Geduld – eine wichtige Eigenschaft

Predigt über Jakobus 5,7‑8 zum 2. Advent

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Habt ihr Geduld? Ja? Oder nicht so sehr? Die Geduld ist eine Charakter­eigen­schaft, die unter­schiedlich verteilt ist. Es gibt sehr geduldige und sehr ungeduldige Menschen; die meisten von uns dürften aber eher im Mittelfeld liegen. Viele von uns wünschen sich wahr­scheinlich manchmal, noch geduldiger zu sein – mit kniffligen Arbeiten, mit anderen Menschen, nicht zuletzt mit sich selbst.

Die Geduld ist unter­schiedlich verteilt, und sie wird auch in ver­schiedenen Berufen unter­schiedlich stark gefordert. Bauern zum Beispiel müssen sehr geduldige Menschen sein. Sie können die Frucht ihrer Bemühungen erst nach Monaten ernten. Darum wird der Landwirt hier im Jakobus­brief als Muster­beispiel der Geduld hin­gestellt: „Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen.“ Das muss ich ein wenig erklären: Im sub­tropischen Klima Palästinas spannt der Bauer nicht im Märzen die Rösslein an, sondern er beginnt im Oktober mit der Saat. Vorher hat es ein halbes Jahr lang nicht geregnet; die Erde ist aus­getrocknet und steinhart. Der erste Regen der Saison fällt Mitte Oktober und weicht die Erde auf; erst dann kann gesät und gepflügt werden. Also: Schon das Warten auf diesen sogenannten Frühregen stellt den Bauern auf eine Gedulds­probe. Dann kommt die Regenzeit, die sich bis in den März hinzieht. In dieser Zeit wartet der Bauer geduldig darauf, dass die Frucht heran­wächst. Wichtig für die letzte Reifung der Frucht ist dann noch der sogenannte Spätregen im April, der letzte Nieder­schlag vor der Trocken­zeit. Auch auf diesen Spätregen wartet der Bauer geduldig und sehn­süchtig.

Geduld ist eine sehr gute und wichtige Eigen­schaft. Vielleicht ist sie heute ein wenig aus der Mode gekommen; man will nicht mehr so gern auf die schönen Dinge des Lebens warten wie der Bauer auf seine köstliche Frucht. Wenn sich Menschen in früheren Zeiten mal eine schöne Anschaffung leisten wollte, mussten sie geduldig dafür sparen, und am Ende wurde die Geduld dann belohnt. Heute schöpft man entweder aus dem Vollen, oder man nimmt einen Kredit auf, weil man den Genuss sofort möchte. Ebensowenig verstehen es manche Leute, warum Verliebte mit dem Geschlechts­verkehr bis zur Hochzeit warten sollten. Ja, die Geduld steht offenbar nicht mehr hoch im Kurs.

Dabei ist die Geduld, so unscheinbar und unauffällig sie ist, eine ungeheuer gute Eigen­schaft. Sie ist besser als Mut oder Kraft, denn am Ende erreicht der am meisten, der Durchhalte­vermögen zeigt. „Ein Geduldiger ist besser als ein Starker“, sagte Gottes Geist bereits durch den König Salomo (Sprüche l6,32). Und durch den Apostel Jakobus fordert er uns hier auf: „So seid nun geduldig, liebe Brüder, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und den Spätregen. Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe.“ Ja, auch für unser Christsein ist die Geduld eine wichtige Eigen­schaft. Wie der Bauer geduldig wartet in der Vorfreude auf die köstlichen Früchte der Ernte, wie der Sparer geduldig wartet in der Vorfreude auf die ersehnte An­schaffung, wie christliche Brautleute geduldig warten in der Vorfreude auf Hochzeit und Ehe, so warten wir Christen geduldig auf den Jüngsten Tag in der Vorfreude auf den Herrn Jesus Christus, der dann in all seiner Herrlich­keit sichtbar erscheinen wird.

Geduld, Durchhalte­vermögen, das ist eine wichtige christliche Eigen­schaft. Ich behaupte sogar: Sie ist wichtiger als der Glaube! Warum? Mit dem Glauben ergreifen wir das Evangelium, die frohe Botschaft von Jesus. Wir vertrauen darauf, dass er unsere Schuld bei Gott bezahlt hat und dass er uns in das himmlische Paradies führt. Als Kinder konnten wir das ganz schlicht glauben. Als wir erwachsen wurden, stellten wir heimlich oder auch offen manche kritischen Fragen. Seitdem kennen wir Höhen und Tiefen in unserem Glaubens­leben. Worauf kommt es nun an? Darauf, dass wir durch­halten, liebe Brüder und Schwestern, dass wir geduldig festhalten am Glauben, dass wir beharren bis ans Ende. Ohne Glauben können wir nicht selig werden, das ist wahr. Aber wenn wir jetzt glauben und später abfallen, und wenn wir dann verzweifelt glaubenslos sterben, dann war alles umsonst, weil uns das Durchhalte­vermögen gefehlt hat. „So seid nun geduldig“, mahnt Jakobus, und es ist, als klinge wie ein Echo das Gleichnis von den zehn Jungfrauen in diesen Worten nach: „Habt Öl bei euch, damit euer Glaubens­licht nicht vorzeitig ausgeht, bevor der Bräutigam kommt. Seid bereit und bleibt bereit für seine Ankunft!“

Ich freue mich immer über Christen, denen man die gute Eigenschaft der Geduld anmerkt. Oft sind es gerade die Stillen im Lande, die Un­scheinba­ren, die gar nicht durch besonderes Engagement oder durch besondere Ideen in der Gemeinde auffallen. Aber sie haben Geduld, sie haben Durchhalte­vermögen für ihren Glauben. Das äußert sich in der Treue. Ja, auch in unserer Gemeinde gibt es manches Vorbild an Treue. Diese Gemeinde­glieder sitzen zu fast jedem Gottes­dienst treu in der Kirchen­bank, singen und beten treu, opfern treu, und viele von ihnen dienen schon seit Jahren und Jahrzehnten der Gemeinde treu in ver­schiedenen Bereichen. Sie lassen sich nicht entmutigen, auch wenn es mal Probleme gibt, wenn sie mit manchen Dingen nicht zufrieden sind, wenn sie Kritik einstecken müssen, wenn sie persönliche Durst­strecken haben. Sie leben in Geduld und Treue dem Tag entgegen, wo der Herr Jesus Christus sie ins Paradies nehmen wird. Sie wissen, was sie da erwartet, und können deshalb in der Wartezeit vieles ertragen, vieles einstecken. Ja, solche Geduld und Treue ist vorbild­lich.

Das Glaubens­leben kann nämlich nicht immer nur aus Höhepunkten bestehen. Ich weiß, mancher wünscht sich, dass dauernd was Tolles los ist in unseren Gottes­diensten und auch sonst in der Gemeinde. Mancher beneidet vielleicht andere Gemeinden, bei denen mehr Schwung drin ist. Nun, wir geben uns ja auch Mühe. Aber was zuletzt zählt, ist nicht das Strohfeuer einer über­schwäng­lichen Be­geisterung – so schön die ist – , sondern was zählt, ist die Glut eines aus­dauernden, treuen, geduldigen Glaubens, der sich jahraus, jahrein von Gottes Wort und Sakrament nährt, und der jahraus, jahrein seine Früchte in treuem Dienst zeigt. Denn nicht das Strohfeuer ist krisenfest, wohl aber diese Glut der Beständig­keit.

Solche Geduld und Beständig­keit werden wir freilich nur dann haben, wenn wir ganz auf das Ziel aus­gerichtet sind. Welcher Landmann würde sich mit dem Acker mühen, wenn da nicht die Ernte wäre? Wer sein Christsein überwiegend diesseitig versteht, muss früher oder später daran irre werden. „Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen“, schrieb der Apostel Paulus den Korinthern (1. Kor. 15,19). Vielleicht hängt es mit der Ungeduld unserer Zeit zusammen, dass man gegenwärtig nicht so sehr vom wieder­kommenden Christus und vom Himmel spricht, sondern lieber davon, was das Christsein hier und heute bringt. Liegt es daran, dass man heute nicht mehr geduldig warten mag, sondern dass man Genuss sofort sucht? Stehen deshalb so viele Leute dem Leben nach dem Tod gleich­gültig gegenüber?

Wie dem auch sei, ich freue mich jedenfalls auf den Jüngsten Tag, und diese Vorfreude ist die be­ständigste Freude, die ich in meinem Leben kennen­gelernt habe. Wenn ich einen schweren Tag hinter mir habe, dann denke ich abends manchmal: „Schön, nun bist du dem Himmel wieder einen Tag näher gekommen.“ Ja, das ist ein großer Trost, besonders in schweren Zeiten, in Leidens­zeiten – die Gewissheit: Das Beste liegt noch vor uns, und das kann uns keiner rauben. Christus wird es uns schenken, das hat er ver­sprochen. Die Auf­forderung des Jakobus ist darum auch als Trost gedacht: „Seid nun geduldig, liebe Brüder! Stärkt eure Herzen!“ Jakobus wusste, dass viele seiner ur­sprüng­lichen Adressaten viel zu leiden hatten und dass viele arme Christen darunter waren, die von ihren Dienst­herren geschunden und ausgebeutet wurden. Wie sehr werden die sich auf den Himmel gefreut haben! Oder die schwarzen Sklaven in den USA vor 200 Jahren: Wie oft wurden sie gequält und schi­kaniert, wie hart mussten sie arbeiten! „Oh, nobody knows the trouble I've seen“, sangen sie, „Niemand kennt die Not, die ich erlebt habe… Aber meine Seele weiß dennoch, dass sie zum Himmel unterwegs ist“, trösteten sie sich in diesem Lied und mit vielen anderen Liedern. Es sind die berühmten Spirituals, von denen die meisten Sehnsucht nach dem Himmel ausdrücken. „Seid geduldig, liebe Brüder.“ Denkt an den Bauern, wie der geduldig auf seine herrlichen Ernte­früchte wartet. Seid geduldig: „Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten…“ (Psalm 126,5).

Ja, zur Geduld ruft Jakobus, und er schließt mit den Satz: „Das Kommen des Herrn ist nahe.“ Das verwundert uns, und nicht erst uns. Sollte das „nahe“ sein, wenn er bisher schon 2000 Jahre auf sich warten ließ? Natürlich wissen wir, dass bei Gott andere Zeit­maßstäbe herrschen als bei uns, dass bei ihm tausend Jahre wie ein Tag sind und umgekehrt. Aber warum lässt er seine Apostel dann überhaupt so etwas sagen, was die Menschen doch nur miss­verstehen können? Was fangen wir mit diesem Wort an: „Das Kommen des Herrn ist nahe“?

Auch in diesem Wort steckt ein großer Trost und die Er­munterung, Geduld zu haben und durch­zuhalten mit dem Glauben. Wer mit kleinen Kindern im Auto verreist, der kennt das Problem – schon bald nach der Abfahrt geht das Gefrage los: „Sind wir bald da?“ Und dann sind die Eltern gefordert, dem Kind nach allen Regeln der päda­gogischen Kunst klar­zumachen, dass es so sehr weit gar nicht mehr ist. So handelt auch Gott pädagogisch mit uns Menschen­kindern und zeigt uns, dass die Wiederkehr seines Sohnes nach unseren kurz­sichtigen mensch­lichen Gedanken noch weit weg sein kann, dass sie aber in Wahrheit, in Gottes Wahrheit, nahe ist. Nehmen wir es als Trost an. Freuen wir uns, dass wir den Zeitpunkt nicht kennen, aber dass die universale Termin­planung beim Vater im Himmel in den besten Händen ist. Vielleicht kommt der Jüngste Tag schon morgen, oder ich sterbe morgen und stehe unversehens am Ende der Welt. Wer weiß? Auf alle Fälle will ich bereit sein, ob ich nun morgen meinem Heiland leibhaftig begegne oder ob ich noch lange ausharren muss. Der Herr gebe mir die Kraft dazu, die Geduld. Und schließlich tröstet mich ja dies, dass im Blick auf die ewige Herrlich­keit dieser Zeit Leiden kurz und gering sind.

Liebe Gemeinde, lasst uns die herrliche Frucht im Blick behalten, die Gott für uns im Himmel bereitet hat, dann sollte uns das geduldige Warten nicht schwer­fallen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1991.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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