Die Kanaanäerin

Predigt über Matth. 15,21‑28 zum 17. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Jesus hielt sich einst mit seinen Jüngern in der Gegend nordöstlich von Galiläa auf. Dort wohnten Menschen, die nicht zum Volk Israel gehörten und von denen die meisten auch nicht an den Gott Israels glaubten. Aber sie hatten schon von Jesus gehört; sein Ruhm war ihm dorthin voraus­geeilt: Die Heiden, die hier wohnten, wussten, dass Jesus interessant predigte und dass er sogar Kranke gesund machen konnte. So kam es, dass eine Kanaanäerin aus dieser Gegend bei Jesus und seinen Jüngern erschien. Sie flehte ihn an: „Herr, erbarme dich!“ Sie bat Jesus um Hilfe für ihre kranke Tochter, die große Schmerzen hatte. Die Kanaanäerin war überzeugt: „Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt.“

Wir tun nun gut daran, alle drei Antworten zu beachten, die Jesus dieser Frau nach­einander gab. Es sind Antworten, die wir so nicht von Jesus erwarten würden; sie klingen hart und abweisend. Die erste Antwort ist eigentlich gar keine richtige Antwort; der Bericht vermerkt lediglich: „Jesus antwortete ihr kein Wort.“ Die zweite Antwort lautet folgender­maßen: „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.“ Als Drittes antwortet Jesus: „Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.“ Diese drei Antworten können uns richtig er­schrecken. Zugleich aber können sie uns etwas lehren und, recht betrachtet, den Glauben stärken. Jesu Antworten stärken erstens den Glauben der Kanaanäerin und zweitens den Glauben von Jesu Jüngern; sie können drittens auch unseren Glauben stärken.

Schauen wir uns die erste Antwort näher an, die eigentlich keine ist: Jesus sagt der Frau kein Wort, er bleibt einfach stumm. Damit macht er deutlich, dass er kein Dienstbote ist, der den Menschen jederzeit zur Verfügung zu stehen hat. Jesus ist unser Herr und Gott, der selbst den Zeitpunkt bestimmt, wann er uns helfen will. In diesem Fall möchte er zunächst sehen, ob die Frau dranbleibt am Bitten und Vertrauen. Er möchte, dass die Frau mit echtem und standhaftem Glauben zu ihm kommt. Nicht anders ist es heute. Viele Menschen bitten Jesus um Hilfe mit ihren Gebeten. Manchmal bleibt Jesus dann einfach stumm und scheint nicht helfen zu wollen. Aber natürlich will er doch helfen, nur möchte er vorher Geduld lehren und das Vertrauen wachsen lassen. Ja, letztlich will er helfen – aber zu seiner Zeit und auf seine Weise. Auch die Jünger damals müssen diese Lektion lernen. Zunächst einmal erweisen sie sich bei dieser Begebenheit als äußerst ungeduldig, denn sie fordern Jesus auf: „Lass sie doch gehen, denn sie schreit uns nach.“ Schick sie doch einfach weg! Die Jünger sind ungeduldig, die Kanaanäerin ist es nicht. Sie lässt sich weder durch Jesu Schweigen noch durch die un­geduldigen Worte der Jünger beirren. Sie fährt fort, Jesus für ihre Tochter um Hilfe zu bitten.

Nun gibt Jesus seine zweite Antwort. Er sagt: „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.“ Das ist die Überzeugung der Schrift­gelehrten in Israel: Sie haben den Messias vorwiegend für ihr eigenes Volk erwartet. Jesus gibt diese Antwort nur deswegen, weil er den Glauben seiner Jünger und den Glauben der Kanaanäerin auf die Probe stellen will. Sie sollen lernen, dass der Davidssohn für alle Völker der Erde gekommen ist. So hat es Gott ja bereits durch den Propheten Jesaja geweissagt: „Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, die Stämme Jakobs aufzurichen und die Zerstreuten Israels wieder­zubringen, sondern ich habe dich auch zum Licht der Heiden gemacht, dass du seist mein Heil bis an die Enden der Erde“ (Jes. 49,6). Und Jesus selbst hat dem Pharisäer Nikodemus bezeugt: „Also hat Gott die Welt geliebt (die ganze Welt mit all ihren Völkern!), dass er seinen ein­geborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“ (Joh. 3,16). Auch hat er schon vorher einem Heiden geholfen, nämlich dem Hauptmann von Kapernaum. Da merken wir: Jesus tut hier nur so, als ob er für die Menschen fremder Völker nicht zuständig sei. Er handelt wie ein weiser Lehrer, der seine Schüler heraus­fordert, ihm zu wider­sprechen und die richtige Antwort zu sagen. Die Jünger freilich sagen gar nichts, aber die Kanaanäerin fährt unbeirrt fort, Jesus um Hilfe zu bitten, und hofft weiter auf seine Hilfe.

Da gibt Jesus seine dritte Antwort. Er sagt: „Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.“ Was er damit eigentlich ausdrückt, ist dies: Du hast die Hilfe nicht verdient, die Gottes Kinder verdient haben. Diese Antwort trifft auf alle Menschen zu und auf alle Völker ein­schließlich des Volkes Israel. Denn wir alle haben seine Hilfe nicht verdient, wir alle sind gewisser­maßen „Hunde“, um es mit Jesu eigenem drastischen Wort aus­zudrücken. Wir alle haben Gott mit unserer Sünde enttäuscht und sind daher nicht würdig, seine Kinder zu heißen. Der Apostel Paulus schreibt: „Alle Welt ist vor Gott schuldig, weil kein Mensch durch die Werke des Gesetzes vor ihm gerecht sein kann“ (Römer 3,19‑20). Und der Apostel Johannes schreibt: „Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns“ (1. Joh. 1,8). Nun erinnert uns Jesus aber nur deswegen an unsere Sünde, weil er damit unsern Glauben hervor­locken will. Wenn wir nämlich unsere Sünde und ihre schlimmen Folgen erkennen, dann merken wir, dass wir einen Helfer brauchen, der uns die Schuld abnimmt. Aus diesem Grund sagen wir unbeirrt mit der Kana­anäerin: „Ja, Herr, aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.“ Wir pochen also nicht auf ein vermeint­liches Recht, sondern wir bitten um Barmherzig­keit. So demütig spricht der wahre Glaube.

Nun dürfen wir nach den drei harten Antworten Jesus aber nicht den Schluss übersehen, das Ziel der ganzen Sache. Denn schließlich hilft Jesus der Kanaanäerin ja wirklich und sagt ihr: „Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst!“ Die ganze Begebenheit ist ja eigentlich eine Glaubens­geschichte. Und wenn wir den Glauben an Jesus nicht aufgeben, dann hilft er ebenso auch uns. Er hat uns ja schon geholfen, indem er für uns am Kreuz starb und die Vergebung aller Sünden erwirkte. Es kann sein, dass Jesus mal eine Weile schweigt, wenn wir ihn um Hilfe bitten. Wenn wir aber dranbleiben am Glauben und immer wieder demütig um Hilfe bitten, dann wird er uns in aller Not erhören und helfen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1995.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

PREDIGTKASTEN

►  Startseite

►  Impressum