Der andere König

Predigt über Matthäus 22,15‑22 zum 23. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Vorder­gründig geht es in dieser Geschichte um Steuer­beratung. Der wahre Sinn jedoch erschließt sich nur dann, wenn wir auf den schauen, der hier spricht: Jesus Christus. Letztlich ist Jesus ja der Hauptinhalt aller Worte Heiliger Schrift. Lasst uns also im Blick auf unsern Herrn die Sache noch einmal ausführlich betrachten.

Die Pharisäer waren nicht auf den Kopf gefallen. Sie waren sogar aus­gesprochen kluge, ja, raffinierte Leute. Aber für sie stand fest: Jesus muss aus dem Verkehr gezogen werden. So erdachten sie sich eine List. Auf einer geheimen Sitzung tüftelten sie eine Fangfrage aus, mit der sie Jesus das Genick brechen wollten. Sie wollten ihn fragen, ob es recht ist, dem römischen Kaiser die Steuern abzuführen, die dieser verlangt. Sagte Jesus ja, dann machte er sich bei seinen Jüngern unmöglich, denn was war das für ein Erlöser, der dem verhassten Unter­drücker Steuern zahlen will! Sagte er aber nein, so hatte man einen Grund, ihn als Gesetzes­brecher der römischen Justiz aus­zuliefern. Mit dieser gemeinen Fangfrage schickten die Pharisäer einige ihrer Jünger zu Jesus und sandten sicherheits­halber noch ein paar Leute von der Leibgarde des Herodes mit, damit sie Jesus, wenn er „nein“ sagte, gleich an Ort und Stelle festnehmen konnten.

Blicken wir nun auf Jesus – was bedeutete das alles für ihn? Es bedeutete eine unsägliche Erniedri­gung. Er ist doch der wahre Gott, unser Herr und König! Er könnte uns mit Leichtig­keit hundert Fangfragen stellen, vor denen wir verstummen müssten, und er hätte auch alles Recht dazu. Er könnte uns auf Schritt und Tritt der Sünde überführen. Aber nein, er erniedrigt sich so tief, dass er Fangfragen an sich herankommen ließ. Wie dankbar können wir ihm dafür sein, denn er hat es ja alles für uns getan. Um unsert­willen hat er die Sünde so nah an sich heran­gelassen. Um unsert­willen hat er sich so tief erniedrigt: um unsere Schuld zu tilgen, um uns zum Himmel zu erhöhen. Ja, das alles gehörte zu seinem Auftrag vom himmlischen Vater – auch, dass er sich solchen Fragen aussetzte und darauf einging.

Hören wir nun, wie die Pharisäer-Jünger die Frage vor­brachten. Sie machten zunächst eine um­ständliche Einleitung: „Meister, wir wissen, dass du wahrhaftig bist und lehrst den Weg Gottes recht und fragst nach niemand; denn du achtest nicht das Ansehen der Menschen.“ Das ist der Gipfel der Un­verschämt­heit! So eine Heuchelei! Da kommen sie, um ihn in die Pfanne zu hauen, und um­schmeicheln ihn zunächst mit schein­heiligen Kompli­menten. „Meister“, sagen sie, so als wäre er einer ihrer Ober-Pharisäer. Sie preisen seine Wahrhaftig­keit, seine Gottes­erkenntnis und seine Un­bestechlich­keit. Im Herzen denken sie ganz anders, aber sie wollen ihn ja noch bei Laune halten, damit er ihnen nur ja eine Antwort auf ihre Fangfrage gibt.

Wir kennen solche schein­heilige Höflich­keit. Da hat sich zum Beispiel einer über seinen Vertrags­partner geärgert, schreibt aber ganz höflich: Sehr geehrter Herr Sowieso! Zu unserm größten Bedauern… bla, bla, bla… – andernfalls sehen wir uns leider genötigt, gericht­liche Schritte ein­zuleiten. Mit freund­lichen Grüßen…

Es ist er­frischend, wie offen und ehrlich Jesus antwortet. Er durchschaut das ganze Theater sofort. Er kennt ja jedes Herz in- und auswendig. Und er sagt, was Sache ist. „Ihr Heuchler, was versucht ihr mich?“ Da haben sie es nun: Er ist tatsächlich wahrhaftig ‚ wie sie anfangs heuch­lerisch lobten, und ihm ist das Ansehen seiner Gesprächs­partner tatsächlich vollkommen egal! Blicken wir nun also wieder auf ihn, auf Jesus, was das über ihn aussagt: Aha, er ist absolut wahrhaftig. Er sagt seinen Gegnern, was er denkt. Wenn er aber schon seinen Feinden gegenüber so ehrlich ist, dann können wir ganz sicher sein, dass er auch uns, seine Freunde, nicht hinters Licht führt. Liebe Gemeinde, was ist das für ein großer Trost und fester Halt für unsern Glauben! Auf Jesus ist hundert­prozentig Verlass; er tut, was er sagt. „Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden“, sagte er; amen, ja, das steht felsenfest (Markus 16,16). „Der Menschen­sohn wird einmal wieder­kommen mit den Wolken des Himmels“ – ja, amen, das wird wirklich so geschehen, auf sein Wort ist ja Verlass, er ist völlig offen und ehrlich (Matth. 26,64).

Doch kommen wir wieder zu dem Gespräch zurück. Das Inter­essanteste daran ist ja nun, wie Jesus auf die Fangfrage antwortet. „Ist's recht, dass man dem Kaiser Steuern zahlt oder nicht?“, fragen sie ihn. Er erwidert zunächst: „Zeigt mir die Steuer­münze!“ Siehe da, im Portmonee der Pharisäer-Schüler findet sich schnell ein Denar, eine von den Römern eingeführte Münze, die zugleich den jährlichen Betrag der Pro-Kopf-Steuer darstellt. Und auf diesem Denar prangt das Antlitz des Kaisers Tiberius, der von den Römern wie ein Götze verehrt wurde, den Juden aber als Besetzer ihres Landes verhasst war. Allen Umstehenden muss jetzt klar werden: Die so fromm tuenden Pharisäer können es also durchaus mit ihrem strengen Gesetzes­eifer verbinden, das Bild des Kaisers auf der Münze mit sich herum­zutragen! Jesus fragt nun zurück: „Wessen Bild und Aufschrift ist das?“ Antwort: „Des Kaisers.“ Da zieht Jesus den nahe­liegenden Schluss: „So gebt dem Kaiser was des Kaisers ist.“ Klar doch, kein Problem: Wenn der Kaiser solches Geld hier ungefragt eingeführt hat, dann soll er es auch behalten, dann kann er auch seine Steuer­münzen wieder­kriegen, die ihm ja sowieso gehören. Wegen so einem bisschen Edelmetall braucht man keinen Aufstand zu machen, und man braucht auch keine welt­anschauliche Frage daraus zu machen. Herrlich, wie Jesus die Luft aus dieser Fangfrage lässt! Wie er die Schlauheit der Pharisäer mit seiner größeren Weisheit überwindet!

Schauen wir nun wieder auf ihn selbst: Wiederum ist es schön und tröstlich zu sehen, wie seine göttliche Weisheit ganz einfältig die Weisen dieser Welt überwindet. Kennen wir das nicht auch, dass man uns Christen mit Fangfragen in die Enge treiben will? Dass man uns durch kluge Rede beweisen will, wie vorgestrig unser Glaube ist und wie wenig er in die moderne Welt passt? Oh, wie klug, ein­leuchtend und überzeugend klingt das, da können wir manchmal ganz schön kleinlaut werden! Aber auch wenn uns dann in dem Moment keine passende Antwort einfällt, dürfen wir uns doch daran erinnern: Unser Herr Jesus Christus hat die größere Weisheit; in ihm „liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis“ (Kol. 2,3). Er weiß auf alle Fragen die rechte Antwort. Vor ihm muss Menschen­weisheit untergehen. Und diese seine göttliche Weisheit gipfelt im Kreuz, das den Weisen der Welt als scheinbare Torheit un­verständ­lich bleiben muss. Sie begreifen ja nicht, dass da einer stell­vertretend für alle stirbt – Gottes Sohn. Dieser Weisheit will ich mich bis in den Tod rühmen, wenn alle Welt­weisheit verstummen muss. Ja, die Weisheit unseres Herrn Jesus Christus behält das letzte Wort, nicht nur in diesem Gespräch, sondern auch am Ende des Lebens und am Ende der Welt – für all diejenigen, die zu ihm gehören.

Bleibt noch ein letzter Satz in der Antwort Jesu, den ich eben unter­schlagen habe: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ Jedem das Seine! Jesus zeigt damit: Des Kaisers Herrschaft und Gottes Herrschaft, die liegen auf ganz ver­schiedenen Ebenen, die stehen überhaupt nicht in Konkurrenz. Jesus macht hier wieder einmal klar: Er ist kein politischer Erlöser, der das jüdische Volk aus der Tyrannei der Römer befreien und die Un­abhängig­keit erzwingen will; da hat er überhaupt kein Interesse dran. Er ist ein ganz anderer König. Sein Reich ist nicht von dieser Welt. Man mag den jeweiligen Machthabern Steuern zahlen, soviel die wollen – das Reich Gottes wird davon nicht berührt. Denn da zählen nicht Steuer­münzen, da zählt der Glaube allein, der Glaube an die Vergebung der Sünden. Der Glaube, der dann als Frucht Gott all das gibt, was Gott zusteht: Ehre, Furcht, Liebe, Gehorsam, Treue.

Ja, so sehen wir zum Schluss noch einmal auf Jesus, unsern König, dessen Reich auf einer ganz anderen Ebene liegt als die Reiche dieser Welt. Sein Reich liegt auf einer viel höheren Ebene; er ist ja der König aller Könige! Die Könige und Kaiser dieser Welt haben nur eine Zeitlang von Gott Vollmacht zum Herrschen bekommen, und sie müssen sich für ihr Herrschen einst vor ihm ver­antworten. Das letzte Wort aber behält der König Jesus Christus, denn sein Reich besteht auch dann noch, wenn alle Reiche dieser Welt unter­gegangen sind.

Liebe Gemeinde, wir dürfen uns glücklich preisen, dass wir Jesus zum König haben. Wie wunderbar und groß dieser König ist, das sehen wir auch an dem Gespräch, das wir eben bedacht haben. Der Gesichts­punkt seines Königtums ist ja viel wichtiger und inter­essanter als die Steuer­frage. Aber wenn die Steuerfrage nun einmal im Raum steht, so wollen wir auch im Blick auf sie ganz einfach die Antwort Jesu für uns gelten lassen: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ Zahlt eure Steuern, zahlt eure Sozial­abgaben, haltet die Gesetze des Staates, gleich ob wir eine christliche oder eine gottlose Regierung haben, eine vom Volk gewählte oder eine auf­gezwungene. Das alles kann und soll ein Christ tun; er soll der Obrigkeit untertan sein, die Gewalt über ihn hat. So hat es ja der Heilige Geist auch dem Paulus eingegeben, und der hat dann im 13. Ka­pitel des Römerbriefs auf­geschrieben: „So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre dem die Ehre gebührt“ (Römer 13,7). Die Ehre aber gebührt am aller­meisten unserm dreieinigen Gott. Ihm zur Ehre zu leben, das soll in jedem Fall den höchsten Stellenwert bei uns haben. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1991.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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