Gottes Art zu schenken

Predigt über Lukas 1,26‑38 zum 4. Advent

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Weihnachten ist die Zeit des Schenkens. Ziel des Schenkens ist es, den Mitmenschen Freude zu machen. Das gelingt nicht immer. Mancher ist von einem Geschenk enttäuscht und denkt im Stillen: „Was soll ich denn damit?“ Es könnte allerdings sein, dass der Beschenkte später das Geschenk durchaus zu schätzen weiß und dann erst merkt, welche Freude ihm gemacht wurde. Wenn zum Beispiel ein kleines Kind vom Onkel ein Sparbuch mit einem stattlichen Betrag geschenkt bekommt, dann ist das Kind zunächst enttäuscht und hätte vielleicht lieber ein Bilderbuch bekommen. Später aber wird es den wahren Wert dieses Geschenkes ermessen und sich sehr darüber freuen.

Am wert­vollsten sind die Geschenke, die Gott uns macht. Eigentlich ist ja alles Gottes Geschenk, was wir sind und haben, alles, was nicht mensch­licher Sünde entspringt oder vom Teufel kommt. Und auch Gott gibt uns alle seine Gaben mit dem Ziel, dass wir uns darüber freuen sollen. Oft sind wir überrascht, was Gott uns so alles schenkt. Gottes Gaben werfen oft unsere Erwartungen über den Haufen, und es kann mitunter sein, dass wir sogar enttäuscht sind. Wenn Gott uns zum Beispiel eine Krankheit zumutet, werden wir sie meistens nicht sofort als sein Geschenk freudig annehmen. Wir werden möglicher­weise darüber nach­grübeln, wormit wir das verdient haben. Dabei kann die Erfahrung von Krankheit durchaus unser Leben bereichern, aber das merken wir erst hinterher. Gut ist es in jedem Fall, wenn wir die Kunst lernen, uns von Gott beschenken zu lassen, wenn wir also bereit werden, alles aus seiner Hand zu nehmen und darauf zu vertrauen, dass er es uns letztlich zum Besten schenkt, zur Freude. „Weise mir, Herr, deinen Weg“, können wir dann ganz fröhlich beten und uns überraschen lassen, was Gott uns mit unserem Leben alles schenken wid (Psalm 86,11).

Maria ist in besonderer Weise von Gott überrascht und beschenkt worden. Jawohl, beschenkt, denn so redet sie der Engel Gabriel an: „Sei gegrüßt, du Be­gnadete!“; man kann auch sagen: „du Be­schenkte!“ Auch das Ziel dieses Geschenks steckt bereits in dem Gruß mit drin, die Freude, denn „Sei gegrüßt!“ heißt zugleich: „Freue dich!“ Und der Engel bestätigt gleich darauf: „Du hast Gnade bei Gott gefunden“, das heißt: „Du sollst von Gott beschenkt werden.“

Es ist ein äußerst über­raschendes Geschenk, ja, ein über­wältigendes Geschenk, das Maria von Gott erhält. Und es ist ein über­natürliches Geschenk: Sie, die Jungfrau, die noch mit keinem Mann Verkehr gehabt hat, soll schwanger werden und einen Sohn gebären. Dieser Sohn wird niemand anders sein als der Davidssohn, der Messias, auf den das Volk Israel schon so lange gewartet hat.

Eigentlich ist es schon eine über­wältigende Sache, dass der Engel Gabriel Gottes Botschaft aus­gerechnet zu Maria bringt. Es war doch sonst meistens Sache der Männer, von Gott direkt angeredet zu werden. Und als un­verheirate­tes Mädchen hatte sie weniger Ansehen als eine ver­heiratete Frau. Noch dazu war sie ein ganz einfaches Mädchen aus Hand­werker­kreisen. Noch dazu lebte sie in Galiläa, der Gegend, die von den Frommen aus Jerusalem und Judäa gar nicht mehr richtig zum Heiligen Land dazu­gerechnet wurde. Aus­gerechnet zu dieser Maria redet der Engel Gabriel! Aus­gerechnet sie soll die Mutter des Messias werden! Das wider­spricht jeder mensch­lichen Logik. Aber gerade darum zeigt dieses Ereignis Gottes Hand­schrift: Gott begibt sich ganz bewusst in diese Niedrig­keit.

Nun entsprang Gottes über­raschendes Geschenk an Maria freilich nicht einer plötzlichen Laune. So un­verständlich und über­raschend Gott oft handelt nach mensch­licher Be­urteilung, so planvoll und gezielt geschieht es aus seiner Ewigkeits-Per­spektive. Darüber gibt Gabriel der Maria auch Rechen­schaft: „Gott der Herr wird ihm (dem Kind) den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben.“ Da klingen die Worte an, die über tausend Jahre zuvor der Prophet Nathan dem König David geweissagt hatte von seinem Nachkommen, der einnal ewig herrschen würde. Diese Verheißung hat Gott durch viele Propheten ständig wiederholen lassen; nun erfüllt sie sich durch Maria. Ja, diesen Davidssohn, diesen Erlöser hatte Gott bereits zu senden be­schlossen, als die Welt noch ganz jung gewesen war. Für Maria mochte es ganz unerwartet kommen, für Gott ist es die Erfüllung seines Heilsplans, eines Heilsplans, der im großen Bogen die ganze Welt­geschichte überspannt und der im Kommen Jesu Christi seinen Höhepunkt hat.

Der Überbringer dieses Geschenks ist Gottes Heiliger Geist, wie Gabriel erklärt: „Der heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich über­schatten.“ Außerdem bekommt Maria ein Wunder­zeichen, dass es wirklich Gottes Tat und kein Irrtum ist: „Siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat, von der man sagt, dass sie unfruchtbar sei.“

Nun könnte man denken, dass Maria über dieses Geschenk eher erschrocken als erfreut war. Immerhin hatte man als un­verheiratete Schwangere damals keinen leichten Stand. Und es mag auch sein, dass diese göttliche Botschaft ihre ganze Lebens­planung über den Haufen warf. Vielleicht war sie innerlich noch gar nicht darauf ein­gestellt, ein Kind zu bekommen. Aber Maria geht mit diesem Geschenk wider Erwarten gut um. Sie lernt hier schnell die Kunst, sich von Gott beschenken zu lassen. Sie sagt: „Siehe, ich bin des Herrn Magd, mir geschehe, wie du gesagt hast.“

Nun würde diese Geschichte nicht in der Bibel stehen, wenn es hier nur um Gottes privates Geschenk an Maria ginge. Aber es geht ja um mehr. Es geht um Gottes Geschenk an alle Menschen, es geht um Gottes Geschenk auch an uns. „Jesus“ soll er heißen, zu deutsch „Retter“ oder „Heiland“, und der Name ist Gottes Programm: Rettung soll durch ihn allen Menschen wider­fahren. „Er wird ein König sein über das Haus Jakob“, kündete der Engel an. Mit dem Haus Jakob ist das Volk Israel gemeint, aber nicht von seiner leiblichen, sondern von seiner geistlichen Abstammung her. Alle, die wie Abraham auf Gott vertrauen, sind seine Kinder und bilden das wahre Israel, das wahre Haus Jakob. So ist dieses Geschenk, das Maria bekam, Gottes Geschenk an uns. Ja, liebe Gemeinde, wir haben durch Maria diesen Heiland und König geschenkt bekommen.

Gott macht uns dieses Geschenk immer wieder neu. Jesus kommt immer wieder neu auf die Welt, nämlich dort, wo sein Wort verkündigt wird und wo seine Sakramente gebraucht werden. Es ist bis zum heutigen Tag so, dass der Heilige Geist als Gottes Geschenk­bote dient. Gottes Wort aber und die heiligen Sakramente sind die Kanäle, durch die der Heilige Geist zu uns kommt und mit Jesus beschenkt – mit der besten und kostbarsten Gabe, die Gott zu verschenken hat.

Liebe Gemeinde, lasst es uns der Maria gleich tun und dieses Geschenk freudig annehmen! Mag sein, dass wir seinen Wert nicht immer erkennen und enttäuscht sind. Mag sein, dass manches Gemeinde­glied in der vor uns liegenden gottes­dienst­reichen Zeit mault und denkt, dass das viele Kirchegehen ziemlich stressig werden wird. Vielleicht finden viele ja auch Liturgie und Predigt aus­gesprochen langweilig. Aber bedenkt: Hier kommt Gottes bestes und kostbarstes Geschenk zu uns! Hier kommt Jesus Christus selbst zu uns durch den Heiligen Geist, durch Wort und Sakrament! Hier beschenkt uns Gott mit dem Ziel, dass wir uns freuen können, über den Tod hinaus freuen, ewig freuen!

Lernen auch wir die Kunst, Gottes Geschenk anzunehmen! Schätzen wir den Wert dieser himmlischen Gabe recht ein! Wenn wir wissen, was wir mit Jesus Christus geschenkt bekommen, dann werden wir entdecken: Alles andere, was uns im Leben widerfährt, sind Gottes gute Gaben in Jesu Namen. Auch wenn es uns überrascht, unsere Lebens­planung über den Haufen wirft oder im ersten Moment enttäuscht: Lassen wir uns überraschen von Gott; es ist spannend, so zu leben! Und wir können nichts Klügeres tun, als stets zu sagen: „Siehe, ich bin des Herrn Magd!“, oder: „Ich bin des Herrn Knecht!“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1992.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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