Vier Säulen des Christenlebens

Predigt über Apostelgeschichte 2,41a.42-47 zum 7. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Die Welt hat vier Himmels­richtungen, ein Tisch steht auf vier Beinen, das Evangelium beruht auf dem Zeugnis von vier Evange­listen und das Christen­leben ist auf vier Säulen gegründet: die Apostel­lehre, die Gemein­schaft, das Brotbrechen und das Gebet. So bezeugt es uns die Apostel­geschichte des Lukas am Beispiel der Urgemeinde. Die Menschen, die am ersten Pfingstfest zum Glauben gekommen waren und sich hatten taufen lassen, lebten zusammen in dieser ersten und vorbild­lichen Gemeinde in Jerusalem, von der es hieß: „Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemein­schaft und im Brotbrechen und im Gebet.“ Auch wenn das nun schon zweitausend Jahre her ist, gelten diese vier Säulen des Christen­lebens bis zum heutigen Tage. Auch wir kommen ja von der Taufe her, wie wir es besonders am letzten Sonntag bedacht haben, und auch wir haben Gottes Wort im Glauben angenommen. Lasst uns darum jetzt mehr von diesen vier Säulen hören, damit der feste Grund unseres Christen­lebens desto gewisser werde!

Da ist erstens die Lehre der Apostel. Zugegeben, das Wort „Lehre“ klingt uns heute ziemlich trocken, es klingt nach Dogmatik und Konfir­manden­unterricht. Wir können es aber, ohne den biblischen Sinn zu ver­fälschen, ersetzen durch die Begriffe „Predigt“, „Zeugnis“ oder „Be­kenntnis“. Was die berufenen Augenzeugen Jesu Christi ver­kündigten, was sie lehrten, predigten, bezeugten und bekannten, das ist die Wurzel unseres Glaubens. Durch das Wort des Evangeliums schafft der Heilige Geist den Glauben. Die Lehre der Apostel, das ist inhaltlich alles, was uns im Neuen Testament überliefert ist. Und weil die Apostel das Alte Testament für ihr Zeugnis auf­gegriffen haben als Gottes un­trügliches Wort, können im weiteren Sinne die Lehre der ganzen Bibel als Apostel­lehre bezeichnen. Die Bibel ist die erste und wichtigste Säule unseres Christen­lebens. Sie ist nicht nur ein inter­essantes und wichtiges Buch, sondern Gott der Herr selbst redet hier zu uns, von der ersten bis zur letzten Zeile! Die Bibel ist Gottes Wort, es ist alle Ehrfurcht, allen Glauben und allen Gehorsam wert.

Die Apostel­lehre der Bibel hat eine gute und zutreffende Auslegung in den luthe­rischen Bekenntnis­schriften, zum Beispiel im Kleinen Katechis­mus. Von daher heißt an der Apostel­lehre festhalten auch am luthe­rischen Bekenntnis festhalten. Das wollen wir nicht übersehen in einer Zeit, wo viele meinen, auf die konfessio­nellen Unter­schiede komme es doch gar nicht so sehr an. Es geht auch eigentlich nicht um Unter­schiede und Abgrenzung, sondern es geht darum, dass wir wie die Urgemeinde an der Apostel­lehre festhalten. Und wenn da nun mal Leute sind, die anders lehren als die Apostel (und das bedeutet: anders als die Bibel und anders als das lutherische Bekennt­nis), dann wollen wir nicht so tun, als sei alles in Butter. Noch einmal: Es geht hier um die erste und wichtigste Säule des Christen­lebens!

Ich muss allerdings gleich hinzufügen, dass wir nicht nur eine Bekenntnis­kirche, sondern auch eine Bekenner­kirche sein wollen. Wir wollen nicht wie Gralshüter über Formu­lierungen des l6. Jahr­hunderts wachen, sondern das Evangelium so in unsere Zeit hinein bekennen, wie uns der Schnabel gewachsen ist. Wir wollen fröhlich Zeugnis geben von Gottes großen Taten und von Jesus Christus, ein jeder an dem Platz, wo Gott ihn hingestellt hat. Wir wollen in der Apostel­lehre bleiben – das heißt nicht nur, dass Bibel und Bekenntnis einen Ehrenplatz unter unseren Büchern haben, sondern auch, dass wir selber anderen Zeugnis geben in den Dingen, die wir von den Aposteln und damit vom Herrn selbst empfangen haben. Und wenn es Gott gefällt, dann wird er auch heute noch Menschen zur Gemeinde hinzutun, wie er es damals in Jerusalem getan hat..

Und nun zur zweiten Säule des Christen­lebens, das ist die Gemein­schaft. Genauer übersetzt heißt das griechische Wort „gemein­sames Anteil­haben“. Es geht also nicht nur darum, dass man zusammen­hockt, sondern es geht auch darum, dass man gemeinsam etwas erlebt, dass man gemeinsam an etwas teilhat. Damit wird deutlich, was Kirche und Gemeinde eigentlich ist: Gemein­schaft der Heiligen! Gemein­schaft derer also, die durch Jesu Blut geheiligt sind, die glauben und getauft sind. Gemein­schaft derer, die alle Anteil haben an dem Herrn Jesus Christus. An dieser Gemein­schaft real dran­zubleiben, das ist die zweite Säule des Christen­lebens. Wer nach aposto­lischem Vorbild Christ sein will, der kann das nicht ohne Gemein­schaft. Der kann das nur dann, wenn er mit anderen Christen zusammen­kommt in die Gemein­schaft und unter das Wort des Herrn. Das geschieht in erster Linie im Gottes­dienst, wo wir gemeinsam dem Herrn begegnen und gemeinsam von ihm beschenkt werden.

Wenn wir uns das Vorbild der Urgemeinde genauer betrachten, dann müssen wir erkennen, dass es unsere heutige Praxis bei weitem übertrifft, ja geradezu beschämt. „Sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel“, heißt es da. Wir finden uns ja schon toll, wenn wir alle Sonntags­gottes­dienste mitmachen! Und sie waren einmütig – sie wussten, sie waren ein Leib unter dem einen Haupt Jesus Christus. Weil sie das wussten, haben ver­schiedene menschliche Ansichten und Gepflogen­heiten nur eine unter­geordnete Rolle bei ihnen gespielt. Liebe Gemeinde, das ist eine gute Hilfe, wenn es unter Gemeinde­gliedern mal zu Auseinander­setzungen kommen sollte, wenn man sich etwa auf einer Gemeinde­versammlung mal nicht einigen kann: Denkt dann daran, dass Gemein­schaft gemeinsames Anteilhaben heißt und dass wir an keinem Geringeren gemeinsam Anteil haben als an dem mächtigen König Jesus Christus! Wenn ein so Großer uns eint, was sollten wir uns da über weltlichen Kleinkram entzweien? Wenn wir das kapiert haben, dann können wir auch einmütig sein wie die Urchristen.

Ihre Gemein­schaft erschöpfte sich nun aber nicht im Gottes­dienst. Sie kümmerten sich auch umeinander, sie übten Bruder­liebe, sie kannten nicht nur bereits die Mission, sondern auch die Diakonie. Es war sogar eine sehr extreme Form von Diakonie, die sich heute in dieser Art gar nicht mehr ver­wirklichen ließe: Sie lebten einen sogenannten Liebes­kommunismus. Und sie lebten von der Substanz. Wir müssen annehmen, dass viele arme Leute und sogar Sklaven unter ihnen waren, auch Arbeits­lose, deren Heimat weit entfernt war und die nach Pfingsten einfach in Jerusalem bei der Gemeinde geblieben waren. Daraufhin ver­silberten die Reichen unter den Christen ihren Immobilien­besitz und taten das Geld in die gemeinsame Kasse, aus der alle lebten. Das Faszi­nierende und Vorbild­liche daran ist, dass sie sich als eine große Familie fühlten, wo keiner den andern hängen lässt, auch wirtschaft­lich nicht. Finanziell sieht‘s bei uns heute ja ganz anders aus, aber wie wäre es, wenn wir mit unserer Zeit ein bisschen mehr auf Liebes­kommunismus machen würden? Wenn der eine für den anderen Zeit hätte, falls er gebraucht wird? Für manchen ist heute Zeit kostbarer als Geld! Wenn wir Zeit opfern für die Gemein­schaft der Christen, dann können wir damit unsere Liebe und unsern Dank an Jesus gut ausdrücken.

Die dritte Säule des Christen­lebens ist das Brot­brechen, das Heilige Abendmahl. Hierin gipfelt die Gemein­schaft, hierin gipfelt das gemeinsame Anteilhaben an Jesus Christus. Ja, das Abendmahl gehört zu den Höhepunkten im Christen­leben und im Gemeinde­leben! Nirgends kommt Jesus seiner Gemeinde mit seiner Liebe so nahe wie durch seinen Leib und sein Blut im Altar­sakrament. Dass das Abendmahl ein Höhepunkt ist, muss aber nicht bedeuten, dass es nur selten gefeiert werden sollte, damit es etwas Besonders bleibt. Auch hier lehrt uns das Vorbild der Urchristen etwas anderes: Nach dem täglichen Tempel­gottesdienst brachen sie das Brot „hier und dort in den Häusern“, lesen wir. Auch aus anderen Stellen der Apostel­geschichte geht hervor, dass das Brotbrechen ganz selbst­verständlich zum Gottes­dienst dazu­gehörte, ja, dass viele Christen es sogar täglich miteinander feierten. In der Kirchen­geschichte war es bis zum Mittelalter selbst­verständ­lich, dass wenigstens jeden Sonntag ein Haupt­gottesdienst mit Abendmahl gefeiert wurde, eine „Messe“. Martin Luther und die luthe­rischen Bekenntnis­schriften haben dies aus­drücklich befürwortet und bestätigt. Nun ist es ja erfreulicher­weise in unserer Kirche so, dass das Abendmahl einen hohen Rang einnimmt und häufig gefeiert wird. Auch ist zu beobachten, dass die Abendmahls­freudigkeit zunimmt. Wenn wir uns aber das Brotbrechen der Urgemeinde zum Vorbild nehmen, dann werden wir erkennen, dass wir durchaus noch zulegen können. Bleiben wir also am Brot­brechen, und tun wir‘s noch reger!

Die vierte Säule des Christen­lebens schließlich ist das Gebet. Da brauche ich gar nicht mehr viel zu sagen, das weiß jeder Christ, wie wichtig das Gebetsleben ist. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass auch hier der Eifer der Urchristen für uns vorbildlich ist. Sie hatten die drei festen täglichen Gebets­zeiten vom Judentum übernommen und trafen sich zusätzlich noch in Krisen­zeiten, um gemeinsam Fürbitte zu tun – manchmal nächtelang! Auch das Tischgebet war selbst­verständ­lich. Sie „hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen und lobten Gott“, heißt es in der Apostel­geschichte. Sicher wäre es verkehrt, aus dem Gebet ein Gesetz und eine Pflicht­übung zu machen. Aber wir wollen uns von den ersten Christen dazu ermuntern lassen, dass wir ruhig feste Gebets­zeiten einhalten oder uns das wieder neu angewöhnen, als da sind Tischgebete und tägliche Andachten.

Liebe Gemeinde, ich brauche bei Lutheranern nicht zu betonen, dass man sich mit diesen vier Säulen nicht die Seligkeit verdienen kann. Das braucht auch keiner, denn die hat Jesus ja schon für uns verdient mit seinem teuren Blut. Diese vier Säulen beschreiben eher, wie wir Gottes Wohlwollen empfangen und damit leben können, keineswegs aber, wie man es sich verdienen kann. Es ist jedoch gut und wichtig, an diesen vier Säulen fest­zuhalten, damit wir am Glauben bleiben, darin leben und darin auch wachsen. Lasst uns darum wie die Urchristen treu und beständig festhalten an der Apostel­lehre, an der Gemein­schaft, am Brotbrechen und am Gebet. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1992.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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