Jakobs Verheißung über Juda

Predigt über 1. Mose 49,8‑12 zum 12. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Eltern möchten ihren Kindern das Allerbeste fürs Leben mitgeben. Darum versuchen sie, ihre Kinder so zu erziehen, dass sie allen Situationen gewachsen sind und einmal in gesicherter Existenz leben können. Vielen Eltern ist es auch wichtig, den Kindern ein gutes Erbe zu hinter­lassen. Manche christ­lichen Eltern hinter­lassen ihren Kindern auch ein Glaubens­vermächt­nis. Ich denke da an Paul Gerhardt, der seinem Sohn ein bedeutsames geistliches Testament schrieb. Es lag ihm am Herzen, dass sein Sohn am rechten Glauben festhält und ihn mehr wertschätzt als die Dinge der Welt. Es gibt auch die leider fast schon vergessene Sitte, dass ein Vater, der im Sterben liegt, seine Nachkommen segnet. Für die Kinder das Beste – was könnte besser sein als der Segen des dreieinigen Gottes?

Die Sitte, dass ein sterbender Vater seine Nachkommen segnet, ist uralt. Sie reicht zurück bis in die Zeit der Stammväter Israels. Der greise Jakob hat es mit seinen zwölf Söhnen so gemacht, den Urahnen der zwölf Stämme Israels. Für jeden von ihnen hatte er einen besonderen Segen und ein besonderes Wort bereit. Dabei fügte Gott es so, dass Jakob zugleich zum Propheten wurde. Der Heilige Geist legte ihm Worte über seine Söhne in den Mund, die Gottes Handeln an den jeweiligen zukünftigen Stämmen an­kündigten. Was wir eben gehört haben und nun bedenken wollen, ist Jakobs pro­phetisches Wort über seinen vierten Sohn Juda.

Zwei Dinge sind es, die Jakob dem Juda mit bildreicher Sprache verheißt: Macht und Reichtum. Jakob ruft aus: „Juda, du bist's!“ Du bist etwas Besonderes unter deinen Brüdern! „Dich werden deine Brüder preisen!“ Juda bekommt hier den Vorrang zu­gesprochen, der normaler­weise dem Erst­geborenen gebührt. Aber dem Ältesten, Ruben, hatte Jakob deutlich gemacht: „Du sollst nicht der Oberste sein.“ Vielmehr gilt: „Juda, du bist's!“ Wir werden gleich sehen, wie gewaltig sich diese Prophe­zeiung bei Judas Nachkommen erfüllt hat; wir können hier erkennen, wie zuverlässig Gottes Wort ist. Juda wird also gegen alle Erwartung der Oberste genannt, und Juda erweist sich dann auch als Oberster. Weiter weissagte Jakob: Seine Feinde wird er unter­werfen, seine Brüder werden sich vor ihm verneigen. Er gleicht dem Löwen, dem König der Tiere. Der Herrscher­stab wird von ihm nicht weichen, niemand wird ihm seine Macht­stellung streitig machen. Zur Macht wird der Reichtum hinzu­kommen. Jakob malt das mit besonderen Bildern aus und sagte: „Er wird seinen Esel an den Weinstock binden und seiner Eselin Füllen an die edle Rebe.“ Das konnte sich in den damaligen Ver­hältnissen nur einer leisten, der unheimlich reich war, denn natürlich wird der Grau­schimmel von der edlen Rebe naschen. Das ist so, wie wenn jemand sein Pony im Gemüse­garten weiden lässt, weil es bei seinem Reichtum gar nicht darauf ankommt, was da abgefressen wird. Und weiter: „Er wird sein Kleid in Wein waschen und seinen Mantel in Trauben­blut.“ Er kann es sich leisten, einen edlen Tropen als Textilfarbe zu verwenden. Und weiter: „Seine Augen sind dunkel von Wein und seine Zähne weiß von Milch.“ Wein und Milch sind seine Alltags­getränke, er braucht sich nicht mit Wasser zu begnügen. Ja, das sind schon fast para­diesische Zustände, die hier angekündigt werden. Zur Macht bekommt Juda also den Reichtum verheißen.

So weit der Segen und das Propheten­wort des greisen Jakob über seinen vierten Sohn Juda. Und nun lasst uns sehen, wie wunderbar Gottes Treue ist und wie dieses Wort im Laufe der Geschichte in Erfüllung ging. Die zwölf Söhne Jakobs wurden zu den zwölf Stämmen des Volkes Israel. Unter Mose zogen sie aus der ägyptischen Knecht­schaft in das Land, das Gott ihnen versprochen hatte, in das Land Kanaan. Hier wurden sie zunächst von ver­schiedenen Richtern geleitet, bis Gott ihnen einen ersten König gab, Saul aus dem Stamm Benjamin. Gott verwarf ihn jedoch bald wieder, weil sich heraus­stellte, dass er nicht auf Gott hören wollte. Als Nachfolger erwählte sich Gott den Hirten­jungen David. Dieser berühmteste König des Volkes Israel stammte von Juda ab. David trug darum den Titel: der Löwe Judas. An David be­wahrheitete sich, dass Juda, beziehungs­weise ein König aus dem Stamm Juda, nun der Oberste unter den zwölf Stämmen Israels war. Nach David saßen jahr­hunderte­lang seine direkten Nackommen auf dem Thron in Jerusalem. Allerdings wurden zehn der Bruder­stämme bald von Juda abtrünnig. Sie lebten ein paar Gene­rationen lang als un­abhängiges Nordreich Israel, bis sie von den Assyrern aufgerieben wurden. Auch das Haus Juda musste sich danach einer fremden Macht beugen, den Babylo­niern. Aber nach siebzig­jähriger Gefangen­schaft schenkte Gott ihnen einen Neuanfang in ihrem Land. Es ist erstaun­lich, dass dieses Volk der Juden trotz seiner bewegten und leidvollen Geschichte bis zum heutigen Tage als besonderes und einheit­liches Volk Bestand hat – das Volk der Nachfahren Judas. Die anderen Stämme hatten keinen Bestand, sie lösten sich unter anderen Völkern auf; nur den Stamm Juda gibt es bis heute. Es ist so, wie Jakob damals prophe­zeite: Juda nimmt eine Sonder­stellung unter seinen Brüdern ein; er ist der Oberste.

Mit diesem geschicht­lichen Rückblick habe ich allerdings erst an der Oberfläche von Jakobs Propheten­wort gekratzt. Seine Bedeutung geht noch viel tiefer; Gottes Treue zeigt sich noch viel herrlicher. Ich möchte noch einmal hervor­heben, was genau in der Mitte der Weissagung steht: „Es wird das Zepter von Juda nicht weichen noch der Stab des Herrschers von seinen Füßen, bis dass der Held komme, und ihm werden die Völker anhangen.“ Was heißt das? Es wird hier ein bestimmter Zeitpunkt benannt, ein Bis-dass, und zu diesem Zeitpunkt wird ein Held kommen, ein Erlöser. Dann wird sich die Vor­herrschaft Judas ausdehnen über die gesamte Völkerwelt: „Ihm werden die Völker anhangen.“ Dem Helden. Dem Nachkommen Judas. Dem Löwen. Dem Davidssohn. Kein Zweifel: Hier ist Jesus Christus gemeint – zwar noch dunkel, geheimnis­voll und verborgen, mit dem Abstand von Jahr­tausenden, aber doch klar genug, dass wir erkennen können: Gott ist treu. Gott hat mit dem Kommen Jesu auch dieses Propheten­wort des Erzvaters Jakob erfüllt, und zwar in seiner ganzen Tiefe. Jesus ist der Löwe aus Judas Stamm, dessen Herrschaft kein Ende hat. Die Macht und der Reichtum, dem Juda verheißen, gebühren ihm.

Wie aber zeigt sich seine Macht, wie herrscht er? Er herrscht ganz anders, als es die Menschen es damals vom Messias und Davidssohn erwartet hatten. Und er herrscht auch ganz anders, als wir uns heute Macht­ausübung vorstellen. In der Offenbarung des Johannes lesen wir: „Siehe, es hat überwunden der Löwe aus dem Stamm Juda, die Wurzel Davids… Und ich sah mitten zwischen dem Thron und den vier Gestalten und mitten unter den Ältesten ein Lamm stehen, wie ge­schlachtet“ (Offb. 5,6). So herrscht der Löwe aus Judas Stamm: wie ein Lamm – sanftmütig, demütig, gering. Da ist kein bisschen von äußerer Macht und Gewalt zu spüren, ohne die die Herrscher dieser Welt nicht auskommen. Das Reich des Lammes ist ein ganz anderes Reich, es ist nicht von dieser Welt, es ist das Reich Gottes. Der Löwe herrscht wie ein Lamm, wie ein ge­schlachte­tes Lamm. Am Kreuz wurde es ge­schlachtet, und sein Blut floss zur Vergebung aller Sünden der Welt. Der Löwe wird zum Lamm, der Oberste wird niedrig, der Herr wird zum Knecht – das ist Gottes wunderbare Art zu herrschen. So besiegt Gott seine Feinde, so entmachtet er den Teufel. Jakob hatte geweissagt: „Deine Hand wird deinen Feinden auf dem Nacken sein.“ Ja, am Kreuz hat Jesus den Satan in seine Gewalt gebracht. Wer im Glauben auf den Ge­kreuzigten schaut und wer mit dem Blut des Lammes gewaschen ist, der braucht vor dem Teufel keine Angst mehr zu haben. Am Kreuz hat der Held aus Judas Stamm der alten Schlange den Kopf zertreten. Drei Tage später, am Oster­morgen, ist sein Sieg offenbar geworden. Deshalb singen wir zu Ostern: „Es hat der Löw aus Judas Stamm / heut siegreich überwunden, / und das erwürgte Gotteslamm / hat uns zum Heil erfunden.“

In Christus wird nun auch offenbar, wie der zweite Teil der Prophe­zeiung in Erfüllung geht. Wir erinnern uns: Jakob hatte dem Juda erstens Macht und zweitens Reichtum verheißen – einen Reichtum, der wahrhaft para­diesische Ausmaße annimmt. Jesus ist nach seiner Auf­erstehung von den Toten in den Himmel aufgefahren und sitzt zur Rechten im Reich seines Vaters. Er herrscht im himmlischen Paradies, wo Freude und Seligkeit die Fülle ist. Und wer zu Jesus gehört, der hat Anteil an diesem herrlichen Reichtum und der darf einmal selbst leibhaftig im Paradies leben. Da wird dann alles wieder „sehr gut“ sein, so wie am Anfang der Schöpfung. Liebe Brüder und Schwestern, bedenkt das recht: Mit Jesus haben wir die Fülle allen Reichtums. Mit ihm wird uns nichts mangeln. Und das gilt bereits jetzt, auch wenn uns Gott noch mancherlei Kreuz und Verzicht zumutet. Wir sind Erben von Gottes Reich, wir dürfen mit unserem Herrn Jesus Christus den reichen Segen ernten, den der Erzvater Jakob in alter Zeit verhieß. Alle Macht und aller Reichtum gehören unserem Herrn, und sie gehören damit auch uns, weil wir zu ihm gehören.

Liebe Brüder und Schwestern, unversehens sind wir nun selbst in dieses Bibelwort hinein­geraten. Ja, wir kommen sogar direkt darin vor. Jakob hat vom kommenden Helden prophezeit: „Ihm werden die Völker anhangen.“ Wenn der Held kommt, so weissagte Jakob, dann wird Judas Segen nicht nur über seine Nachfahren im Stamm Juda kommen und nicht nur über das Volk Israel, sondern über alle Völker, also auch über uns. Durch Taufe und Glaube gehören wir zu Jesus und haben durch ihn Anteil an diesem Segen.

„Ihm werden die Völker anhangen“, so prophezeite Jakob. Ist es wirklich so gekommen? Es gibt heute Christen auf der ganzen Welt. Und wenn Jesus wieder­kommt, dann müssen alle Menschen seine Macht anerkennen, dann kann niemand mehr vor ihm davon­laufen. Aber wir können anderer­seits nicht übersehen, dass ihm heutzutage sehr viele Menschen nicht anhangen, dass sie die Herrschaft des Löwen aus Judas Stamm nicht anerkennen. Was sollen wir davon halten? Wörtlich heißt es in der Weissagung: „Ihm der Gehorsam der Völker“, also: „Ihm gehört (be­ziehungs­weise gebührt) der Gehorsam der Völker.“ Noch sieht Gott mit großer Geduld darüber hinweg, dass viele seinem Sohn nicht das geben, was ihm gebührt. Solche Geduld hat er ja auch mit uns: Wie oft ist unser Gehorsam mangelhaft, wie oft richten wir uns nicht nach Jesus und wie oft wird uns anderes wichtiger als er; wir verleugnen, dass er der Oberste ist. Ja, Gott hat sehr viel Geduld. Aber einmal kommt der Tag, wo wir Rechen­schaft geben müssen: Haben wir ihm gegeben, was ihm gebührt – den Gehorsam? Lasst uns Zuflucht nehmen zum Lamm Gottes, denn nur sein Blut kann uns dann retten.

„Ihm gebührt der Gehorsam der Völker.“ Liebe Gemeinde, dies soll auch zugleich unser wichtigstes Vermächtnis sein, das wir der kommenden Generation mitgeben. Der Glaubens­gehorsam gegenüber Jesus Christus ist wichtiger als ein guter Schul­abschluss oder ein großes Erbe. Dafür wollen wir beten, und damit wollen wir unsere Kinder segnen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1992.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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