Der automatische Leuchter

Predigt über Sacharja 4 zum 17. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Manchmal beginnen wir irgendein großes Vorhaben und kommen dann nicht richtig weiter damit. Un­vorher­gesehene, manchmal un­überwindlich scheinende Schwierig­keiten türmen sich wie Berge auf, die Sache verzögert sich, und wir haben eigentlich gar keine Lust mehr weiter­zumachen. Wir sind frustriert. Auch in Kirche und Gemeinde kann das mitunter so sein, bei Bau­maßnahmen zum Beispiel: Da ist alles teurer als geplant, da fehlen die erhofften ehren­amtlichen Mithelfer, da geht alles nur schleppend voran. Wer keine Geduld hat, kann dann leicht frustrie­ren. Nun sind Bau­maßnahmen freilich nur Äußerlich­keiten. Viel belastender sind Frustratio­nen im Kernbereich der kirchlichen Arbeit, also im Gemeinde­aufbau. Denken wir an den großen Auftrag unseres Herrn, dass unser Licht weithin sichtbar in alle Welt leuchten und das Evangelium sich ringsum ausbreiten soll, damit viele Menschen zum Glauben an Jesus Christus finden! Wie klein und kümmerlich sind da unsere Bemühungen, und was für un­überwind­liche Berge stehen da oft im Wege! Wir tappen im Dunkeln, wie wirs denn anpacken sollen, oder wir ver­schleißen unsere Kräfte mit internen Angelegen­heiten. Kein Wunder, wenn sich bei manchen Gemeinde­gliedern ein geistlicher Frust einstellt.

Da hilft es manchmal, wenn man Abstand gewinnt. Das wollen wir jetzt tun: Lasst uns zweieinhalb­tausend Jahre Abstand gewinnen! Wir gehen in Gedanken zurück in das Jahr 520 vor Christus, nach Jerusalem. Dort stellen wir fest, dass unser Problem gar nicht so neu ist. Dies war die Lage: 70 Jahre lang hatte das Volk der Juden in der Fremde leben müssen, in der babylo­nischen Gefangen­schaft. Dann endlich hatte Gott die Wende herbei­geführt: Die Perser hatten die Großmacht Babylon abgelöst und den Juden die Rückkehr nach Jerusalem und Judäa gestattet. Sie durften soar die geraubten Tempel­geräte wieder mitnehmen und hatten die Erlaubnis, das Gotteshaus in Jerusalem neu aufzubauen. Ein Landsmann und Nachfahre des Königs David führte diese erste Rück­wanderer­gruppe an; er durfte sich zwar nicht König nennen, war aber immerhin Statthalter von Persiens Gnaden. Mit von der Partie waren der Hohe­priester Josua (oder Jeschua) sowie die Propheten Haggai und Sacharja.

Die Rückkehrer gingen voll Elan an den Wieder­aufbau Jerusalems. Dabei vergaßen sie auch Gottes Haus nicht; sie begannen, den Tempel neu zu errichten. Und dabei erlebten sie nach einigen Jahren so eine Frustration, von der ich eingangs sprach. Der Bau wollte nicht recht vorangehen. Berge von Schwierig­keiten türmten sich auf. Die Ausländer, die sich in der Zwischen­zeit breit gemacht hatten, sahen voller Misstrauen auf das Werk. Sie fürchteten, dass die zurück­gekehrten Juden schnell wieder stark werden und sie vertreiben könnten. Besonders im Tempelbau sahen sie eine Gefahr, weil das wieder­erstarkte religiöse Selbst­bewusstsein ent­sprechende Folgen haben konnte. So versuchten diese Ausländer, den Wieder­aufbau nach Kräften zu behindern. Sie hatten Erfolg: Bald wurde die Tempel­baustelle zur Bauruine und blieb ein Jahrzehnt lang verlassen liegen. Die Juden sagten sich resigniert: Es ist wohl noch nicht die Zeit da, den Tempel wieder aufzubauen. Mancher zweifelte gar daran, ob es überhaupt noch jemals so weit kommen würde. Vielleicht gab es auch einige, die von Serubabels Führung enttäuscht waren. Vielleicht hatten einige die kühne Hoffnung gehabt, er wäre der an­gekündigte Messias, der Erlöser, der sich ein starkes Heer sammeln und das Friedens­reich aufrichten würde, von dem die Propheten geweissagt hatten. Immerhin war er ja ein Nachkomme Davids – so konnte er doch der ver­sprochene Davidssohn sein!

In dieser Situation wendete Gott sich an den Propheten Sacharja. Er schickt ihm einen Engel und zeigt ihm eine Botschaft in Traum­gesichten, die der Engel deutete. Gott offenbarte Sacharja auf diese Weise sein Wort, damit er es dann Serubabel und allen Juden weitersagt. Was wir als Predigttext gehört haben, ist die fünfte von acht Visionen. Sie ist schwierig zu verstehen, im Deutschen ebenso wie im He­bräischen. Aber wenn man sich in die Worte hinein vertieft, dann kann man etwa Folgendes daraus erkennen.

Der Engel zeigte in dieser Traumvision Sacharja einen sieben­armigen Leuchter aus Gold. Dieser Leuchter gehörte zu den wichtigsten Einrichtungs­gegenständen des Tempels. Auf den sieben Armen befanden sich keine Kerzen, sondern goldene Öllämpchen. Als der alte Tempel noch gestanden hatte und die Priester darin Dienst taten, hatten sie diesen Leuchter täglich betreut und Öl nach­gefüllt. Der Leuchter in Sacharjas Traum freilich hatte solch menschliche Betreuung nicht nötig. Sacharja sah über dem Leuchter eine Schale, ein Vorrats­gefäß mit Lampenöl. Die sieben Öllämpchen waren über Röhren mit der Schale verbunden, sie füllten sich aus ihr von selbst nach. Aber auch die Schale wurde nicht leer: Links und rechts von ihr stand je ein Ölbaum. Aus den Zweigen der Ölbäume floss von selbst das Öl und wurde über weitere Röhren in die Schale geleitet. Sacharja sah also gewisser­maßen einen auto­matischen Leuchter – einen Leuchter, der sich ohne mensch­liches Zutun von selbst nachfüllt und immer weiter brennt.

„Mein Herr, was ist das?“, fragte Sacharja den Engel. Diese Frage wird jetzt wohl auch euch auf der Zunge liegen: Was ist das, was hat dieser auto­matische Leuchter zu bedeuten? Der Engel antwortete, dass es sich um eine Botschaft an Serubabel handelt – eine Botschaft, die das ganze Volk der Juden betrifft. Und dann sagte der Engel das berühmte Wort, das in unsern Bibeln fett gedruckt ist: „Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth.“ Das bedeutet erstens: Es soll geschehen! Was denn? Der Tempelbau natürlich! Der Leuchter deutet ja auf den Tempel hin. Der Tempelbau soll wieder aufgenommen und vollendet werden, und zwar noch unter der Leitung Serubabels. Von ihm sagte der Engel: „Er wird hervorholen den Schluss­stein, sodass man rufen wird: Glück zu! Glück zu!“ Damit ist der Jubel der Einweihungs­feier gemeint. Und weiter lässt Gott durch Sacharja ausrichten: „Die Hände Serubabels haben dies Haus gegründet (also den Grundstein gelegt, den Anfang gemacht), seine Hände sollen‘s auch voll­enden… Wer immer den Tag des geringsten Anfangs verachtet hat, wird doch mit Freuden sehen den Schluss­stein in Serubabels Hand.“ Ja, das ist Gottes Zusage: Die Verzagten und Frustrier­ten werden die Einweihung noch miterleben! Der kümmerliche Anfang und die klägliche Unter­brechung sind nicht das Ende des Projekts. Es wird geschehen, Gott sagt es! Und zweitens bedeutet es: Durch Gottes Geist soll es geschehen, nicht durch Heer oder Kraft! Es wird so geschehen, wie es der Leuchter anzeigt: Von selbst füllen sich die Lampen nach, ohne Mühe brennen sie immer weiter. Serubabel braucht sich kein Heer zu sammeln und keinen Un­abhängigkeits­krieg zu führen, er braucht keine Gewalt­maßnahmen gegen die Neider des Tempelbaus ein­zuleiten. Gott selbst, Gottes Geist wird diesem Projekt den Weg ebnen. Die Berge von Schwierig­keiten werden ver­schwinden, einfach so, durch Gottes Macht. Der Engel sagte: „Wer bist du, großer Berg, der du doch vor Serubabel zur Ebene werden musst!“ Nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch Gottes Geist wird es geschehen. Und die aus­erwählten Werkzeuge Gottes dafür sind der Statthalter Serubabel, der den gesalbten König vertritt, und der zum Dienst gesalbte Hohe­priester Jeschua. Diese beiden Gesalbten sind gemeint, wenn der Engel die Ölbäume des Traum­gesichts erklärt: „Es sind die zwei Gesalbten, die vor dem Herrscher aller Lande stehen.“

Liebe Gemeinde, was für eine große Ermutigung, das unter­brochene Werk trotz aller Schwierig­keiten wieder aufzunehmen – im getrosten Aufblick zum himmlischen Vater, der allen Hinder­nissen wehren und seinen Segen dazu geben wird, sodass es dann wie von selbst läuft! Das kann auch uns ermutigen zu allem guten Werk, das wir uns vornehmen, auch im Angesicht von Schwierig­keiten. Wenn etwas wie ein Berg vor uns steht – Gott macht Berge zur Ebene! Einfach froh in Gottes Namen angefangen und auf seinen Segen vertraut, dann wird man hinterher schon sehen, wie fein Gott geholfen hat, wie alles sozusagen automatisch lief! Beim Jerusalemer Tempelbau ist es dann in der Tat so gelaufen: Kaum hatte Sacharja des Herrn Wort verkündigt, kaum hatte sein Kollege Haggai ein mahnendes Wort in gleicher Angelegen­heit hinzu­gefügt, da wurden die Bauarbeiten unter Serubabel und Jeschua wieder auf­genommen. Und fünf Jahre später konnte dann die Einweihung gefeiert werden – ohne dass größere Schwierig­keiten den Bau weiter behindert hätten. Gottes Wort war ein­getroffen.

Liebe Gemeinde, jetzt könnte die Predigt eigentlich zu Ende sein – wenn nicht noch etwas Wichtiges fehlen würde. Und darum bitte ich euch, diesen letzten Teil nicht als ein un­bedeutendes Anhängsel zu betrachten, sondern gerade hier mit besonderer Auf­merksam­keit zuzuhören. Es geht in dieser Geschichte nämlich nur vorder­gründig um ein Gotteshaus. Wer die Bildsprache der Bibel kennt, der weiß, dass das Öl in der Vision ein Bild für den Heiligen Geist ist, der Leuchter aber ist ein Bild für das Volk Gottes. So ist diese Vision auch ein immer­währendes Ver­sprechen: Gott selbst ist mit seinem Geist beständig bei seinem Volk, er verlässt die Seinen nicht. Der Tempel aber ist Bild für Gottes gnädige Gegenwart bei seinem Volk; dort soll man ihn suchen, ihm opfern, sein Wort hören und zu ihm beten.

Für uns Christen ist dieser Tempel nicht ein bestimmtes Haus, das in Jerusalem steht oder an einem anderen festgelegten Ort der Erde. Für uns befindet sich Gottes gnädige Gegenwart überall dort, wo sich die Gläubigen um Wort und Sakrament sammeln, wo Jesus Christus durch den Heiligen Geist selbst gegenwärtig ist. Die christliche Gemeinde ist der Tempel, die eine heilige christliche Kirche, die zum Pfingstfest unter Ausgießung des Heiligen Geistes ihren Anfang genommen hat. „Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen“ – das ist der Wochenspruch zum Pfingst­fest. Und hier ist es in der Tat so wie bei der Vision mit dem auto­matischen Leuchter, hier baut Gottes Geist ohne mensch­liches Zutun selbst seinen Tempel, seine Kirche. Das Öl aber fließt vom Ölbaum her, vom Gesalbten, auf Hebräisch Messias, auf Griechisch Christos. Jesus Christus ist der eine Gesalbte, der die beiden Ämter König und Priester zusammen mit dem pro­phetischen Amt auf sich vereint. Er ist der Davidssohn, nämlich seiner Menschheit nach ein Nachkomme Davids und auch ein Nachkomme Serubabels. Er trägt den Namen des Hohen­priesters Jeschua, Jesus, auf deutsch „Retter“. Durch ihn haben wir Rettung von Sünde und Tod – alle, die an ihn glauben. Durch ihn kommt die Gnade ohne unsere Werke wie von selbst. Darum froh geglaubt und aus dem Glauben gelebt – wie die Juden damals froh mit dem Tempelbau weiter­gemacht haben! Wenn wir in solchem Zutrauen als Gemeinde Jesu Christi leben und wirken, werden wir am Ende Segen ernten und miterleben, wie Christus, wenn er wieder­kommt, den Schluss­stein am Bau seines himmlischen Reichs setzen wird. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1992.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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