Was es bedeutet, einen guten Hirten zu haben

Predigt über Johannes 21,15‑18 zum Sonntag Miserikordias Domini

Lieber Bruder in Christus, liebe Schwester in Christus!

Du hast einen guten Hirten, der heißt Jesus Christus. Er kümmert sich um dich, er redet mit dir. Stell dir einfach vor, er sitzt jetzt bei dir und spricht dich an – so, wie wir eben gehört haben, dass er mit seinem Jünger Simon Petrus geredet hat. Dass du ihn nicht siehst, wie Petrus ihn damals sah, ist nicht wichtig. Dass uns etwa 2000 Jahre und etwa 3000 Kilometer von diesem Gespräch mit Petrus trennen, ist auch nicht wichtig. Jesus hat dir heute morgen wahr­scheinlich ein gutes Frühstück beschert, wie er dem Petrus vor diesem Gespräch ein Frühstück bescherte. Und nun sitzt der gute Hirte bei dir, wie er einst bei seinem Schäflein Simon Petrus gesessen hat, und redet mit dir und lehrt dich zu erkennen, was es heißt, einen guten Hirten zu haben.

Zuerst fragt dich Jesus: „Hast du mich lieber, als mich die andern lieb haben?“ Er fragt nicht aus Neugier, er kennt uns ja Menschen besser, als wir uns selbst kennen. Jesus fragt, damit du selbst dir darüber Gedanken machst, wie lieb du ihn hast. Das gehört zu seiner Seelsorge; das gehört zu seiner Art, die Schäflein zu weiden. Also: Hast du Jesus lieber, als die andern Christen ihn lieb haben? Was sollst du ihm da antworten? Solltest du sagen: Ja, Jesus, natürlich. Ich bin ein besserer Christ als die andern. Ich halte jeden Tag meine Andacht und versäume kaum einen Gottes­dienst. Ich halte mich an deine Gebote und verleugne meinen Glauben nicht, wenn's drauf ankommt. Ich bin nett, freundlich und hilfs­bereit. Und wenn mich jemand kränkt oder mir Schaden zufügt, dann trage ich ihm das nicht nach, dann vergebe ich ihm und habe ihn trotzdem lieb, wie ein Christ das ja tun soll. Solltest du so antworten? Könntest du so antworten? Ein paar Tage vorher hätte Simon Petrus so ge­antwortet. Vor Jesu Gefangen­nahme und Hinrichtung hat er ja behauptet: „Auch wenn dich die andern Jünger verlassen und verleugnen sollten, ich niemals, selbst wenn ich mit dir sterben müsste!“ (Matth. 26,31‑35). Aber dann hat Petrus ihn doch verleugnet, aus Feigheit. Dreimal hatte er es getan; Jesus ruft ihm das ins Gedächtnis, indem er gleich dreimal fragt: „Hast du mich lieb?“ Manches andere wird dem Petrus auch noch durch den Kopf gegangen sein, was er verpatzt hat und wo er seinem Herrn Kummer gemacht hat. Hatte er ihn lieber als die andern Jünger? Konnte er denn überhaupt sagen, dass er Jesus lieb hatte – nach allem, was vorgefallen war? Und doch spürte er sie ja, diese brennende Liebe, diese Sehnsucht nach dem Heiland, diesen Wunsch, mit ihm zusammen zu bleiben und ihm nach­zufolgen. Diese Liebe, dieses Vertrauen war doch nicht erloschen, und Jesus musste das wissen. Darum antwortete er ganz schlicht und demütig, ohne sich mit jemand anders zu ver­gleichen: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe.“ Und so, lieber Mitchrist, so wünsche ich mir, dass auch du antwortest: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe.“ Da gibt es nichts zu heucheln oder zu beweisen, da zählt keine fromme Leistung. Liebe zu Jesus und Glaube, das sind keine Werke, mit denen man andere ausstechen müsste. Es gibt keine guten und keine schlechten Christen, es gibt einfach nur Menschen, die die Liebe des guten Hirten Jesus Christus in ihrem Leben erfahren haben und im Glauben annehmen, und darum haben sie ihn auch lieb. In aller Unvollkommen­heit und Schwach­heit, in­konsequent, im ständigen Ringen mit der Sünde und stets auf die Vergebung angewiesen, die auch Simon Petrus nach seiner Verleugnung erfahren hatte. „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe.“ Es ist so, wie Paul Gerhardt es in einem Weihnachts­lied gedichtet hat: „Ich aber, dein geringster Knecht, ich sag es frei und mein es recht: Ich liebe dich, doch nicht so viel, als ich dich gerne lieben will.“ Wie gesagt, mit dieser Frage lehrt Jesus uns zu erkennen, was es heißt, einen guten Hirten zu haben. Das Ergebnis dieser ersten Lektion lässt sich mit dem Satz zusammen­fassen: Wer einen guten Hirten hat, der braucht sich nicht selbst zu weiden. Du brauchst dein Leben nicht durch eigene Leistung in den Griff zu kriegen, und das kannst du auch gar nicht. Jesus führt dich, Jesus weidet dich, Jesus beschützt dich und Jesus vergibt dir, wo du versagt hast. Das ist freilich eine schwere Lektion. Denn in unserer Zeit meinen viele Menschen (sogar Christen), dass sie nichts geschenkt kriegten und dass sie sich abschuften müssten, damit ihr Leben gut verläuft. So wie Petrus das in der Nacht vor dem Gespräch getan hat und wie auch schon mal einige Jahre vorher war, als er noch den Beruf eines Fischers ausübte: Die ganze Nacht gerackert, aber keinen einzigen Fisch gefangen! So geht das nicht, Petrus, Zeit und Mühe allein genügen nicht, um sich das tägliche Brot zu verdienen! Der gute Hirte ist es, der uns täglich versorgt. Der war es ja denn auch, der Petrus auf­forderte, noch einmal die Netze auszuwerfen – und siehe da, mit einem einzigen kurzen Fischzug waren die Netze rappelvoll! So war es am Anfang gewesen, als Petrus Jesus kennen­gelernt hatte, und so war es auch wieder an diesem Morgen gewesen, bevor Jesus sich mit Petrus zu einem Gespräch zusammen­gesetzt hatte. Denke also nicht, du hättest nicht genug Zeit für Jesus, weil du dich um deinen Lebens­unterhält kümmern müsstest. Mit Mühe und ohne Jesus fängst du nichts, aber mit dem guten Hirten Jesus Christus ist deine Mühe gesegnet, und du bist versorgt. Nimm dir also die Zeit, mit ihm zusammen­zusitzen und zu reden. Nimm dir die Zeit, über seine Fragen und sein Wort nach­zudenken.

Das alles bedeutet jedoch nicht, dass Christsein eine völlig passive Angelegen­heit wäre. Denn Jesus fragt dich nicht nur: „Hast du mich lieb?“, sondern er gibt dir auch einen Auftrag. Welchen Auftrag, das hängt davon ab, wer du bist. Wenn ich vor einem Pfarr­konvent predigen würde, dann könnte ich direkt den Auftrag aus unserem Predigttext nennen, den Jesus dem Petrus gegeben hat: „Weide meine Lämmer!“ Es ist der Auftrag zum Hirtenamt, zum Pastor-Sein. Jesus ordinierte den Simon Petrus feierlich mit diesem dreimal ge­sprochenen Wort zum öffent­lichen Predigtamt, zum Weideamt der Kirche. Er machte ihn damit zu seinem Unter­hirten, zum Ausführungs­gehilfen für den einen guten Hirten. Voraus­setzung für dieses Amt ist es, dass man Jesus lieb hat, ganz gleich, ob man es haupt­beruflich tut und dafür Geld bekommt oder nicht. Denn ein Pastor, der diesen Beruf nur zum Zweck des Lebens­unterhalts ausübt, der ist kein rechter Hirte, sondern er gleicht dem sogenannten Mietling aus dem heutigen Tages­evangelium; er flieht, wenn Schwierig­keiten kommen. Petrus hat diesen Weide­auftrag sehr ernst genommen und darum später in einem Brief an andere Pastoren ge­schrieben: „Weidet die Herde Gottes, die euch anbefohlen ist; achtet auf sie, nicht gezwungen, sondern freiwillig, wie es Gott gefällt; nicht um schänd­lichen Gewinns willen, sondern von Herzens­grund; nicht als Herren über die Gemeinde, sondern als Vorbilder der Herde. So werdet ihr, wenn erscheinen wird der Erzhirte, die un­vergängliche Krone der Herrlich­keit empfangen“ (1. Petrus 5,2‑4). Wenn ich jetzt auf einem Pfarr­konvent predigen würde, könnte ich dazu noch viel mehr sagen; so aber muss ich das mir selbst hinter die Ohren schreiben, euch indessen auf den weiteren Sinn dieses Wortes hinweisen: „Weide meine Lämmer!“ Der weitere Sinn ist dieser: Höre du genau hin, was für einen Auftrag denn Jesus für dich hat, und führe diesen Auftrag gewissen­haft aus. Wenn du Kinder hast, dann setze alles daran, dass du sie in der Liebe des Herrn Jesus Christus und zum Gehorsam in Gottes Geboten erziehst, das ist sein Auftrag. Dasselbe mag in gewisser Hinsicht auch für Enkelkinder und Patenkinder gelten. Wenn du einen Beruf hast, dann sieh ihn in erster Linie als eine Gelegenheit an, deinen Mitmenschen zu dienen; sei also sorgfältig und tu das, was man von dir erwarten kann. Und weil du ein Gemeinde­glied bist, darum hat Jesus für dich den Auftrag, für deinen Pastor zu beten, seinem Rat als Seelsorger zu folgen, ihm sein Weideamt nicht unnötig schwer zu machen und zu seinem Lebens­unterhalt bei­zutragen; all das steht aus­drücklich so in der Bibel. Das sind nur drei Beispiele dafür, welche Aufträge Christus für dich haben kann. Sie zeigen, dass christ­liches Leben nicht genormt ist, sondern stark davon abhängt, wer du bist und wo Jesus dich hingestellt hat im Leben. Wir fassen als zweite Lektion zusammen, was es heißt, einen guten Hirten zu haben: Wenn der gute Hirte für dich einen Auftrag hat, dann führe ihn gewissen­haft aus!

Das mag einigen nicht gefallen – solchen nämlich, die lieber selber Jesus Aufträge geben als welche von ihm anzunehmen, so in dem Sinne: Jesus, erfülle meine Wünsche! Jesus, bewahre mich vor Leid! Jesus, hilf mir, viel Spaß zu haben! Denen wird noch weniger gefallen, was Jesus weiter spricht. Du aber, lieber Bruder, liebe Schwester, du hast Jesus lieb und wirst es dir darum gesagt sein lassen. Es ist die An­kündigung, dass Leidens­zeiten kommen. Eigentlich geht es hier zunächst um ein ganz persön­liches Wort des guten Hirten an Petrus, um die Pro­phezeiung nämlich, dass er einmal wie sein Herr gefangen genommen und um des Evangeliums willen getötet werden wird. Jesus sagt es ihm in einem wunder­lichen Vergleich: „Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hin­wolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände aus­strecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hinwillst.“ Diese Pro­phezeiung gilt nicht allen Christen und auch nicht allen Pastoren, sie trifft jedoch auf alle Märtyrer zu, also auf alle, die wie Petrus um des Glaubens an Jesus willen ihr Leben verlieren. Das geschah nicht nur in alter Zeit, das geschieht auch jetzt noch immer wieder. Vielleicht habt ihr es auch gehört oder gelesen: Am vergangenen Mittwoch wurden drei Christen in der Türkei brutal umgebracht, weil sie für die Verbreitung der Bibel gearbeitet hatten; einer von ihnen war ein Deutscher. Ich weiß nicht, ob ich einmal wegen meines Glaubens umgebracht werde oder ob du einmal wegen deines Glaubens umgebracht wirst, in einem weiteren Sinne jedoch gilt dieses Wort des guten Hirten auch für dich und für mich und für jeden Christen: Einen guten Hirten haben, das bedeutet auch, ihm durch's finstere Tal nachfolgen, durch Kreuz und Leid und Tod. Christen haben nicht weniger äußeres Leid als andere Menschen, sondern mehr äußeres Leid, denn das Leid ist ein Zeichen, dass wir mit dem Herrn Jesus Christus ganz eng verbunden sind, besonders mit dem leidenden Herrn am Kreuz. Nur der, der den guten Hirten wirklich lieb hat und ihm vertraut, wird das verstehen und annehmen; wer den Glauben nur als ein Stück Lebenshilfe betrachtet, den wird das befremden. Du aber, lasse es dir von deinem Herrn gesagt sein: „Folge mir nach“ – egal was kommt, auch durchs Leiden hindurch! Der Tod wird bestimmt einmal kommen, gleich ob gewaltsam oder natürlich, aber der gute Hirte wird dich auch durch dieses finstere Tal hindurch­begleiten, und du, sein Schäflein, wirst ihm nachfolgen in die Auf­erstehung zum ewigen Leben in Herrlich­keit. Das ist die dritte Lektion, was es heißt, einen guten Hirten zu haben.

So nimm jetzt diese drei Lektionen mit aus dem Gespräch, das der gute Hirte Jesus Christus mit dir geführt hat. Erstens: Wer einen guten Hirten hat, der braucht sich nicht selbst zu weiden. Zweitens: Wenn der gute Hirte für dich einen Auftrag hat, dann führe ihn gewissen­haft aus. Und drittens: Folge dem guten Hirten getrost nach durch Leiden und Tod in die Auf­erstehung zum ewigen Leben. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2007.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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