Lasst euer Licht leuchten

Predigt über Matthäus 5,14‑16 zum 8. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Immer wenn Jesus mit seinen Jüngern redete und immer wenn die Apostel an christ­liche Gemeinden schrieben, dann setzten sie zwei Schwer­punkte. Der erste Schwer­punkt sagt: Das seid ihr, und der zweite: So sollt ihr leben. Überall im Neuen Testament können wir diese beiden Schwer­punkte antreffen: Das seid ihr, und: So sollt ihr leben. Auch in Jesu Wort vom Licht gibt es diese beiden Schwer­punkte. Es beginnt mit der Aussage: „Ihr seid das Licht der Welt“, und es schließt mit der Auf­forderung: „So lasst nun euer Licht leuchten“. Das seid ihr, und so sollt ihr leben.

Wenn wir richtig glauben und das Evangelium verstehen wollen, dann müssen wir auf beides achten. Hörten wir nur das erste (Das seid ihr), dann wirkte sich unser Christsein im Alltag nicht aus, und der Glaube drohte zu ver­kümmern. Hörten wir aber nur auf das zweite (So sollt ihr leben), dann achteten wir nicht auf das Evan­gelium, sondern bloß auf eine Moral­predigt, die uns letztlich nicht weiter­hilft, weil sie uns keine Kraft zum Tun des Guten geben kann. Lasst uns daher auf beides achten und es in rechter Verbindung zueinander sehen. So entspricht es auch der Lehre unseres Herrn und Meisters Jesus Christus mit diesem Wort vom Licht aus der Berg­predigt.

Christus sagte: „Ihr seid das Licht der Welt.“ Das ist ein ungeheuer großes Wort, denn nichts anderes sagt Christus auch von sich selbst: „Ich bin das Licht der Welt“ (Joh. 8,12). Als Licht hat ihn bereits der Prophet Jesaja an­gekündigt: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht“ (Jes. 9,1), und: „Ich habe dich auch zum Licht der Heiden gemacht“ (Jes. 49,6), und: „Mache dich auf, werde licht, denn dein Licht kommt“ (Jes. 60,1). Der Apostel Jakobus nennt Gott in seinem Brief den „Vater des Lichts“ (Jak. 1,17). Gottes Sohn Jesus Christus ist also zweifellos selbst das Licht. Aber nun sagt er dasselbe von seinen Jüngern: „Ihr seid das Licht.“ Wie kommt das?

Die Antwort: Wir, die Jünger, sind mit dem Licht unseres Meisters erleuchtet worden. Mit Martin Luther und dem Kleinen Katechis­mus verstehen wir den dritten Glaubens­artikel so: „Der Heilige Geist hat uns durch das Evangelium er­leuchtet.“ Alle, die glauben und getauft sind, werden von Christi Licht er­leuchtet, darum erstrahlen sie nun selbst im Licht. Gott ist der Vater des Lichts, sein Sohn ist das Licht der Welt, und wir, die wir durch den Sohn mit dem Vater versöhnt sind, werden zu Kindern des Lichts. Jesus hat unsere Finsternis hell gemacht – die Finsternis unserer Sünde, die Finsternis dieser Welt.

Es ist immer wieder wunderbar und tröstlich zu hören, was Gott durch Jesus aus uns gemacht hat und was wir nun sind – was wir sein dürfen durch seine Gnade. Wir kennen die Dunkelheit der Welt. Wir wissen, wieviel Sünde und Hass regiert unter Völkern, unter Nachbarn, unter Haus­genossen und sogar in unserem eigenen Herzen. Aber mit Jesus kommt das Licht: Unsere Sünde wird vergeben, unser Herz wird er­leuchtet. Wir wissen, dass in unserer Welt das Leistungs­prinzip regiert: Die Starken und Rücksichts­losen haben den meisten Erfolg, die Schwachen und Minder­begabten haben es schwer und bleiben oft genug auf der Strecke. Aber mit Jesus kommt das Licht: Durch ihn sind wir beim Vater an­genommen, wie wir sind, obwohl wir doch oft schuldhaft versagen. Wir wissen, dass unsere Welt von Ver­gänglich­keit gezeichnet ist. Krankheit und Tod lassen sich nicht ausrotten, und wir müssen sogar mit­erleben, dass ganze Bereiche der Schöpfung Stück für Stück absterben. Aber mit Jesus kommt das Licht: Wer an ihn glaubt, über den haben Tod und Krankheit keine Gewalt mehr, denn er wird auf­erstehen zum ewigen Leben.

„Ihr seid das Licht“, ruft Jesus uns zu. Das ist ungeheuer tröstlich. Er hat uns er­leuchtet, geheiligt und zum ewigen Leben berufen. Das alles geschieht durch Gottes Gnade. Diese Gnade, diese Liebe strahlt nun von uns aus weiter in die Welt: „Ihr seid das Licht der Welt.“ Das kann gar nicht anders sein. Wo Menschen zum Glauben kommen, da wirkt sich dieser Glaube auch aus. Es ist wie bei einem guten Baum, der ganz selbst­verständ­lich gute Früchte trägt. Und es ist wie bei einer Stadt, die auf einem Berg liegt. Jesus selbst il­lustrierte seine Aussage mit den Worten: „Es kann die Stadt, die auf einem Berg liegt, nicht verborgen sein.“ Ich stelle mir da immer Homberg an der Efze vor, wo das Luthe­rische Jugendhaus steht. Diese Stadt auf dem Berg ist tat­sächlich viele Kilometer weit zu sehen. Und noch ein Vergleich: Es ist wie bei Sonne und Mond. Christus ist die Sonne, sein Jünger ist der Mond. Nur die Sonne ist die Licht­quelle. Die Mond­oberfläche ist eigentlich dunkel­grau, aber im Licht der Sonne erstrahlt sie wunder­schön hell, sodass wir in Nächten mit Vollmond eine brauchbare natürliche Licht­quelle haben. Christus ist die Sonne, die Licht­quelle. Wir sind der Mond, dunkelgrau von Sünde, aber zugleich leuchtend hell, wenn wir von Jesus an­geschienen werden, der uns unsere Schuld vergibt. „Ihr seid das Licht der Welt“, kann Jesus deshalb von seinen Jüngern sagen. Ja, das sind wir.

Und nun schließt sich der andere Schwer­punkt an: So sollt ihr leben. Jesus sagt: „So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten.“ Ist diese Ermahnung nicht eigentlich über­flüssig? Wo doch der gute Baum auto­matisch gute Früchte bringt, wo doch die Stadt auf dem Berg selbst­verständ­lich nicht übersehen werden kann, wo doch der Mond in jedem Fall das Sonnen­licht re­flektiert. Offenbar haben wir es dennoch nötig, daran erinnert zu werden: „So lasst euer Licht leuchten“, beziehungs­weise: So sollt ihr leben. Hätten wir es nicht nötig, dann hätten Jesus und die Apostel uns ja nicht so deutlich darauf hinweisen müssen. Warum wir es nötig haben, erklärt Jesus mit einem zweiten Beispiel in diesem Zusammen­hang.

Jesus sagt: „Man zündet nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind.“ Jesus redet hier von einer Öllampe, die angezündet wird, wenn es dunkel ist. Was macht der Haus­bewohner mit diesem Licht? Er müsste verrückt sein, wenn er es unter einen um­gestülpten Eimer tun würde. Ein Scheffel ist ein Eimer von der Größe, dass genau ein Scheffel Getreide hinein­passt; das ist ein altes Hohlmaß. Wenn man das Licht unter den Eimer stellte, dann hätte niemand etwas davon. Und es würde auch bald ausgehen, weil nicht genug Sauerstoff an die Flamme kommt. Nein, eine brennende Öllampe gehört nicht unter einen Eimer; ihr Licht soll ja nicht unter­drückt werden, sondern es soll im Gegenteil mög­lichst vielen Haus­bewohnern scheinen. Darum hat man damals Öllampen auf hohe Gestelle gesetzt, auf Leuchter. Das Prinzip gilt ja noch heute: Wenn ich einen Raum möglichst weit und gleich­mäßig aus­leuchten will, muss ich die Lampe direkt unter der Decke montieren.

Was bedeutet dieses Beispiel für uns, die Jünger des Herrn? Es bedeutet: Unter­drückt euer Licht nicht – das göttliche Licht, mit dem euch Jesus anleuchtet und das nun von euch abstrahlt. Seht vielmehr zu, dass dieses Licht vielen Menschen in eurer Umgebung dient, so wie eine Öllampe auf einem Leuchter­gestell. Im Wochen­spruch heißt es: „Lebt als Kinder des Lichts“ (Eph. 5,8). Lebt das aus, was ihr seid. Wenn ihr die Gnade Jesu nur egoistisch für euch selbst in Anspruch nehmt und sie anderen vor­enthaltet, dann wird es geschehen, dass euer Glaube früher oder später erstirbt, so wie eine Öllampe unter dem Eimer ausgeht.

Unter­drückt das Licht nicht, das ihr habt, mahnt Jesus. „So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.“ Mit guten Werken können wir unser Glaubens­licht vor der Welt leuchten lassen. Was gute Werke sind, darüber könnte man unendlich viel sagen; jeder von uns hat andere Möglich­keiten und Gelegen­heiten zu ihnen. Nur dies ist allen wirklich guten Werken gemeinsam: Sie strahlen das Licht Jesu Christi ab, das Licht seiner Liebe und Barmherzig­keit. Gute Werke geschehen immer in Liebe und Barmherzig­keit sowie aus Dank und Liebe zu Jesus, nie aus Berechnung oder Angst. Aus Liebe dem Schwachen unter die Arme greifen, aus Liebe dem Un­gläubigen von Jesus erzählen, aus Liebe gute Arbeit im Beruf tun, aus Liebe den Kindern ein gutes Vorbild geben – das sind zum Beispiel solche guten Werke, die Jesus hier meint, das ist das Licht der Jünger Jesu, das vor der Welt leuchtet. Es müssen gar nicht große und Aufsehen erregende Aktionen sein; es muss nicht jeder ein Albert Schweitzer werden. All die kleinen Worte und Taten der im Alltag erwiesenen Liebe wiegen zusammen viel schwerer. Wenn dann andere merken, dass von Christen viel Liebe aus­strahlt, und wenn sie nach der Quelle dieser Liebe fragen und wenn sie in Jesus die Quelle dieser Liebe finden, dann werden sie den Vater im Himmel preisen – so wie Jesus sagte.

Er sagte: „So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.“ Lasst uns dieses Wort nicht miss­verstehen. Es hat nichts mit dem Slogan zu tun, mit dem sich heutzutage zum Beispiel Wirtschafts­unternehmen rühmen: Tu Gutes und rede drüber. Da erscheint dann in der Zeitung ein Bild, wie der Geschäfts­führer einen über­dimensio­nalen Scheck de­monstrativ an Hilfs­bedürftige über­reicht. Das ist nur Reklame, Das ist Angeberei mit der eigenen Mild­tätigkeit. „Sie haben ihren Lohn schon gehabt“, urteilt Jesus scharf im folgenden Kapitel der Berg­predigt (Matth. 6,2). Hüten wir uns also davor, mit unserer Frömmig­keit vor anderen Leuten anzugeben. So sollen wir nicht unser Licht vor den Leuten leuchten lassen. Wir sollen nicht über unsere guten Werke reden, sondern wir sollen sie einfach tun. Wir sollen uns nur von Gottes Liebe leiten lassen im Blick auf unseren Nächsten. Dann wird der Nächste schon das Licht Christi erkennen und, wenn Gott Gnade gibt, den himm­lischen Vater dafür preisen.

Liebe Brüder und Schwestern, „ihr seid das Licht der Welt.“ Ihr werdet von der Gnaden­sonne Jesus Christus beschienen und leuchtet darum rein und heilig. Ja, so seid ihr, und nun lebt auch so. Versteckt dieses Licht nicht, sondern stellt es auf einen hohen Leuchter, damit es für viele scheint. Geizt nicht mit der Liebe, die ihr von Jesus Christus empfangen habt, sondern gebt sie großzügig weiter. Und wenn ihr merkt, dass ihr euer Licht noch unter einem Eimer versteckt haltet: Kehrt um, bekennt eure Schuld, lasst sie euch vergeben und lasst euch neu erleuchten von eurem Herrn. Er ist das Licht der Welt, und nur durch ihn können wir Licht der Welt sein. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1992.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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