Wenn wir an Jesu Stelle gewesen wären

Predigt über Philipper 2,8‑9 zum Sonntag Palmarum

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wie ein König zog Jesus in die Hauptstadt ein; wir haben im heutigen Evangelium davon gehört. Die Menge jubelte ihm zu: „Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König Israels!“ Sie breiteten Kleider auf den Weg und winkten mit Palm­zweigen. So begrüßte man damals Herrscher und siegreiche Feldherren. Zugleich aber zog Jesus wie ein Bettler ein. Der Esel, auf dem er ritt, war nicht mal sein eigener, sondern ausgeborgt. Er und seine Gefährten besaßen keine Reichtümer und zogen wie Obdachlose durchs Land. Sein Haftbefehl war praktisch schon aus­gestellt; die Behörden warteten nur noch auf eine günstige Gelegen­heit, ihn fest­zunehmen und an den Galgen zu bringen. Was für ein armseliger Mensch! Christi Hoheit und Niedrigkeit offenbaren sich beide zugleich im Ereignis des Palmsonntag-Evan­geliums. Beides ist auch Thema der Epistel. Da heißt es: „Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist.“

Jesus erniedrigte sich, und Jesus Christus wurde wieder erhöht – damit ist alles gesagt, was er für uns getan hat, sein ganzes Heilswerk. Er erniedrigte sich: Er beugte sich unter die Last der Sünden, die uns zu Tode drücken würde. Und er wurde erhöht zum Siegel und Zeichen dafür, dass diese Erlösung Gottes Tun ist und dass sie alle, die Jesus nachfolgen, zum Leben in Herrlich­keit führt. Wissen wir aber wirklich, was unser Herr da für uns getan hat und was das für ein gewaltiges Liebeswerk ist? Wir werden es nie genug begreifen und wollen es uns darum jetzt wieder ganz deutlich vor Augen führen. Wenn wir an Jesu Stelle gewesen wären – ich glaube nicht, dass wir wie er gehandelt hätten. „Er erniedrigte sich selbst“, heißt es. Er verließ einen Himmel voll un­aussprech­licher Herrlich­keit. Er verließ die un­mittel­bare Gemein­schaft seines himmlischen Vaters. Er verzichtete auf den Dienst und den Lobpreis der himmlischen Heer­scharen. Er verhüllte seine göttliche Macht. Er wurde Mensch – mit allen Risiken, mit aller Ver­wundbar­keit, mit allen Leiden. Er tat es freiwillig. Er erniedrigte sich selbst; es wurde ihm nichts auf­gezwungen. Wer von uns würde freiwillig von einer hohen Position in eine niedrige wechseln? Welcher Fabrik­besitzer würde sich selbst ans Fließband stellen? Welcher Millionär würde seine Millionen ver­schenken? Welcher Haus­besitzer würde freiwillig in eine enge Mietwohnung ziehen? Jesus hat so gehandelt: Er erniedrigte sich selbst.

Und er war gehorsam, gehorsam bis zum Tod. Er gehorchte seinem himmlischen Vater. Er ordnete sich dessen Willen unter, machte sich diesen Willen zu eigen. Weil der Vater die Menschen liebt, teilt er dessen Liebe und opfert sich deswegen freiwillig auf. Wenn wir an Jesu Stelle gewesen wären – ich glaube nicht, dass wir solchen Gehorsam gehabt hätten. Uns ist das Wort „gehorsam“ heute ohnehin etwas anrüchig. Wir gehorchen nicht gern, und freiwillig tun wir es kaum. Wir wollen ja keine Duckmäuser sein. Wir sind miss­trauisch, dass uns dann jemand instrumen­talisieren könnte. Jesus war nicht miss­trauisch, sondern hatte volles Vertrauen zu seinem Vater, darum gehorchte er ihm. Wie er die Demut hatte, sich selbst zu er­niedrigen, so hatte er auch das Vertrauen, es aus Gehorsam zum Vater zu tun. Es war ein Gehorsam ohne Wenn und Aber. Ein Gehorsam, der nicht auf halbem Wege halt macht und sagt: Das geht zu weit. Jesus war bis zum letzten Atemzug gehorsam, bis zum Tod. Er, der als einziger gerechter Mensch nicht hätte zu sterben brauchen. Er, der wahre Gott. Angenommen, wir hätten Un­sterblich­keit und göttliche Macht: Würden wir dann aus Liebe und Gehorsam freiwillig in den Tod gehen? Ich glaube nicht. Er war gehorsam bis zum Tod, ja zum Tod am Kreuz. Sein Sterben war das Aller­erbärm­lichste und Un­ehrenhaf­teste, was man sich vorstellen kann. Wäre er doch wenigstens sanft ein­geschlafen. Oder wäre er einen Heldentod gestorben. Aber nein, verachtet wie ein Verbrecher starb er am Kreuz, dem Galgen der Antike. Wenn wir uns einen Tod aussuchen dürften, diesen würden wir ganz bestimmt nicht wählen. Wenn wir an Jesu Stelle gewesen wären, hätte hier unser Gehorsam wohl ein Ende gefunden. Wir hätten gebetet: „Vater, lass diesen Kelch an mir vorüber­gehen“ ohne den Zusatz: „doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“ Aber Jesus hat auch dieses Letzte und Schwerste gehorsam getragen, wirklich das Aller­letzte. Denn am Kreuz wurde deutlich: Der Tod ist eine Strafe, der Sünde Sold. Mit dem Kreuzestod musste Jesus büßen, musste für unsere Sünden gerade­stehen. Da am Kreuz wird deutlich: Der menschliche Tod ist keine Erlösung, wie man heute oftmals behauptet, er ist auch kein natürliches Ende des Lebens, sondern er ist Strafe und Fluch, er zeigt Gottes Zorn über die Sünde. Wie ein Blitz­ableiter hat Jesus den Zorn des Vaters auf sich gezogen, damit er uns nicht treffe. Wenn wir an Jesu Stelle gewesen wären – dazu wären wir bestimmt nicht bereit gewesen.

Ja, und dann hat der himmlische Vater ihn erhöht. „Darum hat ihn auch Gott erhöht“, lesen wir. Darum – nicht als Belohnung für die erlittene Schmach, sondern als Vollendung des Erlösungs­werks. Auf die Er­niedrigung folgt die Erhöhung. Die Frucht des Sterbens Jesu heißt Auf­erstehung. Mit der Erhöhung bestätigt und bezeugt Gott Jesus als den Christus, den Davidssohn und König, den er für alle Völker eingesetzt hat. Am Kreuz hat Jesus den Sieg errungen, und in der Auf­erstehung, in der Erhöhung wird das offenbar. Er ist in den Himmel auf­gefahren, sitzt zur Rechten des Vaters in Herrlich­keit, regiert in Ewigkeit. Hört genau hin: Gott hat ihn erhöht. Er selbst hat sich freiwillig erniedrigt‘ aber er hat sich nicht selbst erhöht. Es lag ihm nichts an Ruhm und Ehre. Er hat sich nicht abgesichert vor seinem Tod, dass er auch wieder lebendig wird; sonst wäre das alles ja nur eine große Erlösungs-Show gewesen. Er hat am Kreuz wirklich die bittere Gott­verlassen­heit erlebt. Aber er hat sich zugleich in die Hände des Vaters befohlen. Wie der es macht, so ist es recht, im Leben und im Sterben. Und der Vater, der hat ihn dann erhöht. Wenn wir an Jesu Stelle gewesen wären, hätten wir dann auch so vertrauens­voll unser Leben in Gottes Hände gelegt? Hätten wir darauf verzichtet, uns selbst zu erhöhen? Verzichten wir denn in unserem Leben darauf? Versuchen wir nicht immer wieder, aus eigener Kraft hoch­zukommen, Ehre und Ansehen zu ernten, Macht und Besitz? Oder sagen wir auch, was immer kommen mag: Vater, du machst es ja alles recht, im Leben und im Sterben; so überlasse ich alles dir und will mich nicht selbst erheben, will nicht auf den eigenen Vorteil schielen.

Der Vater hat ihn erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist. Welcher Name ist das? Zwei Namen werden in den folgenden Versen genannt: Der Name Jesus und der Name Herr. „Herr Jesus“, das ist der höchste Name, den es gibt, der Ehrentitel unseres Herrn. „Herr“ ist dabei nicht einfach Anredeform, so wie man Herr Meier oder Herr Krause sagt. Hinter dem Wort „Herr“ steht Gottes per­sönlicher Name, mit dem er sich bereits dem Volk Israel zu erkennen gab: Jahwe, Jehovah oder Ich-bin. Der Herr Jesus ist also der wahre Gott Jesus, der Herr aller Herren. Der Name Jesus aber heißt Retter, Helfer, Erlöser und Heiland. Das ist der Name, der über alle Namen ist; der Name, der in der ganzen Welt gepredigt wird; der Name, in dem allein Heil und Leben ist: Herr Jesus. „In keinem anderen ist das Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen unter dem Himmel gegeben, darin wir sollen selig werden“, so ver­kündigten die Apostel (Apostel­gesch. 4,12). Mögen sich die Muslime noch so sehr anstrengen, mögen die Juden zum selben Gott beten wie wir: Das Heil finden sie nicht, solange sie nicht an diesen einen Namen glauben, den höchsten Namen: Herr Jesus. Noch einmal: Jesus heißt Helfer. Dieselbe hebräische Wort-Wurzel von „helfen“ steckt auch in dem Wort Hosianna drin, zu deutsch: Hilf doch! So ist im Ruf der Menge am Palmsonntag der höchste Name enthalten – der Name, der allein Heil und Seligkeit bedeutet: Hosianna! Gelobt sei der da kommt im Namen des Herrn!

Wie gut, dass wir nicht an Jesu Stelle gewesen sind, sondern dass er, der wahre Gott selbst, dieses große und wunderbare Erlösungs­werk vollbracht hat. Aber nun, wo wir durch ihn erlöst sind, ruft er uns durch seinen Apostel auf (das ist der Anfang der Epistel): „Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemein­schaft in Christus Jesus ent­spricht.“ Oder, wie Luther ur­sprünglich übersetzte: „Ein jeglicher sei gesinnt, wie Jesus Christus auch war.“ Wir sind nicht an der Stelle Christi, aber wir sind aufgerufen, nach seinem Beispiel zu leben, ein jeder an dem Platz, wo Gott ihn hingestellt hat. Das bedeutet: demütig – so, wie Christus sich erniedrigt hat. Und gehorsam – so, wie Christus den Auftrag des Vaters bis zum bitteren Ende ausgeführt hat. Und vertrauens­voll – so, wie Jesus die Erhöhung seinem Vater überließ. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1992.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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