Glaube, Liebe und Gebote

Predigt über 1. Johannes 5,1‑4 zum Sonntag Jubilate

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wer etwas von Musik versteht, der weiß, dass fast alle Harmonien auf einem Dreiklang aufbauen. So ergeben drei verschiedene Töne einen Dur‑ oder Moll-Akkord, nicht mehr und nicht weniger. Das Schluss­kapitel des 1. Jo­hannes­briefes beginnt gewisser­maßen mit so einem har­monischen Akkord, mit einem Dreiklang. Drei Töne, die in den voran­gehenden Kapiteln wiederholt einzeln an­geschlagen wurden, klingen hier nun in wunderbarer Harmonie zusammen. Diese drei Töne heißen Glaube, Liebe und Gebote.

Der erste Ton heißt Glaube. „Wer glaubt, dass Jesus der Christus ist, der ist von Gott geboren“, heißt es zu Anfang dieses Abschnitts. Und am Schluss lesen wir: „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.“ Da wird der Inhalt unsers Glaubens in dem kurzen Satz zusammen­gefasst: „Jesus it der Christus.“ Das bedeutet: Jesus ist der Messias, den Gott durch alle Propheten verheißen hat; Jesus ist der ver­sprochene Erlöser; Jesus ist der Gesalbte (das heißt Christus auf deutsch). Gott hat Jesus gesalbt und eingesetzt zu dem dreifachen Amt als Prophet, Priester und König. Jesus ist der Prophet, der Gottes Wahrheit auf Erden kundtut, das Fleisch gewordene Wort. Jesus ist der eine Hohe­priester, der sich selbst als Opfer dargebracht hat, um alle Sünden der Welt zu sühnen. Jesus ist von den Toten auf­erstanden und aufgefahren in den Himmel zur Rechten Gottes, wo er herrscht als König aller Könige. Jesus wird einst wieder­kommen in göttlicher Herrlich­keit und als König richten über Lebende und Tote. Ja, dies ist der Inhalt unseres Glaubens, das alles steckt drin in dem Satz: „Jesus ist der Christus.“ Und dieser Glaube ist deshalb „der Sieg, der die Welt überwunden hat“, weil Jesus die Welt überwunden hat.

Ja, so glauben wir. Aber das bedeutet nicht, dass wir es lediglich für möglich halten, so wie man sagt: Ich glaube, morgen gibt es schönes Wetter. Es bedeutet auch nicht nur, dass wir es als Tatsache für wahr halten, so wie man sagt: Ich glaube, dass es einen Gott gibt. Nein, unser Glaube ist viel mehr: ein Gottes­geschenk, eine lebens­verändernde Kraft. Glaube und Unglaube liegen so weit auseinander wie Leben und Tod. Wer an Christus glaubt, der ist neu geboren, der ist ein neuer Mensch. Wie schrieb doch gleich Johannes? „Wer glaubt, dass Jesus der Christus ist, der ist von Gott geboren.“ Der christliche Glaube ist keine Welt­anschauung und kein opti­mistischer Hilfs­gedanke zur Lebens­bewältigung, sondern er ist ein lebendiges Feuer, das in unseren Herzen brennt, von Gott selbst angezündet. Unser Glaube ist das völlige Vertrauen in Jesus und seine Erlösung, die totale Hingabe an diesen König, der absolute Gehorsam seinem Wort gegenüber. Wer glaubt, ist ein neuer Mensch, ein neues Geschöpf, ein Kind Gottes, von Gott geboren.

Lasst mich das mit einem Bild ver­deutlichen. Stellt euch vor, ein Seiltänzer spannt sein Seil über die Niagara-Fälle und geht vor großem Publikum darauf spazieren. Die Menge ist begeistert. Nun schiebt er eine leere Schubkarre über das Seil. Die Menschen toben. Nun fragt der Seiltänzer die Leute: Was meint ihr, wird es mir auch gelingen, einen Menschen in dieser Schubkarre hinüber­zufahren? Ja!, schreit ihm die Menge entgegen. Darauf der Seiltänzer: Na dann – Freiwillige vor! Da wird die Menge plötzlich kleinlaut. Viele trauen ihm dieses Kunststück zwar zu, aber keiner möchte dann wirklich sein Leben in die Hand dieses Seiltänzers legen. Sieh, liebe Gemeinde, das ist der Unterschied zwischen für-wahr-halten und glauben. Von Gott geboren und ein Kind Gottes ist nur der, der solches Vertrauen hat, dass er sich gewisser­maßen in Christi Schubkarre setzt. Von Gott geboren ist nur der, der genug Vertrauen hat, sich mit Haut und Haaren ihm aus­zuliefern. Von Gott geboren ist nur der, der sich von Christus hinüber­fahren lässt, um die Welt mit ihm zu überwinden und zum himmlischen Vater zu finden. „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.“

Der zweite Ton im Dreiklang dieses Abschnitts heißt Liebe. Er hängt mit dem Glauben eng zusammen. In einem unserer Gesangbuch­lieder heißt es: „Ein wahrer Glaube Gott's Zorn stillt, / daraus ein schönes Brünnlein quillt, / die brüderliche Lieb genannt, / daran ein Christ recht werd erkannt.“ Die Liebe ist das Erkennungs­zeichen der Christen und die Frucht des wahren Glaubens, und zwar sowohl die Liebe zum himmlischen Vater, der uns wieder­geboren hat, als auch die Liebe zu den Glaubens­geschwis­tern, denen der Vater ebenfalls das neue Leben geschenkt hat. Johannes drückte das so aus: „Wer den liebt, der ihn geboren hat, der liebt auch den, der von ihm geboren ist. Daran erkennen wir, dass wir Gottes Kinder lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten.“

Von der Liebe reden alle gern. Aber Vorsicht! Es ist nicht alles Gold, was glänzt, und es ist auch nicht alles Liebe, was man so nennt. Aus Gottes Wort lernen wir, dass die wahre Liebe nur aus dem Glauben an Christus fließen kann und dass Gottesliebe und Nächsten­liebe un­zertrenn­lich zusammen­gehören. Ungläubige kennen also die wahre Christus-Liebe nicht. Was Nicht­christen Liebe nennen, mag Sympathie sein oder eine natürliche verwandt­schaftliche Verbunden­heit, sie mögen Zuneigung oder Erotik meinen oder auch mitleidige Hilfs­bereit­schaft, aber Liebe im Sinne der Bibel ist es nicht. Dieses Brünnlein kann nur aus dem Glauben quellen. Diese Liebe hat letztlich nur ein Ziel und Motiv: den himmlischen Vater zu ehren. Das können Ungläubige nicht begreifen, das verstehen nur Glaubende, die von Gott geboren sind.

Zugegeben: Auch wir Christen haben manchmal unsere Schwierig­keiten damit. Gott lieben und Jesus lieben, das mag ja noch angehen, denn Gott begegnet uns ja seinerseits mit voll­kommener Liebe, und Christus hat sich für uns liebevoll auf­geopfert. Es wäre töricht und undankbar, Gottes Liebe nicht zu erwidern. Aber wie steht es mit den Brüdern und Schwestern? Die sind ja nicht vollkommen, und über die können wir uns manchmal tüchtig ärgern. Trotzdem: Wir wollen sie unbedingt liebhaben. Unbedingt – so wie Gott uns liebhat: ohne Bedingungen zu stellen. Christus hat uns als Sünder geliebt und ist für uns Sünder ans Kreuz gegangen, um uns von der tödlichen Sünden-Krankheit zu erlösen. Sollten wir da nicht auch den Bruder und die Schwester lieben, auch wenn sie uns menschlich manchmal ziemlich un­sympathisch sind? Auch wenn wir es mit ihrer Sünde zu tun bekommen und sie uns verletzt? Der Apostel Johannes zeigt uns hier sehr fein, dass sich die Bruderliebe von der Gottesliebe nicht trennen lässt: „Wer den liebt, der ihn geboren hat, der liebt auch den, der von ihm geboren ist.“ Das bedeutet: Wenn ich Gott liebe, der mich zum ewigen Leben wieder­geboren hat, dann kann ich gar nicht anders, dann muss ich auch all diejenigen lieben, die Gott ebenso wie mich zum ewigen Leben wieder­geboren hat. Oder anders aus­gedrückt: Wenn ich feststelle, dass ich da irgend­welche Glaubens­geschwister nicht lieb habe, dann muss ich mich fragen, ob meine Liebe zu Gott echt ist und ob mit meinem Glauben alles in Ordnung ist. Wer sagt, dass er Gott liebt, aber seine Mitchristen nicht liebt, der betrügt sich letztlich selbst.

Der dritte Ton der Harmonie in diesem Text heißt Gebote. Wie die Liebe aus dem Glauben fließt, so fließt der Gehorsam gegenüber den Geboten aus der Liebe. Johannes schrieb: „Daran erkennen wir, dass wir Gottes Kinder lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten. Denn das ist die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten; und seine Gebote sind nicht schwer.“ Gott hat uns seine Gebote aus Liebe gegeben. Er zeigt in seinen Geboten, wie wir unsererseits richtig leben und lieben sollen. Ja, Gottes Gebote sind gewisser­maßen seine Gebrauchs­anweisung zum Lieben. An den Geboten können wir sehen, wo wir lieblos gehandelt haben, und Gott um Vergebung bitten. Aus den Geboten können wir lernen, wie wir Gott und die Mitmenschen richtig lieben sollen. Denn Bruderliebe zeigt sich nicht unbedingt darin, dass wir uns anlächeln, die Hand schütteln oder einander um den Hals fallen. Das können auch Leute, die sich ansonsten nicht viel zu sagen haben. Bruderliebe zeigt sich da, wo wir dem anderen helfen und dienen, so wie Christus uns geholfen und gedient hat. Dazu gehört auch, dass wir uns gegenseitig aus Sünde zurecht­helfen und damit auf den rechten Weg des Lebens bringen. Bruderliebe kann also auch mahnen und warnen. Wenn ich einem Mitchristen seine Sünden vorhalte, dann erweise ich ihm damit oft mehr Liebe, als wenn ich das verschweige und so tue, als ob alles in Ordnung ist – voraus­gesetzt, ich bin dabei nicht hochmütig, sondern bereit, mir meinerseits von den Ge­schwistern zurecht­helfen zu lassen. Der Maßstab der göttlichen Gebote aber muss un­angetastet bleiben; die Gebote müssen der grund­legende Maßstab für alles Lieben sein. Wenn ich Gottes Geboten nicht gehorche, dann liebe ich ihn nicht und dann liebe ich auch die Mitchristen nicht, selbst wenn ich mir das einbilde.

Das gilt auch dann, falls wir den Sinn von Gottes Geboten nicht verstehen. Wenn wir alles von allein einsehen würden, brauchten wir ja nicht mehr zu gehorchen. Es wäre auch überheblich zu glauben, dass Gottes Gebots-Weisheit in die drei Pfund graue Masse in unseren Köpfen hinein­passt. Wenn Gottes Wort zum Beispiel verfügt, dass Frauen nicht das öffentliche Lehramt in der Kirche innehaben sollen, dann gehorchen wir einfach und glauben: Genau das entspricht der Liebe, weil es von Gott kommt. Und wenn es heutzutage viele Gemeinden gibt, die das anders handhaben, dann weisen wir sie liebevoll darauf hin. Und wenn sie sich nicht ändern wollen, dann tun wir nicht so, als ob wir uns im Grunde einig sind, sondern zeigen durch unseren kirchlichen Weg: So geht das nicht, wir distan­zieren uns von solchem Ungehorsam. Das ist keine Lieb­losig­keit, sondern im Gegenteil Liebe: Liebe zu Gott, zu Gottes Geboten und auch zu den Menschen. Alles andere wäre un­wahrhaftig oder ungehorsam.

Wir sehen: Auch wenn wir in einem Kampf des Glaubens stehen, auch wenn der Gebots­gehorsam uns zu Auseinander­setzungen führt und zu Situ­ationen, die uns Magen­schmerzen bereiten mögen, so steht das nicht Widerspruch zur Liebe. Wir stehen in dieser Welt ja wirklich im Kampf des Glaubens, die Bibel sagt es ganz deutlich. Wir sind erst noch im Begriff zu siegen und zu überwinden, wie Johannes schrieb: „Alles, was von Gott geboren ist, überwindet die Welt.“ Aber wir dürfen dieses Sieges gewiss sein, weil wir an Christus glauben, der den Sieg schon davon­getragen und „über­wunden“ hat. „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.“ Wenn wir das nicht aus den Augen verlieren, dann sind die Gebote in der Tat leicht, wie Johannes schreibt. Dann brauchen wir einfach nur zu lieben, einfach nur zu gehorchen, ohne um die Folgen zu bangen. Denn wenn wir einfach treu und schlicht nach Gottes Wort leben als seine geliebten Kinder, dann ist das gute Ende gewiss: dass wir vom Glauben zum Schauen gelangen werden. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1992.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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