Die Freiheit des Heiligen Geistes

Predigt über 2. Korinther 3,17‑18 zum Pfingstsonntag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Pfingsten, so sagt man, ist der Geburtstag der Kirche, denn da ist aus der Kraft des Heiligen Geistes die Kirche Jesu Christi geboren worden. Freilich könnten wir Pfingsten auch den Konfir­mations­tag von Gottes Volk nennen, denn es gab ja schon vor Pfingsten die Gemeinde von Gottes Volk, die Gemeinde des alten Bundes nämlich. Pfingsten markiert den Übergang des göttlichen Volkes vom alten zum neuen Bund, und der kann in der Tat mit einer Konfir­mation verglichen werden. Es ist der Übergang von der Unmündig­keit unter dem alten Gesetz zur mündigen Gottes­kindschaft und zur Freiheit des Geistes. Es ist gewisser­maßen der Übergang von der Kindheit des Gottesvolks zum Erwachsenen­alter des Gottes­volks. Schon der Apostel Paulus hat diesen Vergleich gezogen und im Galater­brief ge­schrieben, dass die Menschen unter dem alten Bund wie unmündige Kinder waren: Sie hatten Gottes klare Regeln einfach zu befolgen. Die Menschen unter dem neuen Bund indessen sind zur Freiheit des Erwachsenen­alters hindurch­gedrungen.

Das leuchtet ein: Unmündige Kinder brauchen klare, an­schauliche Regeln. Kinder müssen kon­trolliert und bei Nicht­befolgen der Regeln bestraft werden. Solch strenge Erziehung passt ihnen oft nicht, aber nur so werden sie vor manchem Unheil bewahrt und für die Zeit der Mündigkeit vor­bereitet. Hinter der Strenge des Vaters und der Mutter verbirgt sich ganz viel Liebe, auch wenn die Kinder das nicht immer merken. Da gibt es zum Beispiel klare Regeln zum Essen: „Was auf den Tisch kommt, das wird gegessen!“; oder: „Vor dem Mittagessen wird nicht genascht!“ So hat auch der himmlische Vater seinen Kindern zur Zeit des alten Bundes aus­führliche Speise­gebote gegeben: Schweine­fleisch, Hasenbraten und vieles andere waren aus­drücklich verboten im Gesetz des Mose. Da gibt es auch klare Regeln für die Kleidung. Eltern sagen ihren Kindern zu Beispiel: „Zieh dir den Pullover über, wenn du heute früh 'rausgehst, es ist noch kühl!“ Auch der himmlische Vater hatte für seine Kinder zur Zeit des alten Bundes bestimmte Kleider­vorschrif­ten. Was der Hohe­priester im Gottes­dienst anziehen musste, das ist auf's Genauste im Mose-Gesetz be­schrieben. Überhaupt hat Gott dem Volk Israel aus­führliche Vor­schriften für den Gottes­dienst gegeben. Da gibt es auch genaue Regeln für den Umgang mit anderen Menschen. Viele Eltern schreiben ihren Kindern vor, wie sie Erwachsene zu begrüßen haben: „Gib die Hand, sieh den anderen an, sag schön ‚Guten Tag‘!“ Der himmlische Vater hat seinem alt­testament­lichen Volk detail­reiche Sozial­gesetze gegeben für den Umgang unter­einander. Zum Beispiel sollten Bauern ihre Felder nicht ganz bis zum Rand abernten, damit etwas für die Armen stehen blieb; die durften sich dann nach der Ernte auf den Feldern selbst bedienen. Unlöslich verbunden mit Gottes Gesetz ist bei dem allen die Verheißung von Lohn und die Androhung von Strafe – genauso wie Eltern ihre Kinder mit Belohnungen und Strafen erziehen, und genauso wie die Leistungen von Schülern mit Zensuren beurteilt werden. Die Liebe und Vatergüte Gottes war unter all den Gesetzes­vorschriften und den angedrohten Kon­sequenzen freilich nur verhüllt wahr­zunehmen. Paulus schrieb, die Herrlich­keit Gottes war mit dem Gesetz gewisser­maßen wie unter einer Decke verborgen. Das wird mit dem neuen Bund, mit dem Heiligen Geist und mit Pfingsten schlagartig anders: „Nun aber schauen wir alle mit auf­gedecktem Angesicht die Herrlich­keit des Herrn“, schreibt Paulus. Denn: „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.“

Freiheit – wie herrlich! Was für ein frischer Wind, den Gottes Geist uns mit Pfingsten gebracht hat! Jugendliche spüren die Herrlich­keit solcher Freiheit, wenn sie immer mehr selbst entscheiden dürfen, wenn ihnen immer mehr zugetraut wird, wenn nicht mehr ständig die Vor­schriften der Eltern im Nacken sind. Aber sie machen dabei auch die Erfahrung, dass Freiheit Ver­antwortung bedeutet. Wenn ich selbständig Ent­scheidungen treffe, dann muss ich für ihre Folgen gerade­stehen. Für unmündige Kinder haften die Eltern, Erwachsene hingegen haften für sich selbst. Und so ist das auch mit der neu­testament­lichen Gemeinde, mit der Kirche nach Pfingsten: Die Christen sind frei vom Gesetz des Mose, die vielen Einzel­vorschriften des Alten Testaments sind erledigt. Christsein bedeutet also keineswegs, dass man sich jeden einzelnen Schritt auf dem Lebensweg genau von Gott zeigen lässt; Gott mutet uns zu, dass wir unseren Verstand gebrauchen und selbst darüber nachdenken, welche Schritte gut sind und welche nicht so gut. Die Ver­antwortung vor Gott aber, die bleibt. Und so wirken die Prinzipien der Erziehung durch das Gesetz in der Zeit der Freiheit nach; sie sollen sich in der Freiheit bewähren: das Prinzip der Liebe, das Prinzip der Wahr­haftigkeit, das Prinzip des Gott­vertrauens, das Prinzip der Demut. Nach Pfingsten dürfen Gottes Kinder alles essen, auch Schweine­fleisch und Hasen­braten. Trotzdem tun wir als Christen gut daran, nicht wahllos alles in uns hinein­zustopfen, sondern selbst zu überlegen, was uns gut tut und was nicht. Nach Pfingsten gibt es keine göttliche Kleider­ordnung für Pastoren im Dienst; wir haben grund­sätzlich die Freiheit, Talar, Alba, schwarzen Anzug oder Freizeit­kleidung zu tragen. Auch die liturgi­schen Formen sind der neu­testament­lichen Gemeinde grund­sätzlich frei­gestellt. Dennoch ist es nicht egal, was man im Gottes­dienst anzieht und wie man ihn feiert; wir sollten uns das sehr gut überlegen und dann Formen wählen, die Gott zur Ehre gereichen und den Menschen Gottes Gaben nahe­bringen. Nach Pfinsten steht Gottes Volk nicht mehr unter einer genau vor­gegebenen göttlichen Sozial­ordnung, aber wir tun gut daran, unser Verhalten stets daran zu messen, was dem Nächsten dienlich ist – wie der Jugendliche auch nicht mehr unbedingt eine angelernte Pflicht­begrüßung weiter­pflegen muss, sich aber tunlichst überlegen sollte, wie er denn seine Mitmenschen liebens­würdig und herzlich begrüßen will. Nach Pfingsten hält Gott sich zurück mit direkten Strafen, wie sie das alt­testament­liche Gottesvolk oftmals zu spüren bekam. Dennoch sollte sich jeder Christ seiner Ver­antwortung bewusst sein und stets so handeln, dass er es einst am Jüngsten Tag vor Gottes Gericht ver­antworten kann. Es ist so wie beim Er­wachsenen, der für seine Leistungen keine Schulnoten mehr bekommt wie das Kind, der aber genau weiß, dass dennoch gute Leistungen von ihm erwartet werden und schlechte Leistungen schädlich sind. Ja, wir haben Gottes Geist empfangen, und wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit! Freiheit aber will ver­antwortlich gelebt sein. Ein Pilot in der Luft hat grund­sätzlich die Freiheit, überall zu landen. Er tut aber gut daran, ver­antwortlich zu handeln und für die Landung nur die Landebahn des Flughafens zu benutzen, sonst ist es ganz schnell aus mit seiner Freiheit.

Liebe Gemeinde, wir können unsere christliche Freiheit genießen, wir können uns an dieser großen Herrlich­keit freuen! Wir sind mündige Gottes­kinder, nur unserm Vater im Himmel ver­antwortlich! Wer freilich nicht ganz blauäugig in den Tag hineinlebt, wird merken, dass er dieser Ver­antwortung oftmals nicht gerecht wird. Er wird merken, wie er falsche Ent­scheidungen trifft, die ihm selbst und anderen schaden und die Gott ent­täuschen. Ja, oftmals ertappen wir uns dabei, dass wir unsere Freiheit nicht in Liebe, Wahr­haftigkeit, Gott­vertrauen und Demut ausleben, sondern dass wir sie miss­brauchen. Wir gleichen jämmer­lichen Piloten, die bei aller Freiheit des Fliegens die Landebahn verfehlen und eine Bruch­landung nach der anderen hinlegen. Es sieht manchmal so aus, als seien wir dem Er­wachsenen­alter der Kinder Gottes noch nicht gewachsen. Gottes gute Nachricht in solcher Situation lautet: Damit ist deine Freiheit dennoch nicht am Ende, sondern im Gegenteil, da wirkt sie sich erst richtig aus! Denn die Freiheit, von der Paulus hier schreibt, ist die Freiheit des Evan­geliums, und das bedeutet: die Freiheit vom Fluch des Gesetzes, die Freiheit von Gottes Strafe im Falle des Versagens. Die Strafe hat Jesus Christus für uns ja schon abgebüßt. Gott verurteilt uns nicht – weder mit Zensuren noch ohne Zensuren, weder nach dem Maßstab der vielen Mosegesetze noch nach Grund­prinzipien des Liebesgebotes und der Zehn Gebote! Auch wo du dich so verhalten hast, dass du es am Jüngsten Tag nicht vor Gottes Gericht ver­antworten kannst, wird dir das nicht das Genick brechen, denn ein anderer hat bereits seinen Kopf dafür hin­gehalten: Jesus. Diese gute Nachricht ist dasselbe Evangelium, das am ersten Pfingsttag seinen Siegeszug um die Welt angetreten hat, als Petrus mit den anderen Aposteln in der Vollmacht des Heiligen Geistes ver­kündigte: „Tut Buße, und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden“ (Apostel­gesch. 2,38). Es ist dieselbe Vergebung der Sünden, die uns noch heute in der Beichte geschenkt wird, wenn Gott durch den Mund seines be­auftragten Dieners sagt: „Ich spreche dich frei, ledig und los – dir sind deine Sünden vergeben.“ Das ist die Freiheit, die uns erst wirklich aufatmen lässt, die Freiheit des Evan­geliums. Denn sie lässt dich erkennen: Mein Versagen verdammt mich nicht, und mein Erfolg recht­fertigt mich nicht vor Gott. Mich recht­fertigt und rettet allein mein lieber Herr Jesus Christus. An dem will ich allzeit im Glauben festhalten. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2007.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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