Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Jesus ist mit seinen Jüngern unterwegs. Von Jerusalem kehren sie heim nach Galiläa. Das bedeutet drei Tage lang wandern, von morgens bis abends. Es ist Sommer, seit Monaten ist kein Tropfen Regen mehr gefallen. Die Mittagstemperaturen übersteigen 30 Grad im Schatten. Heiß und staubig ist es, das Wandern fällt schwer. Jesus und seine Jünger müssen Samaria durchqueren, das Gebiet der verachteten Samariter, von denen jeder fromme Jude überzeugt ist, dass sie den falschen Glauben haben. Beim Samariterdorf Sychar macht Jesus Halt zur Mittagsrast. Jesus ist erschöpft von den sechs Stunden Fußmarsch, die hinter ihm liegen, erschöpfter als seine Jünger. Die haben noch Kraft, ins Dorf zu gehen und etwas zu essen zu kaufen. Jesus bleibt beim Brunnen vor dem Ort zurück, einer Zisterne, einer tiefen Grube, auf deren Grund sich etwas trübes Wasser gesammelt hat. Von diesem Brunnen erzählt man sich, dass der Erzvater Jakob persönlich ihn hat graben lassen. Jesus hat keinen Schöpfkrug, um sich Wasser zu holen. So bleibt er einfach neben der Zisterne sitzen, durstig und erschöpft. Ja, auch das gehört zum Weg der Erniedrigung, den der Gottessohn für uns gegangen ist: dass er am eigenen Leib erfährt, was Durst ist und was Erschöpfung ist.
Eine Frau mit einem Tonkrug kommt aus dem Dorf und geht zum Brunnen. Wasserholen war damals Frauensache. Als sie den fremden jüdischen Mann beim Brunnen sitzen sieht, schlägt sie die Augen nieder und tut so, als wäre er nicht vorhanden. Doch gerade als sie ihren Krug mit Wasser füllen will, spricht der Fremde sie an. „Gib mir zu trinken!“, sagt Jesus. Sie erschrickt; sie weiß nicht, was sie davon halten soll. Noch nie in ihrem Leben ist sie von einem jüdischen Mann angesprochen worden! Von klein auf hat man ihr vom Hochmut der Juden erzählt, die mit den Samaritern nichts zu tun haben wollen. Ist das eine Falle? Will der Fremde sie verspotten? Oder hat er wirklich so großen Durst, dass er sich über alle Vorbehalte hinwegsetzt? Die Samariterin erwidert Jesus: „Wie, du bittest mich um etwas zu trinken, der du ein Jude bist und ich eine samaritische Frau?“ Die Bitte Jesu war für die damalige Situation so ungewöhnlich, als wenn heute eine alte Frau einen fremden Skinhead fragen würde, ob er ihr die Einkaufstasche nach Hause trägt.
Bis hierher kann man sich die Geschichte gut vorstellen. Und man kann auch leicht eine Schlussfolgerung daraus ziehen und sagen: Jesus ist eben ein Mann ohne Vorurteile; ein Mann, der alte Mauern des Hasses niederreißt und Brücken der Versöhnung baut; ein sanftmütiger, demütiger Mann, nicht zu stolz, eine fremde Frau um einen Gefallen zu bitten. Aber nun nimmt die Geschichte eine Wendung, die man nicht mehr so leicht nachvollziehen kann. Hat die Frau ihm nun Wasser gegeben oder nicht? Wir erfahren es nicht. Wir erfahren nur, dass Jesus plötzlich ganz anders mit ihr redet. Er sagt: „Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, du bätest ihn und er gäbe dir lebendiges Wasser.“ Lebendiges Wasser? Also frisches, fließendes Wasser, kein abgestandenes Zisternen-Wasser? Wo will er das hernehmen? Ist das ein Zauberer? Oder ein Angeber? Oder ein Verrückter? Die Frau ist nun noch verwirrter. Sie erwidert: „Herr, du hast doch nichts, womit du schöpfen könntest, und der Brunnen ist tief; woher hast du dann lebendiges Wasser?“ Jesus lässt die Frage unbeantwortet und beginnt zu predigen: „Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten; wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.“
An dieser Stelle steigen wir aus der Geschichte aus. Denn jetzt helfen uns keine Spekulationen über die Gedanken der Frau und über die Gedanken Jesu weiter. Klar ist eins: Diesen Satz hat Jesus nicht nur der Samariterin damals gesagt, sondern dieser Satz gilt zeitlos allen Menschen. Dieser Satz überbrückt Raum und Zeit; Jesus sagt ihn uns heute als göttliches Wort, du bist angeredet, du bist gemeint: „Wer von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.“
Was ist das für ein Wasser? Es ist das Wasser des Heiligen Geistes. Den hat Gott über uns ausgegossen. Der Geist strömt mit Gottes Wort in unsere Welt, mit dem Evangelium, mit der frohen Erlösungsbotschaft vom Heiland Jesus Christus. Der Geist heißt „lebendiges Wasser“, weil er fließt und strömt, aber auch, weil er lebendig macht, den Glauben erweckt und uns das ewige Leben schenkt. Jesus selbst schenkt dieses lebendige Wasser, Jesus sendet den Geist und stillt damit unseren Durst nach Leben und unseren Durst nach Gott.
Dieses lebendige Wasser finden wir auch in den Sakramenten. Das Taufwasser, verbunden mit Gottes Wort, ist auch so ein lebendiges Wasser. Da stillt Gott den Durst nach Heil und Leben. Einmal getauft werden ist genug; wer sich an den Geist hält, den Jesus ihm in der Taufe schenkt, der kann nicht mehr geistlich verdursten. Dieser Segensstrom bleibt vorhanden im Christenleben. Und mit diesem Segensstrom kommt alles, was wir brauchen und wonach wir uns sehnen: Geborgenheit, Zufriedenheit, Liebe, Freude und Hoffnung, schließlich auch die ewige Seligkeit. Wer dieses frische Wasser hat, dem wird nichts mangeln, nie mehr. Denn es hört nicht auf zu fließen. Es fließt in unseren Gottesdiensten, im Wort der Bibel, im Zuspruch der Sündenvergebung, im Heiligen Abendmahl, im Segenswort, im Trost der Mitchristen.
Wenn nun der Heilige Geist als solcher Segensstrom in unser Leben hineinfließt, dann muss er natürlich auch weiterfließen, dann soll er abfließen können, sonst gibt es einen Stau. Wie er weiterfließt und abfließt, darüber hat Jesus an anderer Stelle gepredigt. Drei Kapitel weiter lesen wir im Johannesevangelium die Worte des Herrn: „Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen“ (Joh. 7,38). Wer vom Wasser der göttlichen Liebe durchströmt wird, der kann andere lieben, der kann anderen vom lebendigen Wasser abgeben. Das Bild macht deutlich, dass das keine verkrampfte Pflichtübung ist, kein gesetzlich-moralisches Handeln, sondern etwas ganz Natürliches, ganz Selbstverständliches, wenn man vom Wasser des Heiligen Geistes durchströmt wird: Gottes Liebe weitergeben in Wort und Tat, anderen von Jesus erzählen, andere mit dem Evangelium trösten, für andere da sein – jeder auf seine Weise, so gut man's eben kann.
Liebe Brüder und Schwestern in Christus, nehmt's doch einfach so hin! Nehmt's einfach an, was Jesus euch jetzt zuruft: „Wer von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.“ Bleibt nicht bei äußeren Problemen und Schwierigkeiten stehen, lasst euch nicht entmutigen. Zweifelt nicht wie die Samariterin, die es als Problem ansah, dass Jesus kein Schöpfgefäß bei sich hatte. Wenn wir an Gottes Liebe und Segensstrom in unserem Leben zweifelten, dann wäre das ebenso kleinmütig und unsinnig. Lasst uns einfach weit die Herzen öffnen, dass das lebendige Wasser des Heiligen Geistes bei uns weiterfließen kann – in uns hinein durch Gottes Wort und Sakrament, aus uns heraus durch ein frohes Bekenntnis zum Herrn Jesus Christus und durch Taten der helfenden Liebe! Amen.
PREDIGTKASTEN |