Die Jesus-Krise und die Menschen-Krise

Predigt über Johannes 12,27‑32 zum Sonntag Lätare

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Ein Mensch im Schwimmbad klettert die Leiter hoch zum Zehn-Meter-Sprung­brett. Oben angekommen, blickt er hinunter und stellt fest, dass zehn Meter von oben nach unten doch erheblich mehr sind als von unten nach oben. Er erschrickt, hält inne, grübelt, denkt nach: „Soll ich hier jetzt wirklich 'runter­springen, oder soll ich nicht lieber die Treppe wieder vorsichtig hinab­steigen?“ Er ist vor eine schwierige Ent­scheidung gestellt. Mit einem Fremdwort könnten wir sagen: Er steckt in einer Krise, oder Krisis. „Krise“ bedeutet nämlich ganz einfach „Ent­scheidung“. Eine Krise ist eine Situation, wo es nur noch Plan A oder Plan B gibt, und wenn die Ent­scheidung für einen der beiden Pläne gefallen ist, dann gibt es kein Zurück mehr.

In so einer Krise steckte Jesus selbst in den Tagen vor seinem Tod. Von dieser Jesus-Krise handelt unser Predigt­text, sowie auch von einer Menschen-Krise, die mit der Jesus Krise zusammen­hängt. Aber sehen wir uns erst einmal die Jesus-Krise an. Jesus war mit seinen Jüngern nach Jerusalem gereist, wo seine Feinde nur darauf warteten, ihn um­zubringen. Jesus wusste das, und er wusste noch mehr: Er wusste, dass sein Vater im Himmel von ihm erwartete, sich widerstands­los umbringen zu lassen, denn so sollte das große Erlösungs­werk geschehen. Obwohl Jesus Gottes Sohn ist, ist er zugleich auch ganz und gar Mensch. Darum packte ihn zu dieser Zeit Todesangst, so unmittelbar vor seinem Weg ans Kreuz. Jesus ist kein Superheld, der immer ganz cool bleibt und der auch noch in Todesgefahr lässig lächelnd die un­wahrschein­lichsten Heldentaten vollbringt. Solche Superhelden gibt es nur im Film, oder im Märchen. Gerade hatte Jesus im Tempel seinen Jüngern und der Menge davon gepredigt, wie das Weizenkorn in die Erde fallen und ersterben muss – wir haben davon im Evangelium gehört – , da überfällt ihn das kalte Grauen im Blick auf das, was vor ihm liegt. Er sagt – das heißt, er betet: „Jetzt ist meine Seele betrübt. Und was soll ich sagen? Vater, verschone mich vor dem, was die Stunde geschlagen hat?“ Es ist wie die Situation auf dem Zehn-Meter-Turm, nur viel, viel schwerer: Soll Jesus sich wirklich in das Meer der Leiden stürzen, oder soll er sich nicht doch lieber noch schnell von seinem Vater aus dieser Situation retten lassen? Aber der Mut siegt, und vor allem die Liebe – die Liebe zu seinem Vater, dem er doch gehorchen will, und die Liebe zu uns Menschen, die er doch erlösen will. Darum betet er weiter: „Ich bin ja dazu in die Welt gekommen, dass ich auf mich nehme, was die Stunde jetzt geschlagen hat. Darum, lieber Vater, ver­herrliche deinen Namen und vollende das große Erlösungs­werk, das du mit mir angefangen hast!“ Die Ent­scheidung ist gefallen, Jesus ist bereit für Plan A, den bitteren Weg ans Kreuz! Wie froh und dankbar können wir sein, dass Jesus nicht noch im letzten Moment einen Rückzieher gemacht hat! Ach, viel zu selbst­verständlich sehen wir es meistens an, dass er für uns ans Kreuz gegangen ist, und merken gar nicht, wie schwer es ihm wurde, und dass er ohne Weiteres auch hätte darauf verzichten können.

Aber nun ist Jesus ans Kreuz gegangen, die Jesus-Krise ist überwunden, die Ent­scheidung ist gefallen, und damit ist zugleich das Schicksal des Teufels besiegelt. Jesus nennt ihn spöttisch das, was er gern sein würde und doch eigentlich nicht ist: „Fürst dieser Welt“. Der Teufel tut so, als ob ihm alles in der Welt gehört, dabei gehört die Welt doch Gott. Jesus sagt: „Nun wird der Fürst dieser Welt ausgestoßen werden.“ Am Kreuz wird Jesus der alten Schlange den Kopf zertreten, während sie ihm in die Ferse sticht. Am Kreuz schafft Jesus die Voraus­setzung dafür, dass der Teufel keinen Menschen mehr bei Gott anschwärzen kann, denn jeder, der sich zum ge­kreuzigten Gottessohn hält, hat Vergebung der Sünden; der „Fürst dieser Welt“ kann ihm nichts mehr anhaben.

Manche Leute ägern sich darüber, wenn in der Kirche immer so viel von Jesus die Rede ist. Sie wollen lieber etwas Mensch­liches hören, praktische Anweisungen fürs alltägliche Leben oder auch christliche Kommentare zur Lage der Welt, dass man sich orientieren kann. Denen sage ich: Liebe Freunde, ohne Jesus kann man die Welt nicht christlich kommen­tieren. Und alle Lebens­fragen, auch kleine praktische Alltags­fragen, hängen letztlich irgendwie damit zusammen, wie ein Mensch zu Jesus steht. Damit sind wir beim zweiten großen Thema unseres Bibel­abschnitts angelangt, bei der Menschen-Krise nämlich. Die Tatsache, dass Jesus für die Welt gestorben und auf­erstanden ist, bedeutet praktisch eine Menschen-Krise, also eine Ent­scheidungs­situation für alle Menschen. Die Frage lautet dabei: Bist du für Jesus oder bist du gegen ihn? Lebst du mit Jesus oder lebst du ohne ihn? Und schließ­lich: Stirbst du mit Jesus und wirst für immer selig, oder stirbst du ohne Jesus und gehst verloren? Ob man das wahr haben will oder nicht, spielt keine Rolle: Gegenüber Jesus kann keiner neutral sein; jeder steht vor einer Ent­scheidung, einer Krise, einem Gericht.

Als Jesus sich dafür entschieden hatte, des Vaters Willen zu erfüllen, da geschah ein Wunder. Eine gewaltige Stimme wurde vom Himmel hörbar, die sagte: „Ich habe ihn ver­herrlicht und will ihn abermals ver­herr­lichen.“ Es war Gottes Stimme, die vor den Ohren aller Anwesenden den Heilsweg des Sohnes bestätigte. Und da drängt sich bei uns sofort die Frage auf: Wie sollen wir uns das vorstellen? Was war das für eine Stimme? Eine richtige menschliche Stimme, etwa so, wie das im Film „Die Zehn Gebote“ mit Mose am brennenden Busch inszeniert wurde? Oder doch nur irgendein natürliches Geräusch, das wie Gottes Stimme wahr­genommen wurde? Schon bei den damaligen Ohrenzeugen waren die Meinungen geteilt, was das denn eigentlich gewesen war. Die Realisten sagten: „Es hat gedonnert.“ Sie konnten sich nicht vorstellen, dass Über­irdisches geschieht, sie wollen alles natürlich erklären. Die Religiösen dagegen sagten: „Ein Engel hat mit Jesus geredet.“ Sie suchten eine spirituelle und mystische Deutung; sie hatten Freude am geheimnis­voll-Über­irdischen. Wir sehen: Wieder eine Krise, wieder eine Ent­scheidungs­situation – nicht nur für die Ohrenzeugen damals, sondern auch für uns Bibelleser und Predigt­hörer heute, die wir von dieser Stimme hören. Aber die eigentliche Ent­scheidung liegt nicht zwischen realistisch und religiös, sie liegt ganz woanders. Die Frage ist doch die: Vetraust du Jesus, oder vertraust du ihm nicht? Jesus hat erklärt, dass Gott mit dieser Stimme das Heilswerk öffentlich bezeugt, das Jesus am Kreuz vollbringen wird. Gott wird seinen Sohn ver­herrlichen, Gott wird seinen Sohn am Kreuz als König erhöhen von der Erde, wird ihn danach auch aus dem Grab erhöhen, ihn zu seiner Rechten sitzen lassen und alle Macht im Himmel und auf der Erde geben. Es ist also ganz unwichtig, was damals tatsächlich akustisch zu hören war, und es ist auch ganz unwichtig, ob du ein realisti­scher Mensch bist oder ein religiöser Mensch. Ent­scheidend ist nur eins: Glaubst du an den Mann am Kreuz? Glaubst du daran, dass er Gottes Sohn ist? Glaubst du, dass sein Tod kein tragisches Scheitern seiner Mission bedeutete, sondern die größte Erlösungs­tat in der Menschheits­geschichte? Verlässt du dich darauf? Klammerst du dich an diesem Jesus fest? Bittest du ihn um Hilfe, wenn Dinge schief laufen in deinem Leben? Fragst du ihn um Rat im Gebet, wenn Ent­scheidungen anstehen? Hörst du sorgfältig darauf, was er dir zu sagen hat; nimmst du dir Zeit, in der Bibel zu lesen und über das Gelesene nach­zulesen? Vertraust du Jesus auch dann, wenn so vieles in der Welt gegen ihn spricht, wenn er heute scheinbar ohnmächtig und hilflos ist? Vertraust du ihm auch dann, wenn sein Boden­personal in der christ­lichen Kirche oft so kläglich versagt, so vieles falsch macht? Lässt du ihn wirklich deinen Herrn sein – in dem Sinne, dass du sagst: Herr, beherrsche mein Leben, sei du der Kapitän meines Lebens­schiffes? Das ist die Menschen­krise, in die Gott dich gestellt hat. Da gibt es kein Ausweichen, keine Neutrali­tät. Man kann auch nicht ein bisschen an Jesus glauben oder halb Christ sein; entweder er ist dein Herr oder er ist es eben nicht. Jesus sagte: „Jetzt ergeht das Gericht über die Welt“, nämlich über die Menschen der Welt. Jesus ist ans Kreuz gegangen, um alle Menschen zu sich zu ziehen, an sich zu binden und auf diese Weise mitzunehmen in das Reich seines Vaters. Wer sich im Glauben an ihn fest­klammert, der wird mit­genommen, wer sich nicht fest­klammert, der bleibt zurück. Ja, genau das ist die Menschen-Krise.

Lieber Mitchrist, un­weigerlich wirst du einmal in einer Situation stehen, die noch viel be­klemmender ist als der Sprung vom Zehn-Meter-Turm im Schwimmbad. Wie Jesus wirst du einmal dicht vor der Kante stehen, an der dein Leben abbricht, und dich wird schaudern vor dem Abgrund, der sich da auftut. Es ist etwas anderes, tausend Tote in Action-Filmen im Fernsehen zu sehen oder selbst am Ende des eigenen Lebens zu stehen. Ja, da ist es noch viel be­klemmender als auf dem Zehn-Meter-Turm. Und das wird dann deine letzte Krise sein: Lässt du dich dann vom Teufel über­wältigen durch Angst und Ver­zweiflung, oder klammerst du dich in deiner Todesangst an dem Herrn Jesus Christus fest, der das alles um deinet­willen selbst schon durchlitten hat? Gott gebe, dass du dich fest­klammerst und weißt: „An dir wir kleben im Tod und Leben.“ Jesus sagte: „Wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2007.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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