Wegkreuzungen

Predigt über 2. Mose 3,1‑10 zum letzten Sonntag nach Epiphanias

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

In den Lesungen der Epiphanias­zeit begegnen uns immer wieder Licht, Glanz und Feuer. Da ist der Weihnachts­stern, der die Weisen aus dem Morgenland nach Bethlehem führte; so berichtet es das Evangelium des Epiphanias­festes. Und da spannt sich der Bogen über die Epiphanias­wochen bis hin zum Letzten Sonntag nach Epiphanias, den wir heute feiern: Von der Verklärung Jesu ist da die Rede in den Lesungen, davon also, dass Jesus einst vor den Augen dreier Jünger auf einem Berg in hellem, über­irdischem Licht erstrahlte. Auch die alt­testament­liche Lesung markiert so einen göttlichen Lichtpunkt: Gott erschien dem Mose im brennenden Busch.

Diese Licht­erscheinun­gen kenn­zeichnen besondere Punkte der Welt­geschichte, „Epiphanias­punkte“ sozusagen. „Ephianias“ heißt „Er­scheinung“: An diesen Licht­punkten ist Gottes Herrlich­keit auf die eine oder andere Weise in unserer Welt­geschichte erschienen. Wir können uns diese Epiphanias­punkte auch als Weg­kreuzungen vorstellen: Weg­kreuzungen, wo sich göttliche und menschliche Wege treffen, wo Horizontale und Vertikale sich schneiden. Es ist immer wieder spannend und bedeutungs­voll, was an solchen göttlich-mensch­lichen Weg­kreuzungen passiert. Die Licht- und Feuer­erscheinun­gen deuten schon an: Solche Epiphanias­punkte sind Energie-geladen, da ist etwas los!

Lasst uns jetzt den Epiphanias­punkt betrachten, wo Moses Weg sich mit Gottes Erscheinen zum erstenmal schneidet. Dass Mose einen sehr mensch­lichen Weg geschritten kam, wird in der Einleitung der Geschichte deutlich: Mose war als Schafhirte unterwegs, als Mietling. Er trieb die Herde seines Schwieger­vaters dorthin, wo die Tiere noch etwas zu fressen fanden. Das ist keine besonders großartige Tätigkeit, das ist etwas Stink­normales. Und wenn wir Gottes Art – oder besser Eigenart – nicht kennen würden, dann würden wir uns sehr wundern, wie Gott den ersten Präsidenten seines Millionen­volkes Israel auf seinen Dienst vor­bereitet. Er muss Schafe hüten, noch nicht einmal die eigenen! Dabei hatte Gott den Mose doch von Mutterleib an zum Führer seines Volkes auserwählt und hatte alles so gefügt, dass der Säugling Mose nicht den Mordplänen des Pharao zum Opfer fiel, sondern im Schilf­kästchen überlebte! Aber dann ließ Gott sich und dem Mose Zeit, bis dessen Leben schon fast vorüber war, bis er siebzig­jährig noch immer als Schafhirte seinen Lebens­unterhalt verdienen musste. Gott hat Geduld, und seine Zurüstungs­phasen sind manchmal lang. Vielleicht war der jahrzehnte­lange Umgang mit Schafen ein gutes Training in Menschen­führung!

In dieses normale horizontale Menschen­leben fuhr nun Gottes Vertikale drein, und es kam zu der aufregenden Weg­kreuzung, deren äußeres Merkmal der brennende Busch war. Der Ort dieses Epiphanias­punktes war von Gott nicht zufällig gewählt worden: Es war das Sinai-Gebirge, das später zum Gottesberg für die Gesetzes­übergabe und die Stiftung des alten Bundes werden sollte. Bei dieser Gelegenheit passierte nun eine ganze Menge.

Mose wurde von der Erscheinung angezogen, weil er den brennenden Busch eine Weile beobachtete und fest­stellte, dass das Feuer die Zweige nicht verzehrte. Als er an den Busch herantrat, rief Gott ihn an: „Mose! Mose!“ Immer ist es Gottes Ruf, Gottes Stimme, Gottes Wort, was an solchen göttlich-mensch­lichen Weg­kreuzungen laut wird. Und immer ruft der Gott, der die Menschen nicht nur einzeln mit Namen kennt, sondern der bis ins Innerste ihres Herzens.

Gott fuhr fort: „Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen, denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!“ Schmutzig waren die Sandalen des Mose, denn zur Abwehr des Schmutzes trug man in diesem heißen und trockenen Land Sandalen. Mit solchen Schuhen tritt man nicht auf die Stelle, wo das Ewige das Zeitliche berührt! Der Platz, wo der Dornbusch brannte und Gottes Stimme gehört wurde, war nicht wie schmutziger Boden anzusehen.

Nachdem Gott Mose mit Namen gerufen hatte, machte er selbst sich ihm bekannt. Und weil Mose den Namen Gottes noch nicht kannte, stellte er sich ihm als Gott seiner Väter vor: „Ich bin der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.“ Da erinnerte Gott an frühere göttlich-menschliche Weg­kreuzungen, denn diesen Männern hatte er ein Stück seiner Herrlich­keit gezeigt. Mose bekam einen fürchter­lichen Schreck und steckte seinen Kopf ins Gewand, denn nun wurde ihm erst richtig bewusst: Er steht selbst an so einer Weg­kreuzung; hier kreuzt der heilige und ewige Gott seinen sündlich-sterblichen Weg!

Aber Gott trat ihm hier nicht als Richter gegenüber, sondern im Gegenteil, er wollte Mose und den Israeliten Gnade erweisen. Er sagte: „Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihr Leiden erkannt. Und ich bin hernieder gefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie herausführe aus diesem Land in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt.“ Gott meinte es gut mit seinem Volk. Er wollte es aus dem Elend erretten. Er wollte an ihm nun das Versprechen erfüllen, das er den Vätern gegeben hatte: Ein gutes Land sollten sie erben. Aus Gnade wollte er es geben, auch, wenn sie es nicht verdient hatten.

Gott sprach damit im Klartext das aus, was der brennende Busch symbolisch zeigte. Der Dornbusch steht für Israel – kein besonders edles Gewächs, sondern ein Allerwelts­strauch. Das Feuer ist Gottes Züchtigung und Läuterung, So heißt es von Gott an anderer Stelle, dass er ein ver­zehrendes Feuer ist (2. Mose 24,17). Israel wurde um seiner Sünde willen zunächst in Ägypten gedemütigt und von Gott gezüchtigt. Aber Gott wollte sein Volk dadurch nicht aufreiben, nicht vernichten: Der Dornbusch verbrannte nicht. Nein, sondern das Elend sollte ein Ende haben; Gottes Güte würde nun den Zorn überwinden.

Von dieser Wegkreuzung aus wurde Mose nun seine Straße weiter­geschickt: „So geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst.“ Aus dem Schafhirten wurde nach Gottes Willen nun ein Menschen­hirte, ein großer Staatsmann, ja mehr noch, ein Mann Gottes, ein Prophet. So können wir das Leben des Mose ganz und gar auf diesen Epiphanias­punkt in seinem Leben beziehen, auf diese Weg­kreuzung: vorher bewahrt und zugerüstet für die Begegnung am brennenden Busch, hinterher gesandt und be­vollmäch­tigt, das Gottesvolk aus dem Elend heraus­zuführen.

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, in unserem Leben gibt es keine solche Weg­kreuzungen, keine Epiphanias­punkte, jedenfalls nicht so direkt, wie Mose es erlebt hat. Natürlich wissen wir um die Gegenwart Gottes in unserem Leben und können sie auch an vielen Zeichen festmachen, aber so direkt und auf den Punkt trifft uns Gottes Erscheinung und Herrlich­keit nicht. Unser Leben ist so normal wie das eines Schafhirten im alten Orient. Dennoch ist es gut, dass wir um göttlich-menschliche Weg­kreuzungen wissen und solche Berichte wie den vom brennenden Busch recht bedenken, denn wir leben un­weigerlich auf so eine Wegkreuzung zu. Es wird der Tag kommen, wo Gottes Weg mit voller Wucht unsern Weg kreuzen wird, wo wir im Licht der göttlichen Herrlich­keit stehen werden und nur noch unser Haupt verhüllen können. Wird Gott dann ein ver­zehrendes Feuer sein, oder wird seine Güte trium­phieren, wie am brennenden Busch?

Lassen wir uns von Gott zurüsten für diese göttlich-menschliche Weg­kreuzung, die auf uns wartet. Wie geschieht das? Indem wir zurück­denken an den einen großen Epiphanias­punkt der Welt­geschichte, von dem alles andere abhängt: das Kommen Jesu in die Welt. Indem wir daran zurück­denken und uns daran im Glauben festhalten. Mit dem Stern von Bethlehem hat es begonnen, und unter dem Zeichen des Gegenteils kreuzte dann Gottes Weg den Weg der Menschheit an der wichtigsten Stelle, auf Golgatha.

Unter dem Zeichen des Gegenteils? Jawohl! Denn als Jesus am Kreuz auf Golgatha starb, strahlte kein Stern auf, brannte kein Feuer, wurde es nicht hell, sondern im Gegenteil: Die Sonne ver­finsterte sich. Damit hat Gott gezeigt, wie er uns erlöst: durch Niedrig­keit. Der Herr wurde ein Knecht, damit wir Herren werden. Gott gab sich in die Macht des Todes, damit unsere Nacht nicht endlos ist, sondern in den ewigen Tag der Seligkeit einmündet. Golgatha, das ist der Gipfel: Im Kreuz kreuzt sich Gottes Weg und der Menschheit Weg in einmaliger Weise. Hier gibt Gott sein Leben und seine Herrlich­keit auf, weil er uns nicht aufgeben will. Hier geschieht das Wunder, dass wir sündhaftes Dorn­gestrüpp nicht verbrennen unter dem Zorn Gottes, sondern dass wir für das ewige Leben bewahrt werden.

Liebe Gemeinde, weil wir von dieser Wegkreuzung Gottes bei den Menschen herkommen, vom Kreuz auf Golgatha, darum dürfen wir der vor uns liegenden Wegkreuzung getrost und freudig entgegen­sehen: dem Wieder­kommen Jesu zum Gericht. Denn für uns, die wir an Jesus Christus glauben, wird es keine Kreuzung mehr sein, sondern eine Einmündung: Da wird unser Lebensweg in Gottes ewige Herrlich­keit einmünden. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1993.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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