Der Heilige Geist fülle die Herzensschale

Predigt über Johannes 16,5‑15 zum Pfingstsonntag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

„Komm, Heiliger Geist, erfüll die Herzen deiner Gläu­bigen!“, so beten wir zu Pfingsten. Im Halleluja­vers haben wir diese Bitte vor Gott gebracht, und in den Pfingst­liedern taucht sie in allerlei Ab­wandlungen auf: Der Heilige Geist möge unsere Herzen erfüllen. Das Herz steht dabei für unser Innerstes, für unsere Seele, für unser ganzes Empfinden und Denken, für unser ganzes Wesen. So betrachtet, können wir unser Herz mit einem Gefäß ver­gleichen, mit einer Schale, die gefüllt werden kann. Und das, womit diese Schale gefüllt ist, das prägt unser Denken, Reden und Tun.

Wir alle kennen Lebens­situationen, in denen unser Herz voll war von irgend­etwas. Stets kreisten die Gedanken um das, was unser Herz erfüllte, und unser ganzer Tageslauf war geprägt davon. Dieses Etwas, das das Herz erfüllt, kann zum Beispiel Verliebt­heit sein. Wenn eine Frau sich in einen Mann verliebt, dann ist ihre Herzens­schale randvoll mit Liebe zu diesem Mann. Und diese Liebe in ihrer Herzens­schale bestimmt ihr ganzes Denken und Verhalten. Gleich morgens beim Aufwachen denkt sie an ihren Geliebten, und sie schläft mit seinem Bild im Herzen am Abend ein. Manchmal singt sie ein Liebeslied vor sich hin: „Du, du liegt mir im Herzen“, „Dein ist mein ganzes Herz“ oder ähnliches. Wenn sie sich mit anderen unterhält, spricht sie auffallend viel von ihrem Geliebten, voller Freude und Be­wunderung. Und in ihrem Tun ist sie darauf bedacht, Zeichen der Liebe aus­zusenden, kleine Geschenke, Liebegrüße per Brief oder Handy, eine neue Frisur oder was es sonst sein kann.

Fünfzig Jahre später mag es geschehen, dass nach vielen glücklichen und auch schweren gemeinsamen Jahren der Mann stirbt. Dann ist dieselbe Herzens­schale gefüllt mit Trauer; wieder bis an den Rand. Und diese Trauer scheint das Gefäß fast zu zerbrechen. Die Frau kann es nicht fassen, dass sie die Stimme des Geliebten nie mehr hören wird und seine Hand nie mehr spüren. Morgens erschrickt sie, weil das Bett neben ihr leer ist, und abends will sich der Schlaf nicht einstellen. Ihr Gesicht, ihre Haltung, ihr Gang ist geprägt von der Trauer, die ihr Herz erfüllt. Der Weg zum Friedhof ist ein fester Bestandteil ihres Alltags geworden.

Die Herzens­schale der Jünger Jesu war auch einmal so voller Trauer gewesen. Es war die Zeit, als ihnen bewusst wurde, dass der Herr bald von ihnen genommen würde. Es war am Vorabend seiner Kreuzigung. Jesus wusste, wie seinen Jüngern zumute war. Er sagte: „Euer Herz ist voll Trauer.“ Und er wusste: Wenn die Herzens­schale mit Trauer gefüllt ist, dann ist da im Moment kein Platz für seine Lehren und für Gedanken an die Zukunft. Trauer richtet alle Gedanken auf die Vergangen­heit, für Hoffnung ist da kein Platz. Darum sagte Jesus ebenfalls: „Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen.“ Und darum versuchte Jesus auch gar nicht erst, auf Biegen und Brechen noch alle wichtigen Mahnungen und In­formationen in diese letzten Stunden mit seinen Jüngern hinein­zupressen. Mit großer Gelassen­heit konnte er darauf verzichten, denn er wusste: In Wahrheit sind dies gar nicht die letzten Stunden. In Wahrheit würden er und seine Jünger für immer ungetrennt sein. Nur die äußere Situation würde sich ändern, die innere Beziehung aber würde erhalten bleiben. Und darum war die Trauer der Jünger in Wahrheit un­begründet. So kündigte Jesus seinen Jüngern einfach an, dass ihre Trauer zu gegebener Zeit etwas anderem weichen muss: dem Trost nämlich, oder genauer: dem Tröster, dem Heiligen Geist. Durch diesen Geist würde Jesus weiter bei ihnen sein. Wie er bisher leibhaftig unter ihnen war und zugleich ihr Herz erfüllt hatte, so würde er nun durch diesen Tröster, durch diesen Heiligen Geist, ihre Herzens­schale voll machen und bei ihnen sein.

Einer der Jünger, Johannes mit Namen, hat bei aller Traurigkeit diese Worte wahr­genommen, behalten und dann auf­geschrie­ben, sodass wir sie heute im Johannes­evangelium nachlesen können.

Was ist das für ein Tröster? Was ist das für ein Trost? Der himmlische Vater sandte seinen Sohn Jesus Christus auf die Welt und stiftete durch ihn Frieden. Jesus ging dafür ans Kreuz und verkündete den Menschen, dass alle, die ihm vertrauen, Frieden mit Gott und ewiges Leben finden. Keinen anderen Trost bringt der Heilige Geist. Jesus sagte von ihm: „Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten… Er wird mich verherrlichen; denn von dem Meinen wird er's nehmen und euch ver­kündigen.“

So hat der Heilige Geist dann den Jüngern zu Pfingsten die Herzens­schale mit diesem Trost gefüllt, der da lautet: Jesus hat alle Sünden vergeben und Frieden mit Gott gemacht; in ihm habt ihr ewiges Leben! Am selben Tag noch haben die Jünger diesen Trost weiter­gegeben, und Gott hat auf diesem Wege tausenden von neuen Jüngern die Herzens­schale mit dem Geist gefüllt, mit Trost und Frieden durch den Glauben an Jesus. Die alten und die neuen Jünger haben dann das Wort des Herrn in die Welt getragen, es wurde später auch auf­geschrieben, es wurde von Generation zu Generation weiter­gegeben, über Jahr­hunderte und Jahr­tausende hinweg. Durch das Zeugnis der Apostel, also durch Gottes Wort, wurden unzählige Herzen vom Trost und vom Tröster erfüllt. Ihr ganzes Leben wurde geprägt vom Heiligen Geist und vom Herrn Jesus Christus, der durch diesen Geist in ihren Herzen wohnte. Es ist derselbe Herr, derselbe Geist und dasselbe Wort, was heute hier bei uns im Schwange ist. Hier und heute erfüllt sich wieder, was Jesus einst der trauernden Jüngerschar angekündigt hatte: „Wenn der Geist der Wahrheit kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten.“

„Komm, Heiliger Geist, erfüll die Herzen deiner Gläu­bigen!“, so beten wir heute. Und nur zu gern erhört der Tröster diese Bitte, kommt zu uns und füllt uns die Herzen mit Glauben, Friede, Freude und Hoffnung, füllt uns die Herzen mit dem Herrn Jesus Christus und seiner frohen Botschaft vom ewigen Leben. Freilich muss er vorher all das ausschütten und beseitigen, was ihm seinen Platz streitig macht. Aber das ist ja nur gut für uns! Wir selbst dürfen ihm unser Herz aus­schütten, wenn es randvoll ist mit Trauer oder Angst oder Wut. Hast du wieder etwas im Fernsehen gesehen von der Bosheit in unserer Welt, was dich aufwühlt? Hast du etwas in der Zeitung gelesen von der Ungerechtig­keit der Menschen, was dich wütend macht? Hat jemand, der dir nahe steht, dich enttäuscht und dein Herz mit Trauer gefüllt? Kommst du nicht los von negativen Gedanken? Es ist der Teufel, der dir das Herz mit vielem Schlechten voll machen will, sodass da kein Platz mehr ist für den Heiligen Geist und für Jesus. Jesus nannte den Teufel „Fürst der Welt“, und Martin Luther dichtete über ihn: „Wie saur er sich stellt.“ Ja, der Teufel will Fürst und Bestimmer sein; er hat dabei un­heimlichen Erfolg, un­heimlichen Einfluss auf der Welt. Er setzt auch alles daran, um unsere Herzens­schale mit Gift zu füllen, damit für den Tröster kein Platz mehr darin bleibt. Am schlimmsten ist es, wenn die Sünde das Herz erfüllt. Die schlimmste Sünde aber ist der Götzen­dienst, wenn wir irgend­jemanden oder irgendetwas lieber haben als Gott. Der schlimmste Götze aber ist das eigene Ich, wenn die Herzens­schale mit nichts gefüllt ist als mit Habgier, wenn das eigene Wohlergehen wichtiger wird alls alles andere, auch auf Kosten anderer. Ja, der Teufel wütet schreck­lich, aber es gilt das Wort des Herrn, „dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist“, überwältigt durch den Tod und die Auf­erstehung unsers Herrn.

„Komm, Heiliger Geist, erfüll die Herzen deiner Gläubigen!“ – wenn wir so beten, dann bitten wir darum, dass der Heilige Geist den Teufel vertreibt und den Sieg Christi auch bei uns zum Ziel führt. Dann bitten wir also eigentlich nicht nur, dass der Tröster bei uns einkehrt, sondern auch, dass er vorher bei uns auskehrt, dass er die Herzens­schale ausleert und reinigt von allem, was da nicht hinein­gehört, was das Herz vergiftet, was Gott den Platz streitig macht. Und dann kehre er ein mit aller Herrlich­keit: Durch sein Wort, durch das Evangelium, durch die Sünden­vergebung, durch das Heilige Abendmahl! Er kommt und kehrt ein und füllt das Herz mit Trost und Freude, mit Glaube und Hoffnung, mit Frieden, mit Jesus. Etwas Besseres gibt es nicht, was unser Herz erfüllen kann. Und er wird dann unser Denken und unser Verhalten prägen. Der erste Gedanke morgens wird unserm wunderbaren Herrn gelten. Und auch am Abend eines schweren Tages können wir getrost einschlafen mit Jesus im Herzen. Denn er ist ja durch den Geist genauso wirklich bei uns gegen­wärtig, wie er einst leibhaftig bei seinen Jüngern war. Es ist alles gut. Wir brauchen nicht zu trauern. Wir brauchen nicht zu zweifeln oder zu verzagen. Wir brauchen nur aus dem Vollen zu schöpfen, aus Gottes Fülle, aus dem reichen Trost des Trösters, der durch das göttliche Wort immer wieder neu in unser Herz kommt. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2005.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

PREDIGTKASTEN

►  Startseite

►  Impressum