem hat er etwas getan. Er hat selbst mit der einzigen Währung bezahlt, die er akzeptiert, uns zugute: mit dem Blut seines Sohnes. Lasst uns daran einfach im Glauben festhalten. Dieser Glaube soll dann die Grundlage für ein gottgefälliges Leben sein – ohne den Hintergedanken, man könne sich damit irgendetwas bei Gott verdienen. Ein gottgefälliges Leben – das ist ein Leben mit ehrlichem Geldverdienen und verantwortlichem Geldausgeben. Ein Leben aber auch, bei dem das wirtschaftliche Handeln auf den Bereich beschränkt bleibt, wo es sinnvoll ist. Ein Leben, bei dem vor allem auch das einen hohen Stellenwert hat, was unbezahlbar ist: die menschliche Zuwendung, die Nächstenliebe, die Freude, die Hoffnung, die Gemeinschaft in guten und in schweren Zeiten. Ja, so lasst uns leben – geheiligt durch das Blut unseres Herrn Jesus Christus. Amen.
PREDIGTKASTEN |