Gottes Licht kommt zu den Heiden

Predigt über Matthäus 4,12‑17 zum 1. Sonntag nach Epiphanias

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Es lebte einmal ein Prediger, der hatte Erfolg. Viele Menschen kamen, um ihn zu hören. Manche von ihnen nahmen weite Wege in Kauf. Dabei redete der Prediger ihnen keineswegs nach dem Munde. Im Gegenteil, un­erbittlich nannte er ihre Sünden beim Namen und forderte sie zur Umkehr auf. Die meisten gingen in sich und folgten dem Ruf. Der Prediger nahm auch keine Rücksicht auf hoch oder niedrig, auf arm oder reich. Ohne Ansehen der Person mahnte er mit Gottes Gesetz. Ja, er scheute sich auch nicht, die Sünden des ersten Mannes im Staate zu ver­urteilen.

Leider lebte dieser Prediger in einem Unrechts­staat. Und weil das Staats­oberhaupt nicht zur Buße bereit war, erregte er Ärgernis mit seiner Predigt. Das Staats­oberhaupt fühlte sich angegriffen und ließ den Prediger kurzerhand ins Gefängnis werfen. Die Freunde des Predigers waren darüber traurig und er­schrocken. Ja, sie mussten nun sogar um ihre eigene Freiheit fürchten, weil sie als seine Sympathi­santen galten. So zogen sie es vor, sich an entlegene Orte zu begeben, wo die Agenten des Machthabers sie nicht so leicht aufspüren konnten.

Einer der Sympathi­santen nahm seinen Wohnsitz im Grenz­gebiet, wo ein buntes, un­durchschau­bares Durch­einander von Volks­gruppen herrschte. Ein­heimische und Ausländer hatten sich hier vermischt. Der Freund des Predigers war hier nicht gerade in guter Gesell­schaft. Allerlei zwie­lichtige Leute trieben ihr Unwesen. Frömmigkeit und Gottes Wort galten hier nicht viel. Der Freund des Predigers ließ es sich aber nicht verdrießen. Im Gegenteil: Er nahm hier den Staffelstab auf, den der Prediger zwangsweise hatte aus der Hand geben müssen. Der Freund des Predigers begann nun selbst zu predigen. Und ebenso wie sein Vorgänger rief er die Menschen zur Umkehr auf – ohne An­biederung, ohne Ansehen der Person. Ja, er gebrauchte sogar dieselben Worte: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbei­gekommen!“, rief er aus.

Jesus hieß er, der so rief, Jesus von Nazareth, und sein Vorläufer war Johannes der Täufer. Was ich eben berichtet habe, liebe Gemeinde, das ist der Beginn von Jesu öffent­lichem Wirken; so hat es uns der Evangelist Matthäus über­liefert. Jesus war zunächst mit Johannes zusammen am Jordan gewesen. Dort hatte ihn Johannes getauft. Jesus hielt sich daraufhin vierzig Tage lang allein in der Wüste auf und fastete. In dieser Zeit wurde Johannes von den Häschern des Königs Herodes Antipas verhaftet. Als Jesus davon hörte, zog er sich nach Galiläa zurück. Dabei ging er nicht einmal in seine Heimatstadt Nazareth, sondern wählte sich die Stadt Kapernaum am See Genezareth zum Wohnsitz. Dieser Ort lag noch weiter an der Nordgrenze. Hier lebte eine bunte Misch­bevölkerung aus Juden und Heiden, die einen denkbar schlechten Ruf bei den übrigen Juden hatte. Hier fing Jesus an zu predigen – mit denselben Worten, mit denen Johannes zur Umkehr gerufen hatte: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbei­gekommen!“

Ja, so ist es geschehen – dem äußeren Augenschein nach. Aber der Evangelist verschweigt auch nicht, was für ein großes göttliches Wunder hinter dieser Geschichte steckt. Dies geschah, schreibt Matthäus, „damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten Jesaja: Das Land Sebulon und das Land Naftali, das Land am Meer, das Land jenseits des Jordans, das heidnische Galiläa, das Volk, das in Finsternis saß, hat ein großes Licht gesehen; und denen, die saßen am Ort und im Schatten des Todes, ist ein Licht auf­gegangen.“ Dieser Freund Johannes des Täufers, der wie dieser zu predigen begann, dieser Jesus aus Nazareth, ist niemand anders als das „große Licht“, das der Prophet Jesaja und alle Propheten voraus­gesagt hatten. Er ist der Messias, der Erlöser, der kommt, sein Volk Israel zu erleuchten, und ebenso die Heiden­völker. Er ist der eingeborene Sohn Gottes, den man „Vater des Lichts“ nennt, bei dem nur Licht und Herrlich­keit ist, und keine Finsternis bei ihm. Dieser Jesus von Nazareth ist das „Licht vom Licht“, der „Gott vom Gott“, der Mensch gewordene All­mächtige. Ja, das steckt hinter dieser Geschichte.

Und er macht sich ganz, ganz niedrig. Nicht genug, dass er in der Arm­seligkeit von Krippe und Windeln zur Welt kam. Nicht genug, dass seine Eltern mit ihm fliehen mussten, Asylantrag stellen mussten in Ägypten. Nicht genug, dass er sich wie ein Sünder von Johannes taufen ließ. Nicht genug, dass er in der Wüste hungern musste und Durst leiden und sich vom Satan versuchen lassen. Nein, nun musste er auch noch wie ein gesuchter Verbrecher der Staats­gewalt ausweichen und in eine entlegene, verrufene Gegend ziehen, wo es von Heiden und Gottlosig­keit nur so wimmelte. Jawohl, das musste er, so hatte der himmlische Vater es zuvor bekannt­geben lassen durch seinen Boten Jesaja, und so musste es erfüllt werden: „Das heidnische Galiläa, das Volk, das in Finsternis saß, hat ein großes Licht gesehen …“ Ja, alles musste durch Jesus erfüllt werden.

Aber warum? „Das hat er alles uns getan, sein groß Lieb zu zeigen an.“ Aus Liebe machte sich der Gottessohn so niedrig, nahm soviel Demütigung und Un­bequemlich­keit auf sich. Denn damit zeigte er aller Welt: „Ich komme dir nahe!“ Jesus wohnte in Galiläa, in Kapernaum, bei den Heiden, bei den Gottlosen, nicht bei den ver­meintlich Frommen in Jerusalem. Jesus kommt den Armen und Geringen nahe. Jesus ist damit auch uns nahe­gekommen. Denn Galiläa liegt ja im Grund überall auf der Welt, bis zum heutigen Tag. Was sind wir für ein buntes Völkchen! Was haben wir nicht alles an Heidentum in unserem Land, Neu­heidentum und Gottlosig­keit! Ja, sogar unter den Kirchen­mitgliedern gibt es solche, die mehr oder weniger deutlich zeigen, dass ihnen der alte Herr da oben ziemlich gleich­gültig ist. Ja, liebe Gemeinde, hier ist Galiläa, in unserer Zeit, in unserem Land, in unserer Kirche. Und solchen Menschen kommt Jesus ganz nahe, wohnt unter ihnen. Ja, das tut er noch heute: Er wohnt unter uns mit seinem heiligen Wort und Sakrament. Auch diese Kirche hier ist ihm nicht zu gering, um mit seinem heiligen Leib und mit seinem teuren Blut anwesend zu sein. „Das hat er alles uns getan, sein groß Lieb zu zeigen an…“

Jesus, der Gottessohn, wird niedrig und mischt sich unter die Menschen, mischt sich unter die Heiden, mischt sich unter alle Völker. Jesus kommt uns nahe, weil er uns so lieb hat. Und er zeigt uns, wie wir unserem Elend entrinnen können. Dem Elend unseres Lebens mit allen Ent­täuschungen, Krankheiten und Verlusten bis hin zum Verlust des Lebens. Dem Elend unserer Sünde, die die Wurzel unsers Übels darstellt. Jesus zeigt uns, wie wir unserm Elend entrinnen können; er sagt es mit wenigen schlichten Worten. Er sagt im Grunde nichts Neues, nichts Besonderes. Sein Vorläufer Johannes und die anderen Propheten haben im Grunde auch nichts anderes gesagt. Er hält eine ganz kurze Predigt, mit der alles gesagt ist: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbei­gekommen.“

Ja, mit Jesus ist es nahe herbei­gekommen, das Himmel­reich, die Herrschaft Gottes. Jesus kommt den Menschen nah, den Juden, den Heiden und allen Völkern. Und weil Gott nicht anders herrschen will als durch diesen Jesus, kommt mit ihm Gottes Herrschaft allen Menschen nah. Worauf diese Herrschaft gründet, das wurde freilich erst ein paar Jahre nach dieser Predigt offenbar: Sie gründet auf dem Tod und der Auf­erstehung Jesu. Da hat Gott gezeigt, wie er allen Menschen nahekommt und ihnen aus ihrem Elend hilft. Am Kreuz hat Jesus alle Schuld abgetragen und damit die Wurzel allen Elends aus­gerottet. Mit seiner Auf­erstehung hat er den Sieg des Lebens über den Tod erwiesen und alle Menschen eingeladen, am neuen Leben teil­zuhaben.

„Tut Buße“, das ist nichts anderes als die Einladung zu neuem Leben, zu dem Leben unter Gottes Herrschaft, zu einem Leben aus der Kraft von Jesu Tod und Auf­erstehung. „Kehrt um!“, heißt es, „Denkt um!“, „Stellt euch auf neue Ver­hältnisse ein!“ Nicht mehr die Gesetz­mäßigkeiten dieser Welt sollen euer Denken und Handeln bestimmen, nicht mehr der Egoismus, nicht mehr das Leistungs­prinzip, nicht mehr die Angst, nicht mehr die Eifersucht. Nein, Jesus Christus will nun euer Leben bestimmen, der Gottessohn, der Heil und Leben mit sich bringt – das Licht, das in der Finsternis scheint. Vergebene Schuld, Gnade, Liebe, Barm­herzigkeit, ewiges Leben, das soll euch künftig bestimmen! Und darum: „Tut Buße!“ Ändert euch! Lasst das alte Leben hinter euch und lasst euch fallen in die barm­herzigen Arme Christi! Wer wollte sich da lange bitten lassen? Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1993.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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